OGH 13Os117/86

OGH13Os117/8616.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Oktober 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider (Berichterstatter), Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Täuber als Schriftführers in der Strafsache gegen Maximinian S*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB. über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichts vom 7. April 1986, AZ. 21 Bs 58/86, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Kodek, des Angeklagten, der Privatbeteiligten Maria B*** und des Verteidigers Dr. Lientscher zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 7. April 1986, AZ. 21 Bs 58/86, verletzt die Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes, des § 80 StGB. sowie der §§ 489 Abs. 1, 468 Abs. 1 Z. 4, 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO.

Dieses Urteil wird aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft St. Pölten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs. 1 Z. 5 und 9 lit. a StPO.) und Schuld aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Einzelrichters des (damaligen) Kreisgerichts (nunmehrigen Landesgerichts) St. Pölten vom 13. Dezember 1985, GZ. 18 E Vr 1146/84-30, wurde der am 3. Mai 1949 geborene Gendarmeriebezirksinspektor Maximinian S*** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 20. August 1984 in Sieghartskirchen dadurch, daß er gegen den durch die gerechtfertigte Abgabe dreier Schüsse aus seiner Dienstpistole bereits sichtlich verletzten Georg B*** aus geringen Entfernungen, nämlich ca. 50 und 30 cm, zwei weitere Schüsse gegen den Bereich der rechten Leisten- und Oberschenkelgegend und die Herzgegend zufügte (gemeint: abgab), aus Furcht das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten und fahrlässig den Tod des Georg B*** herbeigeführt (und er habe hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Tötung nach dem § 80 StGB. begangen), gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.

Nach den wesentlichen Feststellungen dieses Urteils war in Sieghartskirchen vom örtlichen Sportverein ein Volksfest veranstaltet worden, das nach viertägiger Dauer (vgl. dazu auch S. 47) am 19. August 1984 (offiziell) um 24 Uhr zu Ende gegangen war. Gegen 3.45 Uhr (des folgenden Tages) hielten sich im Festzelt immer noch einige Gäste auf, unter ihnen der erheblich alkoholisierte (2,35 %o Blutalkoholgehalt - s. dazu auch S. 387), 25-jährige Fleischhauergehilfe Georg B***, der Gläser zerschlug, sich nicht beruhigen ließ, sodann dem Sportvereinsfunktionär Josef S*** eine Ohrfeige versetzte und weiterhin Kisten, Fässer, Gläser und Flaschen umherwarf. Daraufhin wurde die Gendarmerie um Intervention ersucht. Kurze Zeit später traf der 31-jährige Gendarmeriebeamte Franz E*** im Festzelt ein, wurde von B*** sogleich beschimpft und aufgefordert, zu verschwinden. Als E*** ihn beruhigen wollte, ging B*** auf ihn zu und versetzte ihm mit der linken Hand, in der er ein leeres Bierglas hielt, einen Schlag auf die rechte Halsseite. E*** zog nun den Gummiknüppel und schlug einige Male gegen die Arme des B***, was aber ohne Wirkung blieb, da der 1,86 m große und rund 100 kg schwere B*** dem Gendarmeriebeamten E*** körperlich weit überlegen war. E*** zog sich daher zurück und fuhr auf den Gendarmerieposten, um seinen Kollegen S*** zur Unterstützung zu holen.

Als E*** und S*** knapp nach 4.00 Uhr das Festzelt

betraten, wurde Georg B*** auf ihr Erscheinen aufmerksam gemacht. Er begann sofort auf sie zu schimpfen, warf ein Tablett und ein Bierkrügel auf Maximinian S*** und ging drohend auf die Gendarmeriebeamten zu. S***, der in der linken Hand den Gummiknüppel und in der rechten Hand seine Dienstpistole hielt, forderte B*** auf, stehenzubleiben, ansonsten würde er schießen. Da B*** weiter in drohender Haltung auf S*** zukam, gab dieser etwa vom Zeltrand aus einer Entfernung von mehr als 3 m einen gezielten Schuß in Richtung der Beine des B*** ab und traf ihn in den linken Oberschenkel. Georg B*** stürzte zu Boden und blieb mehrere Sekunden liegen. Dann begann er wieder auf die Gendarmen zu schimpfen und kroch auf sie zu; plötzlich sprang er auf und ging zunächst auf Franz E*** zu, der ihn im Zurückweichen mit dem Gummiknüppel abzuwehren versuchte, worauf ihn Maximinian S***, der inzwischen neuerlich seine Dienstpistole gezogen hatte, aufforderte, stehenzubleiben, ansonsten er schießen müsse. B*** wandte sich nun S*** zu und ging in drohender Haltung in dessen Richtung, wobei er schrie: "Einen von euch werde ich jetzt umbringen." Als B*** weiter auf den ständig zurückweichenden S*** losging, der sich erfolglos mit dem Gummiknüppel wehrte, gab dieser nun einen Schuß aus ca. 2 m ab, den er vor die Beine B*** zielte, der diesen jedoch in den rechten Fuß traf. Da auch dieser Schuß und ein weiterer aus ca. 2 m Entfernung, der den rechten Oberschenkel B*** traf, keine Wirkung zeitigten, gab S*** noch zwei weitere Schüsse gegen den Körper des Georg B***, der schon ganz nahe gekommen war, ab. S*** zielte bei diesen letzten Schüssen nicht genau und hielt die Waffe lediglich in Richtung Unterkörperbereich des B***. Diese beiden Schüsse aus ca. 50 bzw. 30 cm Entfernung in die Leisten- und Oberschenkelgegend bzw. in die linke Brustseite waren tödlich. B*** brach unmittelbar nach dem letzten Schuß zusammen.

Das Erstgericht bejahte das Vorliegen einer Notwehrsituation und hielt - übereinstimmend mit der Anklagebehörde - die Abgabe der ersten drei Schüsse für gerechtfertigte Notwehrhandlungen, da der hartnäckige und offensichtlich ernstgemeinte Angriff des körperlich überlegenen B*** durch händische Abwehr mit dem Gummiknüppel nicht gestoppt werden konnte. Entgegen der Beurteilung im Strafantrag der Anklagebehörde nahm es aber auch hinsichtlich der letzten beiden (tödlichen) Schüsse eine (fahrlässige) Notwehrüberschreitung nicht an, weil der Angriff nicht abgeschlossen war und Maximinian S*** nicht wußte, ob er den Angreifer mit den beiden unmittelbar vorher abgegebenen Schüssen (zwei und drei) überhaupt getroffen hatte. Bei lebensnaher Beurteilung der Situation des angegriffenen Gendarmeriebeamten könnten daher (auch) die beiden letzten Schüsse nicht als Fehlleistung angesehen werden. Das Oberlandesgericht Wien gab mit Entscheidung vom 7.April 1986, 21 Bs 58/86 (ON. 37), der von der Staatsanwaltschaft gegen dieses freisprechende Urteil erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit Folge, hob das angefochtene Urteil auf, erkannte in der Sache selbst und verurteilte Maximinian S*** im Sinne des Strafantrages wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB. zu einer - bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe. Mit ihrer Schuldberufung wurde die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Das Berufungsgericht hielt das freisprechende Ersturteil für nichtig nach § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO. und führte aus, daß auch bei (weiterhin) gegebener Notwehrsituation die Notwehrhandlung nur in der notwendigen (maßhaltenden) Verteidigung bestehen dürfe. Deren Maß sei von einem objektiven ex-ante-Beobachter zu beurteilen. Unter diesem Gesichtspunkt hätte die Zufügung einer geringfügigen Schußverletzung ausgereicht, um Georg B*** kampfunfähig zu machen. Durch dessen Tötung seien die Grenzen der notwendigen Verteidigung überschritten worden. Die aus einem asthenischen Affekt (Furcht) erfolgte objektive Notwehrüberschreitung sei auch fahrlässig erfolgt, weil sich der Angeklagte durch nicht genügende Beherrschung seines Affekts zur Setzung weiterer Abwehrhandlungen hinreißen ließ. Er hätte trotz seiner Gemütsbewegung einsehen können, daß er zu weit geht und die Grenzen seiner Notwehrbefugnis überschreitet. Dazu verwies das Berufungsgericht darauf, daß der Angeklagte nicht allein war, sondern mit einem zweiten Gendarmeriebeamten dem Angreifer gegenüberstand, daß letzterer trotz seiner körperlichen Überlegenheit schwer alkoholisiert und daher zur Führung eines intensiven Angriffs gar nicht in der Lage und überdies bereits durch die vorangegangenen Schüsse schwer verletzt war. Der Angeklagte habe es auch "aus unerfindlichen Gründen" unterlassen, trotz Bewegungsfreiheit dem Angriff des Georg B*** rückwärts oder seitswärts auszuweichen.

Die Generalprokuratur erblickt in dem einleitend zitierten Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 7.April 1986 Gesetzesverletzungen in den Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 sowie des § 80 StGB. und der §§ 489 Abs. 1, 468 Abs. 1 Z. 4, 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO. Sie führt dazu (wörtlich) aus:

"Vorliegend bedarf es keiner weiteren Erörterung, daß für den Angeklagten eine Notwehrsituation gegeben war. Dies haben beide Gerichtsinstanzen zutreffend erkannt und es unterliegt auch tatsächlich keinem Zweifel, daß Georg B*** einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff auf Maximinian S*** führte, als er in drohender Haltung, wobei er schrie, er werde einen der beiden Gedarmen jetzt umbringen, auf ihn losging, nachdem er schon vorher ein Tablett und ein Bierkrügel auf ihn geworfen hatte. Diesen Angriff führte er auf den Gendarmeriebeamten, der seiner Dienstpflicht zufolge über Ersuchen der durch die fortgesetzten Sachbeschädigungen in ihrem Eigentumsrecht verletzten und darüber hinaus durch die Gefahr weiteren Schadens darin bedrohten Veranstalter des Festes am Tatort erschienen war, nachdem bereits vorher die Intervention des Gendarmeriebeamten E*** keinen Erfolg gehabt hatte, weil die körperliche Überlegenheit B*** auch durch den Einsatz des Gummiknüppels nicht zu beseitigen war. Somit lag die erste Voraussetzung rechtfertigender Notwehr, nämlich eine Notwehrsituation, vor, und zwar auch noch, wie zur Klarstellung hervorzuheben ist, bei Abgabe der beiden letzten, inkriminierten Schüsse, dauerte der Angriff des Georg B*** doch auch zu diesem Zeitpunkt noch an.

In einer Notwehrsituation darf der Angegriffene sich zur Abwehr des Angriffs der 'notwendigen Verteidigung' bedienen (§ 3 Abs. 1

1. Satz StGB. - die Frage der 'Angemessenheit' der Verteidigung stellt sich nur im Zusammenhang mit dem vorliegend nicht aktuellen Fall des 2. Satzes dieser Gesetzesstelle). Notwendig ist nach der insoweit übereinstimmenden Lehre und Rechtsprechung 'jene Verteidigung, die unter den verfügbaren Mitteln das schonendste (Mittel) darstellt, um den Angriff sofort und endgültig abzuwehren' (treffend Kienapfel AT. Z. 11 RN. 13). Beide Gerichtsinstanzen gingen vorliegend übereinstimmend mit der Anklagebehörde davon aus, daß bei dem gegebenen Kräfteverhältnis und der Wirkungslosigkeit der mindergefährlichen Waffe (Gummiknüppel) der Einsatz der Schußwaffe grundsätzlich zur Verteidigung notwendig war. Dem ist durchaus zuzustimmen.

Rechtliche Beurteilung

Die Notwendigkeit einer Verteidigungshandlung ist ex ante aus der Sicht des Angegriffenen (unter Beachtung objektiver Kriterien) zu beurteilen (LSK. 1981/65 = JBl. 1981, 444; RZ. 1984/71) und nicht nach dem letztlich eingetretenen (Verletzungs-)Erfolg, wie dies das Berufungsgericht zu vermeinen scheint. Die Tötung eines Angreifers wäre sonst nur in ganz seltenen Ausnahmefällen gerechtfertigt, ist doch der Eintritt des Todes zur Abwehr eines Angriffs in aller Regel nicht notwendig, weil schon die Herbeiführung der Kampfunfähigkeit des Angreifers genügen wird. Davon abgesehen handelt es sich aber im vorliegenden Fall gar nicht um eine gewollte Tötung des Angreifers durch den Angegriffenen. Maximinian S*** hat seine Waffe nach den Urteilsannahmen vielmehr gegen den unteren Körperbereich des Angreifers gehalten, wobei der letzte Schuß nur deshalb dessen linke Brustseite traf, weil (wie aus dem gerichtsmedizinischen Gutachten S. 349 zu ergänzen ist) Georg B*** bei dessen Auftreffen sich nicht mehr in aufrechter Haltung befand, sondern bereits zusammenbrach. Die entscheidende Fragestellung hat daher in Wahrheit nicht zu lauten, ob die Tötung des Angreifers, sondern ob die Abgabe auch der beiden letzten Schüsse auf ihn notwendige Verteidigung war. Diese Frage aber ist zu bejahen, denn es ist nicht einzusehen, warum der Angeklagte seine, auch nach Meinung des Berufungsgerichtes, gerechtfertigte Verteidigung nach Abgabe des vierten Schusses, der noch immer nicht den weiter andauernden Angriff zu beenden vermocht hatte, abbrechen und nun dem Angriff ausweichen hätte sollen. Die Wurzel dieses nicht leicht verständlichen - lebensfremden (LSK. 1981/66) - Verlangens der Anklagebehörde und der Entscheidung des Berufungsgerichtes ist offenbar, daß diese beiden letzten Schüsse unglücklicherweise zum Tod des Angreifers führten. Dem käme aber nach Lage des Falles nur dann Bedeutung zu, wenn sich Anhaltspunkte für einen Tötungsvorsatz des Angeklagten bei Abgabe dieser Schüsse herausgestellt hätten, was nach den Tatsachenfeststellungen, von denen das Berufungsgericht auszugehen hatte, nicht der Fall war.

Für die - inkonsequenterweise vom Oberlandesgericht erst für die Situation des Angeklagten nach Ausbleiben einer erkennbaren Wirkung der vorangegangenen Schüsse angenommene - Ausweichpflicht des Angegriffenen gibt es überhaupt keine Rechtsgrundlage. Diese ersichtlich aus einigen vereinzelt gebliebenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs abgeleitete Rechtsmeinung, die vom Höchstgericht nicht mehr vertreten wird (siehe LSK. 1985/57 = EvBl. 1986/15), wurde in der Lehre durchwegs abgelehnt (vgl. Nowakowski Wiener Kommentar RN. 10 zu § 3; Fuchs StPG VIII, 19 ff., Steininger StGB. 2 , RN. 87 zu § 3 und ÖJZ. 1980, 225 ff., insbesondere 231). Es ist vielmehr davon auszugehen, daß der bei Erfüllung seiner Dienstpflicht angegriffene Gendarmeriebeamte, der sich übrigens ohnedies aus dem Festzelt zurückgezogen hatte, zu (weiterem) Ausweichen nicht verpflichtet war. Maximinian S*** durfte nicht nur gemäß § 2 Z. 1 bis 3 WaffengebrauchsG. 1969 überhaupt von Dienstwaffen Gebrauch machen; gemäß § 7 leg. cit. war auch der mit Lebensgefährdung verbundene Gebrauch der Schußwaffe zulässig, und zwar jedenfalls nach dessen Z. 1, sodaß die hier erörterte Frage der Notwehr mittelbar für den unmittelbar nach dem WaffengebrauchsG. zu beurteilenden Gebrauch der Schußwaffe durch den Gendarmeriebeamten bedeutsam ist. Eine weitere Rechtfertigung nach der Z. 3 des § 7 WaffengebrauchsG. 1969 kann nur insoferne zweifelhaft sein, als nicht festgestellt ist, ob Georg B*** nach seinem Verhalten als ein für die Sicherheit des Staates, der Person und des Eigentums allgemein gefährlicher Mensch gekennzeichnet war; jedenfalls war er auf Grund seines vorangegangenen Verhaltens gegen Franz E*** des mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren bedrohten, nur vorsätzlich zu begehenden Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB. dringend verdächtig, so daß insoweit bei Bejahung der vorher genannten weiteren Voraussetzung der Waffengebrauch auch nach dieser im Verfahren bisher unbeachtet gebliebenen Gesetzesstelle gerechtfertigt sein könnte. Die Notwendigkeit der Verteidigung des Maximinian S*** wurde entgegen der Meinung des Oberlandesgerichtes Wien auch durch die Alkoholisierung des Angreifers nicht beseitigt (vgl. hiezu auch EvBl. 1986/42). Abgesehen davon, daß ein Blutalkoholgehalt von 2,35 %o nach allgemeiner forensicher Erfahrung keineswegs an die Grenzen der Volltrunkenheit heranreicht, sondern nur eine mittelstarke Alkoholisierung vermuten läßt, wird dadurch in aller Regel die Gefährlichkeit eines Angreifers nicht gemindert, sondern im Gegenteil wegen der regelmäßig eintretenden Enthemmung noch gesteigert. Die Gefährlichkeit des Angreifers war auch durch die schon eingetretene Verwundung bei Beurteilung ex ante aus Sicht des Angegriffenen keineswegs aufgehoben, weil Maximinian S*** nach den Urteilsfeststellungen nicht einmal wußte, ob die Schüsse zwei und drei überhaupt getroffen hatten, wozu kommt, daß die Verwundung des Georg B*** durch den ersten Schuß diesen an dem mit sogar vermehrter Wut vorgetragenen neuerlichen Angriff nicht hinderte. In Wahrheit war daher auch die Abgabe der beiden letzten Schüsse als notwendige Verteidigung gerechtfertigt, so daß ungeachtet des eingetretenen Todes des Angreifers von einem Notwehrexzess keine Rede sein kann. Damit entfällt aber die Prüfung der Frage, ob den Angeklagten an der Tötung des Angreifers Fahrlässigkeitsschuld trifft.

Nur der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien auch in der Bejahung dieser letzten Frage das Gesetz verletzt, und zwar in formeller Beziehung in den Bestimmungen der §§ 489 Abs. 1, 468 Abs. 1 Z. 4, 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO.: Bei Erledigung der Rechtsrüge ist nämlich von den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils auszugehen. Diese aber bieten für die subjektive Seite der Fahrlässigkeit keinerlei Beurteilungsgrundlage. Es ist daher unerfindlich, wie das Berufungsgericht ungeachtet der insofern völlig fehlenden Feststellungen des Ersturteils ohne Beweiswiederholung (§ 473 StPO.) zur Bejahung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit, der subjektiven Vorhersehbarkeit des eingetretenen Erfolges und der Zumutbarkeit anderen, rechtmäßigen Verhaltens für den Angeklagten gelangen konnte. Eine Überschreitung der Grenzen notwendiger Verteidigung führt nämlich zwar bei sogenannten sthenischen Affekten (wie Zorn, Rache etc.) zur Bestrafung wegen der Vorsatztat, bei einem der hier angenommenen asthenischen Affekte aber nicht ohne weiteres zu einem Schuldspruch wegen Fahrlässigkeit. Ein solcher Schuldspruch kann vielmehr nur erfolgen, 'wenn die Überschreitung auf Fahrlässigkeit beruht' (§ 3 Abs. 2 StGB.), somit alle Voraussetzungen gerichtlicher Strafbarkeit in Ansehung des (im vorliegenden Fall) zu prüfenden Tatbestandes des § 80 StGB. in subjektiver und objektiver Beziehung sowie hinsichtlich der Schuld des Angeklagten erfüllt sind. Angesichts der jedenfalls sehr bedrängten Situation des Gendarmeriebeamten S***, der zur Nachtzeit einem ihm körperlich weit überlegenen, durch Alkoholisierung unberechenbaren Angreifer gegenüberstand, von dem ihn begleitenden Beamten keine wirksame Unterstützung erhielt und mehrere Schüsse abgab, ohne die erwartete Wirkung zu erzielen, wäre dessen persönliche Schuld auch dann sehr zweifelhaft, wenn eine Notwehrüberschreitung angenommen würde. Zur Beurteilung dieser Schuld wären jedenfalls zusätzliche Entscheidungskriterien erforderlich gewesen. Um diese herzustellen, wäre die Vernehmung des Angeklagten unerläßlich gewesen, von dessen persönlicher Artung sich das Berufungsgericht kein Bild gemacht hat, ferner die Einvernahme der Tatzeugen und die Einholung von Sachverständigengutachten, und zwar einerseits eines Gerichtsmediziners zur Frage des Erscheinungsbildes des Angreifers nach den abgegebenen, nicht inkriminierten Schüssen (Erkennbarkeit der eingetretenen Verletzungen; Möglichkeit weiteren heftigen Vordringens trotz dieser Beeinträchtigung) sowie andererseits eines schießtechnischen Sachverständigen zur Frage der Schnelligkeit der Schußfolge und damit der Möglichkeit des Angeklagten, sein Vorgehen zu überlegen und seine Abwehr (angreiferschonend) zu 'dosieren' (vgl. EvBl. 1983/134).

Das Berufungsgericht irrte daher in der rechtlichen Beurteilung der Notwendigkeit der Verteidigungshandlung (und verletzte insoferne das Gesetz in der Bestimmung des § 3 Abs. 1 StGB.) sowie auch bei der Bejahung fahrlässiger Überschreitung der Grenzen der notwendigen Verteidigung (§§ 3 Abs. 2; 80 StGB.) ohne tatsächliche Entscheidungsgrundlage (s. LSK. 1979/62). Auf der Grundlage der von ihm ohne Prüfung der Mängelrüge (Z. 5) übernommenen Feststellungen des Ersturteils erweist sich der Schuldspruch durch das Berufungsgericht mithin als rechtsirrig, weshalb dieses Urteil aufzuheben wäre.

Das Oberlandesgericht Wien hat, von seinem (verfehlten) Rechtsstandpunkt ausgehend 'folgerichtig', in seinem Erkenntnis über die Berufung der Staatsanwaltschaft aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. sowie puncto Schuld nicht entschieden. Diese weitere Entscheidung über die insoweit unerledigte Berufung der Anklagebehörde, aber auch die neuerliche Sachentscheidung über die Berufung aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO. (unter Beachtung des Bindungsgebotes des § 293 Abs. 2 StPO.) (vgl. EvBl. 1970/242 a.E.) wäre ihm nunmehr aufzutragen."

Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:

Sowohl die Anklagebehörde als auch der Einzelrichter und das Berufungsgericht prüften diesen Straffall ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Rechtfertigungsgrunds der Notwehr (§ 3 Abs. 1 StGB.) und deren allfälliger schuldhafter Überschreitung (§ 3 Abs. 2 StGB.), ohne auch nur zu erwähnen, daß für den Waffengebrauch von Exekutivbeamten in Ausübung ihrer Amts- und Dienstpflicht durch das Waffengebrauchsgesetz 1969, BGBl. 1969/149, in der Fassung des Strafrechtsänderungsgesetzes BGBl. 1974/422 (kurz WaffGebrG.), eine spezielle Regelung geschaffen wurde, die im Vergleich zum Notwehrrecht privater Personen durch Einsatz einer Waffe teilweise weitere, hinsichtlich des lebensgefährlichen Waffengebrauchs aber engere Befugnisse der Exekutivbeamten statuierte (vgl. Nowakowski im WK. Nachbem. zu § 3 StGB. Rz. 24 bis 26).

Nach den vorliegenden - mit der Nichtigkeits- und Schuldberufung der Staatsanwaltschaft aber bekämpften - wesentlichen Feststellungen wurde der Angeklagte von einem Kollegen zur Unterstützung herangeholt, weil er allein mit dem in einem Festzelt randalierenden, sichtlich alkoholisierten Georg B*** nicht zu Rande kam. Der in Ausübung seiner dienstlichen Verpflichtungen einschreitende Maximinian S*** konnte aber weder durch mündliche Abmahnung, noch durch Androhung des Waffengebrauchs, noch durch Gebrauch des Gummiknüppels, noch durch Abgabe zweier Schüsse gegen die Beine des Angreifers dessen Aggressivität eindämmen. Als Georg B*** unter Morddrohungen weiter auf die zurückweichenden Gendarmeriebeamten losging, gab der Angeklagte weitere zwei ungezielte Schüsse gegen B*** ab, die tödlich waren (S. 473). Ein derartiger Waffengebrauch im Rahmen polizeilicher Zwangsbefugnisse ist ausschließlich nach den einen solchen regelnden Bestimmungen des WaffGebrG. (siehe dessen § 1) zu beurteilen. Dabei hat sich die Zulässigkeit des Waffengebrauchs an § 2 WaffGebrG. in Verbindung mit § 4 leg. cit. zu orientieren. Die Wahl der Waffe (§ 3 leg. cit.) und die Grenzen der Zulässigkeit des Waffengebrauchs richten sich nach den §§ 5 und 6 leg. cit., der lebensgefährdende Waffengebrauch wird als ultima ratio speziell im § 7 leg. cit geregelt.

Bei einem nach dem WaffGebrG. zu beurteilenden Vorgang ist daher die allgemeine Vorschrift über die Notwehr, wie sie im § 3 StGB. ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, nicht unmittelbar heranzuziehen. Sie liefert vielmehr nur dort, wo im WaffGebrG. ausdrücklich auf "gerechte Notwehr" Bezug genommen wird (§§ 2 Z. 1 und 7 Z. 1 leg.cit.), die erforderliche Legaldefinition zur Umschreibung dieses Rechtsbegriffs.

Bei der gegebenen Fallkonstellation wäre aber auch die Rechtfertigung des lebensgefährdenden Waffengebrauchs nach der Bestimmung des § 7 Z. 3 WaffGebrG zu erwägen, weil sich Georg B*** den einschreitenden Gendarmeriebeamten gegenüber im Hinblick auf die durch Morddrohungen angestrebte Verhinderung der Amtshandlung (§ 106 Abs. 1 Z. 1 StGB.) des Verbrechens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1, zweiter Strafsatz, StGB. schuldig gemacht haben könnte.

Es zeigt sich somit, daß das Berufungsgericht durch die ihm unterlaufene unrichtige rechtliche Subsumtion des Sachverhalts unter den hier nicht zur Anwendung gelangenden Tatbestand der Notwehrüberschreitung nach § 3 Abs. 2 StGB. die Berufung der Staatsanwaltschaft weder richtig (§ 477 Abs. 1 StPO.) noch vollständig geprüft hat, weshalb die Erneuerung des Rechtsmittelverfahrens unter Zugrundelegung des vorstehend angeführten, aus dem WaffGebrG zu schöpfenden Rechtfertigungsgrunds anzuordnen war.

Hiebei wird das Berufungsgericht die Vorschriften des von § 489 Abs. 1 StPO. umfaßten § 473 (Abs. 1 und 2) StPO. mit besonderer Gewissenhaftigkeit zu beachten haben. Im Falle einer Beschlußfassung auf Beweiswiederholung (und -ergänzung) entfällt die Anwendbarkeit des § 470 Z. 3 StPO. (i.V.m. § 489 Abs. 1 StPO.).

Im gegebenen Zusammenhang ist im Sinn der (insoweit) zutreffenden Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes festzuhalten, daß das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht bei seiner Urteilsfällung in der vorliegenden Strafsache ohne entsprechende, vom Erstgericht getroffene oder im Berufungsverfahren (durch Beweiswiederholung und -ergänzung) gewonnene Sachverhaltsfeststellungen eine rechtliche Beurteilung der subjektiven Tatseite vornahm. Damit erledigte das Oberlandesgericht die im Rahmen der Berufung wegen Nichtigkeit erhobene Rechtsrüge, ohne von den Konstatierungen des angefochtenen Urteils oder von - durch Beweiswiederholung und -ergänzung (§ 473 StPO.) - selbst getroffenen Sachverhaltsfeststellungen auszugehen bzw. (mangels Beweiswiederholung) ausgehen zu können.

Dadurch verletzte das Berufungsgericht die Bestimmungen der §§ 489 Abs. 1, 468 Abs. 1 Z. 4, 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO. Aus den aufgezeigten Erwägungen war der Beschwerde ein Erfolg zuzuerkennen und spruchgemäß zu entscheiden.

Die urteilsmäßige Aufhebung auch der auf dem (nunmehr kassierten) Urteil des Oberlandesgerichts Wien beruhenden Beschlüsse, Anordnungen und Verfügungen des Erstgerichts, insbesondere der Endverfügung vom 7.Mai 1986 einschließlich der darin enthaltenen Verständigung des Strafregisteramts, des Ergänzungskommandos und der Dienstbehörde des Angeklagten sowie der Bestimmung der Pauschalkosten konnte allerdings - als überflüssig - unterbleiben (siehe EvBl. 1984 Nr. 147; 13 Os 59/84; 13 Os 158/84, 13 Os 180/85).

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