OGH 7Ob683/86

OGH7Ob683/8611.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter W*** OHG, Rohrleitungs- und Apparatebau, Wien 8, Lerchenfelderstraße 46, vertreten durch Dr. Christian Prem und Dr. Werner Weidinger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei P*** Aktiengesellschaft, Wien 3, Untere Viaduktgasse 4, vertreten durch Dr. Viktor Cerha, Dr. Karl Hempel, Dr. Benedikt Spiegelfeld und Dr. Dieter Cerha, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 113.882,30 samt Anhang, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20. Juni 1986, GZ 4 R 92/86-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 23. Dezember 1985, GZ 39 Cg 283/84-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.577,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 514,35 an Umsatzsteuer und S 1.920,-- an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin war Ausstellerin auf der Internationalen Eisenwarenmesse, Werkzeug und Beschlag, die vom 29. Februar bis 3. März 1984 in Köln stattfand. Sie hat der Beklagten am 15. Februar 1984 den Auftrag erteilt, Ausstellungsgüter und Vorführmaterialien zu dieser Messe im Wege einer Sammelladung zu transportieren. Die Klägerin begehrt die Zahlung von S 113.882,30 s.A. als Wertersatz für 7 gestohlene Maschinen und Ersatz für ihr durch die Nachsendung von Maschinen entstandene zusätzliche Transportkosten und Zollspesen. Die Beklagte habe das Transportgut am 22. Februar 1984 in Köln nicht ordnungsgemäß abgeliefert. Die Maschinen seien auf dem für die Errichtung des Messestandes vorgesehenen unverschlossenen und unbewachten Platz abgeladen und weder einem Mitarbeiter der Klägerin noch sonst jemandem übergeben worden. Zum Zeitpunkt der verfrühten Anlieferung sei auch niemand anwesend gewesen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Die Klägerin habe in ihrem Auftragsschreiben die telefonische Vereinbarung bestätigt, wonach der Transport am Freitag, dem 17. Februar 1984, von Wien abgehen solle, so daß die Güter spätestens am darauffolgenden Mittwoch (22. Februar 1984) am Bestimmungsort Köln verfügbar seien. Die Zustellung zum Messestand habe vereinbarungsgemäß durch die Spedition Peter Josef Z*** GmbH & Co erfolgen sollen. Die Beklagte habe die Güter vereinbarungsgemäß nach Köln transportiert und am 22. Februar 1984 auf dem Messespeditionshof der Spedition Z*** mit dem Auftrag übergeben, sie noch am selben Tag in Halle 10, Obergeschoß, Gang 5, Stand 48, abzuliefern. Dies sei auch geschehen. Da zum Zeitpunkt der Ablieferung kein Angestellter der Klägerin anwesend gewesen sei, seien die Güter zur freien Verfügung der Klägerin am vereinbarten Ort abgestellt worden. Hievon sei die Klägerin durch die Spedition Z*** am 23. Februar 1984 auch telefonisch informiert worden.

Das Erstgericht wies die Klage ab und traf folgende Feststellungen:

Die Klägerin nahm als Ausstellerin an der Internationalen Eisenwarenmesse, Werkzeug, Schloß und Beschlag in Köln vom 29. Februar bis 3. März 1984 teil. Jeder Aussteller erhielt ein "Servicepaket", in dem unter anderem festgehalten wird, daß "die Haftung der Messespediteure ... mit dem Abladen des Messegutes am gekennzeichneten Platz (endet), auch wenn der Aussteller selbst oder ein Beauftragter noch nicht anwesend ist".

Die Klägerin erteilte der Beklagten den Auftrag, Ausstellungsgut zur Messe nach Köln zu speditieren. Mit Schreiben vom 15. Februar 1984 bestätigte die Klägerin den telefonisch erteilten Auftrag. In dem Schreiben ist als Zustelladresse "... Halle 10, Obergeschoß, Gang E, Stand Nr. 48 ..." angegeben. Unter anderem wird ausgeführt: "Bitte weisen Sie die Spedition Z*** an, daß die Güter rechtzeitig auf den Stand gebracht werden, damit keine Zuschläge für verspäteten Transport in Rechnung gestellt werden. Da die Sendung rechtzeitig an Sie übergeben wurde, müßten wir die Zahlung solcher Zuschläge ablehnen .... Laut Ihrer telefonischen Auskunft geht der LKW am Freitag, dem 17. Februar 1984, von Wien ab und sind die Güter spätestens am Mittwoch am Bestimmungsort." Die Beklagte erstellte ein Kontinent Bordereau, in dem sie unter anderem vermerkte: "Bitte um dringende Zustellung an Spedition Peter Josef Z***, Messegelände Köln. Ware muß spätestens am Mittwoch, 22. Februar, der Fa. W*** am Messestand zur Verfügung stehen ....".

Eine Ausfertigung des Kontinent Bordereau wurde der Spedition Z*** weitergeleitet.

Zwischen den Streitteilen wurde nicht besprochen, daß die Beklagte gegen Vereinbarung und Verrechnung eines Zuschlages zum Frachtpreis die Haftung für einen die Haftungshöchstbeträge laut CMR übersteigenden Betrag übernehmen könnte. Der Transport wurde als Sammelladung durchgeführt.

Die Spedition Z*** stellte das Frachtgut am 22. Februar 1984 zu. Sie lud das Frachtgut an dem für den Messestand der Klägerin vorgesehenen Platz ab. Von der Klägerin war niemand anwesend. Am 25. Februar 1984 bemerkte ein Arbeiter der Spedition Z***, daß die Ware noch immer am selben Platz stand und daß Kartons aufgerissen waren. Die Spedition Z*** ließ die Ware zurückholen. Drei Kartons waren leer.

Mit Fernschreiben vom 26. Februar 1984 teilte die Spedition Z*** der Klägerin mit, daß drei Maschinen abhanden gekommen seien. Im Telex wird darauf hingewiesen, die Sendung "Laut Anweisung am 22. Februar 1984 zum Stand in Halle 10 Obergeschoß E 48 zugestellt" und die Anlieferung während eines Telefongespräches am Donnerstag der Klägerin bestätigt zu haben.

Am Montag, dem 27. Februar 1984, kamen der Geschäftsführer der Klägerin und ihr Werkstättenleiter Alfred S*** nach Köln. Bei ihrer Ankunft war vom Messestand noch nichts vorhanden. Durch ein Telefongespräch mit seiner Sekretärin erfuhr der Geschäftsführer der Klägerin vom Fernschreiben der Spedition Z***. In der Folge stellte sich heraus, daß insgesamt 7 Maschinen gestohlen worden waren. Die Klägerin ließ aus Wien Maschinen nachliefern. Für die Nachlieferung von zwei Maschinen entstanden Frachtkosten von S 1.339,--; an Speditionskosten für Luftfrachtnachsendung S 887,40 und an Zollabgaben in Deutschland S 14.324,90. Für die in Verlust geratenen Maschinen stellte die Klägerin der Beklagten S 97.331,-- in Rechnung.

Die Beklagte meldete den Schaden dem SVS-Versicherer. Mit Schreiben vom 1. Oktober 1984 lehnte das Versicherungsbüro Dr. Ignaz F*** die Deckung ab, da kein Spediteurverschulden vorliege.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß auf das Vertragsverhältnis der Streitteile im Hinblick auf den vorliegenden Straßengütertransport im Wege einer Sammelladung Frachtrecht, und zwar das Sonderfrachtrecht nach den CMR, anzuwenden sei. Die Beklagte hafte zwar gemäß Art. 34 CMR auch für das Verhalten der Spedition Z***, doch habe diese die gesamten Transportgüter im Sinne des Art. 17 Abs 1 der CMR am 22. Februar 1984 ordnungsgemäß abgeliefert, weil Ablieferungszeitpunkt und Ablieferungsort den Weisungen der Klägerin entsprochen hätten und damit die Gewahrsame am Transportgut mit ihrem Einverständnis aufgegeben worden sei. Zugleich sei die Klägerin auf diese Weise in die Lage versetzt worden, die tatsächliche Gewalt über das Gut auszuüben. Für den erst nach der Ablieferung eingetretenen Verlust treffe die Beklagte daher keine Haftung mehr.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß die Revision zulässig ist.

Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes führte es in seiner rechtlichen Beurteilung aus, es handle sich um eine grenzüberschreitende entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen zwischen Mitgliedsstaaten, so daß in erster Linie die CMR und, wenn in diesen eine konkrete Regelung fehle, die nationalen Rechte der jeweiligen Länder anzuwenden seien. Nach Art. 3 CMR bzw. § 432 Abs 1 HGB treffe die Beklagte die Haftung für die Ausführung der Beförderung bis zur Ablieferung des Gutes an den Empfänger. Nach Art. 17 Abs 1 CMR ende die Haftung des Frachtführers mit der Ablieferung. Ablieferung sei jener Vorgang, durch den der Frachtführer die Gewahrsame über das Gut mit ausdrücklicher oder stillschweigender Einwilligung des Empfängers wieder aufgebe und den Empfänger instandsetze, die tatsächliche Gewalt über das Frachtgut auszuüben. Ein solcher Besitzwechsel sei ein zweiseitiger Akt und bedürfe deshalb der Mitwirkung des Empfängers. Die Übernahme durch den Empfänger erfordere aber nicht zwingend, daß dieser das Gut körperlich in Empfang nehme. Es genüge, daß der Frachtführer das Gut mit Zustimmung des Empfängers aus seiner Obhut entlasse und daß ein Verhältnis hergestellt werde, das dem zur Entgegennahme bereiten Empfänger die Einwirkungsmöglichkeit auf das Gut einräume. Das Gut könne dem Berechtigten mit seinem Einverständnis auch durch Abstellen oder Abladen auf einem bestimmten Platz zur Verfügung gestellt werden. Dieses Einverständnis könne schon vor der Ankunft am Bestimmungsort, auch schon bei Abschluß des Beförderungsvertrages, erteilt werden, insbesondere dann, wenn, wie hier, Absender und Empfänger ident seien. Die Klägerin habe der Beklagten mit ihrem Schreiben vom 15. Februar 1984 den Ablieferungsplatz des Beförderungsgutes bereits ganz konkret vorgeschrieben. Der Schlußsatz dieses Schreibens habe vom maßgeblichen Empfängerhorizont der Beklagten her nur dahin verstanden werden können, daß die Klägerin mit den ihr telefonisch mitgeteilten Zeitpunkten des Transportbeginns und der Güterankunft am vorgeschriebenen Bestimmungsort einverstanden sei und daß das Gut daher spätestens am Mittwoch (dem 22. Februar 1984) am bezeichneten Messeplatz abgeliefert werden müsse. Dies sei geschehen. Habe es die Klägerin verabsäumt, für eine körperliche Übergabe der Güter durch ihre Leute Vorsorge zu treffen, gehe dies zu ihren Lasten und stelle auch kein Ablieferungshindernis im Sinne des Art. 15 Abs 1 CMR dar. Ein Ablieferungshindernis sei es auch nicht gewesen, daß der Messestand noch nicht aufgebaut gewesen sei. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil zwar die Auslegung des Begriffes "Ablieferung" bereits mehrfach Gegenstand der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gewesen sei, diese jedoch andere Sachverhaltsgrundlagen betroffen habe.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, sie als unbegründet abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Zu prüfen ist vorerst die Zulässigkeit der Revision; diese ist im vorliegenden Fall gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nur dann gegeben, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Die Auslegung des Begriffes Ablieferung (Art. 13,15 und17 CMR, §§ 429 und 437 HGB) war, worauf in der angefochtenen Entscheidung und in der Revisionsbeantwortung zutreffend hingewiesen wird, bereits mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung. Danach ist Ablieferung der Vorgang, durch den der Frachtführer die Gewahrsame über das Gut mit ausdrücklicher oder stillschweigender Einwilligung des Empfängers wieder aufgibt und den Empfänger instandsetzt, die tatsächliche Gewalt über das Frachtgut auszuüben. Das Gut kann daher dem Berechtigten mit dessen Einverständnis auch durch Abstellen auf einem bestimmten Platz zur Verfügung gestellt werden (SZ 54/60, ZVR 1985/145). Diese Rechtsprechung stimmt mit der Lehre überein (Helm in Großkomm.z.HGB V/2 3 Anm. 12 zu § 429;

Schlegelberger-Geßler, HGB VI 5 Anm. 7 und 8 zu § 429;

Baumbach/Duden/Hopt HGB 26 797; Glöckner, Leitfaden zur CMR 6 Rdz 7 zu Art. 13). Das Berufungsgericht ist von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen. Es ist richtig, daß ein Sachverhalt wie der vorliegende bisher nicht Gegenstand einer Entscheidung des Revisionsgerichtes war; er wird auch in der Lehre nicht behandelt. Erheblich im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO aber ist eine Rechtsfrage, die zur Wahrung der in dieser Gesetzesstelle genannten Grundsätze über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinaus Bedeutung hat. Die Kasuistik des Einzelfalls schließt in der Regel eine beispielgebende Entscheidung aus (Petrasch, Das neue Revisions- (Rekurs-) Recht, ÖJZ 1983, 176 f).

Das Berufungsgericht hat das konkludente Einverständnis des - hier mit dem Absender identen - Empfängers zur Ablieferung des Frachtgutes durch Abstellen auf dem gekennzeichneten Messestand am Mittwoch, dem 22. Februar 1986, auf Grund des Bestätigungsschreibens der Klägerin vom 15. Februar 1984, Beilage 1, angenommen, wonach die Ausstellungsgüter und Vorführmaterialien an den genau bezeichneten Messestand der Klägerin transportiert werden sollten und der Klägerin zugesichert worden sei, daß die Güter spätestens am "Mittwoch" am "Bestimmungsort" seien (bei einer Ablieferung des Frachtgutes am Mittwoch, dem 29. Februar 1986, wäre bereits ein Aufschlag von 50 % laut "Servicepaket" Beilage I berechnet worden, den die Klägerin, wie aus Beilage 1 festgestellt wurde, zu zahlen nicht bereit gewesen wäre). Es hat diese Annahme dadurch bestätigt gesehen, daß die Spedition Z*** die Klägerin von der erfolgten Ablieferung telefonisch am Donnerstag, dem 23. Februar 1984, verständigte - was von der Klägerin offensichtlich zustimmend zur Kenntnis genommen wurde, da etwas Gegenteiliges weder behauptet wurde, noch sonst im Verfahren hervorgekommen ist.

Ob die beschriebenen Umstände zur Annahme einer stillschweigenden Zustimmung der Klägerin zur Ablieferung des Frachtgutes auf dem gekennzeichneten Messestand auch in ihrer (der Klägerin) Abwesenheit ausreichten, ist eine Frage des Einzelfalls.

Gewiß ist auch in einem singulären, in seiner Tragweite über die Regelung der Rechtsverhältnisse der Streitteile nicht hinausgehenden Fall zur Wahrung der Rechtssicherheit der Einzelfallgerechtigkeit insoweit Rechnung zu tragen und die Revision als zulässig zu erachten, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichtes auf einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage beruht. Daß dies aber hier der Fall wäre, kann nicht gesagt werden.

Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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