OGH 2Ob35/85

OGH2Ob35/8510.9.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Inge A, Geschäftsfrau, D- 6700 Ludwigshafen, Wachenheimerstraße 17, vertreten durch Dr. Harald Streif, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei B C D E, 1011 Wien, Brandstätte 7-9, vertreten durch Dr. Klaus Schärmer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 160.841,10 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 6. Feber 1985, GZ 5 R 15/85- 35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 15. Oktober 1984, GZ 6 Cg 818/82-28, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der Klägerin die mit S 7.753,05,-

bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 617,55 Umsatzsteuer und S 960,- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafte Klägerin wurde als Mitfahrerin auf dem Motorrad ihres Ehegatten bei einem am 17.4.1981 südlich von Seefeld erfolgten und von Rudolf März mit einem bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW allein verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt.

Von den in der Klage erhobenen Schadenersatzansprüchen bildet nur noch die Ersatzforderung für die Kosten der von der Klägerin bei ihrem Krankenhausaufenthalt in Anspruch genommenen zweiten Gebührenklasse den Gegenstand dieses Revisionsverfahrens. Das Berufungsgericht bestätigte den diesbezüglichen erstgerichtlichen Zuspruch und kam in seiner einen Berufungsgegenstand von DM 92.228,70 und S 70.000,- betreffenden Entscheidung insgesamt zu einer teilweisen Abänderung des erstgerichtlichen Urteils dahin, daß es der Klägerin einen Gesamtbetrag von S 523.329,10 s.A. zuerkannte und das Mehrbegehren von S 192.271,80 s.A. abwies.

In der Revision bekämpft die beklagte Partei den Zuspruch der Kosten der zweiten Gebührenklasse in der Höhe von S 160.841,10 s.A. (DM 22.151,18 und DM 10.145,- abzüglich DM 9.318,88 = DM 22.977,30 zu einem im Berufungsverfahren außer Streit gestellten Umrechnungskurs von S 7,- = S 160.841,10).

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Den Entscheidungen der Unterinstanzen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Beim gegenständlichen Unfall erlitt die Klägerin einen mehrfachen Oberschenkelhalsbruch links mit erheblicher Verschiebung, subkapitale Mittelfußfrakturen zwei bis fünf rechts, eine Zerrung der Halswirbelsäule, eine Abschürfung an der linken unteren Extremität sowie eine Nierenprellung mit Makrohämaturie. Nach Stabilisierung des Kreislaufes und Besserung des Allgemeinzustandes erfolgte am 22.4.1981 die offene Reposition und Ostheosynthese des Oberschenkelhalsbruches und am 5.5.1981 die Anlegung eines Unterschenkelgehgipsverbandes rechts. Nach der am 14.5.1981 erfolgten Entlassung aus dem Krankenhaus konnte sich die Klägerin ohne Belastung des linken Beines auf zwei Stützkrücken mühsam fortbewegen, ab Juli 1982 konnte sie unter weiterer Verwendung der Stützkrücken das linke Bein teilweise belasten. Ab August 1982 war die Klägerin mittels Gehstockes gehfähig. Als Unfallsfolge besteht eine Resektionshüfte links, wobei der Oberschenkel nur durch Weichteile und Abstützen am Beckenkamm gehalten wird. Die dadurch gegebene Beinverkürzung beträgt 5 cm, das Gangbild ist watschelnd und das Gehen nur mit Stockhilfe möglich.

Als Dauerfolge verbleibt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 %. Der Ehemann der Klägerin hatte beim Unfall ebenfalls Verletzungen erlitten, und zwar eine Prellung der linken Hüfte und des linken Knies, einen Riß des hinteren Kreuzbandes, einen kleinen vorderen Kreuzbandausriß am linken Knie, verbunden mit einer hinteren und geringen medialen Knieinstabilität links, sowie Abschürfungen über dem linken Knie und über der linken Hüfte. Zur Ruhigstellung wurde eine Kniegipshülse angelegt, die am 22.4.1981

wieder abgenommen wurde. In der Folge traten Fieberschübe auf Grund einer Schleimhautentzündung im Mund auf. Am 25.4.1981 wurde der Ehemann der Klägerin mittels Stützkrücken mobilisiert, am 5.5.1981 war er weitgehend beschwerdefrei und die Behandlung abgeschlossen. Ab dem 18.4.1981, also dem Tage nach ihrer Einlieferung in das Krankenhaus, waren die Klägerin und ihr Ehemann gemeinsam in einem Zweibettzimmer der zweiten Gebührenklasse untergebracht. Eine solche gemeinsame Unterbringung wäre in der allgemeinen Gebührenklasse nicht möglich gewesen. Vom ärztlichen Standpunkt war der Aufenthalt der Klägerin in der zweiten Gebührenklasse nicht notwendig. Die operative Versorgung in der Allgemeinklasse wäre die gleiche gewesen und die Klägerin hätte durch den Aufenthalt in der allgemeinen Gebührenklasse keine gesundheitlichen Schäden erlitten. Die durch den Aufenthalt in der zweiten Gebührenklasse entstandenen Mehrkosten werden von der F G, deren freiwillig versichertes Mitglied die Klägerin ist, nicht ersetzt. Die Klägerin betrieb vor dem Unfall ein Bräunungsstudio. Hilfskräfte beschäftigte sie nicht, da selbst bei Vollbelegung aller Kabinen eine Bedienungsperson ausreichte. In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, für die Inanspruchnahme einer höheren Gebührenklasse sei nicht nur die medizinische Notwendigkeit hiefür entscheidend, vielmehr sei eine solche Inanspruchnahme bereits immer dann gerechtfertigt, wenn die damit verbundenen höheren Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit zweckmäßig und angemessen erschienen, wobei es auf die Umstände des Falles ankomme und insbesondere auch die Schwere der Verletzungen zu berücksichtigen sei. Vorliegendenfalls rechtfertigten nicht nur die Schwere der von der Klägerin erlittenen Verletzungen diese Inanspruchnahme, sondern auch der Umstand, daß der beim Unfall verletzte Ehemann der Klägerin ebenfalls zur Behandlung in das Krankenhaus aufgenommen worden sei. Eine solche gemeinsame Unterbringung von Ehegatten beeinfluße nämlich unbestrittenermaßen den Heilungsverlauf im günstigen Sinne. Im übrigen habe der erhöhte Aufwand für die zweite Gebührenklasse auch der sonstigen Lebenshaltung der Eheleute entsprochen. Das Berufungsgericht trat der erstgerichtlichen rechtlichen Beurteilung bei.

Gegen den unterinstanzlichen Rechtsstandpunkt wird in der Revision vorgebracht, eine medizinische Indikation für die Behandlung der Klägerin in der zweiten Gebührenklasse sei nicht vorgelegen. Von entscheidender Bedeutung erscheine stets die Erstversorgung schwerer Verletzungen nach der Einlieferung des Patienten. Diese werde aber, wie hier, vom diensthabenden Arzt unabhängig von der später gewählten Gebührenklasse durchgeführt. Auf die im wesentlichen nur noch gegebene Beobachtung des folgenden Heilungsverlaufes komme es sodann nicht mehr an. Allein auf Grund der Schwere von Verletzungen und eines schwierigen Heilungsverlaufes könne nach dem System des österreichischen Sozialversicherungsrechtes die zweite Gebührenklasse auch nicht in Anspruch genommen werden. Zwar seien die Klägerin und ihr Ehegatte gemeinsam in das Krankenhaus eingeliefert worden, daß die gemeinsame Unterbringung den Heilungsverlauf günstig beeinfluß habe, sei aber nicht festgestellt worden. Was das unterinstanzliche Argument, die Inanspruchnahme der zweiten Gebührenklasse entspreche der sonstigen Lebenshaltung und den persönlichen Verhältnissen der Klägerin und ihres Ehemannes, betreffe, müsse darauf hingewiesen werden, daß die Klägerin keineswegs in solchen finanziellen Verhältnissen lebe, welche ihr die Behandlung in dieser Gebührenklasse im Falle der Notwendigkeit ihrer Bezahlung aus eigenen Mittel erlaubt hätten. Sie habe im Verfahren selbst vorgebracht, den einen Klagsteilanspruch darstellenden Unkostenbeitrag von DM 7.345,50 nicht zahlen zu können und zu dessen Abdeckung sowie zwecks Weiterführung ihres Bräunungsstudios während ihrer unfallsbedingten Abwesenheit Darlehen aufgenommen zu haben. Auch sei nicht hervorgekommen, daß sie besondere Reichtümer habe, welche ihr die Inanspruchnahme der zweiten Gebührenklasse ermöglicht hätten. Eine Zusatzversicherung sei ebenfalls nicht vorhanden.

Den Revisionsausführungen kann nicht gefolgt werden. Zutreffend haben die Unterinstanzen auf die ständige Judikatur verwiesen, nach welcher bei dem gemäß § 1325 ABGB dem Verletzten gebührenden Ersatz der Heilungskosten die Aufwendungen für die zweite Gebührenklasse auch dann zu berücksichtigen sind, wenn deren Inanspruchnahme zwar nicht eine medizinische Notwendigkeit darstellte, aber doch durch die sonstigen Umstände des Einzelfalles gerechtfertigt erschien (2 Ob 70/62; 2 Ob 21/70; ZVR 1973/134; 8 Ob 106/75; ZVR 1977/226; 4 Ob 563/81; 8 Ob 98/83 u.a.). Für eine solche Beurteilung kann z.B. schon ein durch die besonderen Umstände des Einzelfalles gerechtfertigtes Anliegen nach optimaler Versorgung und Betreuung maßgebend sein (8 Ob 98/83). Ein derartiges Interesse liegt aber bei einem nach einem Verkehrsunfall in ein ausländisches Krankenhaus eingelieferten Schwerverletzten sehr wohl nahe und wird bei Hinzutreten weiterer anerkennenswerter Umstände zu berücksichtigen sein. Von einem solchen besonderen Sachverhalt kann hier durchaus gesprochen werden:

Die Klägerin wurde beim Unfall sehr schwer verletzt und konnte erst fünf Tage später nach Stabilisierung des Kreislaufes und Besserung des Allgemeinzustandes operiert werden; wie gravierend ihre Verletzungen waren, ergibt sich daraus, daß die verbliebene Verminderung ihrer Erwerbsfähigkeit 50 % beträgt. Auch ihr Ehegatte erlitt erhebliche Verletzungen, sodaß er in den ersten Tagen überhaupt nicht und später nur mittels Stützkrücken gehen konnte. Bei diesem hilflosen beziehungsweise schwer beeinträchtigten Zustand beider Ehegatten war ihr Bestreben, im Krankenhaus nicht voneinander getrennt zu werden, sondern sich durch die bei gemeinsamer Unterbringung gegebene Möglichkeit wenigstens einer gegenseitigen Ansprache und Anteilnahme, später auch Hilfestellung des beschränkt gehfähigen Ehemannes gegenüber der Klägerin, die unverschuldete Notlage zu erleichtern, durchaus gerechtfertigt. Es kann nicht bezweifelt werden, daß bei einem Spitalsaufenthalt - zumal im Ausland - die Aufrechterhaltung eines persönlichen Kontaktes zum schwerverletzten Familienmitglied grundsätzlich der Besserung seines Allgemeinzustandes und damit auch dem Heilungsverlauf färderlich erscheint. Besteht für einen solchen persönlichen Kontakt zwischen Ehegatten keine andere Möglichkeit als ihre gemeinsame Unterbringung, weil sie beide gehunfähig sind, müssen demnach aber auch die hiedurch entstehenden Kosten der zweiten Gebührenklasse als zweckmäßiger Heilungsaufwand gewertet werden. Den Revisionsausführungen, wonach die bei Unfallsverletzten grundsätzlich in der allgemeinen Gebührenklasse durchgeführte Erstversorgung und nicht die spätere Unterbringung in einer gewählten Gebührenklasse - medizinisch gesehen - erheblich sei, ist lediglich zu entgegnen, daß im vorliegenden Fall die Klägerin bereits am Tage nach ihrer Einlieferung in die zweite Klasse überstellt und ihre operative Versorgung mehrere Tage später nach Besserung ihres Gesamtzustandes vorgenommen wurde. Auf die von der Revision schließlich relevierte Frage, ob die Klägerin - sie ist Inhaberin eines Bräunungsstudios, ihr Ehemann ist Baustellenleiter - nach ihren sonstigen Lebensverhältnissen die zweite Gebührenklasse beanspruchen durfte, muß nicht eingegangen werden, weil diese Inanspruchnahme aus den dargestellten Gründen zweckmäßig und daher jedenfalls gerechtfertigt war (ZVR 1973/134;

8 Ob 98/83).

Der ungerechtfertigten Revision war demgemäß ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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