OGH 6Ob655/86

OGH6Ob655/8616.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Hule und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edeltraud Renate H***, Hauseigentümerin, Graz, Dietrichsteinplatz 12, vertreten durch Dr. Gerald Kleinschuster und Dr. Hans Günther Medwed, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Z*** UND K*** W***, 1030 Wien, Vordere

Zollamtstraße 13, vertreten durch Dr. Hans Frieders, Dr. Haimo Puschner, Dr. Christian Tassul und Dr. Georg Frieders, Rechtsanwälte in Wien, wegen 378.000 S samt Nebenforderungen, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Rekursgerichtes vom 18. Juli 1986, GZ. 3 R 198/86-12, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 25. April 1986, GZ. 24 C 64/86-6, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird insoweit zurückgewiesen, als er sich gegen die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit richtet.

Im übrigen wird dem Revisionsrekurs stattgegeben. Die angefochtene Rekursentscheidung wird insoweit, als der erstinstanzliche Beschluß in Ansehung der örtlichen Zuständigkeit abgeändert wurde, als nichtig aufgehoben. Der Rekurs der Klägerin gegen den erstinstanzlichen Beschluß wird in diesem Umfang zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Unzuständigkeitseinreden lautet danach insgesamt:

Die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit wird verworfen. Der Einrede der örtlichen Unzuständigkeit wird stattgegeben. Die Rechtssache wird an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Innere Stadt Wien überwiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 10.396,65 S bestimmten Kosten des Rekurses (darin enthalten an Umsatzsteuer 945,15 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 12.466,85 S bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten an Umsatzsteuer 1.133,35 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die beklagte Partei ist eine Wiener Bank. Die Klägerin hat ihr Räume ihres Grazer Hauses zum Betrieb einer Bankfiliale vermietet. Sie gestattete der Mieterin umfangreiche Umbauten des Bestandgegenstandes, bedingte sich aber in diesem Zusammenhang die Erbringung von Bauleistungen aus, die nicht das Bestandobjekt betreffen und im ausschließlichen wirtschaftlichen Interesse der Klägerin selbst liegen.

Die Klägerin behauptete einen Mietzinsentgang aus einem von der Beklagten zu verantwortenden Verzug mit den zugesagten Bauleistungen und bezifferte ihr Schadenersatzbegehren mit 378.000 S. Die Klägerin brachte diese Schadenersatzklage gegen ihre Mieterin beim Bezirksgericht für ZRS Graz ein. Dabei machte sie einerseits die bezirksgerichtliche Eigenzuständigkeit nach § 49 Abs. 2 Z 5 JN und andererseits den Gerichtsstand für Bestandstreitigkeiten nach § 83 JN geltend; die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes stützte die Klägerin im übrigen auch auf die Gerichtsstände der Niederlassung nach § 87 JN, der Schadenszufügung nach § 92 a JN und des Vermögens nach § 99 JN. Die Beklagte meldete in der ersten Tagsatzung die Einreden der örtlichen und der sachlichen Unzuständigkeit an. Die Klägerin stellte hierauf einen Überweisungsantrag. Nach dem Inhalt des Tagsatzungsprotokolles lautete dieser Antrag lediglich: "Für den Fall der Stattgebung beantragt kl. Partei die Überweisung an das offenbar nicht unzuständige Gericht." Das Erstgericht beraumte eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung für den 17. April 1986 an, ohne einen formellen Beschluß auf abgesonderte Verhandlung über die Prozeßeinreden im Sinne des § 189 Abs. 2 ZPO zu fassen, verfügte aber, auf den Ladungen der Parteienvertreter beizufügen: "Thema:

Unzuständigkeitseinreden der Beklagten". Nach der Niederschrift über die am 17. April 1986 abgehaltene Tagsatzung trugen die Parteien im Sinne von Klage und vorbereitetem Schriftsatz ohne Einschränkung, also auch zur Sache selbst vor. Der Verhandlungsrichter beschränkte sich allerdings darauf, der Klägerin die Vorlage der Mietverträge und weiterer Urkunden aufzutragen, und verkündete, daß er die Beschlußfassung über die Unzuständigkeitseinreden vorbehalte. Die Klägerin legte die von ihr geforderten Urkunden mit einem Schriftsatz vor, in dem sie zur Zuständigkeit wörtlich ausführte:

"Hingewiesen wird auf den in der 1. Tagsatzung für den Fall der Stattgebung der Unzuständigkeitseinreden bereits gestellten Antrag, die Klage an die offenbar nicht unzuständigen Gerichte LG f ZRS Graz bei Bejahung der örtlichen und Verneinung der sachlichen Zuständigkeit oder BG Innere Stadt Wien bei Bejahung der sachlichen, aber Verneinung der örtlichen Unzuständigkeit und LG f ZRS Wien im Falle der Bejahung der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit zu überweisen."

Nach dem Einlangen dieses Schriftsatzes fällte das Erstgericht seine Entscheidung über die Unzuständigkeitseinreden. Der Spruch dieses Beschlusses lautet:

"Die am 28.2.1986 zu 24 C 64/86 eingebrachte Klage wird wegen sachlicher und örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes zurückgewiesen und an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien überwiesen."

Die Klägerin erhob gegen diese Entscheidung Rekurs mit dem Abänderungsantrag auf Verwerfung der Unzuständigkeitseinreden. Sie erklärte in ihren Rechtsmittelausführungen zwar ausdrücklich, daß die Prozeßüberweisung "über meinen gem. § 261 Abs. 6 gestellten Antrag" ergangen wäre, nahm aber zu dem in dieser Gesetzesstelle angeordneten Rekursausschluß nicht Stellung.

Die Beklagte erstattete eine Rekursbeantwortung und machte dabei die Unzulässigkeit des Rekurses im Sinne des § 261 Abs. 6 ZPO geltend.

Das Rekursgericht gab dem gegen den Prozeßüberweisungsbeschluß erhobenen Rekurs statt und änderte ihn im Sinne einer Verwerfung der beiden Unzuständigkeitseinreden ab. Es befand den Rechtsmittelausschluß nach § 261 Abs. 6 ZPO deshalb für unanwendbar, weil eine Anfechtbarkeit im Sinne des § 45 JN gegeben wäre. In der Sache wertete das Rekursgericht den Rechtsstreit als Bestandstreitigkeit im Sinne des § 49 Abs. 2 Z 5 JN. Die Beklagte ficht die abändernde Rekursentscheidung mit dem Abänderungsantrag auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Überweisungsbeschlusses an. Mit den Rechtsmittelausführungen versucht sie nicht die sachliche Beurteilung der Zuständigkeitsfrage durch die zweite Instanz in Zweifel zu ziehen, sondern bestreitet ausschließlich die Zulässigkeit des von der Klägerin gegen den erstinstanzlichen Prozeßüberweisungsbeschluß erhobenen Rekurses. Der Sache nach wirft die Beklagte dem Rekursgericht daher einen Verstoß gegen die formelle Rechtskraft des erstinstanzlichen Überweisungsbeschlusses vor.

Die Klägerin erstattete eine Rekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Zur Rechtsmittelzulässigkeit ist zu erwägen:

Soweit sich das Rechtsmittel gegen die rekursgerichtliche Abänderung des erstinstanzlichen Prozeßüberweisungsbeschlusses im Sinne einer Verwerfung der Einrede der örtlichen Unzuständigkeit richtet, ist der Rekurs zulässig; ihm steht in diesem Umfang kein Rekursausschluß nach § 528 Abs. 1 ZPO entgegen, der Wert des Beschwerdegegenstandes, über den das Rekursgericht entschieden hat, überstieg den im § 502 Abs. 4 Z 2 ZPO genannten Betrag, so daß ein positives Anfechtungserfordernis im Sinne des § 528 Abs. 2 ZPO gegeben ist. Eine besondere Anfechtungsbeschränkung im Sinne des § 261 Abs. 1 und 3 ZPO kann nicht vorliegen, weil das Erstgericht seine Unzuständigkeit ausgesprochen hat und eine darüber ergehende Rekursentscheidung als Rechtsmittelentscheidung keinesfalls in die erstinstanzliche Sachentscheidung aufgenommen werden konnte. § 45 JN hat ausschließlich Fälle der sachlichen Zuständigkeit zum Regelungsinhalt. Diese Norm beschränkt die Anfechtbarkeit von Entscheidungen über die örtliche Zuständigkeit nicht. Soweit das Rekursgericht in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit verworfen hat, ist also der Rekurs zulässig.

Die zweitinstanzliche Verwerfung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit ist aber eine nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidung, mit der die bezirksgerichtliche Eigenzuständigkeit des mit der Klage angerufenen Gerichtes bejaht wurde. Eine solche Entscheidung ist nach dem ersten Satz des § 45 JN unanfechtbar. Daß die Bejahung der sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes erst durch die Rechtsmittelentscheidung erfolgte, ändert nichts an dem an den sachlichen Inhalt der Entscheidung anknüpfenden Rechtsmittelausschluß (vgl. SZ 39/205 ua.). In Ansehung der sachlichen Unzuständigkeit ist die abändernde Rekursentscheidung - ungeachtet der ihr angelasteten und auch tatsächlich anhaftenden Mängel - gemäß § 45 Satz 1 JN unanfechtbar. In diesem Umfang war der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

Soweit das Rechtsmittel in Ansehung der örtlichen Zuständigkeit zulässig ist, ist es auch berechtigt.

Das Rekursgericht hat über ein gemäß § 261 Abs. 6 ZPO ausgeschlossenes Rechtsmittel sachlich entschieden und damit gegen die Rechtskraft des erstinstanzlichen Prozeßüberweisungsbeschlusses verstoßen. Die angefochtene Rekursentscheidung ist insoweit nichtig. Entgegen der zweitinstanzlichen Ansicht vermag die Regel des durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 neu gefaßten § 45 JN die Anwendbarkeit des Rekursausschlusses nach § 261 Abs. 6 Satz 5 ZPO nicht zu beschränken. Diese Regelung knüpft wesentlich an den vom Kläger selbst für den Fall gestellten Eventualantrag an, daß das Gericht den Standpunkt des Klägers in der Zuständigkeitsfrage nicht teilen sollte, dem Eventualantrag auf Prozeßüberweisung aber stattgibt. In einem solchen Fall soll die Beurteilung der - verneinten - Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes nicht weiter im Rechtsmittelverfahren überprüft werden können. Die im § 45 JN normierten Rechtsmittelbeschränkungen knüpfen an den Inhalt der Zuständigkeitsentscheidungen an und verwehren nach einer Abwägung der typischerweise vorliegenden Interessen der durch die Zuständigkeitsentscheidung betroffenen Prozeßpartei ein Anfechtungsrecht unabhängig davon, welche Prozeßerklärung sie vorweg für den Fall abgegeben hat, daß das Gericht den von ihr eingenommenen Standpunkt zur sachlichen Zuständigkeit nicht teilen sollte. Die beiden Anfechtungsbeschränkungen bestehen grundsätzlich nebeneinander. Im Falle des § 261 Abs. 6 ZPO kann aber die Regelung nach § 45 JN nicht zum Tragen kommen, weil in Ansehung der örtlichen Zuständigkeit § 45 JN überhaupt keine Anordnung trifft, eine Bejahung der sachlichen Zuständigkeit mit der im § 261 Abs. 6 ZPO vorausgesetzten Verneinung der eigenen Zuständigkeit durch das angerufene Gericht im Widerspruch steht und die vom Gesetzgeber im § 45 JN typischerweise angenommene Zumutbarkeit, den Rechtsstreit vor einem anderen Gericht zu führen, im Falle des § 261 Abs. 6 ZPO durch die im Prozeßüberweisungsantrag konkret erklärte Bereitschaft ersetzt wird und damit gegenstandslos erscheint. Nach richtigem Verständnis des Verhältnisses der beiden Gesetzesbestimmungen vermag § 45 JN den Rekursausschluß nach § 261 Abs. 6 Satz 5 ZPO in keiner Weise einzuschränken.

Das Rekursgericht hat ebenso wie die Parteien die Voraussetzungen für eine Prozeßüberweisung nach § 261 Abs. 6 ZPO als gegeben angenommen. Der in der ersten Tagsatzung gestellte Überweisungsantrag wäre allerdings in seiner protokollierten Form mangels Benennung des Gerichtes, an das im jeweiligen Entscheidungsfall über die Unzuständigkeitseinreden überwiesen werden sollte, unwirksam gewesen. Nach dem Schriftsatzvorbringen der Klägerin sei aber ihr Überweisungsantrag auch in diesem wesentlichen Punkt ausgeführt gewesen und nur unvollständig protokolliert worden. Es kann im gegebenen Zusammenhang dahingestellt bleiben, wie der in der ersten Tagsatzung gestellte Überweisungsantrag der Klägerin tatsächlich gelautet hat. Die Klägerin hat jedenfalls mit ihrem Schriftsatz einen Überweisungsantrag gestellt und diesem hat das Erstgericht auch entsprochen. § 261 ZPO wird allerdings dahin ausgelegt, daß auch über einen Überweisungsantrag nach Abs. 6 mündlich verhandelt werden müsse und daher ein nach Schluß der Verhandlung über die vom Beklagten mit Prozeßeinrede bestrittene oder vom Gericht von Amts wegen in Erörterung gezogene Zuständigkeit schriftlich gestellter Überweisungsantrag verspätet und unbeachtlich wäre (JBl. 1958, 20 ua.). Die Klägerin kann aber keinesfalls die Zulässigkeit ihres Rekurses gegen den Prozeßüberweisungsbeschluß aus einer damit begründeten Unanwendbarkeit des § 261 Abs. 6 ZPO ableiten, daß das Prozeßgericht ihrem Überweisungsantrag bei richtiger Anwendung der Bestimmung gar nicht hätte stattgeben dürfen. Auch daß die Klägerin in Vernachlässigung der Vorschriften über die handelsgerichtliche Kausalgerichtsbarkeit die Überweisung an ein offenbar unzuständiges Gericht beantragt hat, ist für die Anwendung des Rechtsmittelausschlusses auf jenen Überweisungsbeschluß, mit dem dem Überweisungsantrag dennoch stattgegeben wurde, unerheblich (7 Ob 653/83 ua.).

Dem Revisionsrekurs war daher insoweit stattzugeben, daß die Abänderung des erstinstanzlichen Ausspruches über die örtliche Unzuständigkeit im Sinne einer Verwerfung der diesbezüglichen Unzuständigkeitseinrede als nichtig aufzuheben und der Rekurs der Klägerin in diesem Umfang zurückzuweisen war.

Die Unanfechtbarkeit der Rekursentscheidung in Ansehung der sachlichen Unzuständigkeit zwingt zu einer Abänderung des Überweisungsausspruches in dem Sinn, daß die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu überweisen ist.

Nach diesem letztlich vorliegenden Ergebnis des Zuständigkeitsstreites drang die Klägerin mit ihrem Standpunkt hinsichtlich der sachlichen, die Beklagte dagegen mit ihrem Standpunkt zur örtlichen Zuständigkeit durch. Erstinstanzliche Kosten des Zuständigkeitsstreites hat nur die Beklagte verzeichnet, sie hat aber das Unterbleiben eines Kostenausspruches im erstrichterlichen Überweisungsbeschluß nicht angefochten. Das Rekursverfahren war mangels Vorliegens eines im § 521 a Abs. 1 ZPO genannten Falles einseitig, die jeweiligen Rekursbeantwortungen waren daher unbeachtlich, für sie kann schon aus diesem Grunde kein Kostenersatz gebühren. War aber das Rekursverfahren einseitig, gereicht die Tatsache des bloßen Teilerfolges dem jeweiligen Rechtsmittelwerber kostenmäßig nicht zum Nachteil. Daher hat es im Kostenpunkt bei der angefochtenen Rekursentscheidung zu verbleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte