OGH 7Ob547/87

OGH7Ob547/8726.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Hule, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Lydia L***, geboren am 3. Juli 1968, Ewald L***, geboren am 31. Dezember 1969 und Sabine L***, geboren am 2. Mai 1973, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Ing. Erich L***, Angestellter, Mödling, Gumpoldskirchnerstraße 26, vertreten durch Dr. Heinz-Eckard Lackner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 30. Dezember 1986, GZ 47 R 875/86-18, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Mödling vom 22. Oktober 1986, GZ 2 P 85/86-15, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die minderjährigen Kinder Lydia, Ewald und Sabine L*** entstammen der Ehe des Ing. Erich L*** mit Hedwig L***. Zwischen den Eltern ist ein Ehescheidungsverfahen anhängig, doch wohnen diese nach wie vor mit den Kindern zusammen im gemeinsamen Haushalt.

Das Erstgericht hat der Mutter die elterlichen Rechte und Pflichten im Umfang des § 144 ABGB entzogen und diese Rechte allein dem Vater zuerkannt. Hiebei ging es von den wesentlichen Feststellungen aus, daß zwischen den Eltern keinerlei Kontakt mehr besteht. Die Kinder stehen zur Gänze auf der Seite des Vaters und wünschen auch, bei ihm zu verbleiben. Die Mutter nimmt am familiären Leben nicht teil, versorgt den Haushalt nicht und nimmt auch die Mahlzeiten nicht zusammen mit den übrigen Familienmitgliedern ein. Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, bereits gemäß § 177 ABGB sei die erwähnte Entscheidung, ohne Prüfung der Voraussetzungen nach § 176 ABGB, erforderlich, weil dies schon im Hinblick auf den Wunsch der Kinder deren Wohl entspreche. Das Rekursgericht hat den der Entscheidung des Erstgerichtes zugrundeliegenden Antrag des Vaters abgewiesen. Es führte hiebei in rechtlicher Hinsicht aus, eine Entscheidung nach § 177 ABGB könne nicht ergehen, weil die Eltern nicht getrennt leben. Aus dem Verfahren ergebe sich auch nicht, daß die Mutter durch ihr Verhalten das Wohl der Kinder gefährde, weshalb die Entscheidung auch nicht unter Berufung auf § 176 ABGB gerechtfertigt wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Vater gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist nicht gerechtfertigt.

Bei aufrechter Ehe der Eltern minderjähriger Kinder ist eine Entscheidung nach § 177 Abs. 1 ABGB nur zulässig, wenn die Eltern nicht bloß vorübergehend getrennt leben. Das bloße Fehlen jeglicher Kontakte zwischen ihnen genügt nicht. Auch ein anhängiges Scheidungsverfahren läßt in der Regel keinen zwingenden Schluß auf eine endgültige Entwicklung der Verhältnisse zwischen den in der Ehekrise lebenden Ehegatten zu (7 Ob 624/81, 5 Ob 583/82). Es ist unbestritten, daß die Eltern nach wie vor zusammen mit den Kindern in der gemeinsamen Wohnung wohnen. Sohin liegen die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 ABGB nicht vor. Der Hinweis des Revisionsrekurses auf Entscheidungen zu § 55a EheG (die Argumentation paßt eher auf § 55 EheG) geht daran vorbei, daß diese Bestimmung überhaupt nichts mit § 177 Abs. 1 ABGB zu tun hat.

§ 177 Abs. 1 ABGB der bei aufrechter Ehe ein getrenntes Leben der Ehegatten erfordert, hat das Wohl des Kindes im Auge. Dieses erfordert unter Umständen rasche Entscheidungen betreffend das Kind. Die ständige räumliche Trennung der Ehegatten kann geeignet sein, solche rasche Entscheidungen zu verhindern. Aus diesem Grunde soll eine ständige räumliche Trennung der Ehegatten die Handbabe für eine Entscheidung nach § 177 ABGB bilden. Solange die Ehegatten jedoch in der gleichen Wohnung wohnen, steht grundsätzlich einer raschen gemeinsamen Entscheidung nichts im Wege. Diesfalls könnte lediglich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 ABGB eine Entscheidung im Sinne dieser Gesetzesstelle gefällt werden. Zutreffend hat demnach das Rekursgericht erkannt, daß im vorliegenden Fall eine Entscheidung nach § 177 Abs. 1 ABGB nicht in Frage kommt.

Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 176 Abs. 1 ABGB ist eine Gefährdung des Wohles des mj. Kindes durch die Eltern. Unter einer derartigen Gefährdung ist schon die objektive Nichterfüllung oder Vernachlässigung elterlichen Pflichten zu verstehen, zu der ein subjektives Schuldelement hinzutreten kann, aber nicht muß (Pichler in Rummel, Rz 1 zu § 176). Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohles ist nicht geradezu ein Mißbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, daß die elterlichen Pflichten nicht erfüllt oder gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden. Eine Pflichtverletzung kann auch vorliegen, wenn die Eltern ihre Pflicht zu einvernehmlichem Vorgehen verletzen. Die Gefährdung des Kindeswohles kann auch schon darin liegen, daß wichtige Veränderungen eingetreten sind, die Eltern aber diesen Veränderungen nicht durch einvernehmliches Vorgehen Rechnung tragen (SZ 53/142 u.a.).

Im vorliegenden Fall führt die Mutter zwar nicht den Haushalt für die Kinder, doch wird dies für sich allein im allgemeinen nicht eine Verfügung nach § 176 Abs. 1 ABGB rechtfertigen. Das gleiche gilt für den Umstand, daß die Mutter keinen Kontakt zu den Kindern hat und mit diesen nicht einmal die Mahlzeiten einnimmt, ja allenfalls mit den Kindern keine Gespräche führt. Alle diese Umstände können schwere Pflichtverletzungen der Mutter gegenüber den Kindern begründen. § 176 Abs. 1 ABGB verfolgt jedoch das Ziel, eine Gefährdung des Kindeswohles abzuwehren. Eine solche Maßnahme soll daher nur gefällt werden, wenn sie geeignet ist, eine für die Kinder günstigere Situation hervorzurufen, insbesondere Nachteile für die Kinder abzuwehren. Durch die vom Vater angestrebte Entscheidung würde sich jedoch für die Kinder keinerlei verbesserte Situation ergeben, weil dadurch die Mutter weder zur Führung des Haushaltes noch zu einer Kontaktaufnahme mit den Kindern gezwungen werden könnte. Vielmehr bliebe es faktisch bei dem bestehenden Zustand. Daß aber die Mutter durch ihr Verhalten für das Wohl der Kinder erforderliche Maßnahmen verhindert oder auf sonstige Weise das Wohl der Kinder gefährdet hätte, kann nicht den bisherigen Feststellungen entnommen werden.

Das Rekursgericht hat demnach auch im Hinblick auf

§ 176 Abs. 1 ABGB die Sache rechtlich richtig beurteilt.

Stichworte