OGH 2Ob564/86 (2Ob565/86)

OGH2Ob564/86 (2Ob565/86)6.5.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidienten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Christine H***, Hausfrau, 8044 Graz, Gustav-Hofer-Weg 15, vertreten durch Dr. Werner Stauder, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte und widerklagende Partei Pietro H***, Chemotechniker, 8044 Graz, Gustav-Hofer-Weg 15, vertreten durch Dr. Peter Freiberger, Rechtsanwalt in Mürzzuschlag, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 16. Dezember 1985, GZ 5 R 172, 173/85-36, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 26. Juni 1985, GZ 12 Cg 380/83-31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin und Widerbeklagte ist schuldig, dem Beklagten und Widerkläger die mit S 5.657,85 (darin keine Barauslagen und S 514,35 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und Widerbeklagte - im folgenden kurz Klägerin genannt - ist am 21.November 1941 in Graz geboren und von Beruf Hausfrau. Der Beklagte und Widerkläger - im folgenden kurz Beklagter genannnt - ist am 5.Februar 1942 in Düsseldorf geboren und von Beruf Chemotechniker. Die Streitteile haben am 17.Mai 1962 vor dem Standesamt Graz die Ehe geschlossen. Beiderseits handelte es sich um die erste Eheschließung. Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Die Klägerin ist römisch-katholisch, der Beklagte ohne religiöses Bekenntnis. Aus der Ehe der Streitteile stammt die am 7.5.1968 geborene Tochter Isabella. Der letzte gemeinsame Wohnsitz war 8044 Graz, Gustav Hofer-Weg Nr.15. Ehepakte wurden zwischen den Streitteilen nicht geschlossen.

Die Klägerin macht Lieb- und Interesselosigkeit, Mißhandlungen und nicht milieubedingte Beschimpfungen, eine Unterhaltsverletzung sowie das Eindringen in ihre Intimsphäre durch Abhören von Telefongesprächen durch den Beklagten als Scheidungsgründe geltend. Der Beklagte, der jedes Verschulden an der Zerrüttung bestreitet, wirft der Klägerin Lieb- und Interesselosigkeit, ungerechtfertigtes Verlassen der Ehewohnung sowie ein ehebrecherisches Verhältnis mit Sepp R*** als zur Zerrüttung führendes ehefeindliches Verhalten vor.

Die Klägerin bestreitet die ihr angelasteten Eheverfehlungen. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem beiderseitigen Verschulden der Ehegatten wegen völliger Zerrüttung und sprach aus, daß das Verschulden des Beklagten überwiege.

Es traf - zusammengefaßt - im wesentlichen folgende Feststellungen:

In der zunächst harmonisch verlaufenden Ehe begannen während eines fünf Jahre währenden, beruflich bedingten Aufenthaltes der Streitteile in Bangkok/Thailand Spannungen und Schwierigkeiten. Nach Meinung des Beklagten hat die Klägerin in dieser Zeit ihre Beistandspflicht verletzt, weil sie den gesellschaftlichen Verpflichtungen des Beklagten nicht genügend nachgekommen ist. Das eheliche Verhältnis verschlechterte sich nach der Rückkehr nach Österreich im Jahre 1982 zusehends, es kam wegen verschiedener Kleinigkeiten zu Auseinandersetzungen, die letztlich in einem Vorfall vom 6.10.1983 gipfelten. Der Beklagte gab der Klägerin damals aus nichtigem Anlaß eine Ohrfeige und fügte ihr Verletzungen zu. Eine Anzeigeerstattung durch die Klägerin unterblieb, doch hatte auf ihre Veranlassung die Polizei interveniert. Beide Ehepartner beschimpften sich gegenseitig, wobei Inhalt und Art der Schimpfworte nicht dem Lebenskreis der Ehegatten entsprechen. Der Beklagte nörgelte an der Klägerin herum und kritisierte ihre Bequemlichkeit, die Erziehung der Tochter oder das von der Beklagten zubereitete Essen. In der Zeit zwischen Feber und Mai 1984 hörte der Beklagte die Telefongespräche der Klägerin ab, wofür er strafgerichtlich verurteilt wurde. Wegen dieser Einmischung in ihre Intimsphäre und wegen des Vorfalles vom 6.10.1983 wurde der Klägerin der abgesonderte Wohnsitz bewilligt. Der Beklagte, der über ein monatliches Nettoeinkommen von S 22.000,-- verfügt, leistet der Klägerin und der Tochter zusammen nur S 6.000,-- an Unterhalt, kommt allerdings für die übrigen Wohnungskosten auf. Von der monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.000,-- an die Tochter muß die Klägerin das Schulgeld mit S 800,-- und das Fahrtgelt mit S 300,-- monatlich bezahlen. Die Klägerin unterhält seit 1983 ehewidrige Beziehungen zu Sepp R***, die sie trotz Kenntnis, daß der Beklagte diese Kontakte nicht wünschte, beharrlich fortsetzte. Insbesondere im Jahre 1984 verbrachte sie mit R*** gemeinsame Schiurlaube, wobei sie mit ihm und einem befreundeten Ehepaar in einem Appartement gemeinsam nächtigte. Sowohl zu Pfingsten 1984, als auch im Sommer dieses Jahres verbrachte sie mit Sepp R*** Urlaubstage in Istrien und nächtigte dabei mit ihm (im Sommer allerdings in Gegenwart der Tochter) gemeinsam in einem Raum. In den Monaten Februar bis Mai 1984 verwendete die Klägerin bei ihren zahlreichen Telefongesprächen mit R*** Ausdrücke wie "lieber Schatz" oder andere zärtliche Anredeworte. Den vom Beklagten in Thailand erworbenen Familienschmuck hat sie Sepp R*** zur Aufbewahrung übergeben.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, beide Streitteile hätten schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG begangen. Diese Eheverfehlungen hätten zu einer derartigen Zerrüttung der Ehe geführt, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft in keinem Falle mehr erwartet werden könne. Allerdings überwiege das Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe und somit an der Scheidung. Der Klägerin sei als schwere Eheverfehlung anzulasten, daß sie ehewidrige Beziehungen zu Sepp R*** unterhalte. Allerdings erscheine diese Eheverfehlung in einem milderen Licht, wenn man bedenke, daß sie durch das Fehlverhalten des Beklagten zumindest begünstigt worden sei. Diesem sei vorzuwerfen, daß er die Klägerin mißhandelt habe, seiner Unterhaltsverpflichtung in einem nur sehr unzureichenden Maße nachgekommen sei, die Klägerin mit unflätigen Ausdrücken beschimpft und sein Gesamtverhalten der Klägerin gegenüber dazu geführt habe, daß es letztlich zur Zerrüttung der Ehe gekommen sei. Die von der Klägerin gegenüber dem Beklagten gebrauchten Schimpfworte (Nichtsnutz, Taugenichts) seien im Vergleich zu den vom Beklagten verwendeten Ausdrücken (Hure, Drecksau) "eher harmlos" gewesen. Eine schwere Eheverfehlung müsse auch darin erblickt werden, daß der Beklagte in die Intimsphäre der Klägerin dadurch eingegriffen habe, als er ein Tonbandgerät beim Telefonieren installierte, um die Gespräche der Klägerin abzuhören, was zur rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des Beklagten wegen dieses Umstandes geführt habe.

Infolge Berufung beider Streitteile änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichtes, das hinsichtlich des Scheidungsausspruches unbekämpft geblieben war, im Verschuldensausspruch dahin ab, daß die Ehe aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden der Ehegatten geschieden wurde. Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, gelangte jedoch zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Es sei zwar richtig, daß die dem Beklagten nachgewiesenen Eheverfehlungen, wie die körperliche Mißhandlung am 6.10.1983, seine nur unzureichenden Unterhaltsleistungen sowie die Beschimpfungen und ständigen Kritiken an der Klägerin, als Ausdruck einer gegen das Wesen der Ehe als umfassende Lebensgemeinschaft gerichteten Verhaltensweise die Zerrüttung der Ehe beeinflußt habe. Die Klägerin habe sich dagegen ohnedies durch Erheben der Scheidungsklage zur Wehr gesetzt. Diese Eheverfehlungen des Beklagten hätten sie aber nicht berechtigt, ihrerseits die bis dahin bestandenen freundschaftlichen Kontakte zu R*** zu intensivieren und mit ihm gemeinsam Freizeit oder Urlaube zu verbringen, insbesondere seit sie wußte, daß der Beklagte diesen Umgang nicht wünschte. Möge der Beklagte sich ihr gegenüber auch lieb- und interesselos verhalten haben, indem er sich weder um sie noch um die Familie kümmerte, sei doch der Klägerin lediglich das Recht zugestanden, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen und die Scheidung der zerrütteten Ehe zu verlangen. Sie habe aber, solange die Scheidung nicht ausgesprochen sei, nicht das Recht, unerlaubte Beziehungen aufzunehmen und diese gegen den Willen des anderen Ehepartners beharrlich fortzusetzen. Der Umgang mit Personen des anderen Geschlechts, gegen den erkennbar gezeigten Willen des anderen Ehegatten beharrlich fortgesetzt, sei stets als schwere Eheverfehlung zu qualifizieren, mögen auch trotz objektiv begründeten Verdachtes - und dies sei hier der Fall - Ehebruch oder Ehestörung nicht erweisbar sein. Vergleiche man diese Eheverfehlung der Klägerin mit jenen des Beklagten, so lasse sich kein erhebliches Übergewicht erkennen. Nach Meinung des Berufungsgerichtes trügen daher beide Ehegatten an der völligen Zerrüttung der Ehe das gleiche Verschulden.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne des Ausspruches des Allein- bzw. zumindest des überwiegenden Verschuldens des Beklagten; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin führt in ihrer Revision aus, das Berufungsgericht habe übersehen, daß die engen Kontakte familiärer Natur zu Sepp R*** aus der Zeit der gemeinsamen Benützung eines Wochenendhauses durch mehrere Familien bestanden hätten. Sie habe sich R*** nur auf Grund des festgestellten ehewidrigen Verhaltens ihres Ehemannes ihr gegenüber zugewendet und bei ihm seelische Unterstützung gesucht. Die Aufforderung ihres Ehemannes, die Beziehungen zu R*** abzubrechen, seien nicht ernst gemeint gewesen und hätten nur ihre völlige Isolierung von allen Freunden und Bekannten bezweckt. Die Eheverfehlungen des Beklagten seien auslösend für die Zerrüttung der Ehe und gegenüber den ihr zur Last fallenden Verfehlungen bei weitem von überwiegendem Gewicht gewesen. Ihr Verhalten habe zur Ehezerrüttung gar nicht mehr beigetragen; das alleinige, zumindest aber das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe den Beklagten.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Bei der Beurteilung der Mitverschuldensanteile der Ehegatten am Scheitern der Ehe i.S. des § 60 Abs.2 EheG ist deren Gesamtverhalten während der Ehe zu berücksichtigen. Der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten setzt voraus, daß das Verschulden des einen Ehegatten erheblich schwerer wiegt als das des anderen; der Unterschied der Verschuldensanteile muß augenscheinlich hervortreten; es muß also ein sehr erheblicher gradueller Unterschied des beiderseitigen Verschuldens gegeben sein (EFSlg.41.281 ff. u.v.a., Schwind, Komm.z.EheG 2 251). Dabei kommt es nicht nur auf das Maß der Verwerflichkeit der einzelnen Eheverfehlungen, sondern auch darauf an, wie weit sie einander bedingen und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten (EFSlg.43.676 u.a.). Es ist nicht nur darauf Bedacht zu nehmen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen, sondern auch wer den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet hat (EFSlg. 43.679, 41.269 u.a.). Soweit die Klägerin in ihrer Revision ihre Beziehungen zu Sepp R*** als lediglich freundschaftlichen, gesellschaftlichen Kontakt hinzustellen versucht, weicht sie von den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes ab, nach welchen sie seit 1983 ehewidrige Beziehungen zu R*** unterhielt, die sie trotz Kenntnis, daß der Beklagte diese Kontakte nicht wünschte, beharrlich fortsetzte. In diesem Umfang ist die Rechtsrüge daher nicht gesetzmäßig ausgeführt und auf das diesbezügliche Vorbringen nicht einzugehen.

Ausgehend von den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen der Vorinstanzen kann bei der Abwägung der den Streitteilen zur Last fallenden beiderseitigen schweren Eheverfehlungen unter Anwendung der oben dargelegten Grundsätze nicht gesagt werden, daß die Eheverfehlungen der Klägerin gegenüber jenen des Beklagten fast völlig in den Hintergrund träten, was aber Voraussetzung für den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten wäre (vgl.EFSlg.43.692 ua.). In der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Scheidung der Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden der Ehegatten auszusprechen gewesen sei, kann daher keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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