Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die nunmehr 22-jährige Christina A des Verbrechens des (Quälens oder) Vernachlässigens eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen nach § 92 Abs.2 und Abs.3, dritter Fall, StGB schuldig erkannt. Darnach hat sie ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im April 1984 bis zum 3.Mai 1984 in Kaindorf, Bezirk Leibnitz, ihre Verpflichtung zur Fürsorge und Obhut gegenüber ihrem am 14.Feber 1984 außerehelich geborenen Sohn Markus Christopher A gröblich vernachlässigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, dessen Gesundheit und dessen körperliche oder geistige Entwicklung beträchtlich geschädigt, indem sie ihn nicht ausreichend ernährte, wobei die Tat den Tod des Kindes durch Verdursten bzw. Verhungern zur Folge hatte.
Die Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf die Gründe der Z 5 und 10 des § 281 Abs.1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie in rechtlicher Beziehung die Beurteilung ihrer Tat als fahrlässige Tötung gemäß § 80 StGB anstrebt und aus dem letztbezeichneten Nichtigkeitsgrund Feststellungsmängel in Ansehung des subjektiven Tatbestands des Delikts nach § 92 Abs.2 StGB releviert.
Rechtliche Beurteilung
Die Verwirklichung des Delikts nach § 92 Abs.2 StGB setzt auf der objektiven Tatseite eine gröbliche Pflichtenvernachlässigung, also ein krasses, beim Täter geradezu auf einen Charaktermangel hinweisendes Mißverhältnis zwischen seinem Verhalten und jenem Maß an Fürsorge (oder Obhut) voraus, dessen Anwendung unter den konkreten Umständen des Falles allgemein von ihm erwartet wird; in subjektiver Hinsicht müssen sowohl die Pflichtwidrigkeit als auch jene Umstände, die deren Gröblichkeit ausmachen, von seinem zumindest bedingten Vorsatz (§ 5 Abs.1, zweiter Halbsatz, StGB) umfaßt sein; nur zur Herbeiführung der tatbildlichen Schädigung des Schutzbefohlenen (und - wie hier - im Falle des Eintritts eines qualifizierenden Erfolges zu dessen Zurechnung) genügt Fahrlässigkeit (vgl. EvBl. 1979/179 = ÖJZ-LSK 1979/87, 88; EvBl. 1984/104 = ÖJZ-LSK 1984/21;
10 Os 106/84; Leukauf-Steininger Kommentar 2 § 92 RN 9, 11 und 12). Als eine im dargelegten Sinn gröbliche Pflichtenvernachlässigung gegenüber ihrem Kleinstkind ist der Angeklagten im vorliegenden Fall, wie das Erstgericht zutreffend erkannte, anzulasten, daß sie den Säugling etwa ab April 1984 bis zu dessen Tod (am 3.Mai 1984) in völlig unzureichendem Maße ernährte und es, als sie etwa Mitte April dessen immer schwächer werdenden körperlichen Zustand bemerkte, unterließ, für sofortige ärztliche Hilfe zu sorgen, wodurch das Kind weiter abmagerte, zusehends verfiel und schließlich, weil es, als die Angeklagte letztlich doch noch (am 3.Mai 1984) den Arzt verständigte, nicht mehr zu retten war, infolge Verdurstens bzw. Verhungerns verstarb (S 160 ff). Wenngleich das Urteil in seinen Gründen nicht ausdrücklich auf die Gröblichkeit der Vernachlässigung der Fürsorgepflicht abstellt, sondern nur darauf, daß sich die Angeklagte 'um das Kind wenig kümmerte und dieses vernachlässigte' (S 163), so hat das Gericht in tatsächlicher Hinsicht doch jene Umstände festgestellt, welche die Pflichtenvernachlässigung objektiv als gröblich erscheinen lassen und die es - wie sich aus dem Zusammenhang zwischen den Urteilsgründen und dem Urteilsspruch (S 154) ergibt - auch als gröblich beurteilt hat.
Zum subjektiven Tatbestand enthält das Urteil allerdings keine Konstatierungen darüber, ob die Angeklagte sich der Gröblichkeit ihrer Pflichtenvernachlässigung (in der eingangs dargelegten Bedeutung) gegenüber ihrem Kind bewußt gewesen ist, mithin die Verwirklichung dieses Tatbildmerkmals ernstlich für möglich gehalten hat, und ob sie sich - vor allem - damit auch abgefunden hat, ein solches Geschehen hinzunehmen, sodaß ihr insoweit zumindest bedingt vorsätzliches Handeln anzulasten ist. Das im Urteil festgestellte Wissen der Angeklagten um die Notwendigkeit, einem Säugling alle vier Stunden Nahrung zuzuführen, und das ebenfalls konstatierte Erkennen des geschwächten Körperzustandes des Kindes genügen hiefür nicht.
Denn damit ist, da ein solches Wissen auch Ansatzpunkt für eine bewußte Fahrlässigkeit sein kann, noch nicht klargestellt, daß das ihm widerstreitende Verhalten (mangelhafte Nahrungszufuhr und Unterlassen der rechtzeitigen Herbeiholung ärztlicher Hilfe) von einem auf gröbliche Vernachlässigung der Fürsorgepflicht gerichteten, zumindest bedingten Wollen der Angeklagten getragen waren. Jene Urteilsausführungen hinwieder, mit denen das Gericht eine vorsätzliche Herbeiführung des Todes des Kindes negiert, der Angeklagten aber zum Vorwurf macht, daß sie sehr wohl erkennen mußte und auch erkannt hat, es könne ein allmähliches Verdursten- und Verhungernlassen zum Tod des Kindes führen (S 164/165), betreffen nicht den subjektiven Tatbestand des Grunddelikts nach § 92 Abs.2 StGB, sondern die Zurechnung der Todesfolge gemäß § 92 Abs.3, dritter Fall, StGB in Verbindung mit § 7 Abs.2 StGB. Dem angefochtenen Urteil haften somit, wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt, Feststellungsmängel in Ansehung des subjektiven Tatbestands des § 92 Abs.2 StGB an, weshalb der Nichtigkeitsbeschwerde - übereinstimmend mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - schon bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285 e StPO Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen war. Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf die getroffene kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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