OGH 11Os1/87

OGH11Os1/8724.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.März 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas L*** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Andreas L*** gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 28.Oktober 1986, GZ 20 s Vr 4.437/85-84, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwalts Dr. Tschulik und des Verteidigers Dr. Lansky, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die über den Angeklagten Andreas L*** verhängte Freiheitsstrafe auf 18 (achtzehn) Jahre herabgesetzt wird.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Andreas L*** auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Im zweiten Rechtsgang wurde der am 14.Februar 1965 geborene Andreas L*** auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB schuldig erkannt. Darnach liegt ihm zur Last, am 6.April 1985 in Wien den am 22.Februar 1982 geborenen Raphael S*** vorsätzlich getötet zu haben, indem er ihn mit einem heftigen Stoß gegen eine Wand schleuderte, ihn sodann hochhob, aus einer Höhe von ca. einem Meter zu Boden fallen ließ und die Herbeiholung ärztlicher Hilfe unterließ.

Im ersten Rechtsgang hatten die Geschwornen ua die Andreas L*** und die Mitangeklagte Helga S*** betreffenden Hauptfragen nach Mord, sowie die Andreas L*** allein betreffende Eventualfrage nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit tödlichem Ausgang bejaht, wobei sie die vorsätzliche Tötungshandlung (abweichend von der Anklage nur) in der vorsätzlichen Unterlassung der Herbeiführung ärztlicher Hilfe erblickten und aussprachen, daß die dem Mord vorausgegangene, von Andreas L*** allein verübte absichtliche schwere Körperverletzung nicht zum Tod des Kindes geführt habe. In Stattgebung einer Nichtigkeitsbeschwerde der Helga S*** wurden mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 27. Juni 1986, GZ 11 Os 95/86-7, dieser Teil des Wahrspruchs und die darauf basierenden Schuldsprüche der beiden Angeklagten wegen des Verbrechens des Mordes sowie der Schuldspruch des Andreas L*** (auch) wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs 1 StGB aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die weiteren Schuldsprüche des Angeklagten Andreas L*** wegen schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB, Quälens oder Vernachlässigens eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen nach dem § 92 Abs 1 StGB und Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB erwuchsen in Rechtskraft (sodaß es der neuerlichen Anführung als Punkte I/2/ bis 4/ im nunmehrigen Urteilsspruch nicht bedurft hätte). Im zweiten Rechtsgang wurde von den Geschwornen (jeweils stimmeneinhellig) die im Sinn der Anklage gestellte, Andreas L*** betreffende Hauptfrage 1 ohne jede Einschränkung bejaht und (wie schon im ersten Rechtsgang) die Zusatzfrage 1 nach Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit verneint; demgemäß entfiel die Beantwortung der Eventualfragen 1 und 2 nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 87 Abs 1 und Abs 2 StGB) und nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 86 StGB), sowie der zugehörigen Zusatzfragen 2 und 3 in Richtung des § 11 StGB. Seinen (neuerlichen) Schuldspruch wegen Mordes bekämpft der Angeklagte Andreas L*** mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 6 und 12 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Der auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen (im zweiten Rechtsgang) erflossene Schuldspruch der Mitangeklagten Helga S*** (nur) wegen Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen nach dem § 92 Abs 2 und Abs 3 StGB blieb unangefochten.

Rechtliche Beurteilung

Aus den beiden erstbezeichneten Nichtigkeitsgründen rügt der Beschwerdeführer die Abweisung seines Antrags auf Stellung von Eventualfragen wegen fahrlässiger Tötung nach dem § 80 StGB bzw. wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach dem § 81 StGB. Der Sache nach releviert er aber keinen Verfahrensmangel im Sinn der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO, sondern ausschließlich eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung, welche nur mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 6 der zitierten Gesetzesstelle geltend gemacht werden kann (vgl. Mayerhofer-Rieder, II/2, ENr. 1 zu § 345 Abs 1 Z 6 StPO). Wie der Schwurgerichtshof richtig erkannte (vgl. Band II/S 370 dA), wurden jedoch vom Angeklagten Andreas L*** in der Hauptverhandlung Tatsachen, bei deren Zutreffen seine Handlungsweise rechtlich als fahrlässige Tötung im Sinn des § 80 StGB beurteilt werden könnte, nicht vorgebracht. Seiner Verantwortung, er habe Raphael S*** nicht töten wollen und sei zur Tatzeit nicht Herr seiner Sinne gewesen (vgl. insbesondere Band II/S 349 ff dA), trug der Schwurgerichtshof durch Stellung einer Zusatzfrage wegen Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit sowie von Eventualfragen nach den Tatbeständen der absichtlichen schweren Körperverletzung und der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, die für die Todesfolge (nur) Fahrlässigkeit voraussetzen, entsprechend Rechnung. Eine Sachverhaltsvariante, derzufolge ihm bei seinem gegen Raphael S*** gerichteten Tun Verletzungs- oder gar Mißhandlungsvorsatz gefehlt haben könnte, war durch das Tatsachenvorbringen des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht indiziert. Stellte er doch die inkriminierten Tathandlungen als solche nie in Abrede und gab zu, das dreijährige Kind gegen die Wand geschleudert, sodann hochgehoben und aus einer Höhe von ca. 1 m zu Boden fallen gelassen, mithin (zumindest) vorsätzlich mißhandelt, dh auf das Tatopfer in einer das körperliche Wohlbefinden erheblich beeinträchtigenden Weise physisch eingewirkt zu haben (vgl. ÖJZ-LSK 1975/228 ua). Eine Fragestellung in der vom Angeklagten begehrten Richtung unterblieb demnach zu Recht.

Soweit der Beschwerdeführer aber aufzuzeigen sucht, daß ihm Tötungsvorsatz (auch in Form des dolus eventualis) gefehlt habe und ihm ein planmäßiges, zielgerichtetes und bewußtseinsgesteuertes Handeln nicht angelastet werden könne, sowie daß nach den Verfahrensergebnissen der ursächliche Zusammenhang zwischen der unterbliebenen Hilfeleistung und dem Eintritt des Todes des Raphael S*** nicht erwiesen sei, bringt er den angerufenen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund der Z 12 des § 345 Abs 1 StPO nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Denn im geschwornengerichtlichen Verfahren kann der Ausspruch darüber, ob Umstände vorhanden sind, durch welche die Strafbarkeit der Tat aufgehoben ist, mithin auch der Wahrspruch über das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Schuldausschließungsgrundes nach dem § 11 StGB, mangels einer der Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO entsprechenden Bestimmung aus einem materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund überhaupt nicht angefochten werden; zudem würde eine erfolgreiche Geltendmachung der Z 12 (wie auch der Z 11 lit a) des § 345 Abs 1 StPO nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs voraussetzen, daß ein Vergleich der im Verdikt der Geschwornen festgestellten Tat mit der materiellrechtlichen Subsumtion im Urteilsspruch einen Rechtsirrtum ergibt. Demgemäß ist eine Anfechtung des Wahrspruchs, der darin enthaltenen Feststellungen zur objektiven und zur subjektiven Tatseite sowie der diesen Darstellungen zugrundeliegenden Beweiswürdigung unstatthaft. Haben die Geschwornen durch die Bejahung der Hauptfage 1 festgestellt, daß der Angeklagte Andreas L*** nicht bloß durch vorsätzliche Unterlassung, ärztliche Hilfe herbeizuholen, sondern (insbesondere) auch durch sein im Wahrspruch näher beschriebenes positives Tun den Tod des Raphael S*** vorsätzlich herbeiführte, und haben sie damit sowohl seinen Tötungsvorsatz als auch den Kausalzusammenhang zwischen dem inkriminierten Tatverhalten und dem Erfolgseintritt bejaht, so bleibt für eine erfolgreiche Bekämpfung der sachlichen Richtigkeit dieses - weder undeutlichen noch widersprüchlichen - Wahrspruchs und der aus dessen tatsächlichem Substrat abgeleiteten rechtlichen Annahmen kein Raum. Die Nichtigkeitsbeschwerde war sohin zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über Andreas L*** nach dem § 75 StGB unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe und ordnete gemäß dem § 21 Abs 2 StGB die Unterbringung dieses Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an.

Bei der Strafbemessung wertete es "das Vorleben", das besonders brutale Vorgehen und das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen als erschwerend und berücksichtigte demgegenüber das Tatsachengeständnis und das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren zur Tatzeit als mildernd.

Mit seiner Berufung begehrt Andreas L*** die Herabsetzung der Freiheitsstrafe.

Die Berufung ist begründet.

Das Erstgericht fand ein Strafmaß, das selbst unter Beachtung des Unrechtsgehalts der Tathandlungen, der Deliktskonkurrenz und der Vorstrafenbelastung als zu streng angesehen werden muß. Mißt man von den Milderungsgründen insbesonders dem Alter unter 21 Jahren das ihm tatsächlich zukommende erhebliche Gewicht bei und nimmt man in diesem Zusammenhang ferner darauf Bedacht, daß es sich bei dem Angeklagten um eine nicht voll ausgereifte, schwer gestörte Persönlichkeit mit einer durch konstitutionelle und lebensgeschichtliche Faktoren beeinträchtigten Entwicklung handelt, die schon wegen erhöhter Eigenaggression in psychiatrischer Behandlung stand sowie einen zu einer schweren Verletzung führenden Selbstmordversuch unternahm, und zieht man letztlich (mit) in Betracht, daß eine Rehabilitationsmöglichkeit im Rahmen der Anstaltsunterbringung nicht auszuschließen ist, dann erscheint eine Herabsetzung der vom Erstgericht zuerkannten lebenslangen Freiheitsstrafe auf das im Spruch ersichtliche, sowohl dem Tatunrecht als auch dem Vorleben des Angeklagten noch entsprechende Ausmaß von 18 Jahren gerechtfertigt.

In diesem Sinn war der Berufung daher Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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