Spruch:
Der Vater ist berechtigt, jenen Schaden im eigenen Namen einzuklagen, der ihm auf Grund seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht durch die Heilungskosten seines mj. Sohnes entstanden ist.
Entscheidung vom 9. März 1962, 2 Ob 70/62.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Am 8. September 1959 wurde der Sohn des Klägers, der am 16. Februar 1944 geborene Christian B., schwer verletzt, als er mit seinem Fahrrad auf einer Straßenkreuzung in Wels mit dem vom Erstbeklagten gelenkten und der Zweitbeklagten als Halterin gehörigen Lastkraftwagen zusammenstieß. Der mj. Christian B. machte seinen Schmerzengeldanspruch sowie den Anspruch auf Feststellung, daß die Beklagten für seinen künftigen Schaden ersatzpflichtig seien, geltend. In diesem Prozeß wurde der Mitverschuldensanteil des mj. Christian B. mit 1/4 festgestellt. Nunmehr erhebt der Kläger den Anspruch auf Ersatz der Heilungskosten, der unfallsbedingten Mehrauslagen im Zusammenhang mit dem Schulbesuch sowie der Auslagen, die ihm durch die Wiederinstandsetzung der beim Unfall beschädigten Kleidungsstücke und Habseligkeiten des mj. Christian B. erwuchsen. Er stellt hiebei das im Vorprozeß festgestellte Mitverschulden seines Sohnes in Rechnung. Außerdem begehrt er die Feststellung, daß ihm die Beklagten für die aus dem Unfall seines Sohnes in Zukunft erwachsenden Heilungs- und Erziehungskosten zu 3/4 dem Gründe nach ersatzpflichtig seien.
Der Erstrichter sprach dem Kläger unter Berücksichtigung der Mitverschuldensquote von 1/4 den Betrag von 12.697.05 S s. A. zu. Das Mehrbegehren von 1.828.20 S s. A. wies er ab. Außerdem sprach er aus, daß die Beklagten dem Kläger für die in Zukunft aus dem Unfall des mj. Christian B. entstehenden Heilungs- und Erziehungskosten dem Gründe nach zu 3/4 ersatzpflichtig seien. Die durch den Spitalsaufenthalt verursachten Kosten sprach der Erstrichter dem Kläger nicht in voller Höhe zu. Er machte einen Abstrich von 180 S, d. s. 3/4 der Mehrkosten (240 S), die darauf zurückzuführen sind, daß der mj. Christian B. während der ganzen Dauer des Spitalaufenthaltes (29 Tage) in der ersten Klasse verblieb und nicht, wie dies nach dem Heilungsverlauf möglich gewesen wäre ab dem 15. Tag in die zweite Klasse verlegt wurde. Im zugesprochenen Betrag sind je 3/4 nachstehender Beträge enthalten:
Transportkosten ........................................ S 29,-
Spitalskosten........................................... S 10.543,-
Kosten der Wiederinstandsetzung der Brillen, des Fahrrades, der
Kleidungsstücke und der Armbanduhr ...... S 2.166.90 Kosten der
ärztlichen Nachbehandlung und der ambulanten Behandlung
.................................. S 456,- für Nachhilfestunden
................................... S 1.105,- für Besuchsfahrten,
zusätzliche Verpflegung, Vitaminpräparate und Telefonspesen
...................... S 1.500,- für zusätzliche Krankenaufsicht
......................... S 1.285,- für Schulfahrten
........................................ S 425.50
Für die Dauer des Spitalsaufenthaltes (29 Tage) berücksichtigte der Erstrichter eine Haushaltsersparnis von täglich 15 S. Das Feststellungsbegehren erachtete der Erstrichter für begrundet, weil mit Rücksicht auf die Schwere der Verletzung mit Spätfolgen zu rechnen sei. Diese könnten neuerliche Heilungskosten und vermehrten Erziehungsaufwand erforderlich machen.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil der ersten Instanz dahin ab, daß dem Kläger auch der vorerwähnte Betrag von 180 S (3/4 der Spitalskostendifferenz von 240 S) zugesprochen wurde.
Das Berufungsgericht teilte die Rechtsauffassung des Erstrichters, daß es sich bei den Auslagen, die der Kläger aus Anlaß des Unfalles seines noch mj. Sohnes zufolge seiner gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung gehabt habe und allenfalls noch haben werde, nicht um einen sogenannten mittelbaren Schaden handle. Was die Verpflegskosten während des Spitalsaufenthaltes anlange, so habe der Kläger nicht nur hinsichtlich der ersten 14 Tage, sondern auch hinsichtlich der restlichen 15 Tage des Krankenhausaufenthaltes seines Sohnes Anspruch auf Ersatz der Kosten der ersten Klasse, zumal es sich nur um einen verhältnismäßig geringfügigen Differenzbetrag handle. Es komme hiebei in erster Linie auf die Schwere der Verletzung, die lebensgefährlich gewesen sei, und die sonstige Lebenshaltung des Verletzten an. Nur die Unterbringung in der ersten Klasse habe es ermöglicht, daß der lebensgefährlich Verletzte ohne zeitliche Beschränkung habe besucht werden können. Solche häufige Besuche seien bei einem Jugendlichen günstig, weil sie dazu beitrügen, das Heimweh und den Schock zu überwinden. Der Verunglückte wäre auch sonst bei einer ähnlichen schweren Erkrankung in derselben Verpflegsklasse untergebracht worden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Beklagten versuchen zunächst darzutun, daß die Klage schon deshalb abzuweisen gewesen wäre, weil der Kläger seinen Anspruch auf § 1041 ABGB. gestützt habe, dieser Rechtsgrund aber nach übereinstimmender Ansicht der Vorinstanzen nicht gegeben sei. Wenn der Kläger eine eindeutige rechtliche Beurteilung zur Grundlage seines Anspruches nehme, könne das Gericht nicht mehr einen anderen Rechtsgrund heranziehen. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß es nicht darauf ankommt, wie der Kläger den Sachverhalt in der Klage rechtlich beurteilt, sondern darauf, ob aus dem Sachverhalt der behauptete Anspruch abgeleitet werden kann. An die rechtliche Beurteilung des Klägers ist das Gericht, wenn die Klage nicht ausdrücklich auf einen ganz bestimmten Klagsgrund gestützt ist, nicht gebunden. Davon, daß der Kläger seinen Anspruch nur unter dem Gesichtspunkt des § 1041 ABGB. beurteilt wissen wolle, kann nach dem Klagsvorbringen keine Rede sein.
Die Beklagten meinen weiter, daß es sich bei dem Anspruch des Klägers um einen sogenannten mittelbaren Schaden handle, den der Schädiger nicht zu ersetzen habe. Ein mittelbarer Schaden liege deshalb vor, weil nicht der Kläger, sondern sein Sohn beim Unfall verletzt worden sei, der bereits seinen Schmerzengeldanspruch sowie den Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich künftiger Schäden geltend gemacht habe und auch über ein eigenes Vermögen, z. B. über ein Reitpferd, verfüge. Es ist wohl richtig, daß nach der Auslegung, die das im § 1295 ABGB. gebrauchte Wort "jedermann" in der Rechtsprechung gefunden hat, Schadenersatzansprüche grundsätzlich nur der durch die rechtswidrige Handlung unmittelbar Verletzte bzw. nur der aus dem Schuldverhältnis unmittelbar Berechtigte erheben kann, nicht aber ein nur mittelbar Geschädigter. Durch diese Beschränkung des Rechtes zur Erhebung von Ersatzansprüchen auf die unmittelbar Beteiligten soll vor allem verhütet werden, daß der Kreis der zur Erhebung von Ersatzansprüchen berechtigten Personen ins Uferlose ausgedehnt wird und so die Verpflichtung zur Schadenersatzleistung ein wirtschaftlich nicht mehr vertretbares Ausmaß annimmt. Diese für die Ablehnung der Haftung für den sogenannten Drittschaden in erster Linie maßgebende Erwägung ist aber in Fällen wie dem vorliegenden, in denen es nur darum geht, ob der Ersatzanspruch hinsichtlich eines bestimmten Schadens vom Verletzten oder von dem geltend zu machen ist, der auf Grund seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht für die dem Verletzten zugefügten Schäden aufzukommen hat, nicht durchschlagend. So wurde denn auch vielfach in Fällen, in denen dem unterhaltspflichtigen Vater oder Ehemann durch die Verletzung seines Kindes bzw. seiner Ehefrau Auslagen erwuchsen, die Berechtigung des Vaters bzw. Ehemannes zur Erhebung des Ersatzanspruches hinsichtlich dieser Auslagen anerkannt (vgl. GlUNF. 3541, SZ. XXV 318 = JBl. 1953, S. 547, SZ. XXIX 72 = ZVR. 1957 Nr. 183, JBl. 1958 S. 207, ZVR. 1961 Nr. 314). Auch im vorliegenden Fall ist es, soweit es das Ausmaß der Schadenersatzverpflichtung betrifft, nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Ersatzanspruch vom mj. Christian B. selbst geltend gemacht wird oder von seinem Vater. Daß letzterer für die durch die Verletzung des mj. Christian B. verursachten Heilungskosten, Mehrauslagen und Reparaturkosten tatsächlich aufgekommen ist, ist nicht strittig. Dem Umstand, daß der Kläger seinem Sohn ein Reitpferd zur Verfügung gestellt hat, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Der Oberste Gerichtshof billigt die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, daß der Kläger zur Geltendmachung des Ersatzanspruches im eigenen Namen legitimiert ist.
Was die Mehrauslagen von 180 S (3/4 von 240 S) anlangt, die dadurch erwachsen sind, daß der mj. Christian B. nicht ab dem 15. Tag seines Krankenhausaufenthaltes von der ersten Klasse in die zweite Klasse verlegt wurde, so ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß es nicht allein darauf ankommt, daß vom medizinischen Standpunkt aus der Verletzte in diesem Zeitpunkt von der ersten Klasse in die zweite Klasse hätte verlegt werden können. Es sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen. Der Verletzte soll, wenn er durch einen von einem anderen verschuldeten Verkehrsunfall zu Schaden gekommen ist, auch hinsichtlich der Unterbringung im Krankenhaus nicht schlechter gestellt sein, als es der Fall gewesen wäre, wenn er aus einem anderen Gründe mit einer ähnlich schweren Erkrankung ins Krankenhaus gekommen wäre. Es liegt kein Anlaß vor, anzunehmen, daß der Kläger in einem solchen Falle seinen Sohn sofort nach Zulässigkeit vom medizinischen Standpunkt aus, aus der ersten Klasse in die zweite gebracht hätte.
Was die Mehrauslagen für zusätzliche Verpflegung anlangt, so ist es gleichfalls nicht entscheidend, ob vom medizinischen Standpunkt aus der Vitaminbedarf des mj. Christian B. durch die Spitalsverpflegung gedeckt gewesen wäre. Daß Eltern ihrem lebensgefährlich verletzten Kinde zusätzliche Nahrungsmittel ins Krankenhaus bringen, um möglichst günstige Voraussetzungen für einen raschen Heilungsverlauf zu schaffen, ist verständlich. Der Anspruch auf Ersatz der hiefür beanspruchten Mehrauslagen, die sich in vertretbaren Grenzen halten (nach den Feststellungen des Erstrichters 200 S für Fruchtsäfte und Obst), ist daher zu bejahen. Daß dem mj. Christian B. Vitaminpräparate verabreicht wurden (nach den Feststellungen des Erstrichters handelt es sich um sechs Packungen zu je 98 S), geschah, wie festgestellt wurde auf Anraten des Arztes. Auch in diesem Belange muß daher der Ersatzanspruch als gerechtfertigt angesehen werden. An Haushaltsersparnis wurde, wie bereits erwähnt, ohnehin ein Betrag von 435 S (pro Tag 15 S) als Abzugsposten berücksichtigt, ein Betrag, der unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 273 ZPO. als angemessen angesehen werden kann.
Den Beklagten kann schließlich auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie sich gegen die Entscheidung über das Feststellungsbegehren wenden. Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß nach der Schwere der Verletzung Spätfolgen durchaus möglich sind. Dies reicht im Sinne der herrschenden Rechtsprechung hin, um das Feststellungsbegehren hinsichtlich allfälliger künftiger Schäden zu rechtfertigen. Die Ausführungen, mit denen dargetan werden soll, daß schon die Möglichkeit eines Vorablebens des Klägers die Überflüssigkeit des Feststellungsbegehrens erweise, vermag in keiner Weise zu überzeugen. Daß dem Feststellungsbegehren des mj. Christian B. hinsichtlich künftiger Ersatzansprüche bereits stattgegeben wurde, berührt das Feststellungsinteresse des Klägers nicht. Wieso durch derartige Feststellungsbegehren im Zusammenhang mit einem Leistungsbegehren die Zahl der Zivilprozesse im Gefolge von Verkehrsunfällen unnötigerweise vermehrt werden soll, ist nicht ersichtlich. Das Feststellungsurteil erspart vielmehr, wenn Spätfolgen eintreten, eine neuerliche Prozeßführung über den Grund des Anspruches. Daß sich der Geschädigte gegen eine in dem späteren Prozeß zu erwartende Verjährungseinrede durch ein Feststellungsurteil zu schützen trachtet, kann ihm nicht verwehrt werden.
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