OGH 6Ob697/85

OGH6Ob697/8516.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friederike H***, Versicherungsangestellte, Wien 19., Nußberggasse 7, vertreten durch Dr. Eduard Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Manfred H***, Versicherungsangestellter, Wien 19., Nußberggasse 7, vertreten durch Dr. Romeo Novak, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 11. Juli 1985, GZ 15 R 101/85-11, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 11. März 1985, GZ 12 Cg 22/85-8, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.897,35 bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer und S 1.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Erstgerichtes vom 22.2.1985, ON 4, aus dem Alleinverschulden des Beklagten geschieden. Die Zustellung des Urteiles erfolgte an beide Parteienvertreter am 28.2.1985. Mit Schriftsatz vom 5.3.1985, ON 6, zog die Klägerin die vorliegende (Wider-)Klage zurück, wobei sie mit Schriftsatz vom 8.3.1985, ON 7, noch ausdrücklich einen Anspruchsverzicht abgab. Im Verfahren 12 Cg 369/84 des Erstgerichtes, in welchem der Ehemann als Kläger auftrat, gaben die Parteienvertreter in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 22.2.1985 die Erklärung ab, nicht weiter verhandeln zu wollen. Das Erstgericht vermerkte hiezu, daß das Verfahren ruht (ON 5 des Aktes 12 Cg 369/84).

Das Erstgericht sprach mit Beschluß vom 11.3.1985, ON 8, aus, daß die Klagsrücknahme nicht zur Kenntnis genommen werde. Es führte aus, nach der Bestimmung des § 483 a ZPO gelte in Ehesachen § 483 Abs. 3 letzter Satz mit der Maßgabe sinngemäß, daß der Kläger die Klage auch nach dem Schluß der mündlichen Streitverhandlung bis zur Rechtskraft des Urteiles mit Zustimmung des Beklagten zurücknehmen könne. Aus der zitierten Gesetzesbestimmung ergebe sich, daß in Ehescheidungsverfahren die Klage nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung (nur) mit Zustimmung des Beklagten zurückgenommen werden könne. Ein Anspruchsverzicht der Klägerin allein sei nicht ausreichend.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin statt, nahm die Erklärung der Klägerin über die Zurücknahme ihrer Widerklage unter Anspruchsverzicht zur Kenntnis, behob das Urteil des Erstgerichtes vom 22.2.1985, ON 4, und erklärte das Verfahren über die Widerklage wegen Klagsrücknahme als beendigt.

Das Rekursgericht begründete seine Entscheidung wie folgt: Der Hinweis der Klägerin auf § 79 Abs. 2 der 1. DVEheG sei zwar verfehlt, weil diese Bestimmung mit Bundesgesetz vom 11.11.1983, BGBl. Nr. 566, aufgehoben worden sei, wobei aber der Regelungsinhalt dieser Bestimmung in die vom Erstgericht ohnedies zitierte Vorschrift des § 483 a ZPO übergeleitet worden sei. Richtig sei zwar, daß diese Gesetzesstelle die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht nicht regle, die auch im Eheverfahren möglich sei und auch hier das Prozeßhindernis der Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht begründe. Für diesen Fall vertrete der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung im Anschluß an NOVAK, die Amtswegigkeit im österreichischen Eheverfahren und ihre Grenzen, 45 f., die Auffassung, daß unter gleichzeitigem Verzicht auf den Anspruch der Kläger in Eheverfahren seine Klage auch gegen den Willen des Beklagten bis zur Rechtskraft des Urteiles zurücknehmen könne. Fasching kritisiere dies zwar, doch wende er sich letztlich nur gegen die Begründung dieser ständigen Praxis, weil er ausdrücklich hervorhebe, daß das Ergebnis aus dem favor matrimonii gerechtfertigt werden und man einen Größenschluß ziehen könne: Weil die den Streit noch nicht für alle Zeit beendende Klagsrücknahme ohne Anspruchsverzicht bis zum Eintritt der Rechtskraft für zulässig erklärt worden sei, müsse umsomehr die der Aufrechterhaltung der Ehe noch sicherer dienende Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht, die diesen Ehestreit einfür allemal beende, zugelassen werden. Nicht einzusehen sei, wie der Beklagte daraus, daß er sein ehewidriges Verhalten zugegeben habe, ein eigenes Recht erlangen könne (aus seinem Verschulden) geschieden zu werden. Auf die Bedenken Faschings bezüglich der Zurücknahme einer Widerklage sei nicht weiter einzugehen, da diese den hier gerade nicht vorliegenden Fall beträfen, daß das Erstgericht über Klage und Widerklage gemeinsam entschieden habe und in der Folge nur entweder die Klage oder die Widerklage zurückgezogen würde.

Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes gerichtete Revisionsrekurs des Beklagten ist zulässig und berechtigt. Der Rechtsmittelwerber hält den Revisionsrekurs für zulässig, weil eine abändernde Rekursentscheidung vorliege und die erhebliche Rechtsfrage zu lösen sei, ob auch nach Einfügung des § 483 a ZPO und Aufhebung des § 79 Abs. 2 der 1. DVEheG an der vorher herrschenden Rechtsansicht festgehalten werden könne, daß die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht entgegen dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nach Schluß der Verhandlung erster Instanz bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteiles zulässig sei.

Der Beklagte geht damit richtigerweise davon aus, daß § 502 Abs. 5 ZPO mangels Erwähnung im § 528 Abs. 2 ZPO nicht anzuwenden ist und daher auch in Verfahren wegen Ehescheidung - wie hier - Beschlüsse des Rekursgerichtes nur unter den Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO anfechtbar sind (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1881; Petrasch in ÖJZ 1985, 302; 1 Ob 1536/84). Da der Beklagte ohnehin einen außerordentlichen Revisionsrekurs ausgeführt hat, schadet es nicht, daß das Rekursgericht keinen Ausspruch über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Rechtsmittels gefaßt hat. Es konnte ohne diesbezügliche Ergänzung der Rekursentscheidung in die Prüfung des Rechtsmittels eingegangen werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist, weil keine Rechtsprechung zur aufgeworfenen Frage vorliegt, zulässig, er ist auch berechtigt. Die Vorschrift des § 483 a ZPO erwähnt ebensowenig wie die durch das Bundesgesetz vom 11. November 1983 über Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechts, BGBl. Nr. 566, aufgehobene Bestimmung des § 79 Abs. 2 1. DVEheG die Zurückziehung der Klage unter Anspruchsverzicht, sondern bestimmt nur die sinngemäße Anwendung des § 483 Abs. 3 letzter Satz ZPO mit der Maßgabe, daß der Kläger die Klage auch nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung bis zur Rechtskraft des Urteiles mit Zustimmung des Beklagten zurücknehmen kann. § 483 Abs. 3 letzter Satz ZPO normiert, daß bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Berufungsverhandlung oder in Fällen des § 492 ZPO bis zur Entscheidung des Berufungsgerichtes die Klage, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, zurückgenommen werden kann, wenn der Beklagte zustimmt oder wenn gleichzeitig auf den Anspruch verzichtet wird. Während somit im § 483 Abs. 3 letzter Satz ZPO die Zurücknahme unter Anspruchsverzicht vorgesehen ist, erwähnt § 483 a ZPO die Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht nicht. Bei der Entscheidung der Frage, ob der Gesetzgeber im § 483 a ZPO nur die Zurücknahme mit Zustimmung des Beklagten oder auch die Zurückziehung der Klage unter Anspruchsverzicht einräumen wollte, ist zunächst festzuhalten, daß eine Auslegung im letzteren Sinne nicht möglich ist, weil der mögliche Wortsinn, der die Grenze der Auslegung darstellt (Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts 7 I, 20; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 441) eine solche nicht zuläßt. Wenn der Gesetzgeber bei Normierung verfahrensrechtlicher Bestimmungen Ausdrücke in spezifischer Bedeutung verwendet, dann sind sie im Zweifel in dieser speziellen Bedeutung zu verstehen und ist nur diese als mögliche Bedeutung anzusehen (vgl. Bydlinski aaO 439; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 5 , 307). Wenn daher der Gesetzgeber den verfahrensrechtlichen Begriff "Zurücknahme mit Zustimmung des Beklagten" verwendet, dann ist kein Raum für eine Auslegung dahin, daß damit auch die Zurückziehung unter Anspruchsverzicht zu verstehen sei. Auch Fasching III, 148, und Zivilprozeßrecht, Rz 2337 führt aus, daß sich für eine solche Auslegung im Gesetz kein Anhaltspunkt finde.

Es bleibt aber noch zu prüfen, ob die Nichterwähnung der Rücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht bedeutet, daß es eine solche nicht geben soll, was dann zu bejahen ist, wenn diese Nichterwähnung nicht eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit darstellt (vgl. Koziol-Welser aaO 23; Fasching, Lehrbuch, Rz 127 f.).

Das Vorliegen einer solchen Regelungslücke ist zu verneinen. Die in der vom Berufungsgericht erwähnten Entscheidung SZ 29/17 im Anschluß an NOVAK, Die Amtswegigkeit im österreichischen Eheverfahren und ihre Grenzen, 45 f., vorgenommene und in Wahrheit eine Lückenfüllung darstellende Lösung kann schon deshalb nicht aufrecht erhalten werden, weil sie die Nichtregelung der Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht darauf zurückgeführt hat, daß der deutsche Gesetzgeber im deutschen Prozeßrecht verfangen gewesen sei, die dem österreichischen Recht geläufige qualifizierte Klagsrücknahme überhaupt nicht gekannt und sich daher nicht veranlaßt gesehen habe, die ihm nicht bekannte qualifizierte Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht bei der Normierung des § 79 Abs. 2 der 1. DVEheG mitzubehandeln, diese Begründung des Vorliegens einer Gesetzeslücke aber nun auf Grund der vom österreichischen Gesetzgeber geschaffenen Gesetzeslage nicht vorgenommen werden kann, zumal im § 483 a ZPO die sinngemäße Anwendung des dritten Satzes des § 483 ZPO angeordnet wird, und in letzterer Bestimmung die Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht ausdrücklich genannt ist. Es kann daher nicht mehr damit argumentiert werden, daß der Gesetzgeber die Rücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht gar nicht gekannt habe und deshalb eine diesbezügliche Regelung fehle. Es spricht alles dafür, daß der Gesetzgeber, der von zwei verschiedenen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten (Prozeßhandlungen) in einer von zwei aufeinanderfolgenden und aufeinander bezugnehmenden gesetzlichen Bestimmungen beide Verfahrensmöglichkeiten, in der anderen gesetzlichen Regelung aber nur eine der beiden verfahrensrechtlichen Möglichkeiten erwähnt, in den in der zweiten Bestimmung genannten Fällen nur die eine Verfahrensmöglichkeit einräumen wollte. Dagegen spricht auch nicht die Ausführung in den Materialien (78 BlgNR XVI.GP S 3), wonach der § 483 a Abs. 1 ZPO den Regelungsinhalt des § 79 Abs. 2 1. DVEheG in die ZPO übernimmt. Welche Bedeutung immer man den Materialien zur Ermittlung der Absicht des Gesetzgebers zuerkennt (vgl. Bydlinski in Rummel, ABGB, Rdz 25 lit. c und d zu § 6), kann dieser Ausführung in den Materialien keineswegs entnommen werden, daß die Nichterwähnung der Rücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht im § 483 a Abs. 1 ZPO planwidrig sei. Von einer solchen Planwidrigkeit könnte nur gesprochen werden, wenn vom Standpunkt des Gesetzes aus die Nichtzulassung der Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht in dem im § 483 a Abs. 1 ZPO genannten Fällen gegen den mit dem Gesetz verfolgten Zweck verstoßen würde. Dies ist aber nicht der Fall. Durch die Ermöglichung der Rücknahme der Klage mit Zustimmung des Beklagten wird den prozeßführenden Parteien auch nach Schluß der mündlichen Verhandlung bis zur Rechtskraft des (klagsstattgebenden) Urteiles die Möglichkeit gegeben, das (Scheidungs-)Verfahren zu beenden und die Wirkungslosigkeit eines schon gefällten Urteiles herbeizuführen, wenn sie beide den Willen haben, die Ehe fortzusetzen. Grundsätzlich kann der Kläger seinen nach Schluß der Verhandlung bestehenden Willen zur Fortsetzung der Ehe durch die Zurücknahme der Klage zeigen, während der Beklagte seinen Ehefortsetzungswillen nach Fällung eines klagsstattgebenden Urteiles entweder durch die Erhebung der Berufung oder durch Zustimmung zur Zurücknahme der Klage und vor Fällung des Urteiles durch Zustimmung zu der Klagsrücknahme bekunden kann. Den Bestimmungen des § 483 Abs. 3 letzter Satz ZPO und des § 483 a Abs. 1 ZPO ist daher in Ansehung der Ehescheidungsverfahren gemeinsam, daß die Zurücknahme der Klage dann ermöglicht werden soll, wenn beide Parteien den Willen bekundet haben, die Ehe fortzusetzen. § 483 a Abs. 1 ZPO erweitert so gesehen die Möglichkeit des § 483 Abs. 3 letzter Satz ZPO nur insoweit, als auch nach Schluß der Verhandlung, aber noch vor Fällung des Urteiles bzw. nach Fällung des Urteiles, aber ohne Erhebung der Berufung die Klage zurückgenommen werden kann. Dafür, daß darüber hinaus zur Vollständigkeit der Regelung über die Klagsrücknahme im Ehescheidungsverfahren eine Bestimmung erforderlich wäre, durch die dem Kläger allein, also ohne oder sogar gegen den Willen des Beklagten nach Schluß der mündlichen Verhandlung die Rücknahme der Klage und damit die Fortsetzung der Ehe ermöglicht würde, findet sich weder in den die Rücknahme der Klage regelnden Bestimmungen (§§ 237, 483 Abs. 3 letzter Satz, 483 a Abs. 1 ZPO) noch in der sonstigen Rechtsordnung eine Grundlage. Es kann daher nicht als planwidrige Lücke angesehen werden, daß die Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht in dem im § 483 a Abs. 1 ZPO genannten Zeitpunkt nicht erlaubt wurde. Es kommt daher auch eine Lückenfüllung nicht in Betracht. Es muß vielmehr der Umstand, daß im § 483 a ZPO allein die Rücknahme der Klage unter Zustimmung des Beklagten erwähnt ist, dahin verstanden werden, daß nur diese Art der Rücknahme möglich und der Rücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht eine Absage erteilt ist.

Es war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Kosten beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte