OGH 7Ob29/85

OGH7Ob29/8521.11.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A B C D, Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien, 2., Praterstraße 1-7, vertreten durch Dr. Werner Masser, Dr. Ernst Großmann und Dr. Eduard Klingsbigl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei E SA F, Oberdorf-Oele, Geuensee (Luzern), Schweiz, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 1 R 243/83 des Oberlandesgerichtes Wien (18 Cg 8/85 des Handelsgerichtes Wien), Streitwert sfr 31,360.725 s.A., infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 21.Juni 1985, GZ 1 R 44/85-3, womit die Wiederaufnahmsklage der klagenden Partei zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Oberlandesgericht Wien wird eine neue Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen. Die Rekurskosten sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Mit dem Beschluß vom 30.12.1984, 1 R 243/83, hat das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in der Rechtssache der klagenden und nun wiederaufnahmsbeklagten Partei E SA F gegen die beklagte und nun wiederaufnahmsklagende Partei A B C G, wegen sfr 31,360.725 s.A., im dritten Rechtsgang den Berufungen der klagenden Partei und ihrer Nebenintervenientin gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 19.5.1982, 18 Cg 50/82-65, Folge gegeben, das Urteil des Erstgerichtes ohne Ausspruch eines Rechtskraftvorbehalts aufgehoben und die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht kam in dieser Entscheidung nach Wiederholung des Beweisverfahrens zu dem Ergebnis, daß die Erhebungen der beklagten Partei als abgeschlossen anzusehen seien und daß die Klageforderung demnach fällig sei. Das Erstgericht werde sich daher im fortgesetzten Verfahren mit den weiteren Einwendungen der beklagten Partei, betreffend Grund und Höhe der Klagsforderung, auseinanderzusetzen haben. Dabei werde das Erstgericht auch zu überlegen haben, ob eine Unterbrechung des Verfahrens bis zur Erledigung des gegen die (auch vom Berufungsgericht vernommenen) Zeugen Hans Peter H und Udo I zu 28 b Vr 8024/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eingeleiteten Strafverfahrens zweckmäßig erscheine.

Mit ihrer am 20.2.1985 beim Oberlandesgericht Wien überreichten und auf § 530 Abs 1 Z 2 und 7 ZPO gestützten Klage begehrt die beklagte Partei des Hauptverfahrens als Wiederaufnahmsklägerin die Aufhebung des berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschlusses, weil sich aus einer Reihe näher angeführter Umstände und den weiteren Ergebnissen der zu 28 b Vr 8024/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gegen Hans Peter H und Udo I anhängigen Vorerhebungen die völlige Unglaubwürdigkeit dieser Zeugen sowie des Zeugen Erwin J und des Verwaltungsratsmitgliedes der Wiederaufnahmsbeklagten Grete K, denen das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht weitgehend Glauben geschenkt habe, ergebe.

Das Oberlandesgericht Wien wies die Wiederaufnahmsklage als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurück. Es kam zum Ergebnis, daß zwar die Wiederaufnahmsklage rechtzeitig sei, weil der Aufhebungsbeschluß vom 30.12.1984 der Wiederaufnahmsklägerin am 25.1.1985 zugestellt worden sei. Gemäß § 530 Abs 1 ZPO sei es jedoch eine der Voraussetzungen der Wiederaufnahmsklage, daß das Verfahren durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden sei. Eine solche Entscheidung liege nicht vor. Wohl könne die Frage der Fälligkeit und somit der Leistungszeitpunkt nun nicht mehr weiter überprüft werden, doch betreffe dies nicht einen Teil der Streitsache, weil Grund und Höhe der Klagsforderung im Hauptverfahren schon nach dem Inhalt des Aufhebungsbeschlusses ausdrücklich zu überprüfen seien. Nicht verfahrensbeendende Aufhebungsbeschlüsse seien nicht mit Wiederaufnahmsklage anfechtbar.

Der Rekurs der klagenden Partei wendet sich gegen diese Rechtsansicht des Berufungsgerichtes. Der Oberste Gerichtshof vertrete die Meinung, daß jene Streitpunkte, die im Rechtsmittelverfahren in einem Aufhebungsbeschluß abschließend entschieden worden seien, nicht mehr Gegenstand des Verfahrens vor dem Erstgericht sein könnten. Es liege deshalb insoweit auch eine die Sache erledigende Entscheidung iS des § 530 Abs 1 ZPO vor. Da das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren von der Fälligkeit der Klageforderung auszugehen habe, sei der Klägerin - von der Wiederaufnahmsklage abgesehen - künftig jede Möglichkeit genommen, diesen Streitpunkt noch einmal mit Erfolg aufzurollen. Denn die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichtes seien unanfechtbar.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Daß ein durch Urteil geschlossenes Verfahren vorliegen müsse, ist seit den Änderungen der Zivilprozeßordnung durch das Konsumentenschutzgesetz, BGBl.1979/140, nicht mehr Voraussetzung der Wiederaufnahmsklage. Erforderlich ist vielmehr nur 'ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist'.

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 744 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XIV.GP, S 54, führen hiezu lediglich aus, die - bis zum Konsumentenschutzgesetz - geltende Fassung des § 530 ZPO sei eine Verfahrensvorschrift, die dem Durchbruch des materiellen Rechts entgegenzustehen geeignet sei, wenn die Endentscheidung gerade nicht in Urteils-, sondern in Beschlußform zu ergehen habe. Als Beispiele kämen in Betracht ein Wechselzahlungsauftrag, gegen den keine Einwendungen, oder ein Zahlungsbefehl, gegen den kein Widerspruch erhoben worden sei, ein im Besitzstörungsverfahren ergangener Endbeschluß, aber auch etwa ein wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ergangener Zurückweisungsbeschluß.

Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts, Rdz 2038, nennt als Beispiele für verfahrensbeendende Entscheidungen auch Zahlungsaufträge im Mandatsverfahren, gerichtliche Kündigungen, sowie Übergabs- und Übernahmsaufträge im Bestandverfahren. Er führt weiter aus, es kämen auch nicht anfechtbare Entscheidungen in Inzidenzstreitigkeiten, Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschlüsse und prozeßleitende Beschlüsse in Betracht. Es sei nicht erforderlich, daß der ganze Rechtsstreit durch die Entscheidung beendet worden sei. Daher seien Rechtsmittelklagen auch gegen Teilurteile (- beschlüsse) und gegen Zwischenurteile zulässig, weil sie einen Teil der Sache abschließend erledigen und die entschiedenen Sachbereiche im fortgesetzten Verfahren nicht wieder überprüft werden können. Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Wiederau nahmsklage auch gegen einen Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes nach § 519 Abs 1 Z 3 ZPO erhoben werden kann, liegen nicht vor. Der Oberste Gerichtshof teilt jedoch die Ansicht Faschings, daß die Wiederaufnahmsklage auch gegen solche Urteile und Beschlüsse zulässig ist, die einen Teil der Sache abschließend erledigen. Diese Ansicht führt aber zwangsläufig zu dem Ergebnis, daß auch ein Aufhebungsbeschluß mit Wiederaufnahmsklage angefochten werden kann, wenn die Sache durch ihn zu einem Teil bereits eine abschließende Erledigung erfährt.

Durch die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO tritt zwar in der Regel das Verfahren in den Stand vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz zurück. Die Parteien haben daher grundsätzlich alle Befugnisse, die ihnen im erstinstanzlichen Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt zukommen. Es ist daher den Parteien auch nicht verwehrt, neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen, früher nicht beantwortete Behauptungen zu bestreiten oder das Klagebegehren zu ergänzen oder abzuändern. Eine Beschränkung besteht jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes insoweit, als die aufhebende Instanz eine bestimmte Frage auf Grund des gegebenen Sachverhalts bereits abschließend entschieden hat. Dann darf die Beantwortung dieser Frage auch auf Grund neuer Tatsachen nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Abschließend erledigte Streitpunkte können nicht wieder neu aufgerollt werden (SZ 28/96, SZ 46/16, JBl 83, 441 = SZ 55/164, 7 Ob 652/84 uva).

Die Frage der Fälligkeit des Klageanspruches wurde vom Berufungsgericht unter Zugrundelegung der hiezu vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung vom 17.11.1983, 7 Ob 38/83, geäußerten Rechtsansicht (S 27 der Entscheidung) auf Grund der von ihm nach Vornahme einer Beweiswiederholung getroffenen Feststellungen abschließend entschieden. Über diesen entschiedenen Sachbereich kann daher im fortgesetzten Verfahren nicht neuerlich verhandelt, und auch der Oberste Gerichtshof kann mit dieser Frage, da er nicht Tatsacheninstanz ist, die rechtliche Beurteilung aber im Sinn seiner Ausführungen (an die er gebunden ist - Fasching IV 367 f) erfolgt ist, nicht mehr befaßt werden.

Das Verfahren ist sohin durch den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes vom 30.12.1984, 1 R 243/83, in der Frage der Fälligkeit durch eine die Sache insoweit erledigende Entscheidung abgeschlossen worden. Der Aufhebungsbeschluß hat insoweit die Funktion einer Teilentscheidung über den Anspruchsgrund. Ein Teil des Anspruchsgrundes, nämlich die Frage der Fälligkeit, wurde durch die Entscheidung bindend erledigt. Die Zulässigkeit einer Wiederaufnahmsklage kann deshalb nicht mit der Begründung verneint werden, es liege keine mit Wiederaufnahmsklage anfechtbare Entscheidung vor.

Es war daher dem Rekurs Folge zu geben, der angefochtene Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsbeschluß aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

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