OGH 11Os140/86

OGH11Os140/8621.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Oktober 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bittmann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Claudio Emilio C*** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4, 130, 1. Fall, StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 6.Juni 1986, GZ 26 Vr 3.213/85-28, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Stöger als Vertreter der Generalprokuratur, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Fritsche zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß dem § 290 Abs 1 StPO das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu Punkt 2 (wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 StGB) und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Claudio Emilio C*** wird von der Anklage, von Mitte Februar bis 6.März 1986 in Linz und anderen Orten Österreichs sowie beim Grenzübergang nach Deutschland und nach Holland eine Urkunde, über die er nicht verfügen durfte, nämlich den Reisepaß des Hans-Peter P***, unterdrückt zu haben, wobei er mit dem Vorsatz handelte, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache gebraucht werde, gemäß dem § 259 Z 3 StPO

freigesprochen.

Für die ihm laut dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruches weiterhin zur Last liegenden Delikte des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4, 130, erster Fall, StGB sowie das Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs 2, 224 StGB, wird Claudio Emilio C*** nach dem § 130, erster Strafsatz, StGB unter Bedachtnahme auf § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 9 (neun) Monaten verurteilt.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 12.November 1960 geborene, zuletzt beschäftigungslos gewesene Angeklagte Claudio Emilio C*** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4, 130, erster Fall, StGB (Punkt 1./) sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs 1 StGB (Punkt 2./) und der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs 2, 224 StGB (Punkt 3./) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer eines Jahres verurteilt. Ihm liegt zur Last,

1./ in der Zeit von Anfang Oktober bis Ende November 1985 fremde bewegliche Sachen, und zwar insgesamt 18 Stück Lederwesten im Gesamtwert von zumindest 48.000 S in mehrfachen Zugriffen in den Linzer Kaufhäusern Q*** und I***-MARKT gewerbsmäßig gestohlen; ab Mitte Februar bis zum 6.März 1986 in Linz und anderen Orten Österreichs sowie anläßlich der Überschreitung der Grenzen nach Deutschland und den Niederlanden den (österreichischen) Reisepaß des Hans-Peter P***

2./ sohin eine Urkunde, über die er nicht verfügen durfte, mit Gebrauchsverhinderungsvorsatz unterdrückt und

3./ diesen Reisepaß, d.i. eine inländische öffentliche Urkunde, die durch Austausch des Lichtbildes des Hans-Peter P*** mit dem des Claudio Emilio C*** und Nachziehen des Rundstempels verfälscht worden war, wiederholt zum Beweis der Tatsache (seiner angeblichen Identität mit Hans-Peter P***) gebraucht zu haben. Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft der Angeklagte unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO die Urteilsannahme, die ihm laut Punkt 1./ angelasteten Diebstähle von Lederwesten gewerbsmäßig begangen zu haben, als rechtsirrig. Weiters rügt er unter dem Gesichtspunkt einer Urteilsnichtigkeit nach der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO, daß im Ersturteil zum Urteilsfaktum 2./ (Schuldspruch wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs 1 StGB) ein zur Verwirklichung dieses Vergehenstatbestandes erforderlicher spezieller Gebrauchsverhinderungsvorsatz bei Unterdrückung des Reisepasses nicht festgestellt worden sei. Der Schuldspruch zu Punkt 3./ wegen des Vergehens nach den §§ 223 Abs 2, 224 StGB blieb unbekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt nicht durch:

Dem gegen die Annahme der gewerbsmäßigen Begehung der Diebstähle gerichteten Beschwerdevorbringen ist entgegenzuhalten, daß es bei der Gewerbsmäßigkeit entscheidend auf die Tendenz (Absicht) des Täters ankommt, sich durch die wiederkehrende Tatbegehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Eine solche Absicht des Angeklagten wurde aber im angefochtenen Urteil mit denkrichtiger Begründung ausdrücklich als erwiesen angenommen (vgl. S 166 und 167 dA); wird doch darin ausgeführt, daß der damals beschäftigungs- und einkommenslose Angeklagte, der sich in einer ausweglosen finanziellen Lage befand, diese Diebstähle deshalb beging, um sich (aus dem Erlös der Diebsbeute) eine fortlaufende Einnahme zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zu verschaffen. Diese Feststellung konnte das Erstgericht ua auch auf das Eingeständnis des Angeklagten stützen (vgl. S 158 dA), eine Fortsetzung der Warenhausdiebstähle bis zu seiner (allfälligen) Ergreifung in Aussicht genommen zu haben (Ersturteil, S 166 dA). Von einer zur Annahme der gewerbsmäßigen Begehung nicht ausreichenden (bloß) gelegentlichen oder fallweisen Verübung dieser Diebstähle, um zu Geld zu kommen, kann somit aufgrund der Urteilsfeststellungen keine Rede sein. Daß hingegen der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen den Großteil des Erlöses aus den zahlreichen, innerhalb eines Zeitraumes von nahezu zwei Monaten verübten diebischen Zugriffen zur Begleichung von Rückständen für die Wohnungsmiete und nur einen kleineren Teil davon zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes verwendete, steht der in der Beschwerde vertretenen Auffassung zuwider der Annahme der gewerbsmäßigen Tatbegehung nicht entgegen.

Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde war jedoch vom Obersten Gerichtshof gemäß dem § 290 Abs 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen, daß der Schuldspruch des Angeklagten zu Punkt 2./ wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs 1 StGB mit dem nicht geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO behaftet ist:

Nach den diesem Schuldspruch zugrundeliegenden Urteilsannahmen, die sich gleichfalls auf die geständige Verantwortung des Angeklagten stützen konnten (vgl. S 114, 159 und 160 dA), erhielt C*** den Reisepaß des Hans-Peter P*** von einem Bekannten, dessen Namen er nicht nennen wollte, ausgefolgt. Offensichtlich schon bei der Ausfolgung nahm der unbekannt gebliebene Übergeber die Verfälschung des Reisepasses durch Austausch der Lichtbilder und Nachziehen des Stempelabdruckes auf dem neu angebrachten Lichtbild des Angeklagten vor. Der Angeklagte gebrauchte diesen verfälschten Reisepaß in der Folge wiederholt. Wurde aber die Verfälschung schon anläßlich der Übergabe des Reisepasses an den Beschwerdeführer durch den unbekannt gebliebenen Übergeber vorgenommen, kommt ein nach dem § 229 Abs 1 StGB wegen Urkundenunterdrückung strafbares Verhalten des Angeklagten nicht in Betracht. Denn Tatobjekt einer Urkundenunterdrückung kann nur eine Urkunde sein, die in ihrer Beweisfunktion nicht beeinträchtigt, also in ihrem ursprünglichen Bestand unversehrt ist. Dies trifft auf eine bereits verfälschte Urkunde nicht mehr zu, weil eine solche für den (ursprünglich) Berechtigten nicht mehr recte verwendbar ist (vgl. 10 Os 155/79 = EvBl 1981/64, ferner 13 Os 109/80, EvBl 1982/191 und 1986/125; ÖJZ-LSK 1986/4 zu § 229 StGB, 1980/171 zu § 229 Abs 1 StGB ua).

Dem Erstgericht unterlief daher ein Rechtsirrtum, wenn es eine schon bei oder im Zuge der Ausfolgung an den Angeklagten verfälschte Urkunde (vgl. auch die identischen Tatzeiten zu Punkt 2./ und 3./ des Urteilssatzes) als taugliches Objekt einer Urkundenunterdrückung im Sinn des § 229 Abs 1 StGB wertete und den Angeklagten neben dem Vergehen nach den §§ 223 Abs 2, 224 StGB (durch wiederholten Gebrauch der verfälschten öffentlichen Urkunde; vgl. Punkt 3./ des Urteilssatzes) auch des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs 1 StGB (Punkt 2./) schuldig erkannte. Da sich diese Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt, in seiner Nichtigkeitsbeschwerde aber nicht in dieser Richtung argumentiert wird, war sie demnach von Amts wegen gemäß dem § 290 Abs 1 StPO aufzugreifen.

Da schon aus diesem Grund der Schuldspruch des Angeklagten wegen § 229 Abs 1 StGB zu beseitigen ist, war auf das gegen diesen Urteilsteil gerichtete (unbegründete) Beschwerdevorbringen nicht weiter einzugehen.

Es war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen, jedoch aus Anlaß dieser Beschwerde gemäß dem § 290 Abs 1 StPO das Ersturteil, das im übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Schuldspruch zu Punkt 2./ (wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 StGB) und demzufolge auch im Strafausspruch aufzuheben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst zu erkennen, daß der Angeklagte Claudio Emilio C*** von der Anklage wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs 1 StGB gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen und die Strafe wegen der ihm nach dem unberührt bleibenden Teil des Schuldspruchs weiterhin zur Last liegenden Delikte (Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4, 130, erster Fall, StGB sowie Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs 2, 224 StGB) gemäß dem § 130, erster Strafsatz, StGB unter Bedachtnahme auf § 28 StGB neu bemessen wird.

Bei der Neubemessung der Strafe wertete der Oberste Gerichtshof das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen sowie die einschlägigen Vorstrafen als erschwerend und berücksichtigte demgegenüber das Geständnis sowie die wirtschaftlich bedrängte Situation des Angeklagten als mildernd.

Bei Abwägung dieser Strafzumessungsgründe konnte - auch im Hinblick auf den Wegfall eines Deliktes - mit der dem Verschulden und der Täterpersönlichkeit des Angeklagten adäquaten Freiheitsstrafe von neun Monaten das Auslangen gefunden werden. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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