OGH 10Os121/86

OGH10Os121/8616.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.September 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Rudolf D*** wegen des Vergehens der Begünstigung nach § 299 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 27.Mai 1986, GZ 4 c Vr 1351/85-39, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, des gesetzlichen Vertreters des Angeklagten, Rudolf D*** sen., des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Grösswang, jedoch in Abwesenheit der ordnungsgemäß verständigten Christine D*** als weiteren gesetzlichen Vertreters, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben: das angefochtene Urteil, welches ansonsten unberührt bleibt, wird im Schuldspruch laut Punkt B. und im Strafausspruch aufgehoben; im Umfang der Aufhebung wird nach § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Rudolf D*** wird von der (weiteren) Anklage, er habe am 20. Mai 1985 in Wien Friedrich F***, der ihn am Körper verletzt hatte, (zu ergänzen: mit dem Vorsatz, sich durch dessen Verhalten unrechtmäßig zu bereichern,) durch gefährliche Drohung zu einer Handlung zu nötigen versucht, die diesen am Vermögen habe schädigen sollen, indem er mit der Androhung, ihn andernfalls wegen der Körperverletzung anzuzeigen, 1.000 S von ihm gefordert habe, und er habe hiedurch das Verbrechen der versuchten Erpressung nach §§ 15, 144 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Für die ihm nach den aufrecht gebliebenen Schuldsprüchen zur Last fallenden Vergehen der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB (Punkt A.) und der Begünstigung nach § 299 Abs. 1 StGB. (Punkt C.) wird er nach §§ 28, 299 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 11 Z 1 JGG zu 3 (drei) Monaten Freiheitsstrafe verurteilt; gemäß § 43 Abs. 1 StGB wird ihm diese Strafe unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von 3 Jahren bedingt nachgesehen. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die den erfolglos gebliebenen Teil der Nichtigkeitsbeschwerde betreffenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rudolf D*** (anklagekonform) des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 (erster Fall) StGB (Punkt A.) und des Vergehens der Begünstigung nach § 299 Abs. 1 StGB (Punkt C.) sowie (in Erledigung der im Spruch umschriebenen Anklage wegen versuchter Erpressung) des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB (Punkt B.) schuldig erkannt. Darnach liegt ihm zur Last, in Wien

(zu A.) am 29.Oktober 1984 Christian F*** dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt zu haben, daß er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlung, und zwar des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, falsch verdächtigte, indem er der Polizei unter Benützung des Notrufs anonym den Hinweis gab, der Genannte habe im 12.Bezirk eine Aufzug in Brand gesetzt, obwohl er wußte, daß die Verdächtigung falsch war; (zu B.) am 20.Mai 1985 versucht zu haben, Friedrich F***, der ihn am Körper verletzt hatte, durch gefährliche Drohung zu einer Handlung zu nötigen, indem er von letzterem mit der Androhung, ihn andernfalls wegen der Körperverletzung anzuzeigen, etwa 1.800 S forderte; und

(zu C.) am 19.Mai 1985 Friedrich F***, der eine mit Strafe bedrohte Handlung, und zwar eine Körperverletzung an ihm, begangen hatte, der Verfolgung absichtlich entzogen zu haben, indem er im Krankenhaus angab, er sei von einem Unbekannten verletzt worden. Mit der nur gegen die Schuldsprüche wegen versuchter Nötigung und wegen Begünstigung erhobenen, auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 9 lit. a und 9 lit. b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde ist der Angeklagte teilweise, und zwar insofern im Recht, als er mit Bezug auf das zuerst relevierte Vergehen den Rechtfertigungsgrund nach § 105 Abs. 2 StGB reklamiert.

Rechtliche Beurteilung

Mit Rücksicht darauf, daß der Beschwerdeführer zur Anzeigeerstattung gegen F*** wegen der ihm von diesem zugefügten Körperverletzung berechtigt war (§ 86 Abs. 1 StPO) und daß er wegen der Beschädigung seiner Kleidung durch den Genannten bei dem betreffenden Raufhandel, insbesondere durch einen Messerstich, Anspruch auf Schadenersatz gegen ihn hatte oder doch immerhin zu haben glaubte (US 9), würden nämlich zum einen, wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat (US 8 f.), sowohl die Androhung der Anzeige als auch die Geltendmachung der Schadenersatzforderung (mit einem nicht genau eruierbaren, jedoch weder als objektiv noch als subjektiv überhöht feststellbaren, wahrscheinlich zwischen 1.000 und 2.000 S gelegenen Betrag - US 6, 8, 10), jede für sich allein betrachtet, den guten Sitten jedenfalls nicht widerstreiten. Zum anderen aber wäre, der im Urteil vertretenen Auffassung zuwider, auch die Verknüpfung einer derartigen Forderung mit der Androhung einer Anzeigeerstattung wegen des ihr zugrunde liegenden Verhaltens des Adressaten als Druckmittel nicht im Sinn des § 105 Abs. 2 StGB sittenwidrig; steht doch in solchen Fällen die Verwirklichung des angedrohten Übels, also die Veranlassung eines Strafverfahrens, im Hinblick auf die Bestimmungen über die Rechte des Privatbeteiligten (§§ 47 ff. StPO), über das Adhäsionsverfahren (§§ 365 ff. StPO) und über die Bindungswirkung verurteilender strafgerichtlicher Erkenntnisse (§ 268 ZPO) augenscheinlich mit dem Leistungsbegehren sehr wohl in einem nicht bloß sozialadäquaten, sondern sogar ausdrücklich von der Rechtsordnung gebilligten und geförderten sachlichen Zusammenhang (vgl. SSt. 40/31, EvBl. 1973/206 uam; Leukauf-Steininger Komm. 2 RN 14 f., Kienapfel BT I 2 RN 61, 67, 69 f., jeweils zu § 105). Daß der Täter allenfalls mit seiner (gutgläubig erhobenen) Forderung im Strafverfahren nicht oder nicht in voller Höhe durchzudringen vermöchte oder daß er der mit ihr im dargestellten Konnex stehenden angedrohten Anzeige von vornherein (auch oder ausschließlich) ein nicht darauf abzielendes anderes Motiv - wie etwa die Befriedigung eines privaten Vergeltungsbedürfnisses - unterlegt, ändert am Fehlen einer Sittenwidrigkeit der in Rede stehenden (objektiven) Mittel-Zweck-Beziehung nichts.

Bereits aus diesen Erwägungen (Z 9 lit. b) war der Angeklagte in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde vom Vorwurf eines Erpressungsversuchs sogleich freizusprechen, ohne daß es einer Erörterung seiner darauf bezogenen weiteren Einwände bedürfte. Seine Beschwerdeargumente gegen den Schuldspruch wegen Begünstigung jedoch gehen fehl.

Soweit er das Fehlen von Feststellungen zur subjektiven Tatseite des § 299 (Abs. 1) StGB rügt und mit Bezug auf Abs. 3 dieser Strafbestimmung überdies darauf abstellt, er sei der "subjektiven Auffassung" gewesen, sich (gemeint: durch die Bekanntgabe der Täterschaft des F*** zu der ihm zugefügten Körperverletzung) selbst der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung wegen seiner Teilnahme an dem betreffenden Raufhandel auszusetzen (sachlich jeweils Z 9 lit. a), bringt er die Rechtsrügen nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung, weil er nicht vom festgestellten Urteilssachverhalt ausgeht.

Denn seine Absicht (§ 5 Abs. 2 StGB), durch die Behauptung der Täterschaft eines Unbekannten F*** der Strafverfolgung wegen Körperverletzung zu entziehen, hat das Schöffengericht ausdrücklich als erwiesen angenommen (US 5); mit seinen Gegenargumenten ficht der Beschwerdeführer nur nach Art und Zielsetzung einer im Rechtsmittelverfahren gegen schöffengerichtliche Urteile nicht vorgesehenen Schuldberufung unzulässigerweise die erstinstanzliche Beweiswürdigung an. Eine angebliche "Auffassung" seinerseits hinwieder, sich durch die Tat selbst zu begünstigen, wird - ganz abgesehen davon, daß damit keineswegs auch schon eine Selbstbegünstigungs-Absicht (§ 5 Abs. 2 StGB) im Sinn des § 299 Abs. 3 StGB konstatiert wäre - im Urteil nicht festgestellt; für eine dahingehende Tatsachenannahme boten die Verfahrensergebnisse auch keinerlei Anhaltspunkt.

Eine Anwendung des § 42 StGB aber (Z 9 lit. b) kam nach dessen Abs. 1 mit Rücksicht auf die bis zur Dauer von 2 Jahren reichende (alternative) Freiheitsstrafdrohung in § 299 Abs. 1 StGB nicht in Betracht; daß das Erstgericht die Strafe (zugunsten des Angeklagten) entgegen § 28 Abs. 1 StGB rechtsirrig nach dem (nur Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorsehenden) ersten Strafsatz des § 297 Abs. 1 StGB ausmaß, ändert daran nichts, weil es für die Anwendbarkeit des § 42 StGB nach dessen Abs. 1 ausschließlich auf die für die betreffende Tat im Gesetz vorgesehene, und nicht etwa auf die in concreto (allenfalls rechtsirrig) tatsächlich zur Anwendung gebrachte Strafdrohung ankommt. In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde demnach zu verwerfen.

Im Hinblick auf die (wegen des Teilfreispruchs erforderliche) Aufhebung (auch) des Strafausspruchs war die über den Angeklagten für die ihm weiterhin zur Last fallenden Vergehen der Verleumdung (Punkt A.) und der Begünstigung (Punkt C.) zu verhängende Strafe unter Beachtung des Verschlimmerungsverbotes (§ 290 Abs. 2 StPO) nach §§ 28, 299 Abs. 1 StGB (vgl. 13 Os 101/75, 12 Os 33/76, JBl. 1979,661, 9 Os 125/80, 11 Os 51/83, RZ 1986/32) neu zu bemessen. Dabei war das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen als erschwerend, sein Geständnis hingegen als mildernd zu werten; davon, daß aus seinen Straftaten kein Schaden entstanden wäre, kann jedoch angesichts der daraus erwachsenen (obgleich nicht allzu nachhaltigen) Beeinträchtigung der Rechtspflege in beiden Fällen nicht gesprochen werden.

Nach der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Angeklagten (§ 32 StGB) erschien die Verhängung einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 Monaten als angemessen; die Anwendung des § 37 Abs. 1 StGB kam mit Rücksicht auf sein belastetes Vorleben aus Gründen der Spezialprävention nicht in Betracht. Unter Bedacht auf sein Geständnis und auf sein jugendliches Alter sowie darauf, daß er die Verleumdung noch vor seiner letzten Vorverurteilung zu 18 Monaten bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe beging und daß Erwägungen der Generalprävention nicht entgegenstehen, war jedoch die Gewährung bedingter Strafnachsicht noch einmal gerechtfertigt, weil im Hinblick darauf, daß ihm im Fall eines neuerlichen Rückfalls in Verbindung mit der soeben relevierten Vorverurteilung der Vollzug einer erheblichen Freiheitsstrafe drohen würde, doch noch anzunehmen ist, daß er sich nunmehr in Hinkunft wohlverhalten wird (§ 43 Abs. 1 StGB).

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