OGH 8Ob687/86

OGH8Ob687/8612.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johanna P*****, Fließbandarbeiterin, *****, vertreten durch Dr. Willibald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Josef P*****, Postbeamter, *****, vertreten durch Dr. Johann Suppan, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29.Oktober 1986, GZ 17 R 55/86-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 20. November 1985, GZ 28 Cg 265/84-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.637,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 240,- und die USt. von S 308,85) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 31. Juli 1955 vor dem Standesamt E***** die beiderseits erste Ehe geschlossen und sind österreichische Staatsbürger. Der letzte gemeinsame Wohnort ist W*****. Der Ehe entstammen sechs inzwischen großjährig gewordene Kinder. Ehepakte wurden nicht errichtet.

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Er komme regelmäßig abends betrunken heim, randaliere, beschimpfe sie und sei auch gegen sie gewalttätig. Obwohl er kein Wirtschaftsgeld zur Verfügung stelle, wünsche er bedient zu werden und verbanne die Klägerin in ein Kabinett, wenn ihm etwas nicht passe. Bisweilen verlange er unter wüsten Beschimpfungen von ihr Geschlechtsverkehr. Dazu sei sie nicht nur auf Grund seines Verhaltens, sondern auch wegen einer Unterleibsoperation nicht in der Lage und auch nicht bereit. Er habe wiederholt Behandlungen gegen Trunksucht in Kalksburg begonnen, doch seien sie fruchtlos geblieben. Die Ehe sei derart zerrüttet, daß eine Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft auszuschließen ist. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und stellte einen Mitschuldantrag. Die Klägerin habe den Beklagten schwer beschimpft und zu Johann H***** ehewidrige Beziehungen unterhalten. Sie sei mit diesem im Jahre 1983 drei Wochen in Bad Hall gewesen. Der Beklagte halte an der Ehe fest. Im Jahre 1960 habe er eine Kopfverletzung bei einem Arbeitsunfall erlitten und vertrage seither keinen Alkohol. Wenn er angeheitert nach Hause kam, habe ihn die Klägerin stets mit unflätigen Beschimpfungen empfangen. Sie habe Auseinandersetzungen provoziert. Es sei zwischen den Streitteilen am 7. Juni 1985 zu einem Geschlechtsverkehr gekommen. Dadurch seien die in der Klage geltend gemachten Eheverfehlungen als verziehen anzusehen. Die Verhältnisse hätten sich seither gebessert. Am 23. April 1985 habe die Klägerin ihm gegenüber geäußert, "bevor ich Dir ein Fressen gebe, steche ich Dich ab und bring Dich um". Am 18. Mai 1985 habe sie gesagt, es könne ihm passieren, daß sie "ein Kuchlmesser nehme und es ihm zwischen die Rippen haue". Am 27. April 1985 habe sie die Worte gebraucht, sie "scheiße ihm ins Reindl, das könne er fressen".

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Es traf - zusammengefaßt dargestellt - nachstehende Feststellungen:

Im Jahr 1979 brachte die Klägerin eine Scheidungsklage gegen den Beklagten ein, er eine Widerklage. Damals versprach er, das Genesungsheim Kalksburg aufzusuchen und sich auch sonst wohl zu verhalten, weshalb das Scheidungsverfahren nicht fortgesetzt wurde. Die Behandlung im Anton Proksch-Institut, Genesungsheim Kalksburg für Alkoholiker blieb jedoch ohne Erfolg. Am 7. Juni 1985 wurde der an Zuckerkrankheit leidenden Klägerin schlecht. Sie legte sich im Kabinett nieder. Der Beklagte legte sich zu ihr ins Bett. Die Klägerin sprang auf. Das Bett brach dabei zusammen. Zu einem Geschlechtsverkehr kam es nicht. Diesen lehnte die Klägerin nicht nur aus gesundheitlichen Gründen (Unterleibsoperation) ab, sondern auch weil sie Ekel gegen den Beklagten empfand und Angst hatte, sie könne von ihm zufolge seines vermuteten intimen Kontaktes zu Huren im Prater Geschlechtskrankheiten bekommen. In diesem Zusammenhang sagte die Klägerin zum Beklagten, "geh und such Dir eine Hure". Im Mai 1985 zahlte der Beklagte 3.200 S für die gesamten Zentralheizungskosten, wiewohl er seiner Ansicht nach nur die Hälfte zu tragen hatte. Er gab dann kein Kostgeld mehr der Klägerin. Das letzte Wirtschaftsgeld erhielt sie im April 1985 mit 1.000 S. Zwischen den Eheleuten kam es häufig zu Streitigkeiten. Wenn der Beklagte ein Essen verlangte, erklärte die Klägerin, nichts zu haben. Darüber ärgerte sich der Beklagte und gab kein Kostgeld mehr. Im Jahr 1983 begleitete die Klägerin Johann H***** zu einer Kur nach Bad Hall. Zu ehewidrigen Beziehungen kam es nicht. Der in der Nachbarschaft lebende, 1919 geborene, schwer kriegsversehrte, teilweise blinde H***** hatte eine Begleitperson benötigt. Die Kosten dafür wurden vom Invalidenamt getragen. Seine Betreuerin hatte damals beruflich bedingt nicht nach Bad Hall mitfahren können. Die Klägerin hatte dem Beklagten erklärt, auf Kur zu fahren. Erst später erfuhr der Beklagte über Umwege, daß sie Begleitperson Johann H***** gewesen sei. Der Beklagte kam im letzten Jahr einmal wöchentlich betrunken nach Hause, randalierte und beschimpfte die Klägerin ("schleich Dich außi vom Haus, ich brauch Dich nimmer", oder "krowatische Hure"). Bei diesen Beschimpfungen ging er auch fallweise tätlich gegen die Klägerin vor und schlug auf sie ein. Sogar in nüchternem Zustand ging der Beklagte gegen die Klägerin und die Kinder los. Mit wüsten Beschimpfungen begann meistens der Beklagte. Die Klägerin schimpfte dann zurück ("Arschloch", "besoffener Hund" usw). Das Zurückschimpfen war meistens eine Reaktion auf das vorangehende Verhalten des Beklagten. Bei solchen Auftritten rief die Klägerin auch öfters die Gendamerie, welche den Beklagten mitnahm. Die zuckerkranke Klägerin, welche noch berufstätig ist, regte sich bei solchen Vorfällen sehr auf und mußte meistens danach den Arzt aufsuchen. Die Ehe ist total zerrüttet und eine Sanierung ausgeschlossen.

Rechtlich hätten nach Ansicht des Erstgerichtes beide Teile Eheverfehlungen iS des § 49 EheG gesetzt. Das Verschulden des Beklagten überwiege eindeutig, was spruchgemäß zum Ausdruck zu bringen war.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Es vertrat die Auffassung, daß auf Grund der ständigen verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen die Ehe der Streitteile gänzlich zerrüttet und eine Sanierung ausgeschlossen sei. Der Beklagte verstoße durch seine oftmalige Alkoholiesierung, deretwegen es zu ehezerstörenden Verstößen gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung kommt, schwer gegen die Ehe und habe insbesondere im letzten Jahr dazu beigetragen, daß die geistig-seelisch-körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die sittliche Grundlage der Ehe objektiv und zumindest auf Seite der Klägerin auch subjektiv zu bestehen aufhörte. Allein im letzten Jahr sei es einmal wöchentlich zu den alkoholbedingten Auseinandersetzungen gekommen. Dies alles stelle für die zuckerkranke Klägerin eine unzweifelhaft schwere, nervliche Belastung dar. Gleichartige Verfehlungen seien in Anbetracht der Verzeihung aus Anlaß des im Jahre 1979 anhängigen Ehescheidungsverfahrens als noch schwerwiegender anzusehen. Das Erstgericht habe die von der Rechtrüge angeführten Eheverfehlungen der Klägerin angelastet, jedoch zutreffend deren Ursache im Gesamtverhalten des Beklagten gesehen. Im Vergleich zum groben Fehlverhalten des Beklagten seien die Eheverfehlungen der Klägerin nicht als so schwerwiegend zu beurteilen, daß deren gleichteiliges oder gar überwiegendes Verschulden auszusprechen gewesen wäre. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden der Streitteile geschieden werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte stellt sich in seinem Rechtsmittel auf den Standpunkt, daß der Unterschied zwischen den beiderseitigen Eheverfehlungen so gering sei, daß von einem überwiegenden Verschulden seinerseits nicht die Rede sein könne. Global gesehen sei nicht richtig, daß er gleiche Eheverfehlungen gesetzt hätte, wie sie anläßlich des im Jahre 1979 angestrebten Scheidungsverfahrens behauptet wurden. Die Eheverfehlungen der Klägerin seien nicht als bloße Reaktionen auf sein Fehlverhalten anzusehen. Diese sei bewußt zynisch vorgegangen, um ihn zu demütigen und zu kränken. Dem ist jedoch zu erwidern:

Das Berufungsgericht hat sinngemäß zutreffend ausgeführt, daß es bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 EheG nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von den Ehegatten begangenen Eheverfehlungen ankommt, sondern auf ihr Gesamtverhalten in seinem Zusammenhang (EFSlg 43.684; 46.231; 8 Ob 558, 559/86 ua). Das überwiegende Verschulden eines Teiles nach § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG ist auszusprechen, wenn der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile erheblich ist und augenscheinlich hervortritt (EFSlg 43.691; 8 Ob 558, 559/86 ua), sodaß das Verschulden des einen Ehegatten gegenüber dem des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 46.242; 8 Ob 631, 632/85 ua). Es kommt insbesondere auch darauf an, wessen Verfehlungen die erste Ursache für die weiteren waren und inwieweit sie allenfalls andere bedingt und schließlich zum Scheitern der Ehe geführt haben (Hoffmann-Stephan 2 606 f; Schwind, Eherecht 2 251; EFSlg 31.708; 41.268; 8 Ob 631, 632/85 ua). Beurteilt man das Verhalten der Streitteile unter diesen Gesichtspunkten, ist nicht der Argumentation des Beklagten, sondern den Vorinstanzen beizupflichten, daß die Eheverfehlungen der Klägerin gegenüber jenen des Beklagten eindeutig zurücktreten: Der Beklagte muß seine Trunksucht und die daraus resultierenden ständigen schweren Auseinandersetzungen mit der Klägerin gegen sich gelten lassen. Von einer "Aufrechnung" ihrer dabei gebrauchten Beschimpfungen mit seinen von Tätlichkeiten begleiteten und von Alkoholsucht diktierten Zornesausbrüchen, wie dies dem Beklagten offenbar vorschwebt, kann keine Rede sein. Das gesamte Verhalten der Klägerin kann in Übereinstimmung mit der Ansicht der Vorinstanzen nur dahin beurteilt werden, daß sich diese der alkoholbedingten Aggressivität des Beklagten zu erwehren suchte; kam dieser doch wöchentlich einmal betrunken nach Hause und ließ dabei seiner Randalierungssucht freien Lauf. Daß sie schließlich Angst und letztlich Ekel vor ihm hatte, kann ihr unter diesen Umständen nicht als Eheverfehlung angelastet werden. Ihre eigenen Schimpfworte können daher unter Bedachtnahme auf die sie auslösenden Exzesse des Beklagten nicht als so gravierend beurteilt werden, daß sie im Sinne der oben dargestellten Judikatur den Ausspruch eines gleichteiligen Verschuldens rechtfertigten. Von einer unter dem Eindruck der unmittelbaren Gewalteinwirkung des betrunkenen Beklagten bewußt zynisch gestalteten Vorgangsweise der Klägerin kann entgegen der Darstellung des Beklagten nicht die Rede sein.

Seiner Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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