European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00050.850.1010.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 13.341,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 960,‑ und die USt. von S 1.125,57) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 1. 2. 1981 ereignete sich in Dornbirn mit dem vom Traktor Tiger I EM 200, pol. Kz ***** gezogenen Faschingswagen ein Verkehrsunfall, bei welchem der Kläger verletzt wurde. Lenker des Traktors war der Erstbeklagte, Halter der Zweitbeklagte und Haftpflichtversicherer die Drittbeklagte.
Der Kläger begehrte von den Beklagten den Ersatz seines Schadens von S 236.597,20 s.A., worin ein Schmerzengeld von S 200.000,- enthalten war. Außerdem stellte er ein entsprechendes Feststellungsbegehren für zukünftige Schäden.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Den Erstbeklagten treffe kein Verschulden am Unfall. Der Kläger hat mit der Beförderung auf dem nicht zum Verkehr zugelassenen Faschingswagen das damit verbundene Risiko in Kauf genommen. Außerdem habe er die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber dem Erstbeklagten verzichtet.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 205.707,20 s.A. (darunter ein Schmerzengeld von S 180.000,- s.A.) und im Feststellungsausspruch statt und wies das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und bestätigte diese Entscheidung insoweit, als es dabei auch eine Klagseinschränkung von S 500,- berücksichtigte. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000,- und S 300.000,- übersteige.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2, 3 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Am 1. 2. 1981 fand in H***** ein Faschingsumzug statt, an dem auch die R***** Faschingszunft mit ihrem Umzugswagen teilnahm. Der eine Höhe von 4 m aufweisende Wagen war unter Mithilfe fast der ganzen Zunft etwa vier Jahre früher gebaut worden. Mit ihm als Anhänger fuhr die Faschingszunft R***** über weite Strecken zu Faschingsumzügen und anderen Faschingsveranstaltungen. Über eine besondere Gefährlichkeit des Wagens wurde unter den Mitgliedern der Zunft und den mitfahrenden Personen nie geredet; es wurden auch nie besondere Anweisungen erteilt, wo sich die mitfahrenden Personen während der Fahrt aufhalten dürfen. Da auf dem Wagen nicht alle Mitglieder der Faschingszunft Platz fanden, fuhr auch zum Faschingsumzug in H***** ein Bus mit. Die Teilnehmer waren daher nicht gezwungen, mit dem Faschingswagen nach D***** zurückzufahren.
Der Erstbeklagte fuhr mit dem Traktor, an dem der erwähnte Faschingswagen angehängt war, von H***** nach D*****. Gegen 20 Uhr bog er mit diesem Gefährt nach links zum Gasthaus R***** Hof ein. Er überfuhr hiebei eine durch Schneeauflage erhöhte Gehsteigkante, wodurch der nicht zum Verkehr zugelassene und mit neun Personen überbesetzte Anhänger umkippte. Auf dem Anhänger waren in der Mitte links und rechts Sitzbänke angebracht; in der Mitte befand sich ein erhöhtes Podest, auf dem sich zum Unfallszeitpunkt drei Personen – darunter der Kläger – aufhielten. Die auf dem Anhänger befindlichen Personen verhielten sich vor dem Unfall völlig ruhig. Von der Position des Erstbeklagten konnte man nicht sehen, wo sich die auf dem Anhänger befindlichen Personen aufhielten.
Mit dem im Strafverfahren U 1826/81 des Bezirksgerichtes Dornbirn ergangenen Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 18. 8. 1982 wurde der Erstbeklagte schuldig erkannt, er habe am 1. 2. 1981 in D***** als Lenker eines Traktors infolge unzureichender Aufmerksamkeit beim Linksabbiegen über eine durch Schneeauflage erhöhte Gehsteigkante mit einem zum Verkehr nicht zugelassenen und mit neun Personen überbesetzten Anhänger, wobei der Anhänger umkippte, H***** P***** (Kläger), der einen Wirbelbruch erlitt, und H***** K*****, der einen Nasenbeinbruch sowie Schnittwunden davontrug, fahrlässig am Körper schwer verletzt; der Erstbeklagte wurde hiefür zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.
Nach dem Unfall sagte der Kläger zunächst, er werde keine Anzeige erstatten und behaupten, er sei auf einer Eisplatte ausgerutscht. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger über die Schwere seiner Verletzung nicht informiert. Am 7. 2. 1981 zeigte der Erstbeklagte den Unfall vom 1. 2. 1981 beim Gendarmeriepostenkommando Dornbirn an. Auf Grund dessen wurde gegen ihn beim Bezirksgericht Dornbirn ein Strafverfahren eingeleitet, in dessen Verlauf alle Beteiligten der R***** Faschingszunft als Zeugen vernommen wurden. Das Verfahren endete in erster Instanz mit einem Freispruch. In der zweiten Instanz kam es zu dem bereits festgestellten Schuldspruch. Obwohl er selbst keine Anzeige erstattet hatte, wurde von den Mitgliedern der Faschingszunft R***** immer der Kläger als der Urheber des Strafverfahrens bezeichnet. Von Seite der Zunftmitglieder wurde auf ihn eingedrungen, er möge seine Klage zurückziehen, und es wurde ihm die Schuld an dem gegen den Erstbeklagten eingeleiteten Strafverfahren gegeben. Im Zusammenhang damit äußerte sich der Kläger bei Sitzungen dahingehend, daß er ja von A***** R***** (Erstbeklagter) an sich nichts wolle, daß er ihn aber mit in Anspruch nehmen müsse, um von der Versicherung etwas zu erhalten. Daß er auf die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen auf Grund des Unfalles vom 1. 2. 1981 verzichte, wurde vom Kläger ausdrücklich nie erklärt.
Der Kläger hat bei der Herstellung des Chassis für den Faschingswagen der Faschingszunft R***** zwei Abende mitgearbeitet; mit der Errichtung des 4 m hohen Aufbaues hatte der Kläger nichts zu tun.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß das Verschulden des Erstbeklagten und damit auch die Mithaftung des Zweit‑ und der Drittbeklagten durch die im Verfahren U 1826/81 des Bezirksgerichtes Dornbirn erfolgte strafgerichtliche Verurteilung bindend feststehe. Ein (Mit-)Verschulden am Zustandekommen des Unfalles sei dem Kläger nicht anzulasten, weil er ruhig auf dem Aufbau gesessen sei und nichts unternommen habe, was zum Umkippen des Anhängers hätte beitragen können. Allein aus der Tatsache, daß der Kläger auf dem Faschingswagen mitfuhr und sich auf dem Aufbau befand, sei ein Mitverschulden nicht ableitbar. Unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzung und der Verletzungsfolgen sei ein Schmerzengeld von S 180.000,- angemessen und ausreichend. Im Hinblick auf die Dauerfolgen komme auch dem Feststellungsbegehren Berechtigung zu.
Auch das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, daß dem Kläger kein Mitverschulden anzulasten sei. Er habe bei der Herstellung des Faschingswagens nur zwei Abende am Chassis mitgearbeitet und mit dem 4 m hohen Aufbau nichts zu tun gehabt. Da der Kläger entgegen den Behauptungen der Beklagten kein Wagenbauer ist, sondern bis zum Unfall vom 1. 2. 1981 den Beruf eines Werkzeugmachers ausübte, könne ihm nicht unterstellt werden, er habe um die unzureichende Stabilität des Fahrzeuges auf Grund seiner Ausbildung Bescheid gewußt oder zumindest Bescheid wissen müssen. Da mit dem Wagen vor dem Unfall mehrere Jahre hindurch Fahrten unternommen worden waren, bei denen nie ein Unfall passierte, könne auch nicht gesagt werden, der Kläger hätte eine mit dem Aufenthalt auf der Plattform des vom Traktor gezogenen Wagens verbundene Gefährdung erkennen können. Somit sei auch aus dieser Sicht eine zur Annahme eines Mitverschuldens führende Sorglosigkeit des Klägers im Umgang mit eigenen Gütern nicht zu gewinnen. Ein Mitverschulden daraus abzuleiten, daß der Wagen um eine Person zuviel transportierte, sei nicht statthaft, weil die beim Kläger in Ermangelung entgegenstehender Beweisergebnisse anzunehmende Unkenntnis einer Vorschrift über die Unzulässigkeit der Beförderung von mehr als acht Personen auf einem als Faschingswagen eingesetzten Anhänger unter den vom Erstgericht festgestellten Umständen nicht auf der Außerachtlassung der gebotenen Aufmerksamkeit beruhte. Ein Verzicht auf die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Erstbeklagten sei aus den festgestellten Erklärungen des Klägers nicht ableitbar. Das Schmerzengeld sei den Verletzungen des Klägers angemessen.
Die Beklagten behaupten demgegenüber zunächst das Vorliegen von Verfahrensmängeln bzw. von Aktenwidrigkeiten, welche jedoch nicht vorliegen; dies ist nicht näher zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die Rechtsrüge bauen die Beklagten auf zwei Themenkreisen auf: Das Mitverschulden des Klägers sei entgegen der Ansicht der Vorinstanzen deshalb gegeben, weil er die Gefährdung bei der Benützung des Faschingswagens von vornherein in Kauf nahm. Außerdem habe der Kläger auf Schadenersatz gegenüber dem Erstbeklagten verzichtet. Dem ist zu erwidern:
Nach ständiger Rechtsprechung setzt das Mitverschulden des Geschädigten an der Herbeiführung seines eigenen Schadens im Sinne des § 1304 ABGB (§ 7 Abs 1 EKHG) nicht die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens voraus, sondern nur die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht I, 183 ff; ZVR 1976/105; EvBl 1977/110; 8 Ob 559/84 ua). Der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab darf aber bei einem Menschen, der als branchenfremder Werkzeugmacher von der Stabilität eines Fahrzeuges nicht einschlägig Bescheid wußte, nicht überspannt werden (JBl 1976, 483; EvBl 1977/110 ua). Der Kläger sowie die übrigen mitfahrenden Vereinsmitglieder durften vielmehr – solange keine Anzeichen allgemein erkennbarer Gefährdungsmomente auftraten – mit Recht annehmen, daß der Erstbeklagte als geprüfter Fahrzeuglenker alle jene Umstände bedenken und beachten werde, die für eine gefahrlose, von der Behörde jedenfalls nicht untersagte Benützung des Faschingswagens erforderlich sein sollten. Es darf nicht übersehen werden, daß mit diesem Wagen mehrere Jahre hindurch Fahrten unternommen wurden, bei denen nie etwas passierte, sodaß der Kläger ebensowenig wie die übrigen zahlreichen Zunftmitglieder in Rechnung zu stellen brauchte, daß man bei der Mitfahrt seine körperliche Integrität aufs Spiel setzte. Daß der Erstbeklagte mit dem seiner Zweckbestimmung nach von vornherein schwierig manövrierbaren und langsamen Faschingswagen entgegen jede Einsicht beim Linkseinbiegen eine durch Schneeauflage erhöhte Gehsteigkante so ungeschickt anschneiden werde, daß das ganze Gefährt umstürzen sollte, brauchte der Kläger nicht von vornherein zu bedenken. Soweit die Beklagten Haftungsfälle sportlicher Wettkämpfe im Auge haben, bei denen oft hohe Geschwindigkeiten gefahren werden und das Risiko gewissermaßen in die Sportausübung integriert erscheint, versagt die Analogie an der gänzlichen Verschiedenheit der Intentionen. Ein solcher Haftungsfall ist hier nicht gegeben.
Das Berufungsgericht ging auch zutreffend davon aus, daß aus der Erklärung des Klägers nach dem Unfall oder bei den Sitzungen des Faschingsclubs ein Verzicht auf seine Ansprüche gegen den Erstbeklagten nicht abzuleiten ist. Ein solcher Verzicht müßte vom Erstbeklagten bewiesen werden, wobei strenge Anforderungen zu stellen sind; dabei würde der Kläger einseitig auf ein Recht verzichten, weshalb seine Erklärungen eher zu seinen Gunsten auszulegen sind und von seinem Verhalten nach § 863 ABGB besonders eindeutig verlangt werden müßte, daß es mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund an einem Verzicht zu zweifeln übrig lasse (ZVR 1972/174; 2 Ob 126/70 uza). Im vorliegenden Fall erklärte der Kläger aber bloß, daß er vom Erstbeklagten „an sich nichts wolle“, was aber noch nicht bedeutet, daß er diesen aus jeglicher Haftung entließ, zumal diese Äußerung auch dahin gedeutet werden könnte, daß er gegen den Erstbeklagten persönlich nichts habe. Auch die weitere Erklärung „er müsse ihn in Anspruch nehmen, um von der Versicherung etwas zu erhalten“, besagt im Grunde nur, daß der Kläger jedenfalls Schadenersatz begehre und diesen primär von der Versicherung unter Mitklagung des Erstbeklagten beanspruche; daß der Kläger auf seine Ansprüche gegen den Erstbeklagten unabhängig davon, ob er von der Versicherung etwas bekommt oder nicht, Verzicht leisten wollte, geht aus dieser Erklärung ebensowenig hervor, wie aus den anderen Äußerungen des Klägers, die oben dargestellt wurden.
Soweit die Beklagten das Schmerzengeld als zu hoch bekämpfen, konnte eine nähere Darstellung dieses Fragenkomplexes unterbleiben, weil sie ihren Argumenten Feststellungen unterstellen, die nicht getroffen wurden. Eine Behauptung, daß die Muskelschwäche des Klägers durch eine entsprechende Therapie in zwei bis drei Jahren zum Abklingen gebracht werden könne, haben sie in erster Instanz nicht erhoben; sie können dieses Vorbringen infolge des Neuerungsverbotes nicht im Rechtsmittelverfahren nachholen. Ihr Hinweis in erster Instanz darauf, daß die Rückenbeschwerden nicht auf den Unfall zurückzuführen seien (AS 10), implizierte nicht das nunmehrige Vorbringen. Daß die Vorinstanzen aus der Darstellung des Sachverständigen (AS 75) über die bloße „theoretische Möglichkeit“ einer entsprechenden Kräftigung der Muskulatur keine Folgerungen zogen, kann demnach schon mangels entsprechender Behauptungen der Beklagten im Verfahren erster Instanz keinen der herangezogenen Revisionsgründe darstellen.
Der Revision der Beklagten war daher der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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