OGH 9Os47/86 (9Os48/86)

OGH9Os47/86 (9Os48/86)21.1.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Jänner 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kiss als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Stefan H*** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs. 2, 86 StGB über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Kreis-(nunmehr Landes-)Gerichtes St. Pölten vom 14. Feber 1986, GZ 16 Vr 459/85-16, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des genannten Gerichtshofes als Schöffengericht vom 10.Oktober 1985, GZ 16 Vr 459/85-12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher

Sitzung

I. den Beschluß gefaßt:

 

Spruch:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Beschluß, mit welchem die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zurückgewiesen wurde, aufgehoben.

Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

II. zu Recht erkannt:

Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird gemäß § 290 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde sowie mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stefan H*** des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs. 2, "84 Abs. 1", 86 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 18. Oktober 1984 in Tulln den Milorad M*** durch Zubodenreißen und Versetzen von Tritten gegen den Leib, die eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich einen Riß des Dünndarms und Zerreißungen des Gekröses zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat den Tod des Genannten zur Folge hatte.

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte durch seinen Verteidiger innerhalb offener Frist mit einer am 11.Oktober 1985 zur Post gegebenen Eingabe die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung an (S 207), worauf seinem Verteidiger am 13.Jänner 1986 eine Urteilsausfertigung zugestellt wurde (Rückschein S 206). Die Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel (ON 14) langte am 28.Jänner 1986 beim Erstgericht ein (S 209), wobei vermerkt wurde, daß der betreffende Schriftsatz an diesem Tag persönlich bei Gericht überreicht worden sei (vgl. abermals S 209). Da die 14-tägige Ausführungsfrist mit 27.Jänner 1986 abgelaufen war, wies das Erstgericht mit Beschluß vom 14.Feber 1986 (ON 16) die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 a Z 2 StPO zurück, zumal auch anläßlich der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde keiner der im § 281 Abs. 1 Z 1 bis 11 StPO bezeichneten Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt angegeben worden war. Dieser Beschluß wurde dem Verteidiger des Angeklagten am 17.Feber 1986 zugestellt (Rückschein S 214). Dieser erhob daraufhin mit einem am 26.Feber 1986 zur Post gegebenen Schriftsatz (S 215) Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluß, und zwar mit der Begründung, daß er den die Rechtsmittelausführung enthaltenden Schriftsatz am 27.Jänner 1986 (sohin innerhalb offener Ausführungsfrist) beim Postamt Tulln eingeschrieben zur Post gegeben habe, weshalb der Vermerk über die persönliche Überreichung dieses Schriftsatzes bei Gericht (am 28. Jänner 1986) unrichtig und demnach die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde zu Unrecht erfolgt sei; eventualiter beantragte er unter einem die Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Rechtsmittelausführungsfrist (ON 17).

I. Zur Beschwerde gegen den Beschluß ON 16:

Der Angeklagte beruft sich zur Stützung seines Vorbringens, die Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel am 27.Jänner 1986 (mithin rechtzeitig) zur Post gegeben zu haben, einerseits auf eine eidesstättige Erklärung der Kanzleiangestellten seines Verteidigers, Andrea H***, wonach diese die Rechtsmittelschrift am 27.Jänner 1986 beim Postamt Tulln eingeschrieben aufgegeben habe, und den in Kopie vorgelegten Postaufgabeschein Nr. 1772 des genannten Postamts vom selben Tag, andererseits aber auch darauf, daß am 28.Jänner 1986 weder sein Verteidiger noch eine seiner Kanzleiangestellten oder sonst jemand in seinem Auftrag in St. Pölten gewesen sei und sich die Übermittlung des Schriftsatzes mit der Rechtsmittelausführung auch daraus ergebe, daß das Schriftstück gefaltet ist und demnach offensichtlich in einem Briefumschlag enthalten war; der Vermerk über die persönliche Überreichung des Schriftsatzes bei Gericht (am 28. Jänner 1986) sei daher inhaltlich unrichtig.

Aus der vom Erstgericht zu diesem Vorbringen eingeholten Stellungnahme der Einlaufstelle des Kreis-(nunmehr Landes-)Gerichtes St. Pölten (vom 28.Feber 1986) geht hervor, daß infolge des Zeitablaufes eine eindeutige Aussage darüber, ob die Rechtsmittelschrift (ON 14) am 28.Jänner 1986 persönlich überreicht wurde oder per Post einlangte, nicht mehr möglich ist; üblicherweise werde, wenn eine Rechtsmittelschrift per Post einlangt, der Briefumschlag beigelegt; wenn die Kanzlei des Verteidigers am 27. Jänner 1986 eine eingeschriebene Postsendung an das Kreisgericht St. Pölten aufgegeben hat, so könne nicht mehr festgestellt werden, ob es sich dabei um eine Eingabe in der gegenständlichen Strafsache oder um ein Rechtsmittel in einem Zivilverfahren gehandelt hat (S 218).

Rechtliche Beurteilung

Bei dieser Sachlage kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Schriftsatz ON 14, so wie dies der Beschwerdeführer glaubhaft macht, tatsächlich am 27.Jänner 1986, somit noch innerhalb der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel (§§ 285 Abs. 1, 294 Abs. 2 StPO), beim Postamt Tulln (dem Kanzleisitz des Verteidigers) eingeschrieben zur Post gegeben und demnach die Ausführungsfrist gewahrt wurde (§ 6 Abs. 3 StPO), sodaß der Vermerk über die persönliche Überreichung dieses Schriftsatzes bei Gericht am 28. Jänner 1986 nicht den Tatsachen entspricht, sondern offenbar irrtümlich erfolgte. Der Hinweis der Einlaufstelle, es werde "üblicherweise" der Briefumschlag beigelegt, wenn eine Rechtsmittelschrift per Post einlangt, ist jedenfalls deshalb nicht überzeugend, weil auch der Beschwerdeschrift ON 17, die nachweislich per Post eingelangt ist (S 215), kein Briefumschlag angeschlossen ist (und im übrigen auch der ebenfalls per Post eingelangten Anmeldung der Rechtsmittel ON 13 ein Briefumschlag nicht beigelegt wurde).

Da sohin davon auszugehen ist, daß die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde fristgerecht ausgeführt worden ist, erfolgte deren Zurückweisung zu Unrecht, weshalb der Beschwerde des Angeklagten Folge zu geben war; mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung war der Angeklagte auf die getroffene Beschwerdeentscheidung zu verweisen.

II. Zur Maßnahme gemäß § 290 Abs. 1 StPO:

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft der Angeklagte den Schuldspruch, und zwar der Sache nach nur insoweit, als ihm der Tod des Milorad M*** gemäß § 86 StGB zugerechnet wurde, aus den Gründen der Z 4 und 5 sowie 9 lit. b, der Sache nach Z 10, des § 281 Abs. 1 StPO mit der Begründung, er sei durch die Abweisung seines Beweisantrages auf Einvernahme eines medizinischen Sachverständigen in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt worden, weiters habe das Gericht seine Feststellungen darüber, daß ihm der Tod des Opfers zuzurechnen sei, undeutlich, widersprüchlich und offenbar unzureichend begründet und in diesem Zusammenhang rechtsirrig angenommen, daß "der Kausalzusammenhang zwischen dem Täterverhalten und dem Enderfolg eindeutig gegeben sei".

Aus Anlaß dieser Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugt, daß das angefochtene Urteil zum Nachteil des Angeklagten mit einem von keiner Seite gerügten Feststellungsmangel im Sinn der Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO behaftet ist, der gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen war und die Kassierung des Schuldspruches sowie die Anordnung der Erneuerung des Verfahrens in erster Instanz zur Folge hat (§ 285 e StPO). Das Schöffengericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Am Abend des 18.Oktober 1984 kam es in einem Espresso in Tulln zwischen dem Angeklagten und dem jugoslawischen Staatsbürger Milorad M*** zu einer anfangs wörtlichen und sodann auch tätlichen, jedoch (zunächst) nicht mit Verletzungsfolgen verbundenen Auseinandersetzung, die vorerst beendet werden konnte. Da jedoch der Zorn des Angeklagten noch nicht abgeklungen war und er (abermals) gegen M*** tätlich vorgehen wollte, attackierte er in der Folge M*** mit Schlägen, sodaß dieser, der sich völlig passiv verhielt, schließlich zu Boden stürzte. In weiterer Folge versetzte der Angeklagte dem wehrlos auf dem Boden Liegenden zumindest mit Mißhandlungsvorsatz mehrere Fußtritte gegen den Körper, wodurch M*** einen Riß im Dünndarm und Zerreißungen des Gekröses erlitt (S 292). Nachdem der Angeklagte schließlich von seinem Opfer abgelassen und das Lokal verlassen hatte, entfernte sich einige Zeit später auch M***, ohne die ihm angesichts seiner offenkundigen Schmerzen angebotene Hilfe, nämlich die Rettung zu verständigen, anzunehmen. Erst etwas mehr als 12 Stunden nach dem Vorfall suchte M*** den Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft Tulln auf, dem er unter einem Vorwand über die Verletzungsursache seine heftigen Schmerzen klagte und der ihn auf die kritische Situation hinwies.

Dessen ungeachtet fuhr M*** nach Jugoslawien, um sich dort am 20. Oktober 1984 in Bijeljina einer Operation zu unterziehen. Auf Grund eines toxischen Schocks als Folge einer Bauchfellentzündung, entstanden nach einem Darmdurchbruch, hervorgerufen durch die gewaltsamen Handlungen des Angeklagten, verstarb M*** gegen 16.00 Uhr des 20.Oktober (in den Urteilsgründen unrichtig: Dezember) 1984 (S 203, 204).

Die Zurechnung der Todesfolge begründete das Erstgericht damit, daß der Kausalzusammenhang zwischen Täterverhalten und Enderfolg eindeutig gegeben und auch die objektive Erfolgzurechnung zu bejahen sei. Das nachträgliche Fehlverhalten des Opfers schließe selbst unter den von Burgstaller im Wiener Kommentar (§ 85 Rz. 29) geforderten strengen Kriterien die Zurechnung der Todesfolge nicht aus, denn das Verhalten des Verletzten könne zumindest bis zum Aufsuchen des Arztes Dr. S*** (Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft Tulln) nicht als grob fahrlässig bezeichnet werden und es sei auch für einen medizinischen Laien das erhebliche Risiko einer Operation nach mehr als 12 Stunden erkennbar, denke man nur an die Lebensgefährlichkeit jeder Operation etwa nach einem Blinddarmdurchbruch. Somit bestehe kein Grund zur Annahme, daß der Erfolg wegen der vom Verletzten sicherlich schuldhaft herbeigeführten weiteren Verzögerung des notwendigen chirurgischen Eingriffes wahrscheinlich nicht eingetreten wäre (S 205). Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung vom 10.Oktober 1985 die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fach der Medizin zum Beweis dafür beantragt, daß der tödliche Ausgang nicht durch allfällige Aggressionshandlungen des Angeklagten herbeigeführt wurde, sondern allein dadurch, daß M*** die Beiziehung eines Arztes, insbesondere aber die Einlieferung in das Krankenhaus, wie sie von Dr. S*** ausdrücklich empfohlen wurde, abgelehnt hat und dann noch 20 Stunden mit dem Auto nach Belgrad gefahren ist, wodurch die Bauchfellentzündung beschleunigt wurde und der Tod eingetreten ist, da er bei rechtzeitiger Operation nicht gestorben wäre (S 197, 198). Diesen Antrag wies das Erstgericht mit der Begründung ab, das Beweisthema betreffe eine Rechtsfrage (S 198); in den Urteilsgründen wird zusätzlich darauf verwiesen, daß das erhebliche Risiko einer Operation nach mehr als 12 Stunden (nach Zufügung der Verletzungen) auch für einen medizinischen Laien erkennbar sei (S 205). Die Feststellungen des Schöffengerichtes reichen nicht aus, um die Frage, ob dem Angeklagten die eingetretene Todesfolge objektiv zuzurechnen ist (und ob gegebenenfalls im Hinblick auf ein nachträgliches Fehlverhalten des Opfers dem eben erwähnten Beweisantrag des Angeklagten Relevanz zukommt), abschließend beurteilen zu können. Dies aus folgenden Erwägungen:

Nach dem - in der Hauptverhandlung verlesenen (S 198) und der Sache nach den Urteilsfeststellungen zugrunde liegenden (S 201) - Obduktionsgutachten vom 21.Oktober 1984, das in Jugoslawien über Auftrag des Untersuchungsrichters des Kreisgerichtes Tuzla eingeholt worden war (S 83 ff), verstarb Milorad M*** infolge eines toxischen Schocks als Folge eines Ausbruches einer Entzündung des Bauchfells, entstanden von einem Durchbruch eines Darminhaltes in die Bauchhöhle; dieser Durchbruch war die Folge einer Verletzung der Dünndarmwand, die mit der Bauchhöhle kommuniziert, wobei diese Verletzung durch einen teils "stumpfenharten" Gegenstand (auch Werkzeug) kleinerer Größe entstanden ist (S 93, 95). Ausgehend von den (weiteren) Urteilskonstatierungen über die vom Angeklagten gegen M***

gesetzten Tätlichkeiten kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Tod des Genannten ursächlich auf diese Tätlichkeiten zurückzuführen ist. Es ist aber auch der Adäquanzzusammenhang zu bejahen, weil es nicht gänzlich außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung liegt, daß ein Mensch, dem am Boden liegend mehrere Fußtritte gegen den Leib (in die Bauchregion) versetzt werden und der dadurch die vorliegend festgestellten Darmverletzungen erleidet, deshalb (an einem infolge einer Bauchfellentzündung bewirkten toxischen Schock) verstirbt, weil er es unterläßt, sich sogleich der gebotenen lebensrettenden ärztlichen Behandlung zu unterziehen, sondern stattdessen zunächst eine vielstündige Autofahrt auf sich nimmt und erst darnach ein Spital aufsucht.

Der Kausalzusammenhang und der Adäquanzzusammenhang zwischen dem festgestellten Tatverhalten des Angeklagten und dem letztlich eingetretenen Tod des Milorad M*** sind daher gegeben. Was dagegen den Risikozusammenhang betrifft, so vermag zwar gewiß nicht jedes, wenn auch unter Umständen sogar auffallend sorglose nachträgliche Fehlverhalten des Verletzten, das den Kausalverlauf zwischen primärem und sekundärem Erfolg beeinflußt, insbesondere dessen Weigerung, sich unverzüglich ärztlich entsprechend behandeln zu lassen, die strafrechtliche Haftung des Verletzers für den (schwereren) Sekundärerfolg auszuschließen (vgl. SSt. 51/26). Grundsätzlich ist vielmehr daran festzuhalten, daß der Risikozusammenhang zwischen dem Täterverhalten und der (nicht gerade atypischen) Tatfolge auch dann bestehen bleibt, wenn sich zwischen die Tathandlung und den letztlich eingetretenen Erfolg ein sorgfaltswidriges Unterlassen des Verletzten in bezug auf (end-)erfolgsverhindernde Heilmaßnahmen schiebt (vgl. SSt. 47/1 sowie 11 Os 68/81), wobei nach Auffassung des Senates (abweichend von Burgstaller in Bezauer Tage 1983, 141 ff und in Jescheck-FS 1985, 357 ff, insb. 365) nicht schematisch darnach differenziert werden kann, ob das nachträgliche Opferverhalten als grob fahrlässig oder als nicht grob fahrlässig zu beurteilen ist.

Ein Ausschluß der Zurechnung der schwereren Tatfolge mangels Risikozusammenhanges kommt in derartigen Fällen vielmehr nur dann in Betracht, wenn das Opfer in bezug auf seine Primärverletzung ein Folgeverhalten an den Tag gelegt hat, das für jeden vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betreffenden unter den gegebenen Umständen schlechthin unbegreiflich ist, so etwa, wenn der Verletzte in voller Kenntnis seines verletzungsbedingten lebensbedrohlichen Zustandes und der zu gewärtigenden Konsequenzen unterlassener sofortiger lebensrettender ärztlicher Behandlung sich dieser bewußt nicht unterzieht, und wenn ohne dieses Folgeverhalten des Opfers die schwerere Tatfolge mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre. Nur unter diesen Voraussetzungen erlangt nämlich das nachträgliche (Fehl-)Verhalten des Verletzten für den Enderfolg ein derart dominantes Gewicht, demzufolge der erforderliche normative Zusammenhang zwischen diesem Erfolg und dem Primärverhalten des Täters nicht mehr besteht und dem Täter nur der Primär-, nicht aber der Sekundärerfolg zuzurechnen ist (vgl. hiezu auch Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, Tübingen 1986, 168 ff).

Ob Milorad M*** ein den eben dargelegten Kriterien entsprechendes, objektiv schlechthin unbegreifliches Folgeverhalten gesetzt hat, als er es - und primär darauf, nicht aber (allein) auf die ersten 12 Stunden bis zur Konsultierung des Amtsarztes kommt es im gegebenen Zusammenhang entscheidend an - entgegen einem ärztlichen Rat unterließ, sogleich das Krankenhaus Tulln aufzusuchen, sondern stattdessen die Autofahrt nach Belgrad unternahm und erst dort ein Spital aufsuchte, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Das Gericht stellte hiezu nämlich lediglich fest, daß Dr. S*** den Verletzten auf die kritische Situation hinwies (S 203), ohne aber nähere Konstatierungen darüber zu treffen, welchen Inhalt und Umfang die ärztliche Belehrung hatte und wie eindringlich sie erfolgte (vgl. hiezu einerseits den Bericht (S 33 und die Angaben des Zdravko J*** S 79 sowie andererseits das Schreiben Dris. S*** S 125 f), ob und inwieweit Dr. S*** den Patienten auf die bei ihm infolge des geschilderten Krankheitsbildes bestehende unmittelbare Lebensgefahr und die deshalb gebotene unverzügliche Spitalsbehandlung hinwies und ihn darüber aufklärte, daß er eine Reise nach Belgrad wahrscheinlich nicht überleben könnte, sowie schließlich darüber, ob M*** die ärztlichen Hinweise und Ratschläge auch verstanden hat und sich infolgedessen darüber vollkommen im Klaren war, daß er sein Leben riskiert, wenn er nicht sogleich das nächstgelegene Krankenhaus aufsucht, sondern ohne entsprechende Spitalsbehandlung nach Jugoslawien fährt.

Demnach leidet das Urteil im aufgezeigten Umfang an einem (nicht gerügten) Feststellungsmangel (§ 281 Abs. 1 Z 10 StPO), der von Amts wegen aufzugreifen war.

Ergibt das erneuerte Verfahren, daß Milorad M*** ein den oben angeführten Kriterien entsprechendes nachträgliches Fehlverhalten im Bewußtsein des damit eigenverantwortlichen Lebensrisikos gesetzt hat, wird sodann an Hand eines einzuholenden medizinischen Sachverständigengutachtens zu klären sein, ob ohne dieses Fehlverhalten der letale (End-)Erfolg mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu vermeiden gewesen wäre, in welchem Fall dem Angeklagten die Todesfolge (§ 86 StGB) objektiv nicht zuzurechnen wäre.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde sowie mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die getroffene kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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