OGH 7Ob536/87

OGH7Ob536/875.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Franz Philipp Z***, geboren am 2. Juli 1976, Gregor Maria Z***, geboren am 6. Februar 1980, und Martin Raffael Z***, geboren am 13. Februar 1983, infolge Revisionsrekurses des Vaters Franz Z***, kfm. Angestellter, Mauerbach, Dollegschelgasse 5, vertreten durch Dr. Anton Pokorny, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 15. Dezember 1986, GZ. 43 R 598/86-102, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 19. August 1986, GZ. 10 P 123/83-98, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der nur in seinem abändernden Teil angefochtene Beschluß wird im Umfang der Anfechtung aufgehoben. Die Rechtssache wird im Umfang der Aufhebung zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern wurde am 13. November 1984 gemäß § 55 a EheG geschieden. Nach dem pflegschaftsbehördlich genehmigten Scheidungsvergleich vom gleichen Tage stehen alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj. Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten über alle Minderjährigen der Mutter allein zu (ON 48). Das Besuchsrecht des Vaters wurde vom Gericht entsprechend dem Einvernehmen der Eltern geregelt (ON 42). Am 19. April 1985 beantragte der Vater, ihm die elterlichen Rechte über die mj. Franz und Gregor zu übertragen (ON 56). Die Mutter beantragte am 7. Mai 1985 eine Einschränkung des Besuchsrechtes des Vaters (ON 58).

Das Erstgericht sprach mit Beschluß vom 19. August 1986 die elterlichen Rechte über den mj. Franz dem Vater zu (Punkt 1 des erstgerichtlichen Beschlusses), wies den inhaltlich gleichlautenden Antrag des Vaters betreffend den mj. Gregor ab (Punkt 2 des erstgerichtlichen Beschlusses) und regelte das Besuchsrecht des Vaters zum mj. Martin neu (Punkt 3 des erstgerichtlichen Beschlusses).

Nach den für das Rekursverfahren relevanten Feststellungen des Erstgerichtes tendiert der mj. Franz stark zum Vater. Der Mutter als Haupterzieherin ist es nicht gelungen, das Kind emotional an sich zu binden. Der Vater ist für ihn die wichtigste Bezugs- und Vertrauensperson. Es ist zu vermuten, daß sich der Wunsch des Kindes, zum Vater zu kommen, verstärken werde, je länger ihm dieser Schritt verwehrt bleibe. Anzeichen einer Reifungsstörung liegen beim mj. Franz nicht vor.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes sei die Beziehung des mj. Franz zu seinem Vater ein wichtiger Grund, um von dem Grundsatz der Kontinuität der Erziehung abzugehen.

Der Punkt 2 des erstgerichtlichen Beschlusses erwuchs in Rechtskraft. Das Rekursgericht änderte im übrigen den Punkt 1 der erstgerichtlichen Entscheidung dahin ab, daß es den Antrag des Vaters, ihm die elterlichen Rechte über den mj. Franz zu übertragen, abwies. Die Besuchsrechtsregelung hinsichtlich des mj. Martin hob das Rekursgericht zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung auf. Das Rekursgericht stellte ergänzend fest, daß der Mutter bei der Betreuung und Erziehung des mj. Franz keine Vernachlässigung vorzuwerfen ist. Sie ist zur Erziehung der Kinder befähigt. Die bisherige positive personale und soziale Entwicklung des mj. Franz ist ihr zugutezuhalten. Der mj. Franz hat kein negatives Mutterbild. Er ist in psychopathologischer Hinsicht nicht auffällig und weist eine relativ ungestörte Persönlichkeitsentwicklung auf. Bei seiner rechtlichen Beurteilung ging das Rekursgericht davon aus, daß eine Änderung in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen nur dann erfolgen dürfe, wenn sie im Interesse des Kindes geboten sei. Bei der Beurteilung dieser Frage sei in der Regel ein strenger Maßstab anzulegen. Der Wunsch des mj. Franz rechtfertige eine Änderung nicht, zumal hiebei zu beachten sei, daß die positive Einstellung des Minderjährigen zu seinem Vater nicht zuletzt darauf beruhe, daß die Besuchszeiten beim Vater überwiegend der Freizeitgestaltung dienten, also weitgehend von den Belastungen des Alltags befreit seien.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den abändernden Teil der rekursgerichtlichen Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, dem im Ergebnis Berechtigung zukommt.

Dem Rekursgericht ist zwar darin beizupflichten, daß ein Wechsel in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen nur dann vorgenommen werden darf, wenn besonders wichtige Gründe eine Änderung geboten erscheinen lassen (SZ 53/142 mwN). Der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung darf jedoch nicht um seiner selbst willen aufrecht erhalten werden, sondern ist dem Wohl des Kindes, das oberste Richtschnur für die Regelung des Eltern-Kindschaftsverhältnisses ist (EFSlg. 38.392 f.), unterzuordnen (6 Ob 583/83 ua.). Nach § 177 Abs. 2 Satz 2 ABGB hat das Gericht vor seiner Entscheidung darüber, welchem der beiden Elternteile alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj. Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten allein zustehen, das mindestens 10-jährige Kind zu hören. Die Anhörungspflicht besteht auch im Falle einer nachträglichen Änderung einer bereits getroffenen Regelung (EFSlg. 38.428). Aus der genannten Bestimmung ergibt sich die gesteigerte Rücksichtnahme auf die Persönlichkeit des Kindes. Durch diese Regelung wird der Bedeutung Rechnung getragen, die einer Entscheidung nach § 177 ABGB für das Kind zukommt (AB 587 BlgNR 14. GP 14). Der festgelegten Altersgrenze liegt offenbar die Annahme zugrunde, daß ein Kind im Alter von 10 Jahren bereits eine gewisse Urteils- und Kritikfähigkeit besitzt und in der Lage ist, einen eigenen Willen zu artikulieren (7 Ob 608/84; Hinz in Münch.Komm. Rdz 38 zu § 1671). Nun ist es zwar richtig, daß der Wunsch des Kindes nicht allein den Ausschlag geben kann. Ab einem gewissen Alter soll aber dem Kind nicht gegen seinen Willen die Erziehung durch einen Elternteil aufgezwungen werden. Die Anhörung des Kindes kann dazu dienen, aus der Sicht und den Empfindungen des Kindes, die entscheidungswesentlichen Umstände zu erkennen und ins Klare zu setzen (EFSlg. 45.890). Gerade für die Beurteilung der Frage, ob der Wunsch des mj. Franz nur dadurch motiviert ist, daß er bisher mit dem Vater nur einen Teil der Freizeit verbrachte (so die Rekursentscheidung, AS 336), hätte die Anhörung des Minderjährigen Aufklärung bringen können. Die Anhörung des im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichtes bereits 10-jährigen Minderjährigen wurde jedoch unterlassen und wird daher nachzuholen sein. Mehr Bedeutung für die zu treffende Entscheidung kommt aber dem Umstand zu, daß der Vater seinen Antrag unter anderem damit begründete, daß die schulischen Leistungen des minderjährigen Franz nachgelassen hätten und nunmehr behauptet, daß sich der Minderjährige seit September 1986 faktisch bei ihm befinde und sich seine schulischen Leistungen seither gebessert hätten (AS 347). Grundsätzlich hat zwar das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung nach der Sach- und Rechtslage zu prüfen, wie sie sich zur Zeit der Erlassung des angefochtenen Beschlusses darstellt (EFSlg. 37.257), Sachverhaltsänderungen nach dem erstgerichtlichen Beschluß sind von den Rechtsmittelinstanzen (auch vom Obersten Gerichtshof) aber zu berücksichtigen, wenn dies das Interesse des Pflegebefohlenen erfordert (6 Ob 152/61; vgl. auch EFSlg. 39.662, 21.301, 12.667). Das Erstgericht wird daher festzustellen haben, ob und aus welchen Gründen sich der minderjährige Franz seit September 1986 beim Vater befindet und ob tatsächlich seither eine Besserung seiner schulischen Leistungen eingetreten ist. Erst wenn diese Feststellungen vorliegen und der Minderjährige gehört wurde, wird sich abschließend beurteilen lassen, ob ungeachtet des Grundsatzes der Kontinuität der Erziehung nicht doch das Wohl des Minderjährigen hier eine Änderung rechtfertigt.

Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.

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