OGH 1Ob690/85 (1Ob691/85)

OGH1Ob690/85 (1Ob691/85)27.11.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Adolf A, geboren am 7. Mai 1938 in Weiz, Landwirt, Markt Hartmannsdorf 39, vertreten durch Dr. Gerald Stenitzer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte und widerklagende Partei Sieglinde A, geboren am 18. August 1941 in Markt Hartmannsdorf, Bäckermeisterin, Markt Hartmannsdorf 39, vertreten durch Dr. Hans Radl, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 11. Juli 1985, GZ 3 R 136,137/85-42, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 2. Mai 1985, GZ 12 Cg 224/84-37, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit S 6.137,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 514,35 Umsatzsteuer und S 480,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile heirateten am 20. Mai 1961. Sie sind österreichische Staatsbürger, aus der Ehe entstammen zwei in den Jahren 1962 und 1963 geborene Kinder. Die Streitteile sind Miteigentümer der Liegenschaften EZ 37 und 439 KG Markt Hartmannsdorf und EZ 20 KG Pöllau, in Natur landwirtschaftlicher Betrieb, Bäckerei und Gastwirtschaft. Vereinbarungsgemäß führte der Kläger und Widerbeklagte (im folgenden Kläger) die rund 20,5 ha große Landwirtschaft, die Beklagte und Widerklägerin (im folgenden Beklagte) von 1978 bis Juni 1982 die Bäckerei und die Gastwirtschaft. Die Beklagte brachte während des Scheidungsverfahrens am 29.11.1982 zu C 510/82 des Bezirksgerichtes Gleisdorf gegen den Kläger eine Klage mit dem Begehren auf Leistung eines monatlichen Unterhaltes von S 3.000,-- ein. Mit einstweiliger Verfügung vom 2.2.1984, ON 42, bestätigt mit Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 29.6.1984, 1 R 234/84-53, wurde der Kläger ab 5.12.1983 zu einem einstweiligen Unterhalt in der Höhe von monatlich S 3.000,-- verhalten, den er in der Folge auch bezahlte. Das Verfahren endete mit stattgebendem Anerkenntnisurteil vom 21.12.1984, ON 81.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklgaten. Beide Ehegatten gingen ihre eigenen Wege, sie besäßen keine gemeinsamen Interessen mehr, sie hätten sich in den letzten Jahren völlig auseinandergelebt. Seit März 1981 spreche die streitsüchtige Beklagte kein Wort mehr mit dem Kläger. Die Beklagte habe vor vier Jahren ehebrecherische Beziehungen unterhalten, was zum Ende der ehelichen Beziehungen geführt habe. Die Beklagte lebe über ihre Verhältnisse, werfe das Geld zum Fenster hinaus und sei verschwenderisch. Er selbst habe keine Eheverfehlungen gesetzt, aus den Erträgnissen der Landwirtschaft habe er die Schulden der Wirtschaftsführung der Beklagten abgedeckt.

Die Beklagte erhob Widerklage. Der Kläger, der seit Juli 1982 die Führung der Bäckerei und Gastwirtschaft übernommen habe, leiste ihr keinen Unterhalt. Bis 1. März 1981 habe sie zwar keine Abrechnung über die Erträgnisse der Landwirtschaft begehrt, nunmehr weigere sich der Kläger aber seit längerer Zeit, Rechnung zu legen. Am 1. März 1981 habe die Beklagte erfahren, daß der Kläger ehewidrige Beziehungen zu einer anderen verheirateten Frau unterhalte. Aus diesem Grund sei sie aus dem ehelichen Schlafzimmer gezogen und nächtige getrennt vom Kläger. Der Kläger rede nichts mit der Beklagten und gehe seine eigenen Wege. Sie selbst habe keine Scheidungsgründe gesetzt.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Verschulden beider Teile und sprach aus, daß das Verschulden des Klägers überwiege. Es stellte fest, ab 1971 hätten sich die Streitteile wegen Differenzen über wirtschaftliche Fragen zu entfremden begonnen. Der Kläger habe 1978 die Bäckerei und die Gastwirtschaft wegen aufgetretener Verluste sperren wollen. Die Beklagte habe aber darauf gedrungen, die beiden Betriebe weiterzuführen. Durch Investitionen hätten sich die bereits 1976 bestehenden Schulden von S 800.000,-- bis 1982 auf rund S 1,900.000,-- vergräßert. Die vom Kläger geführte Landwirtschaft habe Gewinne abgeworfen. Obwohl der Kläger von der Beklagten mehrfach aufgefordert worden sei, über die Einnahmen aus dem Landwirtschaftsbetrieb Rechnung zu legen, habe dies der Kläger abgelehnt. Seit März 1981 sei es zwischen den Streitteilen zu keinem ehelichen Verkehr mehr genommen. Die Streitteile redeten miteinander praktisch nichts mehr. Der Kläger habe seit diesem Zeitpunkt keinen Geldunterhalt mehr geleistet. Kaufmannsrechnungen habe der Kläger direkt beglichen. Solange die Beklagte die beiden Gewerbebetriebe geführt habe, habe sie ihren Unterhalt aus den Entnahmen gedeckt. Die Beklagte habe keinen aufwendigen Lebenswandel geführt und sei nicht verschwenderisch gewesen. Feststellungen, daß die Streitteile ehewidrige Beziehungen unterhalten hätten, könnten nicht getroffen werden. Beide Teile hätten sich völlig voneinander abgewendet, diese grobe Lieblosigkeit stelle gemäß § 49 EheG eine schwere Eheverfehlung dar und habe zu einer derartigen Zerrüttung der Ehe geführt, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr möglich sei. Wegen der Unterhaltsverletzung und der Weigerung, Rechnung zu legen, träfe den Kläger an der Zerrüttung das überwiegende Verschulden. Über Berufung des Klägers änderte das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers zu entfallen habe. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Die Beklagte habe in den Jahren 1981 und 1982 durch Entnahmen aus den Gewerbebetrieben von rund S 24.000,-- bzw. S 14.000,-- monatlich ihren anständigen Unterhalt zweifellos decken können. Erst ab Juli 1982 sei die Unterhaltsgewährung in der Weise erfolgt, daß der Kläger die Einkäufe der Beklagten beim Kaufmann nachträglich bezahlt habe. Von einer Unterhaltspflichtverletzung des Klägers könne daher nur für die Zeit ab Juli 1982 bis Ende 1983 gesprochen werden. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes sei die Ehe der Streitteile bereits im Jahr 1981 gänzlich zerrüttet gewesen. Eine Abrechnung der Erträgnisse der Landwirtschaft sei erst aktuell geworden, als der Kläger keinen entsprechenden Unterhalt mehr leistete, zumal für die vorangegangene Zeit von der Vereinbarung der Streitteile auszugehen sei, daß der Kläger den landwirtschaftlichen Betrieb, die Beklagte aber die beiden Gewerbebetriebe führen sollte. Außerdem handle es sich nicht um eine gänzliche Vernachlässigung der Unterhaltspflicht, vielmehr habe der Kläger den Unterhalt nicht im erforderlichen Umfang und nicht in der gehörigen Form geleistet. Da es bei der Verschuldensabwägung im wesentlichen darauf ankomme, wodurch die Ehe zerrüttet worden sei und wer die einleitende Zerrüttungsursache gesetzt habe, komme im Rahmen der Verschuldensabwägung den angeführten Eheverfehlungen des Klägers, die in eine Zeit fielen, da die Ehe ohnedies bereits weitgehend zerrüttet gewesen sei, keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu. Vor allem aber könne von einem überwiegenden Verschulden eines Eheteiles nur dann gesprochen werden, wenn ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des beiderseitigen Verschuldens der Ehegatten vorliege, wenn also das Verschulden des einen Ehegatten augenscheinlich und offenbar schwerer sei als das des anderen. Ein geringfügiges Überwiegen des Verschuldens des einen oder anderen Ehegatten käme daher für die Frage eines überwiegenden Verschuldens nicht in Betracht. Da die zusätzlichen Eheverfehlungen des Klägers zu einem Zeitpunkt erfolgten, zu dem die Ehe ohnedies bereits vollkommen zerrüttet gewesen sei, so daß ihnen auf die Einleitung und Herbeiführung der Ehezerrüttung kein Einfluß zugeschrieben werden könne, liege ein überwiegendes Verschulden des Klägers nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten, die die Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes anstrebt, ist nicht berechtigt. Nach § 60 Abs 2 EheG ist das überwiegende Verschulden eines Teiles dann auszusprechen, wenn der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile erheblich ist, also augenscheinlich hervortritt (EFSlg 43.691, 41.281 bis 41.284 uva; Schwind, Ehegesetz 2 251 f; Koziol-Welser 7 II 201; Pichler in Rummel, ABGB, § 60 EheG, Rdz 2). Dies ist hier nicht der Fall. Wegen wirtschaftlicher Differenzen trat ab 1971 allmählich eine Entfremdung der Streitteile ein. Nachdem der Beklagten mitgeteilt worden war, der Kläger unterhalte ehewidrige Beziehungen zu einer anderen verheirateten Frau - eine Vermutung, deren Richtigkeit sich in der Folge nicht bestätigen ließ - war sie es, die im März 1981 aus dem ehelichen Schlafzimmer auszog. Ab diesem Zeitpunkt kam es weder zu einem ehelichen Verkehr noch redeten die Streitteile miteinander. Diese beiderseitige völlige Abwendung voneinander führte zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe. Die Behauptung in der Revision, daß die Zerrüttung ausschließlich auf Eheverfehlungen des Klägers zurückzuführen sei, ist somit tatsachenwidrig. Nach der von beiden Streitteilen gleichmäßig herbeigeführten unheilbaren Zerrüttung der Ehe spielen die in der Verletzung der Unterhaltspflicht und der Weigerung der Rechnungslegung gelegenen später gesetzten weiteren Eheverfehlungen des Klägers dann keine entscheidende Rolle mehr (EFSlg 43.688, 41.277, 31.711 ua); sie können nicht dazu führen, dem Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe anzulasten. Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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