OGH 14Ob142/86

OGH14Ob142/8616.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dr. Stefan Seper und Dr. Willibald Aistleitner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anneliese K***, Angestellte, Wien 22., Eipeldauerstraße 40/52/11, vertreten durch Hermann P***, leitender Sekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten, Wien 1., Deutschmeisterplatz 2, dieser vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei H*** A*** G*** MBH in Wien 23., Richard Strauß-Straße 10, vertreten durch Dr. Kurt Heller, Dr. Heinz Löber, DDr. Georg Bahn, Dr. Werner Huber und Dr. Günther Horvath, Rechtsanwälte in Wien 1., Seilergasse 16, wegen S 77.619,49 brutto sA abzüglich S 15.732,25 netto (Streitwert im Revisionsverfahren S 31.398,20), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 20. März 1986, GZ. 44 Cg 248/85-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 28. Mai 1985, GZ. 7 Cr 156/84-19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.549,25 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 231,75 Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte von der beklagten Partei, ihrer ehemaligen Arbeitgeberin, mit der Behauptung, am 29.2.1984 ungerechtfertigt und überdies verspätet entlassen worden zu sein, die Zahlung eines Betrages von S 77.619,49 sA brutto an Überstundenentgelt, Kündigungsentschädigung, Urlaubszuschuß, Weihnachtsremuneration und Urlaubsentschädigung abzüglich eines Betrages von S 15.737,25 netto. Der Abzug des Nettobetrages beruhe auf einer Gegenforderung der beklagten Partei aus einem der Klägerin gewährten Personalkredit. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Entlassung der Klägerin sei gerechtfertigt, weil diese zum Nachteil der beklagten Partei einen Kunden, die F*** M***, aufgefordert habe, zur Erlangung eines dieser Firma nicht zustehenden Werbekostenbeitrages für Vorführwaren Fotokopien von Zulassungsscheinen zu manipulieren. Auf diese Weise hätte eine von der beklagten Partei der Firma M*** zu Unrecht übersandte Rechnung für ein nicht an diese Firma, sondern an einen ehemaligen Arbeitnehmer der beklagten Partei geliefertes und nicht bezahltes Motorrad zu deren Nachteil abgedeckt werden sollen. Bei einer Überprüfung sei festgestellt worden, daß sich die Firma M*** auf diese Weise eine Gutschrift über S 11.072,01 erschleichen habe wollen. Mit Schreiben vom 27.2.1984 habe diese Firma der beklagten Partei mitgeteilt, daß sie diese Manipulationen über Veranlassung der Klägerin vorgenommen habe.

Das Erstgericht sprach der Klägerin einen Bruttobetrag von S 62.181,82 abzüglich S 15.737,25 netto sA zu und wies das Mehrbegehren von S 15.437,67 brutto (das ist ein Teil der begehrten Urlaubsentschädigung) ab. Es traf folgende noch wesentliche Feststellungen:

Dieter B***, ein ehemaliger Angestellter der beklagten Partei, kaufte im September 1983 bei der Firma M*** in Linz ein Motorrad um S 18.000,-. Er vereinbarte mit dem Inhaber dieses Unternehmens, Kommerzialrat Hans M***, daß dieser ihm den Einstandspreis verrechnen und somit einen erheblichen Rabatt gewähren werde. Ein schriftlicher Kaufvertrag wurde nicht errichtet, und die Auslieferung erfolgte nicht über die Firma M***. Als die beklagte Partei in der Folge eine Rechnung über den vollen Preis des Motorrades an die Firma M*** übermittelte, wurde diese Rechnung von Angestellten der Firma, die vom Kauf keine Kenntnis hatten, an die beklagte Partei zurückgesandt. Die Klägerin teilte hierauf diesen Angestellten mit, der Kaufpreis für das Motorrad könne mit Gutschriften der beklagten Partei für den Kauf von Werbefahrzeugen gegenverrechnet werden. Sie forderte Kommerzialrat Hans M*** und dessen Ehefrau Elisabeth ausdrücklich auf, solche Gutschriften für Werbefahrzeuge unter Vorlage der betreffenden Zulassungsscheine bei der beklagten Partei einzureichen und diese Einreichung samt Unterlagen direkt an die Klägerin zu adressieren. Kommerzialrat M*** reichte für zwei Kundenfahrzeuge, die aber nicht an Wiederverkäufer, für welche derartige Preisnachlässe gewährt wurden, sondern an Privatkunden verkauft worden waren, solche Gutschriften ein und übersandte Fotokopien der beiden Zulassungsscheine. Dem Verkaufsleiter der beklagten Partei und deren Personalleiter fiel anläßlich der Genehmigung dieser Gutschriften auf, daß die Voraussetzungen hiefür nicht vorlagen. Als die Klägerin erkannte, daß Gutschriften nicht möglich seien, forderte sie Kommerzialrat M*** oder dessen Ehefrau telefonisch auf, die beiden Zulassungsscheine neuerlich zu kopieren; für jene Seite des Zulassungsscheines, in der der Fahrzeughalter eingetragen ist, sollten sie jedoch eine Kopie von Zulassungsscheinen herstellen, in welchen die Firma M*** als Fahrzeughalter aufscheint. Die solcherart verfälschten Fotokopien sollten sie neuerlich bei der beklagten Partei einreichen. Die Firma M*** vertraute darauf, daß diese Vorgangsweise von der beklagten Partei gewünscht werde, und kam dem Verlangen mit Schreiben vom 17.1.1984 nach.

Am 30.1.1984 hielt Komm.Rat M*** mit dem Geschäftsführer der beklagten Partei und deren Vertriebsleiter eine Besprechung ab, bei der auch die gegenständliche Rabattgewährung zur Sprache kam. Komm.Rat M*** teilte hiebei alle nunmehr festgestellten Vorgänge mit und wies ausdrücklich darauf hin, daß die Vorlage der geänderten Kopien über Wunsch der Klägerin erfolgt sei und daß diese die Abdeckung des Kaufpreises für das an Dieter B*** gelieferte Motorrad zugesagt habe.

Mit Schreiben vom 13.2.1984 erhob die beklagte Partei gegen die Firma M*** den Vorwurf der Fälschung der Fotokopien und verlangte Zahlung. Elisabeth M*** rief hierauf den Personalleiter der beklagten Partei an und schilderte diesem den ganzen Sachverhalt einschließlich der vorerwähnten Aufforderung der Klägerin. Der Personalleiter verlangte eine schriftliche Bestätigung dieser Mitteilung, die mit Schreiben der Firma M*** vom 27.2.1984 erfolgte. Nach Erhalt dieses Schreibens wurde die Klägerin vom Personalleiter entlassen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Entlassung aus dem Grunde des § 27 Z 1 AngG, dritter Tatbestand zwar gerechtfertigt sei, daß sie jedoch nicht unverzüglich ausgesprochen worden sei. Der beklagten Partei seien seit 30.1.1984 alle erheblichen Tatsachen des Entlassungsgrundes bekannt gewesen. Die am 29.2.1984 ausgesprochene Entlassung sei daher verspätet.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung, deren abweislicher Teil unangefochten geblieben war, mit Teilurteil dahin ab, daß es ein Teilbegehren von S 31.398,20 brutto sA abwies. Im Umfang eines weiteren Teilbetrages von S 30.783,62 brutto abzüglich S 15.737,25 netto sA hob es das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur Fällung einer neuen Entscheidung zurück. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf mit folgenden Einschränkungen die gleichen Feststellungen wie das Erstgericht:

Nicht übernommen wurde die Feststellung, Komm.Rat Hans M*** habe bereits am 30.1.1984 der beklagten Partei in einer geschäftlichen Besprechung alle Vorgänge mitgeteilt und ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Vorlage der geänderten Fotokopien der Zulassungsscheine über ausdrücklichen Wunsch der Klägerin erfolgt sei. Das Berufungsgericht stellte in diesem Zusammenhang fest, die Gutschriften für Werbefahrzeuge seien in der Besprechung vom 30.1.1984 nur am Rande erwähnt worden. Komm.Rat M*** habe dem Geschäftsführer der beklagten Partei und deren Vertriebsleiter nicht mitgeteilt, daß die Vorlage der verfälschten Zulassungsscheine über ausdrücklichen Wunsch der Klägerin erfolgt sei. Elisabeth M*** habe (erst) am 16.2.1984 den Personalleiter der beklagten Partei empört angerufen und ihm mitgeteilt, sie sei nicht mehr bereit, "diese Situation zu decken"; die Anweisung zu den Manipulationen sei ausdrücklich von der Klägerin gekommen. Der Personalleiter habe Elisabeth M*** zunächst nicht geglaubt, weil er von mehreren Personen der Firma M*** widersprüchliche Angaben erhalten habe. Er habe deshalb Elisabeth M*** aufgefordert, ihm eine schriftliche Darstellung des Sachverhalts zu geben, die von allen in der Angelegenheit involvierten Personen unterschrieben werden solle. Der Personalleiter habe schon vorher mit der Klägerin über die Angelegenheit gesprochen, doch habe sie ihre Mitwirkung bestritten. Das Berufungsgericht bejahte sowohl die Tatbestandsmäßigkeit der Entlassung als auch auf der Grundlage der von ihm neu getroffenen Feststellungen die Unverzüglichkeit der Entlassung. Dem Personalleiter sei zuzubilligen, daß er zur Absicherung der rechtlichen Position der beklagten Partei weitere Beweismittel und infolge des komplizierten Sachverhaltes eine schriftliche Darstellung habe erhalten wollen. Der die Kündigungsentschädigung betreffende Teilanspruch sei daher nicht berechtigt. In diesem Umfang sei die Sache spruchreif, so daß mit Teilurteil dieses Teilbegehren abzuweisen sei.

Gegen dieses Teilurteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, dem Klagebegehren in diesem Umfang stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Gegenstand der Rechtsrüge ist lediglich die Frage der Rechtzeitigkeit der Entlassung, nicht aber deren Berechtigung. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß die Entlassung auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen rechtzeitig ausgesprochen wurde. Rechtsprechung und Lehre stimmen zwar darin überein, daß die Entlassung unverzüglich, nämlich sofort, nachdem der Entlassungsgrund dem Arbeitgeber bekannt geworden ist, ausgesprochen werden muß. Bekanntgeworden ist aber der Entlassungsgrund dem Arbeitgeber erst, sobald diesem alle für die Beurteilung des Vorliegens des Entlassungsgrundes wesentlichen Einzelheiten der Handlung und der Person zur Kenntnis gelangt sind. Der Kenntnis durch den Arbeitgeber ist allerdings die Kenntnisnahme durch seinen Stellvertreter oder durch einen ganz oder teilweise mit Personalagenden befaßten leitenden Angestellten gleichzuhalten, wenn dieser dem Arbeitgeber oder dessen Stellvertreter von dem Entlassungsgrund nicht unverzüglich berichtet hat (Arb. 9424 mwH). Bei der Untersuchung der Rechtzeitigkeit der Entlassung ist auch zu prüfen, ob in dem Zuwarten mit der Entlassung ein Verzicht auf die Geltendmachung des Entlassungsgrundes zu erblicken oder ob dieses Zuwarten in Umständen begründet ist, welche die Annahme eines solchen Verzichtes nicht rechtfertigen. Es muß daher die Ursache des zwischen der Kenntnis vom Entlassungsgrund und dem Ausspruch der Entlassung liegenden Zuwartens des Arbeitgebers im Einzelfall geklärt werden (Kuderna, Das Entlassungsrecht 16; 4 Ob 21/85). Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen erfuhr der Personalleiter der beklagten Partei (und damit die beklagte Partei) im Telefongespräch vom 16.2.1984 erstmals, daß die Firma M*** die gefälschten Unterlagen über Aufforderung durch die Klägerin vorgelegt hatte. Für die Rechtzeitigkeit der Entlassung ist hier nicht entscheidend, wann die beklagte Partei erstmals feststellte, daß es sich bei diesen Unterlagen um Fälschungen handelte, sondern wann sie von der Mitwirkung der Klägerin an dieser Manipulation erfuhr. Bedenkt man, daß sich ein Telefongespräch für die genaue Darstellung und das Festhalten eines derartigen komplexen Sachverhalts wenig eignet, so erscheint der Wunsch des Personalleiters, einen die Firma M*** überdies festlegenden schriftlichen Bericht zu erhalten und erst dann Konsequenzen zu ziehen, durchaus verständlich. Es lag auch im Interesse der Klägerin, daß die beklagte Partei nicht schon auf Grund der telefonischen Mitteilungen die Entlassung sofort und möglicherweise übereilt vornahm, sondern einen schriftlichen Bericht verlangte, zumal die dem Personalleiter gegenüber ihre Mitwirkung an der Manipulation bestritten hatte. Ob der Personalleiter von mehreren Personen der Firma M*** widersprüchliche Angaben über die Angelegenheit erhalten hatte, wie das Berufungsgericht feststellte, ist für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Entlassung hier ohne Bedeutung. Feststellungen über diese Personen und über den Inhalt der widersprüchlichen Angaben waren daher entgegen der Meinung der Revisionswerberin entbehrlich. Ebensowenig kann der Meinung der Revisionswerberin (in dieser Allgemeinheit) zugestimmt werden, die Sicherung eines Beweismittels dürfe nicht zu einem Abwarten mit dem Ausspruch der Entlassung führen. Im vorliegenden Fall ging es der beklagten Partei nicht allein um dieses - im übrigen einzige - Beweismittel, sondern vor allem auch um den Erhalt einer die gewissenhafte Beurteilung des Vorliegens eines tatbestandsmäßigen Entlassungsgrundes erst ermöglichenden schriftlichen Darstellung. Das Zuwarten der beklagten Partei mit der Entlassung ist daher in Umständen begründet, welche die Annahme eines Verzichts auf die Ausübung des Entlassungsrechts nicht zulassen. Soweit die Revisionswerberin darzutun versucht, die beklagte Partei müsse schon auf Grund der Besprechung vom 30.1.1984

von der Mitwirkung der Klägerin gewußt haben, bekämpft sie in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes. Da somit die Entlassung nicht nur gerechtfertigt ist, sondern auch rechtzeitig vorgenommen wurde, steht der Klägerin ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung nicht zu.

Die Kostenentscheidung ist im § 52 ZPO begründet.

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