OGH 1Ob596/85

OGH1Ob596/8516.9.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Gamerith, Dr.Hofmann und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martha A, Hausfrau, Jenbach, Tratzbergstraße 22, vertreten durch Dr.Harald Meder, Rechtsanwalt in Kufstein, wider die beklagte Partei Verlassenschaft Maria B, verstorben 6.Dezember 1979, vertreten durch die erbserklärte Erbin Rosa C, Hausfrau, Jenbach, Tratzbergstraße 22 a, diese vertreten durch Dr.Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 933.544,16 samt Anhang infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 22. Feber 1985, GZ 2 R 315/84-33, womit infolge Berufungen der klagenden und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18.September 1984, GZ 8 Cg 727/83-25, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 19.347,78 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.540,71 USt. und S 2.400,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, Rosa C und Hermann B sind die Kinder

der am 6.12.1979 verstorbenen Maria B. Maria B

hinterließ eine mit 13.7.1979 datierte letztwillige Anordnung

folgenden Inhaltes:

'Testament.

Frei von Zwang und unbeeinflußt bestimme ich im Falle meines

Ableben folgendes:

Das mir gehörige Wohnhaus mit Stall und Stadel Jenbach, Tratzbergstraße Nr.22, samt dem noch dazugehörigen Grund in EZ 498/2 KG Jenbach Grundparzelle 369/1 vererbe ich meiner Tochter Rosa C geb.B mit Ausnahme von ca.700 m 2 Grund im Nordosteck Grundparzelle 369/1, die ich meinem Sohn Hermann B vererbe. Meine Tochter Martha A geb.B setze ich auf den Pflichtteil, weil sie von mit im Sommer 1976 die Abgabe meiner Unterschrift unter den Vertrag vom 16.8.1976 erzwungen hat. Sie erhält an den von ihr im ersten Stock Wohnhaus Feldheim bewohnten Räumen lebenslänglich unentgeltliches Wohnrecht. Die hiefür anfallenden Betriebskosten gehen zu ihren Lasten. Im Stall und Stadel erhält sie keine Mitbenützung, an der Durchfahrt die Hälfte.

Notwendige Reparaturkosten im Haus haben meine Töchter Rosa und Martha je zur Hälfte zu tragen......'

Die Klägerin, Rosa C und Hermann B erklärten im Verlassenschaftsverfahren nach Maria B, A 7/80 des Bezirksgerichtes Schwaz, übereinstimmend, daß diese letztwillige Anordnung keine Erbseinsetzung enthalte, es habe die gesetzliche Erbfolge einzutreten. Während die Klägerin und Hermann B das ihnen zustehende Erbrecht unter Vorbehalt ihres Pflichtteilsrechtes ausschlugen, gab Rosa C zum gesamten Nachlaß auf Grund des Gesetzes eine bedingte Erbserklärung ab. Der Wert des Nachlasses betrug per Juni 1984 S 5,601.265,--, der Wert des der Klägerin vermachten Wohnrechtes S 550.000,--.

Die Klägerin begehrt, soweit das für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, den Zuspruch des Betrages von S 933.544,16 samt Anhang als Pflichtteil. Wenn im Testament über den hinterlassenen Pflichtteil hinaus ein Wohnungsrecht als Vermächtnis ausgesetzt worden sei, sei dieses nicht auf den Pflichtteil anzurechnen. Die Erblasserin habe zugunsten der Klägerin über den Pflichtteil hinausgehende Zuwendungen beabsichtigt. Frühere Schenkungen an die Klägerin seien von Gesetzes wegen nicht auf ihren Pflichtteil anzurechnen. Bei der mit übergabsvertrag vom 5.7.1972 erfolgten übertragung des Grundstückes 369/4 KG Jenbach durch ihre Mutter habe es sich um keine (gemischte) Schenkung gehandelt, da die Klägerin eine Leibrente von monatlich S 500,-- zu zahlen hatte und ihre Mutter sich das Nutzungsrecht vorbehalten habe.

Die beklagte Partei wendete ein, schon auf Grund des Textes der letztwilligen Anordnung ergebe sich, daß sich die Klägerin das Wohnrecht auf den Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen müsse. Die Erblasserin habe damit selbst angeordnet, wie der der Klägerin zustehende Pflichtteilsanspruch zu berichtigen sei. In der für den Pflichtteil maßgeblichen Berechnung des gesamten Nachlaßvolumens, sohin bei Anrechnung aller Vorempfänge, sei davon auszugehen, daß die Erblasserin mit übergabsvertrag vom 5.7.1972 allen Kindern der Erblasserin aus ihrem zum Gutsbestand der Liegenschaft EZ 498/II KG Jenbach gehörigen Grundstück 369 je eine Grundfläche von 2196 m 2 in das Eigentum übertrug. Im Jahre 1976 habe die Erblasserin der Klägerin weitere 1160 m 2 Grund geschenkt. Für die mit übergabsvertrag vom 5.7.1972 übergebenen Grundstücke seien adäquate Gegenleistungen nicht erbracht worden.

Das Erstgericht sprach der Klägerin den Betrag von S 383.544,16 samt Anhang zu, ein Mehrbegehren von S 550.000,-- samt Anhang wies es ab. Eine Feststellung, die Erblasserin habe in den unter anderem an die Klägerin erfolgten Zuwendungen der Jahre 1972 und 1976 eine Einrechnung auf den Pflichtteil angeordnet, traf es nicht. Rechtlich ging es davon aus, daß nur der verkürzte Noterbe gemäß § 785 ABGB die Anrechnung von Schenkungen verlangen könne. Die Klägerin begehre keinen derart erhöhten Schenkungspflichtteil. Rosa C sei in ihrem Pflichtteil durch unentgeltliche Zuwendungen zugunsten der Klägerin nicht verkürzt worden. Bei den Grundstücksübertragungen im Jahre 1972 habe es sich wegen der vereinbarten Gegenleistung und des Fehlens von Anhaltspunkten, daß die Erblasserin die Vermögensverschiebung als eine teilweise unentgeltliche betrachtet habe, nicht um eine Schenkung gehandelt. Aus dem Wortlaut der letztwilligen Anordnung ergebe sich klar, daß die Klägerin nicht mehr als ihren gesetzlichen Erbteil erhalten solle. Die Erblasserin habe erklärt, die Klägerin auf den Pflichtteil zu setzen, und im nächsten Satz beschrieben, wie sie ihr diesen Pflichtteil zu hinterlassen gedenke. Der Wille der Erblasserin, daß die Klägerin nicht mehr als ihren gesetzlichen Pflichtteil erhalten solle, sei nach Ansicht des Gerichtes klar erkennbar. Das Wohnrecht im Werte von S 550.000,-- sei daher vom Pflichtteilsanspruch der Klägerin in der Höhe von S 933.544,16 abzuziehen.

Beide Teile erhoben Berufung. Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil nur der Berufung der Klägerin Folge und sprach ihr auch den Betrag von S 550.000,-- samt Anhang zu. Auf Grund einer Ergänzung des Beweisverfahrens stellte es fest, im Jahre 1978 habe Maria B zur Klägerin erklärt, 'du bekommst das lebenslängliche Wohnrecht in der Wohnung im ersten Stock des Hauses Feldheim und darüber hinaus nur das, was dir nach dem Gesetz zusteht'. Diese öußerung Maria Bs sei deshalb erfolgt, weil sie wegen des Drängens der Klägerin, ihre Unterschrift im Vertrag vom 16.8.1976 legalisieren zu lassen, 'verschnupft' gewesen sei. Mit Rosa C habe Maria B nie über den Inhalt des Testamentes gesprochen, daher auch nicht darüber, ob die Klägerin das im Testament genannte Wohnrecht zusätzlich zum Pflichtteil oder in Anrechnung auf denselben erhalten solle.

Wenn der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten auf den Pflichtteil setze und ihn mit einem Vermächtnis bedenke, sei dieses im Zweifel nicht auf den Pflichtteil anzurechnen, sondern bleibe neben diesem bestehen. Zu dieser Auffassung gelange man auch durch Auslegung des Testamentes vom 13.7.1979, in dem die Klägerin auf den Pflichtteil gesetzt werde und das unentgeltliche Wohnungsrecht an den von ihr bewohnten Räumlichkeiten im ersten Stock des Wohnhauses Feldheim erhalte, im Zusammenhalt mit den vom Berufungsgericht auf Grund der Beweisergänzung getroffenen Feststellungen über die Äußerung der Erblasserin gegenüber der Klägerin im Jahre 1978, daß diese das Wohnrecht bekomme und darüber hinaus nur das, was ihr nach dem Gesetz zustehe. Die Bestimmung des § 785 Abs 1 ABGB habe den Zweck, dem Noterben den Pflichtteil zu sichern. Es ergäbe keinen Sinn, einem Kind, das den Pflichtteil als Erbe oder Vermächtnisnehmer schon erhalten habe, das Recht einzuräumen, die Veranschlagung von Schenkungen zu begehren, durch die es im Pflichtteilsrecht nicht verkürzt worden sei. Die Bestimmung des § 785 Abs 1 ABGB sei daher im Zusammenhang mit § 951 Abs 1 ABGB zu sehen, in der vom verkürzten Noterben die Rede sei. Rosa C sei in ihrem Pflichtteilsanspruch aber nicht verletzt worden. Im übrigen liege beim übergabsvertrag vom 5.7.1972 eine gemischte Schenkung nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Das Gesetz unterscheidet in seinem § 785 ABGB einerseits und den §§ 787 ff. ABGB andererseits zwischen der Hinzurechnung von Schenkungen und der Anrechnung und Einrechnung von Vorempfängen (Welser in Rummel, ABGB, Rdz 28 zu § 785 und Rdz 15 zu §§ 788,789). Zuwendungen des Erblassers, die nicht nach § 787 in Rechnung zu bringen sind oder nach § 788 ABGB in den Pflichtteil einzurechnen sind, sind als Vorempfang nur dann in den Pflichtteil einzurechnen, wenn sie als Vorschuß auf den Pflichtteil geleistet wurden (Welser aaO Rdz 12 zu §§ 788,789;

Kralik-Ehrenzweig, Erbrecht 3 295). Daß die Klägerin solche Vorschüsse erhalten habe, wurde von der beklagten Partei nicht behauptet und von den Tatsacheninstanzen nicht festgestellt. Die beklagte Partei geht in ihrer Revision selbst davon aus, daß weder Rosa C noch die Klägerin durch Schenkungen verkürzte Noterben sind sowie daß die Klägerin einen erhöhten Schenkungspflichtteil nicht geltend machte. Gegen die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, nur das in seinem Pflichtteil verkürzte Kind kann nach § 785 Abs 1 ABGB begehren, daß bei Berechnung des Nachlasses Schenkungen in Anschlag zu bringen sind (EFSlg.24.736, 15.550; SZ 15/96; 3 Ob 589/79), weil § 785 ABGB anders als die zugunsten des Erben getroffenen Vorschriften der §§ 787 ff. ABGB über die Anrechnung auf den Pflichtteil und die Einrechung in den Pflichtteil dem Noterben den Pflichtteil sichern will, bringt die Revision nichts vor.

Soweit die Anrechnung des Vermächtnisses des Wohnrechtes in den Pflichtteilsanspruch der Klägerin begehrt wird, übersieht die Revision, daß das Berufungsgericht nach den von ihm ergänzten Beweisverfahren nicht auf Grund der letztwilligen Anordnung allein, sondern auf Grund des ergänzten Beweisverfahrens feststellte, nach der Absicht der Erblasserin sollte die Klägerin das Wohnrecht und darüber hinaus das, was ihr nach dem Gesetz zusteht, bekommen. Die Auslegung einer ihrem Wortlaut nach feststehenden Urkunde ist nur dann eine Frage der rechtlichen Beurteilung, wenn dies auf Grund des Urkundeninhaltes allein geschieht. Eine Tatsachenfeststellung liegt hingegen vor, wenn bei Auslegung einer Urkunde (hier einer letztwilligen Anordnung) die Absicht des Erblassers auf Grund des Beweises durch Zeugen und durch Vernehmung der Parteien festgestellt wurde (JBl 1985,97; ZAS 1984/2; JBl 1979,94 uva). Dies ist hier der Fall. Der Oberste Gerichtshof ist damit an die vom Berufungsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen über die Absicht der Erblasserin gebunden.

Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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