OGH 10Os153/85

OGH10Os153/8518.2.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Februar 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gruber als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hans Jürgen B*** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft Korneuburg gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 9.Oktober 1985, GZ 11 a Vr 283/85-30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Brugger, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 3 (drei) Jahre erhöht.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hans Jürgen B*** der Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB (Punkt I/ 1/ a/ des Urteilssatzes) und der Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB (Punkt I/ 1/ b/), sowie der Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB (Punkt I/ 2/) und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB (Punkt II/ des Urteilssatzes) schuldig erkannt. Darnach hat er

I./ am 19.April 1985 in Stockerau

1./ dadurch, daß er die am 22.April 1972 geborene Roswitha D*** an eine einsame Stelle der Marienhöhe lockte, sie dort in einen dichten Föhrenjungwald drängte, ihr den Rock hochschob und die Strumpfhose und die Unterhose bis zu ihren Knien herabzog, sodann sein erigiertes Glied zwischen ihre Oberschenkel steckte, Roswitha D*** in Rückenlage zu Boden drückte, ihre Beine auseinanderdrückte und mit seinem Glied reibende Bewegungen an ihrem Geschlechtsteil vollführte, wobei er auch teilweise in die Scheide eindrang und den Hymen einriß,

a/ mit einer unmündigen Person den außerehelichen Geschlechtsverkehr unternommen, und

b/ eine Person weiblichen Geschlechts mit Gewalt gegen ihre Person widerstandsunfähig gemacht und in diesem Zustand zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht;

2./ (Roswitha D***) durch die Äußerung, sie umzubringen, falls sie von der im Punkt I./ 1./ geschilderten Tat jemanden erzähle, sohin durch gefährliche Drohung, zur Unterlassung der Mitteilung an eine andere Person zu nötigen versucht; II./ etwa ab 1982 bis Mitte April 1985 in Bruderndorf und Stockerau die Anita D*** wiederholt durch Versetzen von Schlägen, die Verletzungen, insbesondere Hämatome und Schwellungen zur Folge hatten, am Körper mißhandelt und dadurch verletzt. Der Angeklagte bekämpft das Urteil mit einer auf die Z 4, 9 lit a und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die sich ihrem Inhalt nach gegen die Schuldsprüche wegen Beischlafs mit Unmündigen, Notzucht und versuchter Nötigung (Faktengruppe I/) wendet, wogegen der Schuldspruch wegen Körperverletzung (II/) der Sache nach unangefochten bleibt.

Als Verfahrensmangel (Z 4) rügt der Beschwerdeführer die Abweisung seines Antrages auf Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen für gerichtliche Medizin über den Alkoholisierungsgrad des Angeklagten (bei den am 19.April 1985 verübten Delikten), der zum Beweis dafür gestellt worden war, daß er zum Tatzeitpunkt voll alkoholisiert gewesen sei (S 215). Das Erstgericht wies diesen Antrag dem Sinn nach mit der Begründung ab, ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Rauschzustand sei nicht indiziert, weil sich der Angeklagte an Details der Vorgänge genau erinnere, nach den Aussagen der Zeuginnen Erika und Anita D*** (unmittelbar nach der Tat) zeitlich und örtlich voll orientiert gewesen sei und folgerichtige Antworten gegeben habe sowie nach dem Gutachten des Amtsarztes nur eine leichte Alkoholisierung vorgelegen sei (S 216).

Die solcherart auf Grund von logisch und empirisch unbedenklichen Überlegungen verneinte Voraussetzung für die Aufnahme des angestrebten Sachverständigenbeweises - nämlich Zweifel darüber, ob der Angeklagte zufolge seines vom Schöffengericht ohnedies als erwiesen angenommenen und demgemäß eine Prämisse der Beschlußfassung bildenden erheblichen Alkoholkonsums zurechnungsunfähig war (§ 134 StPO) - wird auch durch durch den Einwand der Beschwerde gegen die Berücksichtigung des Gutachtens des Amtsarztes (S 35) nicht dargetan. Die diesem Gutachten entnommene - in den Urteilsgründen näher bezeichnete (US 11) - Indizfunktion berücksichtigte den in der Beschwerde hervorgehobenen Zeitablauf zwischen dem deliktischen Verhalten und der ärztlichen Untersuchung (wenngleich das Urteil nur von "ungefähr sieben Stunden" statt richtig etwa 8 1/2 Stunden ausgeht), weil das Erstgericht - nach forensischer Erfahrung zutreffend - einen Abbau einer Volltrunkenheit zur Tatzeit zu einer bloß leichten Alkoholisierung zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Amtsarzt ausschloß (US 11). Auf den weiteren von der Beschwerde relevierten Umstand, der Angeklagte habe dem Amtsarzt gegenüber nach seiner Weigerung, sich Blut zur Bestimmung des Alkoholgehaltes abnehmen zu lassen (S 19, 99, 208), die Trinkmenge unzutreffend angegeben, kommt es indes nicht an, denn die Beurteilung des Grades der Alkoholisierung des Angeklagten durch den Amtsarzt erfolgte ausschließlich auf Grund einer klinischen Untersuchung (S 35) und nicht etwa durch rechnerische Verwertung der damaligen Angaben des Angeklagten über Art und Menge des konsumierten Alkohols.

Rechtliche Beurteilung

Der Verfahrensrüge kommt somit keine Berechtigung zu. Dem Vorbringen zur Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO zuwider setzte sich das Erstgericht im Urteil sehr wohl - und zwar unter zutreffender Bezugnahme auf zahlreiche Verfahrensergebnisse sehr eingehend - mit der Frage auseinander, ob beim Angeklagten (bei Verübung der zu I/ umschriebenen Urteilsfakten) eine volle Berauschung vorlag (US 10 f). In diesem Zusammenhang war es weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen erforderlich, im einzelnen Art und Menge des in verschiedenen Gaststätten konsumierten Alkohols - worüber der Angeklagte in der Hauptverhandlung (S 203, 207) von seiner Verantwortung im Vorverfahren (S 37, 39, 55 verso) und von den sicherheitsbehördlichen Erhebungsergebnissen (S 99) abweichende Behauptungen aufgestellt hatte - zu konstatieren.

Eine gesonderte Erörterung von Verfahrensergebnissen, die auf eine Alkoholbeeinträchtigung des Angeklagten an sich hinwiesen, erübrigte sich jedoch, weil das Erstgericht ohnehin eine starke Alkohlisierung zur Tatzeit feststellte (US 7), der es jedoch mit denkrichtiger Begründung die Eigenschaft eines Vollrausches absprach. Diese der Sache nach auf die Behauptung von Begründungsmängeln (Z 5) hinauslaufende Rüge versagt daher.

Auch der Einwand in der Rechtsrüge (unter Berufung auf Z 9 lit a, der Sache nach jedoch Z 10), Beischlaf mit Unmündigen (§ 206 StGB) könne nicht mit Notzucht (§ 201 StGB) eintätig zusammentreffen, versagt.

Der Beschwerdeführer kann sich zwar zu dieser Frage auf die frühere Judikatur (so etwa SSt 49/25 = EvBl 1978/216 = Rz 1978, 133; EvBl 1975/195) sowie auf einen Teil der Lehre (Pallin im WK, Rz 7 zu § 201 Rz 2 zu § 203, Rz 5 zu § 206, Rz 14 zu § 207) berufen, doch folgt der Oberste Gerichtshof auch im vorliegenden Fall der neueren, mit dem überwiegenden Teil der Lehre übereinstimmenden Rechtsprechung. Danach sind die Strafbestimmungen der §§ 206 und 207 StGB gegen den geschlechtlichen Mißbrauch Unmündiger keinesfalls abschließende, die Normen zum Schutz vor sexuellen Angriffen mit Brechung oder Beugung des Willens des widerstrebenden Opfers verdrängende Regelungen; es ist vielmehr auch die zusätzliche Unterstellung unter die letztbezeichneten Normen geboten, um den gesamten Unrechtsgehalt solcher Taten zu erfassen. Denn die Bestimmungen der §§ 206 und 207 StGB sollen lediglich die ungestörte sexuelle Entwicklung Unmündiger gewährleisten, ohne daß es auf deren allfällige Einwilligung zu den verpönten Vorgängen ankommt. Ist der geschlechtliche Mißbrauch hingegen zusätzlich unter gesetzwidriger Überwindung des Widerstandes des Unmündigen, somit unter Verletzung von dessen freier Selbstbestimmung erfolgt, dann ist auch eine gesonderte Subsumtion erforderlich. Auf Grund der Verschiedenartigkeit der betroffenen Rechtsgüter ist demnach die rechtliche Möglichkeit echter Idealkonkurrenz der in den §§ 201 bis 204 StGB bezeichneten, an Unmündigen begangenen Delikte mit jenen der §§ 206, 207 StGB zu bejahen (s hiezu EvBl 1984/57 = JBl 1984, 99 = Rz 1983/55; EvBl 1985/94 = Rz 1985/32; 12 Os 98/85;

Leukauf-Steininger, Komm z StGB 2 , RN 29 zu § 201, RN 22 zu § 202, RN 18 zu § 203, RN 14 zu § 204, RN 13 zu § 206, RN 29 zu § 207;

Foregger-Serini, StGB 3 , Anm II zu § 201, Anm IV zu § 202, Anm III zu § 203, Anm II zu § 204; Burgstaller in JBl 1978, 396). Vorliegend ist daher die idealkonkurrierende Annahme von Beischlaf mit Unmündigen (§ 206 StGB) mit Notzucht (§ 201 StGB) nicht rechtsirrig erfolgt.

Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 206 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung drei einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit zwei Vergehen, die wiederholten Angriffe im Urteilsfaktum II/, einen raschen Rückfall sowie die (vorzuwerfende) Alkoholisierung als erschwerend, dagegen ein Teilgeständnis, das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren und den Umstand, daß es beim Faktum I/ 2) beim Versuch blieb, als mildernd.

Mit ihren Berufungen streben der Angeklagte eine Herabsetzung, die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung des Ausmaßes der Freiheitsstrafe an.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu. Zutreffend verweist diese in ihrer Berufung darauf, daß die Voraussetzungen für die Anwendung des Strafsatzes von einem bis zu zehn Jahren in zweifacher Richtung verwirklicht wurden und dies zusätzlich als erschwerend ins Gewicht fällt.

Zu beachten ist außerdem unter dem Aspekt des Gewichtes der Tatfolgen (§ 32 Abs. 3 StGB), daß Roswitha D***, wie aus den Berichten über ihre Befragung und aus der Aussage ihrer Mutter hervorgeht (S 11, 13, 26 f, 67, 109, 210, 214), unter anhaltendem schweren Schock stand, der wesensgemäß gravierende Auswirkungen auf die psychische Entwicklung des Kindes nach sich ziehen mußte. Dazu kommt, daß der Angeklagte seine Lebensgefährtin Anita D*** lange Zeit hindurch in vielfacher Tatwiederholung mißhandelte und auch gerichtliche Verurteilungen wegen Aggressionsdelikten ihn nicht zu einer Änderung seines Verhaltens gegenüber seiner Lebensgefährtin zu veranlassen vermochten. Angesichts des hohen Schuld- und Unrechtsgehaltes der vom Angeklagten verübten Taten ist das vom Erstgericht gewählte Strafmaß schon aus spezialpräventiven Gründen nicht angemessen. Überdies erfordern es auch generalpräventive Erwägungen angesichts einer immer noch großen und zuletzt sogar wieder ansteigenden Zahl von Sittlichkeitsdelikten (siehe Sicherheitsbericht für 1984), gerade gewaltsamen sexuellen Angriffen auf Kinder mit entsprechender Schärfe entgegenzutreten.

Aus diesen Erwägungen war mit einer Erhöhung des Strafausmaßes vorzugehen; der Angeklagte war mit seiner Berufung, in der er keine weiteren, nicht schon vom Erstgericht berücksichtigten Milderungsgründe geltend zu machen vermag, auf diese Entscheidung zu verweisen.

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