Spruch:
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert. Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten werden zurückgewiesen.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem in der Hauptverhandlung am 23.Mai 1985 in Gegenwart des Angeklagten und des Rechtsanwaltes Dr. Friedrich Wolfgang B als Substituten des gemäß § 41 Abs. 2 StPO.
bestellten Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Hildegard C (mit Substitutionsvollmacht vom 17.Mai 1985) verkündeten Urteil wurde Alois Peter A des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB. und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 StGB. und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB. schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft haben sich Bedenkzeit vorbehalten. Die Staatsanwaltschaft hat am 28.Mai 1985 rechtzeitig Berufung angemeldet und dieses Rechtsmittel auch nach Zustellung des Urteils in offener Frist ausgeführt.
Mit dem am 30.Mai 1985 zur Post gegebenen Schriftsatz hat Dr. B Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde beantragt und gleichzeitig Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet. Nach Zustellung des Urteils hat der Anwalt innerhalb der 14-tägigen Frist 'Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe' ausgeführt. In seinem Wiedereinsetzungsantrag führt der Angeklagte aus, daß Rechtsanwalt Dr. B das Ende der 3-tägigen Frist zur Anmeldung von Rechtsmitteln statt richtig mit 28.Mai 1985 irrtümlich mit 30.Mai 1985 in seinem Kalender eingetragen hat. Dr. B bestätigt in einer schriftlichen Erklärung die Richtigkeit dieses Vorbringens.
Rechtliche Beurteilung
Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht berechtigt.
Nach dem eindeutigen und insoweit jeden Zweifel ausschließenden Wortlaut des § 364 Abs. 1 Z. 1 StPO. ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dem Beschuldigten (Angeklagten) lediglich zu erteilen, soferne er nachzuweisen vermag, daß ihm die Einhaltung der Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels durch unabwendbare Umstände ohne sein oder seines Vertreters Verschulden unmöglich gemacht wurde. Die Strafprozeßordnung macht insoweit keinen Unterschied, ob ein zur Fristversäumung führendes Verschulden dem Beschuldigten (Angeklagten) oder seinem Vertreter (Verteidiger) unterlaufen ist; ein dem Verteidiger anzulastendes Verschulden ist demnach dem Beschuldigten (Angeklagten) zuzurechnen (vgl. EvBl. 1980/97 u.v.a.). Vertreter des Beschuldigten ist aber nicht nur der Wahlverteidiger oder der nach § 41 Abs. 2 oder Abs. 3 StPO. bestellte Verteidiger, sondern auch der Verteidiger, dem die Vollmacht vom gewählten oder bestellten Verteidiger (gemäß § 14 RAO.) übertragen wurde. Liegt ein Verschulden vor, dann macht es nach der Strafprozeßordnung (anders als nach der nunmehrigen Fassung des § 146 Z. 1 ZPO.) auch keinen Unterschied, welchen Grad dieses Verschulden hat; auch ein Verschulden minderen Grades schließt somit strafprozessual nach der derzeitig geltenden Rechtslage die Erteilung der Wiedereinsetzung aus.
Die irrtümliche Eintragung des Endes der Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels durch den Vertreter des Angeklagten ist kein unabwendbarer Umstand im Sinne des § 364 Abs. 1 Z. 1 StPO. Die Ermittlung des Endzeitpunktes einer Frist und dessen richtige Eintragung in den Terminkalender erfordert keine besondere außergewähnliche Konzentration, sondern vielmehr eine durchschnittliche Aufmerksamkeit, die von einem Rechtsanwalt angesichts der schwerwiegenden Folgen einer Fristversäumung verlangt werden kann und muß. Der dem Rechtsanwalt (und nicht etwa seiner Angestellten) unterlaufene Irrtum bei der Eintragung des Endzeitpunktes der Ausführungsfrist ist somit als Verschulden zuzurechnen und schließt demnach die Erteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
Die begehrte Wiedereinsetzung war darum zu verweigern. Die verspätet angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde und die verspätet (weil nicht rechtzeitig angemeldete) Berufung wegen Schuld (die im Verfahren gegen Urteile des Schöffengerichtes im übrigen auch unzulässig ist) und wegen Strafe waren daher zurückzuweisen (§§ 285 d Abs. 1 Z. 1 StPO. in Verbindung mit § 285 a Z. 2 StPO., § 294 Abs. 4 StPO. in Verbindung mit § 296 Abs. 2 StPO.).
Die Kostenentscheidung beruht auf der angeführten Gesetzesstelle. In sinngemäßer Anwendung des § 285 b Abs. 6 StPO. waren die Akten zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht Wien zuzuleiten.
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