OGH 1Ob681/85 (1Ob682/85)

OGH1Ob681/85 (1Ob682/85)13.11.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Elfriede A, Hausfrau, Wien 18., Messerschmidgasse 2/3/20, vertreten durch Dr. Helga Prokopp, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Dr. Harald A, Bankangestellter, Wien 18., Messerschmidgasse 2/3/20, vertreten durch Dr. Jakob Zanger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 5.Juni 1985, GZ 17 R 130/85-80, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS. Wien vom 6.Februar 1985, GZ 3 Cg 46/79-73, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Keiner der beiden Revisionen wird Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 22.4.1959 vor dem Standesamt Wien-Ottakring die Ehe geschlossen.

Beide Teile begehren die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Gegenseite. Während die Klägerin und Widerbeklagte (kurz Klägerin) als Scheidungsgründe Verletzung der Unterhaltspflicht, Beschimpfungen, ehewidrige Beziehungen und Interesselosigkeit geltend macht, wirft ihr der Beklagte (und Widerkläger) ordinäre Beschimpfungen in der §ffentlichkeit, Eifersuchtsszenen, Vernachlässigung des Haushalts und Verbringung von Wertgegenständen aus der Wohnung vor.

Im ersten Rechtsgang schied das Erstgericht die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin. Im zweiten Rechtsgang, der nur mehr den Verschuldensausspruch zum Gegenstand hat, widerholte das Erstgericht seine Entscheidung und stellte im wesentlichen fest:

Die auf Seiten der Klägerin zweite, seitens des Beklagten erste Ehe, die kinderlos geblieben sei, sei von Anfang an nicht harmonisch verlaufen. Der um drei Jahre jüngere Beklagte sei der Klägerin intellektuell überlegen, geistig interessiert und gesellig, während die Klägerin eher materiell eingestellt sei und sich von der Ehe mit dem Beklagten materielle Sicherheit erwartet habe. Diese Einstellung habe sie unter anderem dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie verschiedenen Personen gegenüber erklärt habe, sie würde über den Beklagten steigen, wenn er am Boden liege und krepiere, Hauptsache sei es, er müsse zahlen. Da die Streitteile in Obervellach ein Haus errichteten, habe der Beklagte die Klägerin mit dem Wirtschaftsgeld knapp gehalten. Das 1965 zur Verfügung gestellte Wirtschaftsgeld von monatlich S 3.600,-- habe er in den folgenden Jahren nach Intervention seitens des Vertreters der Klägerin auf S 4.300,-- und schließlich 1976 auf S 7.200,-- erhäht. Damit habe sich die Klägerin jedoch nicht zufrieden gegeben; in dem von ihr eingeleiteten Rechtsstreit hätten sich die Streitteile vergleichsweise auf eine monatliche Leistung von S 11.000,-- geeinigt, wovon der Klägerin ein Betrag von S 5.000,-- zur freien Verfügung habe stehen und der Rest als Wirtschaftsgeld habe verwendet werden sollen. Am 11.4.1978 habe die Klägerin Zahnarztkosten von S 8.539,-- eingeklagt, die der Beklagte schließlich bezahlt habe. Im Laufe der Jahre habe sich die Ehe immer mehr verschlechtert; Hauptursache seien die Eifersuchtsszenen, die die Klägerin dem Beklagten zu Hause, aber auch in Gesellschaft von Freunden und Verwandten gemacht habe, gewesen. Die Klägerin sei auf jede weibliche Person in der Gesellschaft, gleich welchen Alters, mit der sich der Beklagte unterhalten habe, eifersüchtig gewesen und habe ihm in aller §ffentlichkeit peinliche Szenen gemacht und ihn wüst beschimpft, so daß die Eheleute im Laufe der Zeit praktisch isoliert worden seien, weil sie nicht mehr eingeladen worden seien. Die Klägerin habe Eva B, die geschiedene Frau eines Cousins des Beklagten, wegen angeblicher ehewidriger Beziehungen zum Beklagten, geohrfeigt, obgleich hiezu nicht der geringste Anlaß bestanden habe. Die Klägerin sei von ihrer Überzeugung, der Beklagte betrüge sie ständig, nicht abzubringen gewesen; vor allem Dr. Adolfine C und Mag. Lieselotte D habe sie ehewidriger Beziehungen zum Beklagten geziehen. Das Beweisverfahren habe jedoch keinerlei Anhaltspunkte für solche Beziehungen erbracht. Die Beklagte habe Dr. Adolfine C wiederholt am Telefon beschimpft, so daß diese genötigt gewesen sei, sich eine Geheimnummer zu beschaffen.

Die Klägerin habe beim Beklagten einen Schlüssel, der das Tor zum Haus in der Eslarngasse 27, dem Wohnsitz von Mag. Lieselotte D, sperre, gefunden. Sie habe eines Tages beobachtet, daß der Beklagte das Haus gegen 20 Uhr verlassen habe. Mag. Lieselotte D habe die Gewohnheit, eingeladenen Freunden und Bekannten den Schlüssel mitzugeben, damit sie die Besucher nicht zum Haustor begleiten müsse. Der Verdacht der Klägerin, der Beklagte habe seinen Geburtstag am 27.7.1980 mit Mag. Lieselotte D in einer Pension in Edlach verbracht, habe sich nicht bewahrheitet. Die ständigen Eifersuchtsszenen, die die Klägerin dem Beklagten zum Teil auch in öffentlichen Lokalen gemacht habe, hätten dazu geführt, daß die Eheleute von den Freunden und Verwandten gemieden worden seien und der Beklagte immer weniger Zeit in der Ehewohnung zugebracht habe. Die grundlose, entnervende Eifersucht der Klägerin habe sie veranlaßt, den Beklagten wüst und ordinär zu beschimpfen; mit Ausdrücken wie 'Hurenbock' habe sie den Beklagten selbst außerhalb der Wohnung und in Gegenwart Dritter belegt. In Obervellach habe sie ihn auch einmal mit einem Messer bedroht. Das Verhalten der Klägerin dem Beklagten gegenüber sei Jahre hindurch von Bosheiten bestimmt gewesen. Habe sie der Beklagte beim Frühstück um Salz für das Ei gebeten, habe sie ihm entgegnet, 'Hol' Dir das Salz, Du Arschloch'. Auf die Bitte um ein Glas Wasser habe er von ihr zu hören bekommen 'Nimm' es Dir, Du Dreckstück, ich bin nicht Deine Bedienerin'. 'Dreckstück', 'Hurenbock' und 'Arschloch' seien die meistgebrauchten Schimpfwärter der Klägerin gewesen; sie habe auch die 80-jährige Mutter der Dr. Adolfine C auf diese Weise und Mag. Lieselotte D als 'ausgeronnene Syphilitikerin' beschimpft. Sie habe auch vor Attacken auf den Beklagten nicht zurückgeschreckt; so habe sie ihm schon einmal - einige Jahre nach der Eheschließung - von hinten ohne jeden Grund einen Handkantenschlag versetzt. 1976 habe sie den Beklagten einmal in den Unterleib getreten, nachdem sie ihm ehewidrige Beziehungen zu Dr. Adolfine C vorgehalten hatte. Die intimen Beziehungen zwischen den Eheleuten seien schon 1965 eingestellt worden. Bei den durch die Eifersucht der Klägerin ausgelästen Auseinandersetzungen sei es zu gegenseitigen Beschimpfungen gekommen. Wohl sei der cholerisch veranlagte Beklagte der Klägerin in diesem Zusammenhang nichts schuldig geblieben, doch habe die Klägerin den Streit zumeist durch Eifresuchtsszenen provoziert. Der Beklagte habe die Klägerin mit Ausdrücken wie 'Trampel', 'Rindvieh', 'bähmische Hausmeisterin' und dgl. belegt und auch des Diebstahls von ihm gehärigen Gegenständen bezichtigt, weil er nach der Rückkehr von einem Urlaub eine Silberschale und mehrere Kristallgläser in der Wohnung nicht vorgefunden habe. Die Klägerin habe außerdem sechs von zwälf Teppichen aus der Wohnung verbracht. Der Beklagte habe erst nach der Eheschließung in Erfahrung gebracht, daß die Klägerin in einer Wäscherei gearbeitet habe, mit deren Besitzer sie früher intime Beziehungen unterhalten habe. Deshalb habe er ihr die Arbeit in dieser Wäscherei untersagt; er hätte zwar gegen die Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit nichts einzuwenden gehabt, doch sei die Klägerin danach keiner beruflichen Arbeit mehr nachgegangen. Die Klägerin sei intellektuell durchschnittlich begabt, Anzeigen eines angeborenen Schwachsinns oder einer Geisteskrankheit seien nicht feststellbar. Eine organische Demenz, eine Hirnleistungsschwäche oder vorübergehende krankhafte Trübung des Bewußtseins seien ebenso auszuschließen wie paranoide Gedankengänge, ein manisch-depressives Krankheitsgeschehen oder schwere neurotische oder psychopathische Züge.

Das Verhalten beider Streitteile beurteilte das Erstgericht jeweils als schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG, doch träten jene des Beklagten - Beschimpfungen, die über entschuldbare Reaktionen hinausgingen, die zu Unrecht erfolgte Bezichtigung des Diebstahls und die Verletzung der Unterhaltspflicht - insgesamt derart zurück, daß der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin gerechtfertigt erscheine.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die Verhaltensweisen des Beklagten seien schon deshalb nicht als entschuldbare Reaktionshandlungen zu beurteilen, weil die Klägerin ihre Eheverfehlungen längere Zeit hindurch fortgesetzt habe, so daß schon wegen des zeitlichen Moments von spontaner Reaktion nicht gesprochen werden könne; das gelte umso mehr, wenn man die gesellschaftliche und bildungsbestimmte Position des Beklagten in Betracht ziehe. Die Klägerin habe sich durch ihr Verhalten wesentlich schwererer Eingriffe in das Eheleben schuldig gemacht und die einzelnen Krisen zumeist ausgeläst. Erschwerend sei, daß sie ihr Verhalten regelmäßig auch in die §ffentlichkeit getragen habe.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind nicht berechtigt.

Die von der Klägerin geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nach Prüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).

Die Rechtsrügen der Streitteile, von welchen die Klägerin den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten und dieser den Ausspruch des Alleinverschuldens der Klägerin anstreben, können gemeinsam erledigt werden. Bei der Beurteilung der Mitverschuldensanteile der Ehegatten am Scheitern der Ehe ist deren Gesamtverhalten während der Ehe zu berücksichtigen. Der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten setzt voraus, daß das Verschulden des einen Ehegatten erheblich schwerer wiegt als das des anderen; der Unterschied der Verschuldensanteile muß augenscheinlich hervortreten; es muß also ein sehr erheblicher gradueller Unterschied des beiderseitigen Verschuldens gegeben sein (EFSlg.43.691 f., 41.281 ff. u.v.a.; Schwind, Komm. z.EheG+2 251). Dabei kommt es nicht nur auf das Maß der Verwerflichkeit der einzelnen Eheverfehlungen, sondern auch darauf an, wie weit sie einander bedingen und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten (EFSlg.43.676 u.a.). Es ist nicht nur darauf Bedacht zu nehmen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen, sondern auch wer den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet hat (EFSlg.43.679, 41.269 u.a.). Der Klägerin fällt vor allem zur Last, daß sie, obwohl selbst in erster Linie an der materiellen Seite der Ehe interessiert, den Beklagten grundlos peinlichen, auch in der §ffentlichkeit und vor Verwandten und Freunden ausgetragenen Eifersuchtsszenen aussetzte, ihn wüst und ordinär beschimpfte und sogar körperlich attackierte, so daß der an sich gesellige Beklagte von seinen Bekannten weitgehend gemieden wurde und damit in Isolation geriet. Demgegenüber hat der Beklagte - wenngleich schon viele Jahre zurückliegend - seine Unterhaltspflicht insoweit verletzt, als er meinte, wegen eines Hausbaus, der der Schaffung eines Zweitwohnsitzes diente, die Klägerin mit dem Wirtschaftsgeld knapp halten zu können. Auch er hat die Klägerin in den zahlreichen, allerdings zumeist von ihr heraufbeschworenen Auseinandersetzungen in keinesfalls zu billigender Weise ordinär beschimpft; dabei kann er sich schon deshalb nicht auf entschuldbare Reaktionshandlungen im Sinne des § 49 zweiter Satz EheG berufen, weil die Klägerin keineswegs alle die wüsten gegenseitigen Beschimpfungen auslösenden Streitigkeiten heraufbeschworen hat. Auch steht - entgegen den Behauptungen des Beklagten in seiner Revision - keineswegs fest, daß die Ehe schon 1965 unheilbar zerrüttet war; überdies können die gegenseitigen Beschimpfungen auch nicht auf die Zeit danach eingeschränkt werden. Auch die Verletzung der Unterhaltspflicht reicht schon in die Zeit vor diesem Zeitpunkt zurück (AS 348). Dennoch ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, daß die Klägerin vor allem durch ihre grundlose Eifersucht und ihr Verhalten in der §ffentlichkeit den maßgeblichen Beitrag zum Eintritt der Zerrüttung der Ehe geleistet hat; dagegen treten die Eheverfehlungen des Beklagten, der durch das Verhalten seiner Ehegattin seiner Umgebung gegenüber in eine außergewöhnlich schwierige Lage, zumal im Hinblick auf seine gesellschaftliche Position, versetzt wurde, in den Hintergrund, so daß es mit dem Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin sein Bewenden haben muß.

Den Revisionen beider Parteien ist somit ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs.1 und 50 ZPO.

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