OGH 2Ob669/85

OGH2Ob669/8510.12.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj.Petra A, geb.28.7.1976, und des Christian Wolfgang A, geb. 11.1.1978, infolge Revisionsrekurses der Mutter Margarete A, 1150 Wien, Fendigasse 19-21/2/6, vertreten durch Dr.Gerhard Rieger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 30. September 1985, GZ.44 R 3338/85-52, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 26.April 1985, GZ.6 P 439/83-47, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der ao. Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Nach der am 1.6.1983 erfolgten rechtskräftigen Scheidung der Ehe der Eltern lebten diese zusammen mit den beiden ehelichen Kindern Petra, geboren am 28.7.1976, und Christian Wolfgang, geboren am 11.1.1978, weiterhin in der vormaligen Ehewohnung in gemeinsamem Haushalt. Am 24.1.1984 schlossen sie einen vom Pflegschaftsgericht genehmigten Vergleich, wonach die elterlichen Rechte und Pflichten betreffend die beiden Kinder gemäß § 177 ABGB der Mutter allein übertragen werden. Am 23.3.1984 beantragte der Vater sodann jedoch, die elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich der beiden Kinder an ihn zu übertragen, weil sich der psychische Zustand der Mutter seit Vergleichsabschluß wiederum verschlechtert habe und die Mutter offensichtlich nicht in der Lage sei, die Kinder entsprechend zu versorgen. Am 15.8.1984 zog die Mutter mit den Kindern in eine eigene Wohnung.

Nach Einholung eines Befundberichtes des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien betreffend die Mutter, eines Berichtes und eines psychologischen Gutachtens der zuständigen Bezirksjugendämter sowie eines kinderpsychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr.B entzog das Erstgericht der Mutter die ihr übertragenen obgenannten Rechte und Pflichten und übertrug sie an den Vater. Es ging in seiner Entscheidung im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus: Die Mutter leidet seit Jahren an einem manisch-depressiven Zustandsbild mit äußerst labiler Stimmungslage, die für den Vater immer wieder Angriffspunkte bezüglich der Fähigkeiten zur entsprechenden Versorgung der Kinder bot. Laut Bericht des psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien befand sich die Mutter vom 23.3.1984 bis 6.4.1984 mit der Diagnose "hypomanes Zustandsbild" in stationärer Behandlung. Durch die Behandlung hat sich dieses Zustandsbild rasch gebessert. Nach dem Eindruck des Jugendamtes ist die Mutter bei der Betreuung der Kinder überfordert, zumal dringende regelmäßige Behandlungen bezüglich des Bettnässens beider Kinder nicht erfolgt oder unterbrochen worden seien, die Kinder unpünktlich zur Schule kamen usw. Die Mutter führte die vorübergehende Verschlechterung ihres psychischen Zustandsbildes auf die Schwierigkeiten, die durch den gemeinsamen Haushalt mit dem Vater eskaliert seien, zurück und erklärte, nach der nunmehrigen Übersiedlung in ihre neue Wohnung sei eine eindeutige Verbesserung sowohl ihrer Situation als auch der Situation der Kinder eingetreten. Auf Empfehlung ihrer bisherigen behandelnden Ärztin habe sie sich entschlossen, vorübergehend die Behandlung bei Dr.C aufzunehmen. Aus dem Bericht des zuständigen Bezirksjugendamtes geht hervor, daß die Mutter zumindest zeitweise in keiner regelmäßigen Behandlung oder psychiatrischen Nachbetreuung steht. In ihrem Haushalt lebt auch ihr Lebensgefährte. Die beiden Kinder besuchen derzeit die Volksschule und nachmittags einen Hort. Beide sind überdurchschnittlich befähigt und den Anforderungen der Volksschule gut gewachsen. Nach dem kinderpsychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr.B vom 14.2.1985 zeigt sich bei beiden Kindern eine nervöse Symptomatik in Form von motorischer Unruhe, abgebissenen Fingernägeln und deutlich gesteigerter Sensibilität. Die Situation im affektiven Bereich der mj.Petra zeigt neben Merkmalen in Richtung emotionaler Unreife vor allem die Manifestationen einer gesteigerten Ängstlichkeit in markanter Selbstunsicherheit, Ratlosigkeit und innerer Verspannung. Als äußere Zeichen der tiefgreifenden seelischen Verunsicherung sind bei dem Mädchen verschiedene Tics in Form von nervösem Kopfschütteln, Zwinkern und eigenartigen Grunzlauten festzustellen, sodaß man angesichts der Intensität und Häufigkeit der Bewegungsautomatismen von einer Tic-Krankheit sprechen kann. Die Hauptursache dieser seelischen Irritierung des Kindes ist in der familiären Katastrophe und deren Auswirkungen zu sehen. Der mj.Christian gibt sich nach außen hin weniger innerlich gestört, wobei ihm offenbar die idealisierenden Wunschvorstellungen hinsichtlich der Familie bei Bewältigung der psychischen Belastungen helfen. Die Bindung der Kinder an die Elternteile ist wohl vorhanden, wird aber von zwiespältigen Gefühlen und Vorstellungen beeinträchtigt. Nach der Anamnese ist verifizierbar, daß die Mutter unter einer manisch-depressiven Erkrankung leidet und deshalb zumindest zweimal in stationärer Behandlung war. Das Schwanken in Stimmungen und Aktivitäten führt zu Unstetigkeit und beträchtlicher innerer Unausgeglichenheit, worunter sowohl die Betroffene selbst als auch die Umwelt leidet. Für Kinder ergeben sich erfahrungsgemäß allein schon aus dieser Wechselhaftigkeit körperliche und seelische Belastungen, wobei ihnen vor allem die Verunsicherung in Bezug auf die Reaktionsweisen und Erziehungsmaßnahmen des betreffenden Betreuers (Mutter) schwer zu schaffen macht. Darunter leidet dann nicht nur die Pflege, sondern muß insbesondere die pädagogische Führung und geistige Förderung zu wenig zielstrebig und einfühlsam bleiben. Der Vater wirkt als Persönlichkeit ausgeglichen, ist vom Gehaben her ruhig und bemüht sich sichtlich, den Kindern Anteilnahme und Unterstützung zu gewähren, soweit es in seiner Macht steht. Bei der Exploration konnte festgestellt werden, daß der Vater keine ausgesprochene Feindseligkeit oder Agressivität gegenüber der Mutter erkennen läßt, sondern bei seinen Überlegungen und Vorbehalten bezüglich der Obsorge der Kinder von deren Interessen ausgeht. Er versucht auch, eine einseitige Stellungnahme zu vermeiden. Vergleicht man die persönlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen der Elternteile, dann ist eindeutig dem Vater der Vorzug als Erziehungspersönlichkeit und "soziale Richtlinie" für die beiden mj.Geschwister zuzuerkennen. Nach den Bedürfnissen der Kinder steht fest, daß sie eine harmonische Familienatmosphäre mit ruhiger und sicherer Führung brauchen. Diese wichtigen Bedingungen liegen trotz wahrscheinlich bester Absichten und persönlicher Gebundenheit im Milieu der Mutter nicht vor, worauf allein schon sehr eindrucksvoll die verschiedenen neurotischen Störungssymptome der Geschwister hinweisen. Insbesondere bei der mj.Petra hat die Neurotisierung und hochgradige Nervosität nun ein Ausmaß angenommen, das die Notwendigkeit einer eventuellen stationären Behandlung gegeben erscheinen läßt. Die Kinder haben sowohl zum Lebensgefährten der Mutter als auch zur Lebensgefährtin des Vaters und deren Sohn eine gute Beziehung. Beim mj.Christian wäre der Pflegewechsel relativ problemlos zu vollziehen, bei der mj.Petra sollte für den Fall der Übersiedlung durch Aufklärung und einfühlsames Vorgehen einer noch ausgeprägteren seelischen Irritation als derzeit vorgebaut werden. In seiner rechtlichen Beurteilung erklärte das Erstgericht, die Verfahrensergebnisse ließen deutlich erkennen, daß es für die Kinder von absoluter Notwendigkeit sei, in stabilen und geordneten Verhältnissen aufzuwachsen und noch ärgere psychische Schäden hintanzuhalten. Auf Grund des Persönlichkeitsbildes der Mutter, welches durch Schübe einer manisch-depressiven Erkrankung und damit wechselnde Gemütslage und Aktivität geprägt sei, würde eine Belassung der Kinder bei ihr mit weiteren psychischen Belastungen der Kinder verbunden sein. Demgegenüber verspreche ein Pflegewechsel zum Vater zumindest eine Stabiliserung der Betreuungssituation und auch eine Unterstützung der Kinder bei entsprechenden therapeutischen Behandlungen ihrer derzeit bereits massiv ausgeprägten psychischen Störungen. Somit sei ein Pflegewechsel zum Vater im Interesse der Kinder und auf Grund der Entwicklung und der Persönlichkeitsstruktur sämtlicher Beteiligter notwendig geworden. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Es verwies darauf, daß der Sachverständige Dr.B nicht nur die von der Rekurswerberin bekämpften Berichtsangaben des Jugendamtes übernommen, sondern eigene ausführliche Explorationen mit den Kindern und beiden Elternteilen durchgeführt habe. Seine Ausführungen seien schlüssig und stünden auch in Übereinstimmung mit den Wahrnehmungen des Jugendamtes. Die im Rekurs beantragte Vornahme weiterer Erhebungen sei daher für die Beurteilung der Frage, ob durch die Unterbringung der Kinder beim Vater deren Wohl besser gewährleistet sei, nicht mehr erforderlich. Der von der Mutter angeführte Grundsatz der Kontinuität der Betreuung sei zwar von maßgeblicher Bedeutung, er habe aber gegenüber dem Erfordernis einer erheblichen Verbesserung der Betreuung zurückzutreten. Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, in welchem sie ausschließlich den Beschwerdegrund der Nichtigkeit nach § 16 Abs.1 AußStrG geltend macht. Hiezu bringt sie vor, die Nichterledigung ihrer Anträge im Rekursverfahren "komme ihres Erachtens einer Rechtsverweigerung gleich". Sie habe die Untersuchung der Kinder, des Vaters und auch ihre eigene Untersuchung durch einen Sachverständigen für Neurologie, die Einvernahme der behandelnden Ärzte sowie Anfragen an das Neurologische Krankenhaus der Stadt Wien und Erhebungen über die Alkoholsucht des Vaters begehrt, dargetan, daß das Gutachten Dr.Bs auf oberflächlichen und unrichtigen Mitteilungen des Jugendamtes gestützt sei, und insgesamt vorgebracht, warum die Unterbringung der Kinder bei ihr besser sei als beim Vater. Durch die Nichtdurchführung der beantragten Beweise werde die Bestimmung des § 2 Abs.2 Z 5 AußStrG "schwerstens" verletzt, weil sich das Gericht nicht mit den bisher vorliegenden Verfahrensergebnissen zufrieden geben dürfe, wenn wohlbegründete Beweisanträge zur Widerlegung derselben vorlägen.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern: Von einem Verfahrensverstoß im Gewichte einer Nichtigkeit nach § 16 Abs.1 AußStrG kann nur dann gesprochen werden, wenn die dem Gericht iS des § 2 Abs.2 Z 5 AußStrG obliegende Stoffsammlung so mangelhaft geblieben ist, daß dadurch Grundprinzipien des Pflegschaftsverfahrens - hier das Wohl der Kinder - vollkommen außer acht gelassen wurden (6 Ob 588/77, 2 Ob 517/82, 3 Ob 572/85 u.a.). Die Beurteilung, ob die Feststellung bestimmter Tatsachen auf Grund der vorhandenen Verfahrensergebnisse, wie Sachverständigengutachten, Auskünfte usw., gerechtfertigt ist oder ob noch weitere Auskünfte eingeholt, Auskunftspersonen vernommen oder weitere Sachverständige beigezogen werden sollen, bildet grundsätzlich eine Frage der Beweiswürdigung, welche im Rahmen eines ao. Revisionsrekurses nach § 16 AußStrG nicht angefochten werden kann (4 Ob 532/70, 1 Ob 657/84, 8 Ob 635/84). Auch die Bekämpfung eines schlüssigen Sachverständigengutachtens stellt lediglich eine Beweisrüge dar (1 Ob 178/72, 7 Ob 544/84, 8 Ob 602/84 u.a.).

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht mehrfache Beweise aufgenommen und zur Lösung der entscheidungswesentlichen Frage, ob die Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten an den Vater dem Wohle der Kinder dient, auch ein kinderpsychiatrisches Gutachten eingeholt. Dieses wurde vom Sachverständigen nach ausführlicher Befragung der Mutter und hinsichtlich der Kinder und des Vaters nach jeweils zweimaliger Exploration erstellt (ON 42). Unter diesen Umständen kann von einer derart mangelhaften Stoffsammlung, daß hiedurch der entscheidungswesentliche Gesichtspunkt des Wohles der Kinder völlig außer acht gelassen worden wäre, nicht die Rede sein. Wenn das Rekursgericht im Hinblick auf die vorliegenden Beweisergebnisse, insbesondere das in erster Linie auf die Exploration der Eltern und der Kinder durch den Sachverständigen gestützte Gutachten, eine weitere Stoffsammlung für entbehrlich hielt, hat es damit eine Beweiswürdigung vorgenommen, die in dritter Instanz nicht bekämpfbar ist.

Der von der Mutter geltend gemachte Beschwerdegrund der Nichtigkeit der rekursgerichtlichen Entscheidung ist somit zu verneinen. Auf andere Beschwerdegründe des § 16 Abs.1 AußStrG - solche lägen auch nach der Aktenlage nicht vor - hat sie ihr Rechtsmittel nicht gestützt. Demgemäß war es aber als unzulässig zurückzuweisen.

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