European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00041.85.0711.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 5.143,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung:
Der Kläger erlitt als Halter des Tankwagenzuges mit dem pol. KZ K * bzw. K * am 19. 3. 1982 um 21,40 Uhr auf der von der Beklagten zu erhaltenden Kärntner Bundesstraße infolge unvorsichtiger Fahrweise des Lenkers seines Fahrzeuges auf der teilweise vereisten Fahrbahn einen Schaden von S 209.917,‑‑.
Er begehrte von der Beklagten die Hälfte dieses Schadens ersetzt, weil sie ihrer Streupflicht oder wenigstens der Verpflichtung, Warntafeln vor der eisigen Fläche aufzustellen, grob fahrlässig nicht entsprochen habe. Das Verschulden seines Fahrzeuglenkers ließ sich der Kläger mit 50 % anrechnen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil sie den Verpflichtungen als Straßenerhalterin voll nachgekommen sei. Die Vereisung der Fahrbahn zur Unfallszeit sei nicht vorhersehbar und von der Beklagten mit zumutbaren Mitteln nicht vermeidbar gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen nachstehende Feststellungen:
Die Unfallstelle liegt auf der Kärntner Bundesstraße im Bereich des Straßenkilometers 359,6. In diesem Bereich verläuft die Fahrbahn ungefähr in Ost‑West‑Richtung. Sie hat eine Breite von 10,20 m und ist mit einer Rauhasphaltdecke in gutem Bauzustand ausgestattet. Der Unfallspunkt liegt, gesehen in Fahrtrichtung des Fahrzeuges des Klägers, knapp nach einer Linkskurve. Diese Kurve beschreibt eine Richtungsänderung von 60 Grad und hat einen Krümmungsradius von ca. 120 m. An den südlichen Fahrbahnrand schließt eine Ausweiche an. Hinter dieser befindet sich der sogenannte Rote Felsen, der fast zu allen Jahreszeiten eine Schattenbildung im Kurvenbereich bewirkt. Rudolf K* fuhr mit dem Tankwagenzug des Klägers auf der rechten südlichen Fahrbahnhälfte von Arnoldstein in Richtung Osten. Da im Bereich der Unfallstelle auf der südlichen Fahrbahnhälfte und zum Teil über die Straßenmitte auf die nördliche Fahrbahnhälfte ragend Glatteis auf der Fahrbahn lag, geriet der Tankwagenzug aus einer Fahrgeschwindigkeit von 61 km/h ins Schleudern, wodurch es zu einem Kontakt mit einem aus der Gegenrichtung entgegenfahrenden Sattelschlepper kam. Berücksichtigt man, daß der LKW‑Zug von der ersten Schleuderspur bis in die Endlage eine Gesamtstrecke von 132 m zurückgelegt hatte, so errechnet sich als Durchschnittswert auf der gesamten Strecke eine mittlere Verzögerung von 1,1 m/sec2. Eine solche Verzögerung auf dieser Gesamtstrecke, wobei ein Teil davon im Zuge der Schleuderung erfolgte und die Hauptverzögerung erst nach dem Kippen des Anhängers erfolgt ist, zeigt, daß sich im Bereich der Unfallstelle „absolutes“ Glatteis befunden haben muß. Die Kurve hätte sich bei Schneematsch oder leichtem Schnee mit einer Grenzgeschwindigkeit von ca. 56 km/h durchfahren lassen, während bei Glatteis, wie im vorliegenden Fall, die Kurvengrenzgeschwindigkeit bei ca. 43 km/h lag. Bei Einhaltung eines Tempos von 44 km/h wäre der LKW‑Zug in der Spur gehalten worden; er wäre in der Kurve nicht ausgebrochen. Da zur Unfallszeit der übrige Straßenzug trocken war, zeigte sich dem LKW‑Lenker des Klägers im Fern- und Abblendlicht dieser Straßenteil heller als die durch Feuchtigkeit oder Eis verfärbten Stellen. Ob es sich um eine Feuchtigkeitsverfärbung oder um eine Eisbildung auf der Straße handelte, war beim Fahren für den LKW‑Lenker nicht auseinanderhaltbar. Wenn im Bereich der Unfallskurve eine Splittstreuung vorhanden gewesen wäre, hätte die Grenzgeschwindigkeit bei 56 km/h gelegen. Eine Salzstreuung hätte in Anbetracht der Querneigung der Fahrbahn bei Plustemperaturen das Salz relativ schnell weggespült. Die Salzstreuung wäre aber dann sinnvoll gewesen, wenn es Minustemperaturen gegeben hätte, weil dann das Salz auf die Eisfläche aufgebracht worden und ein Wegspülen nicht mehr erfolgt wäre. An der Unfallstelle gab es in den vergangenen Jahren schon öfter Verkehrsunfälle wegen Glatteisbildung. Am 18. 3. 1984 hatte es geschneit; es wurde die „normale“ Schneeräumung durchgeführt. Am Unfallstag, den 19. 3. 1984, hatte es den ganzen Tag nicht geschneit, jedoch wurde in der Zeit von 7 Uhr bis 13 Uhr eine Salzstreuung an der Unfallstelle durchgeführt. Während des ganzen Unfallstages herrschten Plustemperaturen. Am Abend herrschte noch eine Temperatur von plus 5 bis plus 6 Grad. Selbst um Mitternacht herrschte noch eine Temperatur von plus 1,5 Grad. An der Unfallstelle wurde vom Straßenbauamt Villach keine Temperaturmessung durchgeführt, sondern nur in der Straßenmeisterei Villach. Der Winterdienst der Straßenmeisterei arbeitet täglich von 3,30 Uhr bis 12 Uhr Mittag und fährt alle Bundesstraßen und etliche Landesstraßen im Gebiet der Straßenmeisterei Villach ab. Die Straßenmeisterei Villach hat 110 Kilometer Straßen zu betreuen, so daß es für sie nicht möglich ist, jeden Tag zu jeder Zeit die Straßen zu kontrollieren. Wenn irgendwo die Gefahr einer Glatteisbildung besteht, wird die Straßenmeisterei immer von der zuständigen Gendarmerie oder von den Zollbehörden angerufen. Am Unfallstag endete die Arbeitszeit um 13 Uhr; es wurde bis zur Unfallszeit um 21,40 Uhr keine Kontrolle der Bundesstraße im Unfallsbereich durchgeführt.
Eine Splittstreuung auf Bundesstraßen ist nicht gestattet. Es besteht die Weisung, daß auf allen Strecken, wo der Verkehr stark ist, eine Schwarzräumung durchzuführen ist, das heißt eine Salzstreuung. Wenn es notwendig ist, wird auch außer der Dienstzeit immer gearbeitet. „In geringem Bereich“ ordnet dies der Straßenmeister an, wenn es einen großräumigen Bereich betrifft, dann ist ein eigener Winterdiensteinsatzleiter hiefür zuständig. Da es am Unfallstag gegen 16 Uhr noch plus 8 Grad hatte, hatte die Straßenmeisterei Villach keinen Anlaß gehabt, irgendwelche Streumaßnahmen am Nachmittag oder am Abend durchzuführen. Bei Plustemperaturen wäre dies auch sinnlos gewesen, weil fließendes Wasser vom zerronnenen Schnee das Salz weggeschwemmt hätte. Jeder Kraftfahrer kann an der Unfallstelle genau erkennen, daß sich südlich der Straße eine Felswand befindet und sich mangels einer Sonneneinstrahlung bei niederen Temperaturen leicht Glatteis bilden kann. Den Beginn der Eisbildung kann jedoch niemand vorhersagen; ein ständiges Salzstreuen wäre für den Straßenerhalter unzumutbar und auch nutzlos.
Zur Unfallszeit war daher die Kärntner Bundesstraße an der Unfallstelle weder mit Splitt noch mit Salz bestreut. An den Straßenrändern lag 20 cm Schnee. Die Kärntner Bundesstraße war von Arnoldstein bis Villach zur Unfallszeit eisfrei. Die erste Meldung wegen Glatteisbildung und Aufforderung zu Streumaßnahmen auf dem Wurzenpaß erfolgte vom Gendarmeriepostenkommando Riegersdorf an die Straßenverwaltung in Villach gegen 22 Uhr. Vor dem Unfall ist keine Meldung über Glatteisbildung oder Aufforderung zu Streumaßnahmen an der Unfallstelle bei der Straßenverwaltung in Villach eingelangt. Erst nach etwa 22 Uhr erhielt die Straßenverwaltung von der Feuerwehr Villach einen Anruf, daß an der Unfallstelle ein Tankwagen umgekippt sei.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Schaden des Klägers auf das Verschulden seines Fahrzeuglenkers zurückzuführen sei; er habe die Fahrgeschwindigkeit nicht den Straßenverhältnissen angepaßt. Die Beklagte treffe kein grobes Verschulden am Schadenseintritt, weil ihre Leute die Eisbildung im Unfallsbereich zum konkreten Zeitpunkt nicht hätten vorhersehen können.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Es sprach aus, daß die Revision zulässig sei, weil richtungsweisend beurteilt werden müsse, ob die Beklagte nur leichtes oder grobes Verschulden verantworte. Das Berufungsgericht wies darauf hin, daß der Kläger einen groben Sorgfaltsverstoß der Leute der Beklagten darin erblickt habe, daß diese bereits mehrere Stunden vor dem Unfall durch Organe der Gendarmerie auf die gefährliche Eisbildung aufmerksam gemacht worden wären. Hätte das Erstgericht einen solchen Sachverhalt tatsächlich festgestellt, könnte kein Zweifel bestehen, daß ein derartiges Verhalten als grob fahrlässig angesehen werden müßte. Gerade diese Klagebehauptung habe das Erstgericht aber nicht als erwiesen angenommen, weshalb dieser Umstand zur Begründung des Klageanspruches nicht herangezogen werden könne. Kernpunkt eines den Leuten der Beklagten allenfalls als Verschulden anzulastenden Verhaltens könne nach der Lage des Falles überhaupt nur der Umstand sein, daß sie am Unfallstag ab 13 Uhr - der Unfall ereignete sich ca. 8 1/2 Stunden später - keine Kontrolle der Kärntner Bundesstraße vornahmen, sondern es bei den bis zu diesem Zeitpunkte vorgenommenen Wartungsmaßnahmen bewenden ließen. Für eine solche Kontrollnotwendigkeit spreche unter anderem die Feststellung, daß sich in den vorangegangenen Jahren an der Unfallstelle wegen Glatteisbildung bereits mehrere Unfälle ereignet hatten. Auch habe am Unfallstag die Temperatur eine eindeutig sinkende Tendenz aufgewiesen. Diese Umstände mußten bei vorsichtigen Leuten durchaus den Verdacht aufkommen lassen, daß an der nachmaligen Unfallstelle in den späteren Abendstunden Glatteis auftreten könnte. Da diesen Indizien letztlich keine ausreichende Beachtung geschenkt wurde, so könne nicht schlechthin vom Fehlen jeglichen Verschuldens ausgegangen werden, vielmehr sei die Annahme leichter Fahrlässigkeit gerechtfertigt. Damit sei aber noch nicht eine grobe Fahrlässigkeit verwirklicht, weil diese ein extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt voraussetzt. Grob fahrlässiges Verhalten müsse sich aus der Menge alltäglich vorkommender Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich abheben, der Verstoß gegenüber normalem, d.h. der Norm entsprechendem, sorgfältigem Verhalten, müsse auffallend sein. Im Falle grober Fahrlässigkeit müsse dem fahrlässig Handelnden der Schadenseintritt nicht bloß als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen. Im vorliegenden Fall könne nicht vom Vorliegen einer derart extremen Sorglosigkeit der Leute der Beklagten gesprochen werden. Noch am Unfallstage sei eine Salzstreuung vorgenommen worden und die Temperaturen seien noch relativ hoch gewesen. Man habe daher nicht geradezu mit einer wahrscheinlichen Glatteisbildung rechnen müssen.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist unzulässig.
Gemäß § 508a ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs. 3 ZPO nicht gebunden. Im vorliegenden Fall ergibt die Prüfung der Rechtsmittelzulässigkeit, daß es an den für ihre Bejahung erforderlichen Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO mangelt, weil die Entscheidung nicht von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen zur Wahrung der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt.
Streitentscheidend ist die Frage, ob nach den Umständen des Falles den Leuten der Straßenhalterin ein haftungsbegründendes grobes Verschulden zur Last liegt, oder nur leichtes Verschulden, in welchem Fall die Haftung der Beklagten für die Folgen des Unfalles nicht begründet wäre. Nach § 1319a ABGB haftet, wenn durch den mangelhaften Zustand eines Weges ... eine Sache beschädigt wird, derjenige für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, soferne er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat. Auch die Haftung für eine Vernachlässigung der Streupflicht durch den Halter eines Weges ist nach § 1319a ABGB zu beurteilen (EvBl. 1979/157; EvBl. 1981/231; 2 Ob 30/83; 2 Ob 180/83 ua). Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, daß die Beklagte die „Halterin“ jener Straße ist, auf der sich der Unfall des LKW-Zuges des Klägers ereignet hat, und daß sie als solche für deren ordnungsgemäße Räumung von Schnee und für die Bestreuung bei Schnee und Glatteis zu sorgen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes richtet sich der Umfang der in den Rahmen der Instandhaltungspflicht des Straßenhalters fallenden Streupflicht nach dem Verkehrsbedürfnis und der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen im Einzelfall. Dabei dürfen an die Streupflicht auf Freilandstraßen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden, weil ansonsten Unzumutbares vom Straßenhalter verlangt würde (vgl. 8 Ob 22/77; 8 Ob 150/78; 2 Ob 61/79; 2 Ob 180/83 ua).
Der im § 1319a Abs. 1 ABGB verwendete Begriff der groben Fahrlässigkeit wird in ständiger Rechtsprechung dahin ausgelegt, daß darunter eine auffallende Sorglosigkeit zu verstehen ist, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlicher Weise verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn ein objektiv schwerer Verstoß auch subjektiv schwer anzulasten ist (vgl. ZVR 1974/30 ua).
Von dieser ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist das Berufungsgericht bei Lösung der oben dargelegten Rechtsfrage ausgegangen. Es hat einerseits mit Recht darauf verwiesen, daß noch am Unfallstag eine Salzstreuung vorgenommen worden war; die Temperaturen betrugen noch gegen 16 Uhr plus 8 Grad Celsius und auch am Abend noch zwischen plus 5 und 6 Grad; es hat aber andererseits auch dargelegt, daß ein ähnlich gelagerter Fall, auf den sich der Kläger in seiner Berufung bezog, hier nicht zum Tragen komme, weil naturgemäß gewisse Unterschiede bestünden, die eine differenzierte Behandlungsweise erfordern. Damit weist das Gericht zweiter Instanz selbst auf die Einzelfallgerechtigkeit bei der Beurteilung solcher Sachverhalte wie den vorliegenden hin, was konsequenterweise eine beispielgebende Entscheidung ausschließt. Durch § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO sollte der Oberste Gerichtshof, von grundsätzlichen Fragen abgesehen, unter anderem nicht Entscheidungen über die Art der Verschuldensabwägung und die Schwere eines Verschuldens zu treffen haben (vgl. Petrasch, Das neue Revisions-[Rekurs‑]Recht, ÖJZ 1983, 177; 3 Ob 625/83; 2 Ob 12/85 ua).
Aus diesen Gründen hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO ab, weshalb die Revision gemäß § 508a Abs. 1 ZPO zurückzuweisen war.
Bei dem Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens war zu berücksichtigen, daß die Beklagte die Zurückweisung der Revision ausdrücklich beantragte, so daß sie gemäß den §§ 41, 50 ZPO Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung hat.
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