Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Mutter des Klägers kaufte am 26. August 1981 in einem Spielwarengeschäft einen Malkasten mit der Bezeichnung "Ravensburger Hobbystudio". Der Malkasten war in einer Schachtel verwahrt und bestand aus einem Rahmen mit einem Hinterglasbild, wobei die Rückseite des Rahmens einen Pappendeckel enthielt, der mit zwei Metallspangen befestigt war, die in die Rahmeninnenseite eingeklemmt waren. Diesen Malkasten hatte das Spielwarengeschäft von der Beklagten bezogen, die ihrerseits in vertraglichen Beziehungen mit dem deutschen Hersteller des Malkastens stand. Auf der Verpackung des Malkastens war keinerlei Hinweis angebracht, daß dieser nur für einen bestimmten Personenkreis geeignet sei. Die Bedienungsanleitung enthielt keinen Hinweis darauf, wie die Glasplatte und die Pappendeckelrückwand aus dem mit den beiden Metallspangen versehenen Rahmen zu entfernen war. Die beschriebene Befestigungsart ist an sich bei kleineren Bilderrahmen branchenüblich. Es ist unbedingt notwendig, daß die Metallspangen durch starke Krümmung unter Spannung stehen, weil nur dann ein entsprechender Anpreßdruck an die Rückwand und damit eine bessere Fixierung des Glasbildes gegeben ist. Sachgemäß sind die Metallspangen derart zu entfernen, daß sie auf einer Seite niedergedrückt werden, während man versucht, sie auf der gegenüberliegenden Seite aus der Nut des Bilderrahmens herauszuschieben, so daß dieses Ende frei wird und die Spange abgenommen werden kann.
Noch am Tage des Einkaufes half der Kläger seiner Schwester beim Auspacken des Malkastens. Er versuchte eine Metallspange zu entfernen, übte dabei aber keinen ausreichenden Anpreßdruck auf sie aus, so daß sie nach Freiwerden auf einer Seite, bedingt durch den Spannungsdruck, wegsprang und ihm im linken Auge eine schwere Verletzung zufügte.
Der Kläger begehrt an Schadenersatz 200.000 S und die Feststellung, daß ihm die Beklagte für sämtliche in Zukunft auftretenden weiteren Schäden aus dem Unfall zu haften habe. Mit dem vom Berufungsgericht bestätigten Teilzwischenurteil wurde erkannt, daß das vom Kläger auf Grund der beim Unfall erlittenen Augenverletzung erhobene Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe.
Während das Erstgericht die Haftung der Beklagten aus einer Produkthaftung ableitete, verneinte das Berufungsgericht einen solchen Haftungsgrund, weil die Beklagte nicht Produzent sei und zum Unfallszeitpunkt eine der Haftung des Produzenten gleichzustellende Haftung des Händlers in Österreich gesetzlich noch nicht bestanden habe. Es müsse jedoch davon ausgegangen werden, daß die Art der Befestigung der Rückwand des Malkastens gewisse Gefahren für den Benützer mit sich bringe, zumal mit der Benützung durch Kinder zu rechnen gewesen sei. Auch dem Importeur und Händler könne zugemutet werden, sich über diese Gefahren ein Bild zu machen und auf sie hinzuweisen. Dies gelte vor allem für einen Importeur, der, wie im vorliegenden Fall, schon durch seine Firma ein besonderes Naheverhältnis zum Produzenten vermuten lasse. Entstehe - wie im vorliegenden Fall - bei der ohne Instruktion vorgenommenen Versendung und einer vom Abnehmer nicht geradezu anleitungswidrig, unsinnig und mutwillig vorgenommenen Verwendung des gefährlichen Produktes ein Schaden, dann sei nach der aufgezeigten Pflichtenlage ein (Organisations- oder anderes) Verschulden des Importeurs oder seiner Leute, entgegen § 1296 ABGB, zu vermuten und eine Haftung nur dann ausgeschlossen, wenn der Importeur sich im Sinne des § 1298 ABGB frei beweisen könne. Einen solchen Beweis habe die Beklagte nicht erbracht.
Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes gegen § 501 Z 1 bis 4 ZPO erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.
Eine Nichtigkeit erblickt die Revision darin, daß das Berufungsgericht keine mündliche Berufungsverhandlung anberaumt hat. Hiebei muß die Revisionswerberin jedoch selbst zugeben, daß eine solche mündliche Berufungsverhandlung von niemandem beantragt worden ist. Die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, wird einer Partei durch die Entscheidung über eine Berufung in nichtöffentlicher Sitzung nach § 492 ZPO nur dann entzogen, wenn sie die Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung selbst beantragt hat oder ohne eine solche Antragstellung mit Rücksicht auf den bereits von ihrem Gegner gestellten Antrag mit der Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung rechnen konnte (5 Ob 668/80).
Ein Abgehen von vorinstanzlichen Feststellungen ohne Beweiswiederholung könnte keine Nichtigkeit des Berufungsverfahrens, sondern höchstens eine Mangelhaftigkeit begründen.
Die behauptete Nichtigkeit ist daher nicht gegeben. Dem Berufungsgericht kann jedoch auch keine Mangelhaftigkeit seines Verfahrens vorgeworfen werden. Keinesfalls wurde eine solche dadurch begründet, daß es dem Wortlaut der erstgerichtlichen Entscheidung richtiggestellt hat. Die Berichtigung eines offenbaren Fehlers in einer Berechnung oder in der Wahl eines Ausdruckes stellt keine Abänderung dar. Ein solcher Fehler kann vielmehr auch von Amts wegen und auch noch in höherer Instanz richtiggestellt werden (4 Ob 71-87/76, 1 Ob 1541/85). Tatsächlich entspricht die vom Berufungsgericht vorgenommene Richtigstellung dem Inhalt der erstgerichtlichen Entscheidung.
Abgesehen davon, daß die tatsächliche oder vermeintliche unrichtige Wiedergabe des Prozeßvorbringens einer Partei im angefochtenen Urteil für die Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung ohne Bedeutung ist und daher keine Aktenwidrigkeit begründen würde (7 Ob 795/82, 4 Ob 514/83, 2 Ob 569/84 ua.), kann im vorliegenden Fall von einer solchen unrichtigen Wiedergabe durch das Berufungsgericht keine Rede sein. Das Berufungsgericht ist lediglich von der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes abgegangen, nicht aber von dessen Feststellungen. Welcher Verfahrensmangel dem Berufungsgericht also unterlaufen sein sollte, ist nicht ersichtlich. Nach Überprüfung der Aktenlage gelangt der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, daß weder eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens noch eine Aktenwidrigkeit gegeben sind (§ 510 Abs. 3 ZPO).
Es ist zwar richtig, daß Reischauer in der in der Revision zitierten Stelle die Bestimmung des § 1298 ABGB nur für vertragliche Verpflichtungen als anwendbar erklärt. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß sowohl in der Lehre als auch in der Rechtsprechung darüber hinaus eine Beweislastumkehr anerkannt worden ist. So ist es unbestritten, daß den allgemeinen schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des ABGB die allgemeine Rechtspflicht zu entnehmen ist, die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum eines anderen nicht zu gefährden. Aus dieser Pflicht werden Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten abgeleitet (ZVR 1975/269, ZVR 1973/105 ua.). Der Verkehrssicherungspflichtige hat zu beweisen, daß er die erforderliche Sicherheitsvorkehrung getroffen hat, ohne Rücksicht darauf, ob sich diese Pflicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Ingerenzprinzip) oder einem Vertrag ergibt (7 Ob 556/83, 1 Ob 536/83, 8 Ob 283/82 ua.). Die Beweislast für die Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt trifft demnach den zur Sorgfalt Verpflichteten. Die subjektiven Fähigkeiten zur Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt unterstellen schon die §§ 1297 und 1299 ABGB (Reischauer in Rummel Rdz 6 zu § 1298). § 1297 ABGB ist eine an der Lebenserfahrung orientierte Vermutung. Sie führt zu einer vollen Beweislastumkehr (Reischauer a.a.O. Rdz 12 zu § 1297).
Der Händler ist im allgemeinen nicht verpflichtet, eigene kostspielige Versuche zur Prüfung der Tauglichkeit einer Ware bei gewissen Verwendungen vorzunehmen. Er kann sich insoweit regelmäßig auf die ihm vom Produzenten gegebenen Hinweise verlassen, soferne er nicht auf Grund ihm bereits bekanntgewordener Schadensfälle Zweifel an deren Richtigkeit haben muß. Vom inländischen Repräsentaten des ausländischen Produzenten kann aber, selbst wenn er ausschließlich Händler ist, ein besonders hohes Maß an Sorgfalt bei der Aufklärung des Erwerbers seines Produktes verlangt werden. Dem Repräsentanten des Produzenten wird ein durch eine im Innenverhältnis zwischen dem Produzenten und dem Vertragshändler bestehende Informationspflicht objektiv gerechtfertigtes besonderes Vertrauen entgegengebracht. Es kann von ihm erwartet werden, daß er über die Anwendbarkeit des Produktes im besonderen Maße unterrichtet ist. Bei enger wirtschaftlicher Verflechtung des Repräsentanten mit dem Produzenten (hier: der Handelsbetrieb und der Produktionsbetrieb weisen weitgehend die gleiche Firma auf), kann erwartet werden, daß dem Händler auch Insiderwissen des Produzenten verschafft wird. Es ist daher dem Händler als Organisationsmangel anzulasten, wenn er sich von Umständen, die die Gefahrträchtigkeit eines Produktes bei gewissen Arten von Verwendung betreffen, mögen solche Umstände auch nur dem Produzenten bekanntgeworden sein, keine Kenntnis verschafft. Die Beweislast für mangelndes Verschulden trifft hier den Händler (SZ 54/13). Es ist zwar richtig, daß der erwähnten Entscheidung eine Vertragsverletzung zugrundelag. Nach den oben gemachten Ausführungen war dies jedoch nicht der entscheidende Umstand für die Annahme einer Beweislastumkehr. Vielmehr ergibt sich die Beweislastumkehr schon aus der im § 1297 ABGB enthaltenen Vermutung. Ob zur Begründung dieser Beweislastumkehr indirekt auch § 1298 ABGB herangezogen werden kann, ist nicht entscheidend.
Ob man die vorliegende Ware geradezu als gefährliches Produkt bezeichnen kann, spielt keine Rolle. Fest steht jedenfalls, daß die Art der Befestigung der Rückseite des Malkastens mit Gefahren für den Benützer verbunden war. Den Beweis dafür, daß diese Gefahren für sie nicht erkennbar waren bzw. daß ihr eine entsprechende Information für den Kunden nicht zugemutet werden konnte, hat die Beklagte nicht erbracht. Demnach erweist sich die Entscheidung des Berufungsgerichtes als richtig.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 52 Abs. 2 und 393 Abs. 4 ZPO.
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