OGH 7Ob657/86

OGH7Ob657/862.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Manfred L***, geboren am 19. Mai 1976, infolge der Revisionsrekurse der väterlichen Großmutter Antonia L***, Hausfrau, Saalfelden, Almerstraße 2, und der Tante Friederike H***, Hausfrau, Politzen 40, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 9. Juli 1986, GZ. 2 R 309/86-62, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 10. März 1986, GZ. P 518/82-58, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der Friederike H*** wird zurückgewiesen. Dem Revisionsrekurs der Antonia L*** wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 7. Juli 1978, 10 Cg 236/78-13, geschieden. Eine Vereinbarung zwischen den Eltern darüber, welchem Elternteil die Elternrechte zustehen sollen, wurde nicht getroffen. Eine gerichtliche Entscheidung darüber wurde bisher nicht gefällt. Der Minderjährige befindet sich in Pflege der Schwester des Vaters, Friederike H***, die auch zum besonderen Sachwalter zur Hereinbringung des Unterhaltes bestellt wurde (ON 20). Friederike H*** beantragte, den Eltern die Erziehungsrechte zu entziehen und sie zum Vormund für den Minderjährigen zu bestellen, weil beide Elternteile kein Interesse an der Pflege und Erziehung des Kindes hätten (AS 123).

Das Erstgericht entzog den Eltern alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und bestellte Friederike H*** zum Vormund des Minderjährigen. Nach seinen Feststellungen lebt der Minderjährige seit seinem 3. Lebensmonat bei der Schwester seines Vaters, Friederike H***. Diese kommt gemeinsam mit ihrem Ehemann auch für den Unterhalt des Kindes auf. Der Minderjährige wird von seiner Tante und ihrem Ehemann sehr gut betreut. Der ältere Sohn der geschiedenen Ehegatten, Hubert, geboren am 22. Mai 1975, befindet sich in Pflege und Erziehung der väterlichen Großmutter Antonia L***. Die Eltern leben bereits seit mehreren Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Der Vater Hubert L*** ist zur Übernahme der elterlichen Rechte und Pflchten nicht bereit und dazu auch nicht in der Lage. Er leistete auch bisher für den mj. Manfred kaum Unterhalt und leitete die von ihm für den Minderjährigen bezogene Familienbeihilfe nicht an seine Schwester weiter. Beide Elternteile haben sich seit Jahren nicht um das Kind gekümmert. Die väterliche Großmutter ist zur Übernahme der Pflege und Erziehung nicht bereit.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes seien die Voraussetzungen für eine Entziehung der Elternrechte gegeben. Die Bestellung der Friederike H*** zum Vormund entspräche dem Wohl des Kindes. Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht nach Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung auf. Die Mutter habe nunmehr den auch noch im Rekursverfahren beachtlichen Antrag gestellt, ihr die Elternrechte über den mj. Manfred zu übertragen. Es werde daher im fortgesetzten Verfahren zu prüfen sein, ob die Behauptung zutrifft, daß sich die Lebensverhältnisse der Mutter in der Bundesrepublik Deutschland gebessert hätten. Zu klären sei auch - erforderlichenfalls durch Beiziehung eines Sachverständigen - welche Auswirkungen ein allfälliger Milieuwechsel für den Minderjährigen haben könne. Vor der Entscheidung sei das bereits 10-jährige Kind und die Bezirksverwaltungsbehörde zu hören. Erst nach Verfahrensergänzung werde im Zusammenhang mit der Entscheidung nach § 177 Abs. 2 ABGB zu prüfen sein, ob eine Maßnahme nach § 176 ABGB zu treffen sei. Anordnungen nach dieser Bestimmung seien nur im äußersten Notfall gerechtfertigt, wenn aufgrund des Gesamtverhaltens der Eltern eine konkrete ernste Gefahr für das Kind bestehe. Die bisherigen Feststellungen reichten für die Beurteilung dieser Frage nicht aus. Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs der Friederike H*** ist unzulässig, der Revisionsrekurs der Antonia L*** ist nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

1.) Zum Revisionsrekurs der Friederike H***:

Der § 9 Abs. 1 AußStrG gewährt demjenigen, der sich durch die Verfügung der ersten Instanz über einen Gegenstand der Gerichtsbarkeit außer Streitsachen beschwert erachtet, ein Rekursrecht. Lehre und Rechtspechung stimmen darin überein, daß im Sinne dieser Bestimmung nicht jedermann, der mit der Entscheidung unzufrieden ist, sich also aus irgendeinem Grund durch diese beschwert erachtet, auch schon befugt ist, ein Rechtsmittel einzubringen, sondern daß dieses Recht nur demjenigen zusteht, in dessen Rechtssphäre - und nicht bloß

Interessenssphäre - eingegriffen wird (SZ 45/50, SZ 42/48 und 176 uva). In die Rechtssphäre der Friederike H*** wurde durch die angefochtene Entscheidung nicht eingegriffen. Der Rechtsmittelwerberin wurde der Minderjährige zur Pflege und Erziehung von den Eltern einvernehmlich zu einer Zeit überlassen, als die Eltern ihre Rechte noch einvernehmlich auszuüben hatten. Hiezu waren die Eltern berechtigt, ein Dritter erlangte aber durch eine Überlassung der Betreuung noch keine Rechtsstellung. Den Pflegeeltern kommt nach neuerer Rechtsprechung ein Rekursrecht nur dann zu, wenn ihnen das Kind durch das Gericht zur Pflege und Erziehung übergeben worden ist (EFSlg. 37.189; JBl. 1956, 76; JBl. 1955, 94).

Die Bestellung der Friederike H*** zum besonderen

Sachwalter zur Hereinbringung des Unterhaltes gegenüber dem Vater verschaffte ihr Beteiligtenstellung nur im Rahmen dieses begrenzten Wirkungsbereiches. Fragen der Unterhaltshereinbringung sind aber nicht Verfahrensgegenstand. Es geht hier um die Frage, ob der Mutter die Elternrechte über den Minderjährigen zustehen sollen und ob und welche Anordnungen allenfals nach § 176 ABGB zu treffen sind. In einem solchen Verfahren kommt aber einem Dritten, der eine Maßnahme nach § 176 ABGB anregte, keine Parteistellung zu (Pichler, Das neue Kindschaftsrecht ÖA 1978 30; EFSlg. 37.187; vgl. auch RZ 1981/64). Demgemß ist der Revisionsrekurs der Friederike H*** zurückzuweisen.

2.) Zum Revisionsrekurs der Antonia L***:

Lehre und Rechtsprechung billigen den nächsten Verwandten eines Pflegebefohlenen - über den Fall eines Eingriffs in ihre eigene Rechtssphäre hinaus - in besonderen Fällen ausnahmsweise ein Rekursrecht zu (SZ 48/57, EvBl. 1974/57 ua), besonders wenn es notwendig ist, Gefahren abzuwenden, die dem Pflegebefohlenen allenfalls auch von seinem gesetzlichen Vertreter drohen (EvBl. 1974/57). In der Lehre wurde dies damit begründet, daß das Gesetz dem nächsten Verwandten eine gewisse Initiative in Pflegschaftssachen gebe und ihnen weitreichende Informationspflichten auferlege. Diese natürlichen Schutzpflichten könnten sie in bestimmten Fällen nur durch eine Beschwerde gegen Verfügungen der Unterinstanzen zur Geltung bringen (EvBl. 1974/57; 1 Ob 744/80; Rintelen, Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen 34; Wentzel-Piegler in Klang 2 I/2 372 f.). Das Rekursgericht der väterlichen Großmutter ist daher zu bejahen. Ihr Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt, weil die Rechtsansicht des Rekursgerichtes zutrifft, daß ein Eingriff in die Elternrechte nur dann und nur insoweit zu verfügen ist, als dies unbedingt geboten ist, um das Kindeswohl zu wahren (EFSlg. 43.326), und im Außerstreitverfahren der erst im Rekursverfahren gestellte Antrag der Mutter beachtlich ist. Wenn das Rekursgericht daher das Verfahren für ergänzungsbedürftig erachtet, kann dem nicht entgegengetreten werden (EFSlg. 28.371 f. ua).

Demgemäß ist dem Revisionsrekurs der Antonia L*** nicht Folge zu geben.

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