OGH 9Os80/86

OGH9Os80/8627.6.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Juni 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak (Berichterstatter), Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Krenn als Schriftführer in der Strafsache gegen Anton W*** wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 26.März 1986, GZ 26 Vr 5160/85-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Presslauer als Vertreter der Generalprokuratur und des Verteidigers Dr. Stegmüller, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Anton W***, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1.) Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Angeklagtgen wegen Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB laut Punkt IV des Urteilssatzes zur Gänze und im Schuldspruch des Genannten wegen Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB laut Punkt V des Urteilssatzes, soweit darin auf das Faktum IV Bezug genommen wird, sowie im Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Anton W*** wird von der gegen ihn erhobenen Anklage, er habe im Sommer 1982 seine am 26.Februar 1970 geborene unmündige Stieftochter Ingrid W*** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er sie an der Brust abgriff, und er habe hiedurch das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

2.) Für die verbleibenden Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB (Punkte I und VI des Urteilssatzes), des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB (Punkt II des Urteilssatzes) und das Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB (Punkte III und V des Urteilssatzes) wird der Angeklagte gemäß §§ 28, 206 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 17 (siebzehn) Monaten verurteilt.

  1. 3.) Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
  2. 4.) Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die obige Strafneubemessung verwiesen.

    5.) Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 1.Oktober 1947 (im Urteil irrtümlich: 10.Jänner 1947) geborene Hilfsarbeiter Anton W*** (zu I und VI) des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB, (zu II) des Verbrechens des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB, (zu III und V) des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB sowie (zu IV) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er in Telfes I. im Sommer 1981 seine am 15.Februar 1967 geborene minderjährige Stieftochter Andrea W*** mit Gewalt, und zwar durch Versetzen von Schlägen, zum außerehelichen Beischlaf genötigt; II. im Sommer 1982 mit seiner am 27.Jänner 1969 geborenen unmündigen Tochter Waltraud W*** mit Gewalt den

außerehelichen Beischlaf unternommen, indem er sie auf das Bett stieß, niederdrückte und festhielt;

III. im Jahre 1983 mehrfach seine minderjährige Stieftochter Waltraud W*** zur Unzucht mißbraucht, indem er einmal mit ihr den Geschlechtsverkehr durchführte und sie zudem zweimal im Genitalbereich abgriff;

IV. im Sommer 1982 seine am 26.Februar 1970 geborene unmündige Stieftochter Ingrid W*** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er sie an der Brust abgriff;

V. durch die zu I., II. und IV. angeführten Handlungen seine minderjährigen Stiefkinder Andrea, Waltraud und Ingrid W*** zur Unzucht mißbraucht;

VI. durch die zu II. beschriebene Handlung eine Person weiblichen Geschlechts mit Gewalt zum außerehelichen Beischlaf genötigt.

Die vom Angeklagten undifferenziert auf die "Z 9" des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise, und zwar in Ansehung des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB (Punkt IV des Urteilssatzes) sowie in dem damit idealkonkurrierend zusammenhängenden Vergehen nach § 212 Abs. 1 StGB (Pkt. V d.Tenors) begründet.

Insoweit ist davon auszugehen, daß nach der herrschenden Judikatur (vgl. etwa EvBl. 1982/20; RZ 1984/56) die Beantwortung der Frage, ob sexualbezogenes Betasten des Brustbereiches eines unmündigen Mädchens "Unzucht" im Sinne des § 207 Abs. 1 StGB darstellt, von der Reife des Tatobjektes abhängt, welches sich nicht mehr in der kindlichen Entwicklungsphase, sondern zumindest in der Pubertät befinden muß, um solche Berührungskontakte auf die Geschlechtssphäre beziehen zu können, wobei das allgemeine Reifestadium des Mädchens unabhängig vom konkreten Entwicklungsstand der Brustdrüsen dafür maßgebend ist, ob die Brustregion bereits als eine dem weiblichen Körper spezifisch eigentümliche Körperpartie angesehen werden kann, die einem geschlechtlichen Mißbrauch zugänglich ist.

Vorliegend haben die Tatrichter im fraglichen Faktum konstatiert, daß der Angeklagte im Sommer 1982 seine damals 12jährige Stieftochter Ingrid W*** unter der Kleidung intensiv an der Brust betastete, wobei aber nicht feststellbar sei, ob und in welchem Ausmaß die Brüste des Mädchens entwickelt waren (S 166 f). Ferner wurde konstatiert, daß sich das Kind "als zwölfjähriges Mädchen gerade in der beginnenden geschlechtlichen Entwicklung" befand. Daß diese Feststellungen die oben als entscheidend dargelegten Rechtsfragen nicht zu beantworten gestatten, liegt auf der Hand und es erweist sich mithin das angefochtene Urteil insoweit als mit wesentlichen Feststellungsmängeln behaftet.

Rechtliche Beurteilung

Dies müßte an sich zur Aufhebung des Urteils im fraglichen Punkt führen; da es jedoch bereits im erstinstanzlichen Verfahren an Hand der gegebenen Beweismittel nicht mehr feststellbar war, wie weit die Brüste des nach den Verfahrensergebnissen verzögert heranreifenden Mädchens entwickelt waren, kann vorliegend nach Lage des Falles und bei realistischer Einschätzung der gegebenen Beweissituation (vgl. auch S 67) nicht erwartet werden, daß in einem neuerlichen Rechtsgang im fraglichen Punkt mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit noch Feststellungen über den seinerzeitigen Entwicklungsstand des Mädchens getroffen werden könnten.

Es war demnach in Ansehung des Verbrechens nach § 207 Abs. 2 StGB sogleich mit einem Freispruch vorzugehen und gleichzeitig der darauf bezugnehmende Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 212 Abs. 1 StGB auszuschalten.

Bei der hiedurch erforderlich gewordenen Neubemessung der Strafe konnten die vom Erstgericht im wesentlichen zutreffend erfaßten Strafzumessungsgründe übernommen werden, auf deren Basis die aus dem Spruch ersichtliche Unrechtsfolge tatschuldgerecht erscheint. In allen übrigen Punkten konnte der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kein Erfolg beschieden sein.

Der darin vertretenen - nicht weiter substantiierten, der Sache nach auf eine Rüge nach der Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO hinauslaufenden - Meinung zuwider ist nach der neueren Judikatur, von der abzugehen der Senat keinen Anlaß sieht, in Fällen geschlechtlichen Mißbrauchs unmündiger Opfer unter Überwindung ihres Willens wegen der Verschiedenartigkeit der betroffenen Rechtsgüter - einerseits die ungestörte Entwicklung Unmündiger, andererseits die freie Selbstbestimmung - echte Idealkonkurrenz der in den §§ 201 bis 204 StGB bezeichneten strafbaren Handlungen mit

jenen der §§ 206 und 207 StGB anzunehmen (EvBl. 1984/57 =

JBl. 1984, 99 = RZ 1983/55; EvBl. 1985/94 = RZ 1985/32; 12 Os 98/85;

11 Os 153/85). Da zudem weder Nötigung zum Beischlaf (§ 202 Abs. 1 StGB), noch Beischlaf mit Unmündigen (§ 206 Abs. 1 StGB), noch auch Unzucht mit Unmündigen (§ 207 Abs. 1 StGB) den Mißbrauch eines gegenüber dem Opfer bestehenden - im Verhältnis zum minderjährigen Stiefkind schon vom Gesetz

angenommenen - Autoritätsverhältnisses durch den Täter zur Voraussetzung hat und insoweit ebenfalls ein selbständiges Schutzgut vorliegt, bedarf es bei einer solchen zusätzlichen Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des § 212 Abs. 1 StGB zur vollständigen Erfassung des Tatunrechtes auch der Subsumtion unter diese Strafbestimmung.

Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde sohin gegen die angenommenen Idealkonkurrenzen wendet, geht sie fehl und war sie daher zu verwerfen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die obige Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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