OGH 1Ob618/85

OGH1Ob618/859.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Schobel, Dr. Hofmann und Dr. Riedler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heinrich Albert A, geboren am 1. Oktober 1920 in Nenzing, Pensionist, Hard, Lerchenmühlstraße 4, vertreten durch Dr. Ingobert Schuler, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Berta A, geboren am 3. April 1930 in Blons, Hausfrau, Lauterach, Lochbachstraße 26, vertreten durch Dr. Gerold Hirn, Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 27. März 1985, GZ. 5 R 63/85-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 12. Dezember 1984, GZ. 9 Cg 4648/84-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.637,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer und S 240,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 23. Oktober 1969 die Ehe. Sie sind österreichische Staatsbürger, aus der Ehe entstammt der am 21. November 1970 geborene Sohn Gerhard. Eine vom Kläger am 7. August 1974 zu 6 Cg 3660/74 des Erstgerichtes auf den Scheidungsgrund des § 49 EheG gestützte Klage wurde von ihm, nachdem das Verfahren mehrmals geruht hatte, am 28. September 1983 unter Anspruchsverzicht zurückgezogen. Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Teil des Urteiles des Erstgerichtes vom 23. Dezember 1983, ON 11, wurde die Ehe der Streitteile gemäß § 55 Abs 3 EheG geschieden.

Im fortgesetzten Verfahren ist über den Antrag der Beklagten, gemäß § 61 Abs 3 EheG im Urteil das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung auszusprechen, zu entscheiden.

Die Beklagte brachte hiezu vor, der Kläger habe sie öfters bedroht und geschlagen, er habe dem Alkohol übermäßig zugesprochen und ehebrecherische Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten; nach einem Aufenthalt im Krankenhaus sei er im Jänner 1976 nicht mehr in die Ehewohnung zurückgekehrt. Allfällige Eheverfehlungen der Beklagten seien vom Kläger verziehen worden.

Der Kläger brachte vor, die Beklagte habe ihn mit derbsten Ausdrücken beschimpft, sie sei gegen ihn tätlich geworden, seit 1973 habe sie unbegründet den ehelichen Verkehr verweigert. Das Erstgericht sprach mit Endurteil aus, der Antrag der klagenden Partei auf Feststellung des Alleinverschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe werde abgewiesen. Es stellte fest, im Zusammenleben der Streitteile hätten sich bereits nach etwa zwei Jahren nach der Eheschließung Schwierigkeiten ergeben. Bis zur Aufhebung der Gemeinschaft sei es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Die Streitteile hätten immer wieder miteinander gestritten, wobei solche Auseinandersetzungen aus nichtigen Anlässen entstanden seien. Diese Streitigkeiten hätten sich bis zum Ende des Jahres 1975 gesteigert. Es sei auch zu Beschimpfungen zwischen den Streitteilen gekommen. Die Beklagte habe den Kläger unter anderem als Hanswurst, faulen Sauhund, Schweinehund und Hurenbock bezeichnet. Sie habe ihn gefragt, ob er nicht bald verschwinde, er solle zu seiner Brut - gemeint waren die Verwandten des Klägers - hinübergehen. Auch der Kläger habe die Beklagte bei solchen Auseinandersetzungen beschimpft. Er habe gesagt, sie solle sich einen anderen Mann suchen, sie solle sich die Spinnweben - gemeint von ihren Geschlechtsteilen - wegtun lassen, der Kläger bekomme anderswo seine Sachen, er werde ihr eine herunterhauen. Im Jahre 1975 habe sich das Zusammenleben der Streitteile derart verschlechtert, daß sie miteinander nicht mehr gesprochen haben, außer wenn sie stritten. Der Kläger sei schließlich seine eigenen Wege gegangen und manchmal erst in der Früh nach Hause gekommen. Dies sei aber auch dadurch bedingt gewesen, daß der Kläger an Schlafstörungen gelitten habe. Ab und zu habe der Kläger auch über den Durst getrunken. Detaillierte Feststellungen traf das Erstgericht über Handgreiflichkeiten beider Teile anläßlich zweier Auseinandersetzungen im Jahre 1973. Bis Ende 1974 hätten die Streitteile miteinander geschlechtlich verkehrt. Der Kläger habe sich ab 17. Dezember 1975 wegen einer Darminfektion in stationärer Krankenhausbehandlung befunden. Während seines Krankenhausaufenthaltes habe er einen Herzinfarkt erlitten. Die Beklagte habe am 6. Jänner 1976 während eines Krankenhausbesuches den Sohn aufgefordert, einer am Krankenbett des Klägers anwesenden Bekannten nicht die Hand zu geben. Der Kläger habe daraufhin gesagt, wenn die Beklagte nur zum Streiten käme, könne sie gleich wieder gehen. Der Kläger sei nach dem Krankenhausaufenthalt Ende Jänner 1976, weil er sich weitere Aufregungen ersparen wollte, vorerst zu seiner Schwägerin gezogen, später habe er sich ein Zimmer gemietet. Anläßlich der Abholung von persönlichen Gegenständen des Klägers aus der Ehewohnung sei die Beklagte zweimal gegen ihn tätlich geworden. Spätestens seit 6. Jänner 1976 sei die Ehe endgültig gescheitert; die Wiederherstellung einer Lebensgemeinschaft, wie sie dem Wesen der Ehe entspreche, sei für beide Teile nicht mehr vorstellbar. Daß der Kläger im übermaß dem Alkohol zugesprochen habe, die Beklagte öfters bedroht und geschlagen habe, ehebrecherische Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten habe oder unterhalte, sei nicht erwiesen. Daraus folge, daß beide Teile zur Zerrüttung der Ehe beigetragen hätten. Ein überwiegendes oder alleiniges Verschulden des Klägers könne nicht festgestellt werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es übernahm mit einer für das Revisionsverfahren nicht relevanten Ausnahme die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte dessen rechtliche Beurteilung. Der Grund der unheilbar gewordenen Zerrüttung sei in den zunehmenden Streitigkeiten zu erblicken. Daß einer der beiden Gatten an den Verstößen gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung ein augenscheinlich höheres Maß an Verschulden treffe, sei nicht zu erkennen. Da sich der Kläger mit der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft weitere Aufregungen habe ersparen wollen, könne aus seinem eigenmächtigen Verhalten ein deutlich überwiegender Verschuldensanteil an der Zerrüttung der Ehe nicht abgeleitet werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Bei der Beurteilung, ob der die Scheidung der Ehe nach § 55 EheG begehrende Kläger die Zerrüttung der Ehe allein oder überwiegend verschuldet habe, ist das Gesamtverhalten beider Ehegatten während der ganzen Dauer der Ehe einschließlich verziehener oder verjährter Eheverfehlungen (Schwind, Eherecht 2 235, 284; Schwind-Ehrenzweig, Familienrecht 3 68 f.) zu berücksichtigen (EFSlg 43.690, 41.291, 41.288 u.a.). Auch im Falle des Verschuldensausspruches nach § 61 Abs 3 EheG ist ein überwiegendes (Zerrüttungs-)Verschulden nur dann anzunehmen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile ganz augenscheinlich hervortritt (EFSlg 43.698, 43.699, 41.291 u. a.; Schwind, Eherecht 2 256; Schwind-Ehrenzweig, Familienrecht 3 69).

Geht man von diesen Grundsätzen aus, läßt sich ein derartiger Unterschied im zur Zerrüttung führenden Verhalten der Streitteile nicht feststellen. Selbst wenn man das Geschehen des Jahres 1975 als ausschlaggebend betrachtete, steht fest, daß in diesem Jahr die Streitteile miteinander nur sprachen, wenn sie stritten. Daß der Kläger, der, wie die Einbringung seiner Scheidungsklage am 7. August 1974 zeigt, seine Ehe bereits damals als unheilbar zerrüttet betrachtete, bei dem weiterhin abweisenden Verhalten der Beklagten nunmehr seine eigenen Wege ging, kann sein überwiegendes Verschulden nicht begründen. Die Aufhebung der Wohngemeinschaft erfolgte aber auch wegen der auf Grund des vom Kläger erlittenen Herzinfarktes gerechtfertigten Befürchtungen, durch weitere Aufregungen infolge von Auseinandersetzungen mit der Beklagten gesundheitlichen Schaden nehmen zu können.

Folge der durch den Kläger unter Anspruchsverzicht erfolgten Zurücknahme seiner auf § 49 EheG gestützten Scheidungsklage zu 6 Cg 3660/74 des Erstgerichtes war bloß, daß eine ausschließlich auf vor der Klagsrücknahme liegende Gründe gestützte Scheidungsklage für alle Zukunft ausgeschlossen war; solche Scheidungsgründe hätten nur mehr zur Unterstützung später gesetzter Scheidungsgründe herangezogen werden können (JBl 1952, 591; Fasching, Komm III 140, 148). Durch die Klagsrücknahme verzichtete der Kläger nur endgültig auf den gerichtlichen Rechtsschutz (EvBl 1978/103; 3 Ob 47/81; 7 Ob 644/78; Fasching aa0 139, 141; derselbe Zivilprozeßrecht Rz 1253). Dem Kläger war es daher nicht verwehrt, das vor Rückziehung der Scheidungsklage liegende Gesamtverhalten der Beklagten ihrem auf § 61 Abs 3 EheG gegründeten Antrag entgegenzuhalten.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte (§ 510 Abs 3 ZPO), nicht vor. Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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