OGH 3Ob506/87

OGH3Ob506/874.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Mag.Engelmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Irmgard W***, Inhaberin eines Reisebüros, 4550 Kremsmünster, Franz Hönigstraße 13, vertreten durch Dr.Thomas Watzenböck, Rechtsanwalt in Kremsmünster, wider die beklagte Partei Alfred Z***, derzeit ohne Beschäftigung, 4020 Linz, Obere Donaulände 49, vertreten durch Dr.Aldo Frischenschlager, Rechtsanwalt in Linz, wegen 102.439,16 S sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 12.September 1986, GZ 3 R 226/86-8, womit der Beschluß des Kreisgerichtes Steyr vom 8. August 1986, GZ 4 Cg 245/86-5, "mit einer Maßgabe bestätigt", tatsächlich aber abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit dem unter Benützung des ZPForm 25 (Auftrag zur Klagebeantwortung, § 243 ZPO) ausgefertigten Beschluß vom 29.März 1984 trug der Einzelrichter, ohne eine erste Tagsatzung anzuberaumen, die Beantwortung der auf Zahlung von 102.439,16 S samt Anhang gerichteten Schadenersatzklage binnen 4 Wochen auf. Dieser Beschluß wurde dem Beklagten, der damals Strafgefangener im Gefangenenhaus des Kreisgerichtes Steyr war, mit der Klage am 30. März 1984 eigenhändig zugestellt. Das genannte Formblatt hat folgenden Wortlaut:

"Auftrag zur Klagebeantwortung

Beschluß

Der beklagten Partei wird aufgetragen, die beiliegende Klage binnen Wochen nach Zustellung dieser Beschlußausfertigung schriftlich zu beantworten.

Gegen diesen Beschluß ist kein Rechtsmittel zulässig.

W*** H***:

1. Anwaltszwang

Bei der Klagebeantwortung und im nachfolgenden Verfahren muß jede Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten sein.

2. Versäumungsfolgen

Wenn die Klagebeantwortung nicht rechtzeitig überreicht wird, ist das tatsächliche Vorbringen des Klägers für wahr zu halten und auf dieser Grundlage auf Antrag des Klägers über das Klagebegehren durch Versäumungsurteil zu erkennen.

3. Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe Wer außerstande ist, die Kosten des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts zu bestreiten, kann die Beigebung eines Rechtsanwalts zur Erstattung der Klagebeantwortung und für die Vertretung im nachfolgenden Verfahren beantragen.

Ein solcher Antrag ist unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb der oben festgesetzten Frist, bei diesem Gericht anzubringen; ihm ist ein entsprechend ausgefülltes Vermögensbekenntnis (ZPForm 1, erhältlich bei jedem Gericht) anzuschließen. Befindet sich der Sitz des Prozeßgerichts außerhalb des Bezirksgerichtssprengels, in dem die Partei ihren Aufenthalt hat, so kann sie den Antrag auch beim Bezirksgericht ihres Aufenthalts zu Protokoll erklären.

Wird die Beigebung eines Rechtsanwalts rechtzeitig beantragt, so beginnt die Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung zu laufen

a) im Fall der Bewilligung des Antrags mit der Zustellung des Bestellungsbescheids an den Rechtsanwalt;

b) im Fall der Abweisung des Antrags mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses.

4. Allgemeines

Die Erstattung der Klagebeantwortung ist mit Rücksicht auf die damit verbundenen weiteren Kosten nur dann sinnvoll, wenn der eingeklagte Anspruch nicht zu Recht besteht. Sollte sich die beklagte Partei hingegen nur in Zahlungsschwierigkeiten befinden, so wird ihr empfohlen, sich unter Abstandnahme von einer Streiteinlassung mit der klagenden Partei wegen einer Ratenvereinbarung ins Einvernehmen zu setzen; das Gericht kann keine Zahlungserleichterung bewilligen.

Sämtliche Zahlungen sind an die klagende Partei und nicht an das Gericht zu leisten!"

Innerhalb der am 27. April 1984 abgelaufenen Frist langte am 5. April 1984 ein Schreiben des Beklagten vom 4.April 1984 ein, dessen Inhalt nicht aktenkundig ist und das ihm mit dem noch am selben Tag abgefertigten Beschluß vom 9.April 1984 als unzulässig und zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung ungeeignet unter Hinweis auf die Rechtsbelehrung im bereits mit der Klage zugegangenen Formblatt "Auftrag zur Klagebeantwortung" zurückgestellt wurde. Auf Antrag der Klägerin erließ das Erstgericht am 17.Mai 1984 ein dem Klagebegehren stattgebendes Versäumungsurteil, dessen auf ZPForm 86 b hergestellte Ausfertigung dem Beklagten am 21.Mai 1984 im Gefangenenhaus des Kreisgerichtes Steyr persönlich zugestellt wurde. Die Rückseite dieses Formblattes enthält folgende Rechtsmittelbelehrung:

"Rechtsmittelbelehrung zum Versäumungsurteil des Gerichtshofs infolge Säumnis des Beklagten

1. Berufung

Gegen dieses Urteil steht das Rechtsmittel der Berufung zu. Die Berufung ist binnen vier Wochen nach Zustellung dieser Urteilsausfertigung bei diesem Gericht zu erheben.

2. Kostenrekurs

Die Entscheidung über den Kostenpunkt kann für sich allein nur mit Rekurs angefochten werden. Der Rekurs ist binnen vierzehn Tagen nach Zustellung dieser Urteilsausfertigung bei diesem Gericht einzubringen. In Verfahren mit einem Streitwert bis einschließlich 15.000 S ist ein Rekurs im Kostenpunkt unzulässig.

3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Wenn die beklagte Partei zu bescheinigen vermag, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von der Zustellung keine Kenntnis erlangt hat - am rechtzeitigen Erscheinen bei der Tagsatzung oder am rechtzeitigen Erstatten der Klagebeantwortung verhindert war, kann sie binnen vierzehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei diesem Gericht beantragen. Ein Verschulden an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Im Wiedereinsetzungsantrag sind alle ihn begründenden Umstände anzuführen und die Mittel zu ihrer Glaubhaftmachung anzugeben. Zugleich mit dem Antrag ist die versäumte Prozeßhandlung nachzuholen. Dem Wiedereinsetzungswerber ist ohne Rücksicht darauf, ob dem Antrag stattgegeben wird, der Ersatz aller Kosten, die dem Gegner durch die Versäumung und durch die Verhandlung über den Wiedereinsetzungsantrag verursacht worden sind, sowie der Ersatz der Kosten des infolge der Wiedereinsetzung unwirksam gewordenen Verfahrens aufzuerlegen.

4. Widerspruch

Gegen dieses Urteil kann auch Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist binnen vierzehn Tagen nach Zustellung dieser Urteilsausfertigung bei diesem Gericht zu erheben. Er muß ein bestimmtes Begehren in der Sache selbst enthalten und die Tatsachen, auf welche sich die Einwendungen der beklagten Partei gründen, im einzelnen kurz und vollständig angeben und ebenso die Beweismittel genau bezeichnen, deren sich die beklagte Partei zum Nachweis ihrer Behauptungen bei der Verhandlung zu bedienen beabsichtigt. Der Partei, die Widerspruch erhoben hat, ist der Ersatz aller Kosten aufzuerlegen, die durch ihre Versäumung und die Verhandlung über den Widerspruch verursacht worden sind.

Wenn der Säumige Widerspruch erhebt, kann gegen ihn auf Antrag der klagenden Partei Exekution zur Sicherstellung bewilligt werden.

5. Anwaltszwang

Bei der Berufung, beim Kostenrekurs, beim Wiedereinsetzungsantrag und beim Widerspruch sowie im nachfolgenden Verfahren muß jede Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten sein.

6. Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe Wer außerstande ist, die Kosten des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts zu bestreiten, kann die Beigebung eines Rechtsanwalts zur Einbringung der Berufung, des Kostenrekurses, des Wiedereinsetzungsantrags und des Widerspruchs sowie für die Vertretung im nachfolgenden Verfahren beantragen. Ein solcher Antrag ist unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb der oben genannten Fristen, bei diesem Gericht anzubringen; ihm ist - sofern nicht Verfahrenshilfe bereits bewilligt worden ist - ein entsprechend ausgefülltes Vermögensbekenntnis (ZPForm 1, erhältlich bei jedem Gericht) anzuschließen. Befindet sich der Sitz des Prozeßgerichts außerhalb des Bezirksgerichtssprengels, in dem die Partei ihren Aufenthalt hat, so kann sie den Antrag auch beim Bezirksgericht ihres Aufenthalts zu Protokoll erklären. Wird die Beigebung eines Rechtsanwalts rechtzeitig beantragt, so beginnt die Frist zur Erhebung der Berufung, des Kostenrekurses und des Widerspruchs zu laufen

a) im Fall der Bewilligung des Antrags mit der Zustellung des Bestellungsbescheids an den Rechtsanwalt;

b) im Fall der Abweisung des Antrags mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses.

Auf den Beginn und den Ablauf der Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags hat der Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts hingegen keinen Einfluß.

7. Allgemeine Hinweise

Eine Berufung, ein Kostenrekurs, ein Wiedereinsetzungsantrag oder ein Widerspruch verursacht weitere Kosten und hat im Ergebnis nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn das Urteil zu Unrecht ergangen ist, nicht jedoch dann, wenn sich die beklagte Partei lediglich in Zahlungsschwierigkeiten befindet; in diesem Fall wird ihr empfohlen, sich unter Abstandnahme von gerichtlichen Schritten mit der klagenden Partei wegen einer Ratenvereinbarung ins Einvernehmen zu setzen. Das Gericht kann keine Zahlungserleichterungen bewilligen.

Sämtliche Zahlungen sind an die klagende Partei und nicht an das Gericht zu leisten!"

Am 26. Juni 1984 wurden die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteils bestätigt.

In einem am 30. Juli 1986 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte der am 27.Juni 1986 aus der Strafhaft entlassene Beklagte die Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumten Fristen zur Beantwortung der Klage und zum Widerspruch gegen das Versäumungsurteil, hilfsweise die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist. Gleichzeitig holte er die versäumten Prozeßhandlungen nach.

Als den Wiedereinsetzungsantrag begründende Umstände führte er an, er habe mit den ihm im Gefangenenhaus zugestellten Schriftstücken (Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung und Antrag auf Erlassung des Versäumungsurteils und Versäumungsurteil) nichts anfangen können bzw. die Tragweite des durch das ungenützte Verstreichenlassen der gesetzten Fristen bewirkten Verlustes der ihm zustehenden Rechte nicht erkennen können. Er sei damals der festen, auch "durch Erkundigungen im Rahmen der im Gefangenenhaus gegebenen Möglichkeiten unterstützten" Überzeugung gewesen, daß vor einer

1. Tagsatzung kein endgültiges und unumstößliches, also rechtskräftiges Urteil erlassen werden könne. Er sei daher die ganze Zeit der Meinung gewesen, wegen der Höhe des Schmerzengeldes noch mit dem Vertreter der Klägerin verhandeln und im Fall der Nichteinigung im Gerichtsverfahren den eingeklagten Betrag noch bei der erst anzuberaumenden ersten Tagsatzung bestreiten zu können. Die Rechtsprechung auf dem "Auftrag zur Klagebeantwortung" sei für ihn unverständlich gewesen. Jedenfalls habe er ihr nicht entnehmen können, daß eine rechtskräftige Erledigung der Rechtssache vor Anberaumung eines Termins, bei dem er das Klagebegehren mündlich bestreiten könne, erfolgen würde. Schriftliche Äußerungen habe er auch deshalb für zwecklos gehalten, weil sein Schreiben vom 4.April 1984 beschlußmäßig zurückgewiesen worden sei. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 27.Juni 1986 habe er sich unverzüglich zur Klärung der Schadenersatzansprüche der Klägerin zur Geschäftsstelle der Bewährungshilfe in Linz begeben, dort seine schriftlichen Unterlagen deponiert und am 16.Juli 1986 eine eingehende Auskunft erhalten. Dabei habe er erstmals erfahren, daß eine erste Tagsatzung nicht anberaumt werden müsse und das Verfahren bereits rechtskräftig erledigt sei. Nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten sei ihm kein Verschulden, jedenfalls nicht mehr als leichte Fahrlässigkeit anzulasten. Er sei beim Schreiben und Lesen eher unbeholfen und weise im Umgang mit Behörden, insbes. im Verfassen von Eingaben etc. geringe Kenntnisse auf, weshalb ihm keine auffallende Sorglosigkeit vorgeworfen werden könne.

Als Bescheinigungsmittel legte der Beklagte seine eidesstättige Erklärung und eine solche von Dr. Ingrid L*** vor, auf deren Vernehmung er sich hilfsweise berief.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Beantwortung der Klage und zum Widerspruch gegen das Versäumungsurteil und den Widerspruch gegen das Versäumungsurteil ohne weiteres Verfahren mit der Begründung zurück, das rechtskräftige Versäumungsurteil stehe allen Anträgen des Beklagten entgegen. Wegen deren Zurückweisung sei die Bewilligung der Verfahrenshilfe überflüssig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und bestätigte den angefochtenen Beschluß mit der Maßgabe, daß die Anträge des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erstattung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil sowie der Frist zur Erstattung einer Klagebeantwortung, der Antrag auf Verfahrenshilfe sowie der Widerspruch gegen das Versäumungsurteil abgewiesen werden. Nach Meinung des Rekursgerichtes seien die vom Wiedereinsetzungswerber vorgebrachten Umstände weder unvorgesehene noch unabwendbare Ereignisse. Die Rechtsmittelbelehrungen auf dem Formblatt "Auftrag zur Klagebeantwortung" und auf der Rückseite der Ausfertigung des Versäumungsurteils seien klar formuliert und könnten auch von Rechtsunkundigen mühelos verstanden werden. Daß der Beklagte beim Lesen und Schreiben eher unbeholfen sei, müsse ihm schon vor Zustellung dieser Schriftstücke bekannt gewesen sein. Mangelnde Kenntnisse und Fähigkeiten könnten keine Wiedereinsetzungsgründe sein. Weil keine solchen Gründe vorlägen, sei der angefochtene Beschluß mit der Maßgabe zu bestätigen, daß der Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen werde. Der Verfahrenshilfeantrag sei ebenfalls abzuweisen, weil die weitere Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung wegen der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens offenbar aussichtslos sei.

Nicht gegen die Entscheidung über die Verfahrenshilfe, aber gegen die übrige Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz wendet sich der Revisionsrekurs des Beklagten, der sicherheitshalber auch als außerordentlicher Revisionsrekurs ausgeführt wurde und in dem sicherheitshalber der an das Rekursgericht gerichtete Antrag gestellt wurde, die angefochtene Entscheidung durch einen Ausspruch über die Zulässigkeit eines weiteren Rekurses zu ergänzen, weil diese Entscheidung zunächst keinen diesbezüglichen Ausspruch enthielt.

Mit Beschluß vom 3.Dezember 1986, 3 Ob 644/86, wurden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zur amtswegigen Berichtigung seines Beschlusses durch Beisetzen des nach § 526 Abs. 3 iVm § 500 Abs. 3 ZPO nötigen Ausspruchs, ob der Rekurs nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig ist, und einer kurzen Begründung dieses Ausspruchs zurückgestellt.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Formulierung "mit der Maßgabe bestätigt" handelt es sich bei der Entscheidung der zweiten Instanz nämlich um keine die erstgerichtliche Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages nur verdeutlichende bestätigende, sondern im Sinn einer Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags abändernde Entscheidung.

Mit Beschluß vom 15. Jänner 1987, 3 R 226/86, berichtigte und ergänzte das Oberlandesgericht Linz seinen Beschluß vom 12.September 1986 durch den Ausspruch "Der Rekurs ist zulässig" und begründete diesen Ausspruch unter Hinweis auf § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO damit, daß ihm eine einheitliche und gesicherte Rechtsprechung zur Frage, ob mangelnde Kenntnisse und Fähigkeiten einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, nicht bekannt sei. Wegen der Vielfalt der möglichen Wiedereinsetzungsgründe rechtfertige eine angestrebte Fallgerechtigkeit die Anrufung des Höchstgerichtes. Das Rechtsmittel ist zulässig, aber nicht berechtigt. Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ... am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte, ist dieser Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (§ 146 Abs. 1 ZPO idF Art. IV Z 24 der Zivilverfahrens-Novelle 1983).

Im Bericht des Justizausschusses, 1337 der Beilagen NR

15. GP 10, wurde der vorgeschlagene zweite Satz dieser Gesetzesstelle im wesentlichen damit begründet, daß einer säumigen Partei die Wiedereinsetzung auch dann bewilligt werden solle, wenn sie die Säumnis verschuldet habe (weil sie das hindernde Ereignis entweder vorhersehen oder seine Auswirkungen abwenden hätte können), wenn dieses Verschulden nicht die Stufe des minderen Grades des Versehens übersteige. Dieser Verschuldensgrad sei dem § 2 des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes entnommen. Es handle sich also um einen der Rechtsanwendung bereits geläufigen Begriff. Die erweiterte Möglichkeit sei damit immer noch so umschrieben, daß eine Aufweichung der für den straffen Fortgang des Verfahrens notwendigen Säumnisregeln und vor allem der Rechtskraft nicht zu befürchten sei. Nach Fasching (ZPR Rz 580) liegt ein minderer Grad des Versehens nur dann vor, wenn es sich um eine leichte Fahrlässigkeit (§ 1332 ABGB: ZAS 1974, 19 = Arb. 9168) handelt. Der Wiedereinsetzungswerber dürfe also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit nicht die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei sei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Sei die Versäumung voraussehbar gewesen und hätte sie durch ein der Partei zumutbares Verhalten abgewendet werden können, dann sei die Wiedereinsetzung zu verweigern.

Rechberger-Simotta (ZPR 3 Rz 337) führen aus, seit der ZVNov. 1983 hindere der Umstand, daß dem Wiedereinsetzungswerber ein Verschulden an der Versäumung zur Last gelegt werden könne, nicht (mehr) die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handle. Der (dem § 1332 ABGB, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2 und § 6 DienstnehmerhaftpflichtG und § 3 Abs. 1 OrganhaftpflichtG entnommene) Begriff "minderer Grad des Versehens" stimme mit dem Begriff "leichte Fahrlässigkeit" des Allgemeinen Schadenersatzrechtes überein (SZ 45/42). Ausgeschlossen sei die Wiedereinsetzung daher, wenn dem Wiedereinsetzungswerber Vorsatz oder auffallende Sorglosigkeit zur Last gelegt werden könne. Auffallende Sorglosigkeit ist extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt; also wenn etwas unbeachtet blieb, was im gegebenen Fall jedem leicht einleuchten mußte; wenn einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden (vgl. zB Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 1324 mit Rechtsprechungszitaten); eine so schwere Sorgfaltswidrigkeit, daß sie einem ordentlichen Menschen in der gegebenen Situation keinesfalls unterlaufen würde (Koziol-Welser, Grundriß 7 I 393). Durch eine solche auffallende Sorglosigkeit hat im vorliegenden Fall der Beklagte die Frist zur Beantwortung der Klage und zum Widerspruch gegen das Versäumungsurteil verschuldet. Wenn der Beklagte, wie er behauptet, beim Lesen und Schreiben "eher" unbeholfen wäre und im Umgang mit Behörden geringe Kenntnisse aufwiese, hätte er den nur aus einem einfachen Satz bestehenden Auftrag zur schriftlichen Klagebeantwortung und die in einfachen Sätzen bestehenden "Wichtigen Hinweise" insbesondere auf den Anwaltszwang, die Versäumungsfolgen und die Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe besonders aufmerksam lesen und sich bei allfälligen Verständnisschwierigkeiten sofort um ausreichende Erklärungen (nicht nur etwa bei Mithäftlingen, sondern bei den Oragnen der Strafanstalt) bemühen müssen, den allenfalls nicht ganz verstandenen gerichtlichen Auftrag und die diesem beigesetzten schriftlichen "Wichtigen Hinweise" aber nicht unbeachtet lassen dürfen, zumal ihm sein innerhalb der Klagebeantwortungsfrist an das Prozeßgericht gerichtetes Schreiben unter Hinweis auf die Rechtsbelehrung in dem bereits mit der Klage zugegangenen Formblatt "Auftrag zur Klagebeantwortung" als unzulässig und zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung ungeeignet zurückgestellt worden war.

Auch als Strafgefangenem wäre es dem Beklagten damals leicht möglich gewesen, entsprechend der schriftlichen Rechtsbelehrung die Beigebung eines Rechtsanwalts zur Verfahrenshilfe zu beantragen. Eine noch aufallendere Sorglosigkeit lag darin, daß der Beklagte die ihm anläßlich der Zustellung des Versäumungsurteils auf dessen Rückseite angebrachte Rechtsbelehrung über Berufung, Kostenrekurs, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Widerspruch, Anwaltszwang und Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe neuerlich unbeachtet ließ und sich nicht wenigstens jetzt, als sich seine angebliche Meinung, ohne Tagsatzung könne er nicht verurteilt werden, als unrichtig herausgestellt hatte, unverzüglich um die Beigebung eines Rechtsanwalts zur Verfahrenshilfe bemühte. Zusammenfassend ist daher zu sagen, daß der Beklagte selbst dann, wenn man seine Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag als richtig unterstellt, die Versäumung der Fristen zur Klagebeantwortung und zum Widerspruch gegen das Versäumungsurteil nicht durch einen minderen Grad des Versehens, sondern durch auffallende Sorglosigkeit verschuldet hat, weshalb ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen diese Fristen selbst dann nicht zu bewilligen wäre, wenn er tatsächlich durch ein unvorhergesehenes Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme dieser befristeten Prozeßhandlungen verhindert worden wäre.

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