OGH 9Os14/86

OGH9Os14/8619.3.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.März 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Enzenhofer als Schriftführer in der Strafsache gegen Christina T*** wegen des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen nach § 92 Abs. 2 und Abs. 3 (dritter Fall) StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 29. Juli 1985, GZ 12 Vr 1519/84-38, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, der Angeklagten und des Verteidigers Dr. Mühl zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die über die Angeklagte verhängte Freiheitsstrafe auf 3 (drei) Jahre erhöht.

Die Angeklagte wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christina T*** (im zweiten Rechtsgang abermals) des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen nach § 92 Abs. 2 und Abs. 3 (dritter Fall) StGB schuldig erkannt. Darnach hat sie zumindest ab ungefähr Mitte April 1984 bis 3.Mai 1984 in Kaindorf ihre Verpflichtung zur Fürsorge und Obhut gegenüber ihrem am 14.Feber 1984 geborenen Sohn Markus Christopher T*** gröblich vernachlässigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, dessen Gesundheit und dessen körperliche oder geistige Entwicklung beträchtlich geschädigt, indem sie ihn nicht ausreichend ernährte, wobei die Tat den Tod des Kindes durch Verdursten und Verhungern zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit ihrer auf die Z 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, mit welcher sie insgesamt die Beurteilung der Tat (bloß) als fahrlässige Tötung nach § 80 StGB anstrebt.

Den weitwendigen, die Verantwortung der Beschwerdeführerin in den verschiedenen Verfahrensstadien und die Aussagen der Zeugin Pauline T*** zum Teil wörtlich wiedergebenden Ausführungen in der Mängelrüge zuwider, mit welcher dargetan werden soll, daß das Gericht entscheidende Passagen der Verantwortung der Angeklagten und der Aussagen der genannten Zeugin mit Stillschweigen übergangen habe, haftet dem angefochtenen Urteil die behauptete Unvollständigkeit der Begründung nicht an. Die Beschwerde übersieht in diesem Zusammenhang zum einen, daß das Gericht nach der (im § 281 Abs. 1 Z 5 StPO zitierten) Vorschrift des § 270 Abs. 2 Z 5 StPO nicht verpflichtet ist, im Urteil zu allem Vorbringen des Angeklagten Stellung zu nehmen und den Inhalt einer Zeugenaussage in allen Einzelheiten zu erörtern (vgl Mayerhofer-Rieder StPO 2 E Nr 104, 105 zu § 270). Es hat die Entscheidungsgründe vielmehr in gedrängter Darstellung abzufassen, wobei es genügt, daß darin mit voller Bestimmtheit angegeben ist, welche Tatsachen und aus welchen Gründen der Gerichtshof sie als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen hat. Dieser Verpflichtung ist das Gericht vorliegend in hinreichendem Maße nachgekommen. Zum anderen negiert die Beschwerde, daß sowohl die Verantwortung der Angeklagten als auch die für die Angeklagte entlastende Zeugenaussage der Pauline T*** im Urteil sehr wohl erörtert und demnach keineswegs mit Stillschweigen übergangen worden sind. Wenn das Gericht dabei die Angaben der genannten Zeugin über ihre Beobachtungen von ausreichender Pflege und Ernährung des Säuglings als unglaubwürdig beurteilte und dabei nicht nur einen auf das Bemühen um Deckung der Straftat der Angeklagten hinweisenden Eindruck dieser Bekundungen erwog, sondern auch auf die Angaben der Zeugin verwies, das Kind nie gewickelt und nie näher betrachtet zu haben, sowie schließlich die aus dem Gutachten des Sachverständigen für forensische Medizin abgeleitete Erkennbarkeit des körperlichen Verfalls des Kindes auch für den Laien in Betracht zog, so hat es damit einen - formal mängelfrei begründeten - Akt tatrichterlicher Beweiswürdigung (§ 258 Abs. 2 StPO) gesetzt, der im schöffengerichtlichen Verfahren einer Anfechtung entzogen ist. Das gilt gleichermaßen auch für die Konstatierung, daß der Angeklagten die Gröblichkeit ihrer Pflichtverletzung - also das besonders gewichtige Abweichen ihres Verhaltens von den allgemein erwarteten pflichtgemäßen Fürsorgemaßnahmen - bewußt war und sie diese mithin ernstlich für möglich hielt und sich damit auch abfand. Die bezügliche Schlußfolgerung der Tatrichter aus den intellektuellen Fähigkeiten der Angeklagten, ihrer schon bei ihrem ersten Kind gewonnenen Erfahrung über ausreichende Säuglingsernährung und ihrer zudem bereits vor zwei oder drei Wochen gemachten Wahrnehmung von der fortschreitenden Abmagerung des Kindes entspricht durchaus den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung. Mit der Bezugnahme auf die eben angeführten Umstände hat das Gericht die bekämpfte Feststellung somit - entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin - durchaus hinreichend begründet. Was die Beschwerde dagegen vorbringt, stellt sich lediglich als Bekämpfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung dar; ein formaler Begründungsmangel wird damit nicht aufgezeigt. Soweit die Beschwerde im gegebenen Zusammenhang ein "das normative Tatbestandsmerkmal der Gröblichkeit" (der Pflichtverletzung) "wertausfüllendes Tatsachensubstrat" vermißt, macht sie der Sache nach keine Mängelrüge, sondern eine Rechtsrüge geltend, die jedoch prozeßordnungswidrig nur an Beweiswürdigungserwägungen und nicht an die getroffenen Tatsachenfeststellungen anknüpft. Letzteren zufolge hat die Angeklagte wochenlang die ausreichende Ernährung ihres Säuglings ohne Rücksicht auf seinen progressiven, rechtzeitige ärztliche Hilfe gebietenden körperlichen Verfall bis zum Eintritt des Todes durch Verhungern und Verdursten vernachlässigt, was einem krassen, auf einen Charaktermangel hinweisenden Mißverhältnis zwischen Täterverhalten und den Obliegenheiten zur ordnungsgemäßen Versorgung des Kleinstkindes entspricht und damit das Tatbestandsmerkmal der Gröblichkeit der Pflichtverletzung begründet, wie dies der Oberste Gerichtshof im ersten Rechtsgang bereits zum Ausdruck gebracht hat (9 Os 189/84-6 = ON 33).

Der in der Mängelrüge schließlich erhobene Einwand, das Gericht habe jene Angaben der Angeklagten unerörtert gelassen, mit welchen sie einen Tötungsvorsatz in Abrede stellte, geht schon deshalb fehl, weil der Angeklagten ein derartiger Vorsatz gar nicht vorgeworfen wurde.

Mithin ist die Beschwerde, soweit sie den Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO releviert, teils unbegründet, teils nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.

Die auf die Z 10 der zitierten Gesetzesstelle gestützte Rechtsrüge hinwieder entbehrt, soweit sie die getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite ignoriert, der gesetzmäßigen Darstellung des geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes. Mit jenen Einwänden aber, die sich in rechtlicher Beziehung gegen die Annahme zumindest bedingten Vorsatzes in Ansehung der Gröblichkeit der Pflichtverletzung richten, vermag die Beschwerde einen dem Erstgericht diesbezüglich unterlaufenen Rechtsirrtum in keiner Weise aufzuzeigen. Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher zur Gänze ein Erfolg zu versagen.

Das Schöffengericht verurteilte die Angeklagte nach dem "zweiten" (gemeint: höchsten) Strafsatz des § 92 Abs. 3 StGB (s US 6) zu einer Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren. Dabei wertete es als erschwerend, daß die Angeklagte die Hilflosigkeit des minderjährigen Kindes ausnützte, als mildernd hingegen das in Richtung § 80 StGB abgelegte reumütige, aber nur teilweise Geständnis, weiters die Unbescholtenheit der Angeklagten in Verbindung mit ihrem nicht nachteiligen Leumund sowie schließlich, daß die Angeklagte zur Tat teilweise durch eine nicht auf Arbeitsscheu zurückzuführende Notlage bestimmt worden ist. Den Strafausspruch bekämpfen sowohl die Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft; während erstere die Herabsetzung der Strafe und deren bedingte Nachsicht anstrebt, begehrt letztere die angemessene Erhöhung der Strafe.

Nur dem Rechtsmittel der Anklagebehörde kommt Berechtigung zu. Zwar hat, worauf die Angeklagte zutreffend verweist, der angeführte Erschwerungsgrund zu entfallen, weil er seinem Wesen nach einen Umstand betrifft, der bereits vom Tatbestand des § 92 Abs. 2 StGB erfaßt wird und demnach der Angeklagten nicht zusätzlich bei der Strafzumessung angelastet werden darf. Stattdessen ist allerdings als erschwerend zu werten, daß die Angeklagte die gröbliche Vernachlässigung ihres Säuglings mehrere Wochen hindurch fortgesetzt hat. Ein Geständnis im Sinn des § 34 Z 17 StGB lag hinsichtlich der Urteilstat nicht vor; der Angeklagten ist aber doch zugute zu halten, daß sie jedenfalls zur Wahrheitsfindung beigetragen und letztlich auch eine gewisse Schuldeinsicht gezeigt hat. Mit der als mildernd gewerteten Unbescholtenheit in Verbindung mit dem nicht nachteiligen Leumund hat das Gericht der Sache nach ohnehin, wie dies die Berufung der Angeklagten anstrebt, den Milderungsgrund des § 34 Z 2 StGB als gegeben angenommen. Auch wenn man der Angeklagten überdies zugute hält, daß sie zur Tatzeit das 21. Lebensjahr erst knapp überschritten hat - die weiters von ihr reklamierten Milderungsgründe liegen jedoch nicht -, so darf bei der Ausmessung der verwirkten Strafe die besondere Schwere der personalen Täterschuld nicht außer Betracht bleiben. Unter diesem - von der Staatsanwaltschaft in ihrer Berufung zutreffend herausgestellten - Gesichtspunkt erweist sich aber das vom Erstgericht (im zweiten Rechtsgang) gefundene Strafmaß als zu gering. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes entspricht vielmehr eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Jahren, wie sie im ersten Rechtsgang verhängt worden war und die immer noch im unteren Bereich der gesetzlichen Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren liegt, als tatschuldangemessen und tätergerecht. Im Hinblick auf dieses Strafmaß kommt eine bedingte Strafnachsicht ex lege nicht in Betracht, sodaß auf das bezügliche Begehren der Angeklagten nicht einzugehen ist.

Es war somit der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge zu geben, während die Angeklagte mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen war.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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