European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00532.85.0619.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.953,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 268,50, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die am 21. 6. 1942 geborene Klägerin und der am 9. 7. 1929 geborene Beklagte haben am 8. 7. 1970 vor dem Standesamt Innsbruck die Ehe geschlossen. Beide Streitteile sind österreichische Staatsangehörige; sie hatten ihren letzten gemeinsam gewöhnlichen Aufenthalt in V*. Der Ehe entstammt die am 19. 1. 1977 geborene Tochter Eva. Eine außereheliche Tochter der Klägerin, die am 6. 7. 1965 geborene und im Februar 1983 verstorbene Alexandra, wurde vom Beklagten adoptiert.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten im wesentlichen mit der Begründung, daß der Beklagte schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG gesetzt hätte, durch die die Ehe unheilbar zerrüttet worden sei. Der Beklagte sei nicht bereit, zu einem harmonischen Familienleben beizutragen. Er sei ein egozentrischer Mensch, der sich der Klägerin gegenüber zunehmend kleinlich und mürrisch gezeigt habe. Er habe wiederholt wörtlich Auseinandersetzungen mit der Klägerin provoziert und sie Mitte Dezember 1981 mißhandelt und verletzt. Der Beklagte sei auf die Wünsche der Klägerin gar nicht oder nur ungern eingegangen und habe mit ihr keine gemeinsamen Urlaube verbracht. Er habe seine Freizeit im wesentlichen vor dem Fernseher verbracht und keinen Kontakt mit Freunden unterhalten. Er habe die Tochter Alexandra wiederholt mißhandelt und sich um die Tochter Eva kaum gekümmert. Kurz nach der Geburt dieser Tochter habe er bei einer Feier in Mistelbach übermäßig dem Alkohol zugesprochen und dann zu toben begonnen, als die Klägerin verhindern habe wollen, daß er in alkoholisiertem Zustand mit dem Auto nach Hause fahre. Als die Klägerin einmal mit ihrer Tochter Alexandra Schach gespielt habe, habe sich der Beklagte in das Spiel eingemengt und das Schachbrett samt Figuren in den Garten geworfen, weil er der Meinung gewesen sei, es sei nicht richtig gespielt worden. Seit im September 1981 die Mutter des Beklagten verstorben sei, habe sich das Verhältnis der Streitteile zueinander zusehends verschlechtert. Schon zuvor sei es (vielfach wegen der Tochter Alexandra) fast täglich zu Streitigkeiten gekommen. Da unter diesen Umständen ein weiteres Zusammenleben nicht mehr zumutbar gewesen sei, habe die Klägerin dem Beklagten mehrfach angekündigt, sie werde sich eine eigene Wohnung suchen. Damit sei der Beklagte einverstanden gewesen. Nach der Mißhandlung durch den Beklagten sei die Klägerin dann aus der Ehewohnung ausgezogen.
Der Beklagte beantragte die Abweisung der Scheidungsklage, allenfalls den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin. Er bestritt die ihm zur Last gelegten Eheverfehlungen und legte der Klägerin im wesentlichen zur Last, daß sie ihn schon öfter verlassen habe. Mit dem Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung sei der Beklagte durchaus nicht einverstanden gewesen; er habe dagegen nur in der Hoffnung, daß die Klägerin wieder zu ihm zurückkehren werde, keine Maßnahmen unternommen.
Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile gemäß § 49 EheG aus gleichteiligem Verschulden.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Beklagte ist seit 1957 in I* bei der Militärmusik Tirol beruflich verpflichtet. 1970 zum Zeitpunkt der Eheschließung hatte er den Rang eines Wachtmeisters; Ende 1983 ging er als Offizierstellvertreter mit 55 Jahren in Frühpension. Neben seiner Verpflichtung bei der Militärmusik spielte der Beklagte als Schlagzeuger auch viel bei Tanzkapellen und kleinen Gruppen, besonders in den Weihnachtssaisonen, im Fasching und im Sommer.
Die Klägerin ist Diplomkrankenschwester. Sie arbeitete von 1965 bis ca. 1974 ganztägig an der internen Klinik meist in einer Dialysestation, wobei sie dieser Dienst sehr beanspruchte. Von 1974 bis anfangs 1977 leistete die Klägerin an der Klinik nur mehr einen Zweidritteldienst, um sich mehr der Familie, insbesondere ihrer Tochter, widmen zu können. Zwischen anfangs 1977 und Dezember 1980 war die Klägerin zu Hause und nicht berufstätig. Seit anfangs 1981 ist sie wieder an der Klinik tätig, und zwar meist an 2 vollen Tagen, teilweise auch halbtags.
Schon 2 Monate nach der Geburt der Tochter Alexandra durch die Klägerin nahmen die Streitteile in I* eine Lebensgemeinschaft auf. Da die Klägerin selbst ihre Beziehung mit dem Beklagten von Anfang an nicht als ausgesprochene Liebesbeziehung bezeichnete, war schon der Beginn des gemeinsamen Weges etwas problematisch. Die Lebensgemeinschaft bis zur Eheschließung dauerte ca. 5 Jahre. Das Kind Alexandra wuchs in diesen seinen ersten 5 Lebensjahren bei der Mutter des Beklagten in W* auf.
Bei Beginn der Lebensgemeinschaft wußte die Klägerin, daß der Beklagte bei der Militärmusik Tirol während eines Jahres ca. 160 Ausrückungen zu absolvieren hatte, welche häufig Abende und Wochenendtermine betrafen. Die Klägerin wußte auch, daß der Beklagte neben der Militärmusik als Blasmusiker bei Tanzensembles der Militärmusik und bei privaten Tanzkapellen spielte, besonders um Weihnachten herum, im Fasching und im Sommer. Aber auch während des Jahres hatte der Beklagte immer wieder diese Abend‑ und Nachtverpflichtungen. Es war dies für den Beklagten ein willkommener Nebenverdienst. Auch spielte der Beklagte z.B. 18 Jahre lang bei einer bestimmten privaten Tanzkapelle und fühlte sich diesen Mitmusikern immer auch kameradschaftlich verpflichtet.
Die Streitteile begannen ihre Lebensgemeinschaft in einem beengten Zimmer (Ausmaß 5 x 4 m). Im Nachhinein fand die Klägerin, daß sie die ersten vier Jahre neben dem Beklagten nur so „dahinvegetiert“ habe: Sie war als Krankenschwester voll berufstätig und hatte einen sehr scheren Dienst, der Beklagte war als haupt‑ und nebenberuflicher Musiker voll ausgelastet und beide hatten gar nicht richtig Zeit, sich besser kennenzulernen und besser auf einander einzugehen; es gab aber zwischen beiden auch wenig Zeit und Möglichkeiten für Reibereien und Auseinandersetzungen.
Das Einkommen einer Krankenschwester und eines Militärmusikers zusammen hätte eigentlich dafür reichen müssen, daß man gemeinsam eine bessere Wohnmöglichkeit findet. So aber wartete die Klägerin, bis der Beklagte handelte. Möglicherweise zweifelte die Klägerin von Anfang an, ob der Beklagte überhaupt nach diesem problematischen Beginn der richtige Partner für sie war. Sie akzeptierte jedenfalls, 4 Jahre lang in einem kleinen Zimmer mit dem Beklagten zu leben.
Der Beklagte bemühte sich sehr wohl, eine passende Wohnung zu finden, fand eine solche aber erst 1969, und zwar eine Altbauwohnung in der * in I*, die 2 Zimmer, Küche und 2 Balkone umfaßte. Diese Wohnung fand die Klägerin letztlich in Ordnung. Beide Streitteile mußten aber eine Menge Geld für Einrichtung und verschiedene Renovierungen, auch im Laufe der folgenden Jahre, ausgeben. Die Streitteile zogen in diese Wohnung noch unverheiratet ein. In der Folge drängte besonders die in W* lebende Mutter des Beklagten darauf, daß die Streitteile doch endlich heiraten sollten, dies auch im Interesse des Kindes der Klägerin, ihrer Tochter Alexandra. Ab Beginn der Volksschule kam Alexandra zu den Streitteilen nach I* und lebte bei ihnen in der *. Der Beklagte adoptierte Alexandra nach der Eheschließung und akzeptierte sie voll als seine Tochter.
1976 übersiedelten die Streitteile in eine größere neue Buwog‑Wohnung in V*, in der der Beklagte heute noch wohnt. Als Alexandra 8 oder 9 Jahre alt war, sah die Klägerin ein, daß sie sich mehr dem Kinde widmen müsse und übernahm an der Klinik einen Zweidritteldienst.
Zwischen der Eheschließung 1970 und der Übersiedlung 1976 nach V* stellte die Klägerin am Beklagten einige Eigenschaften fest, mit denen sie einfach nicht fertig wurde. Da war einmal die Tatsache, daß der Beklagte in mancherlei Hinsicht für ein harmonisches Familienleben nichts übrig hatte: Es kam nie zu gemeinsamen längeren Urlauben, was trotz der Tätigkeit bei der Militärmusik möglich gewesen wäre. Wenn auch der Beklagte permanent Geldschwierigkeiten hatte, gab er doch auch viel für seine Hobbies aus, wie etwa Schallplatten und Fernseher und vermeinte, sich Urlaube nicht leisten zu können. Der Beklagte bevorzugte vor allem Wienaufenthalte als Urlaube mit Tagesausflügen und vermeinte im übrigen, die Klägerin solle mit dem Kind allein auf Urlaub fahren.
Nicht nur bei der Gestaltung von Urlauben gab es in dieser Ehe Schwierigkeiten, sondern auch in der Gestaltung von gemeinsamen Ausflügen und Wanderungen. Solche Unternehmungen scheiterten schon in den ersten Ehejahren meist daran, daß der Beklagte an den Wochenenden und vor allem Sonntagen vom Tanzmusikspielen zu müde war, auch bei schönem Wetter zu lange schlief, dann in Pyjama und Unterhose in der Wohnung herumsaß und viel zu oft keinen rechten Auftrieb hatte, sich der Familie zu widmen und wegzugehen. Wenn es schon dazu kam, dann fuhr man mit dem Auto weg, besuchte ein Gasthaus und beim Spazieren ging der Beklagte seinen Hobbies wie Filmen und Fotografieren nach, wobei die Familie wieder nicht das bekam, was sie eigentlich wollte. Der Beklagte war auch nicht bereit, sich da umzustellen und setzte sozusagen seinen eigenen Willen durch. Die gemeinsamen Beziehungen wurden dadurch nicht besser, obwohl sich die Klägerin immer wieder bemühte, eine Besserung zu erzielen.
Es kamen auch kaum gemeinsame Bekannte in die eheliche Wohnung. Der Beklagte hatte einfach keine Zeit oder wollte solche Besuche nicht, weil sie seine Lebensweise gestört hätten. Mehr und mehr fühlte sich die Klägerin, die keine gebürtige Tirolerin war, isoliert. Sie fand die ersten Ehejahre bis zur Übersiedlung nach V* bereits nicht so harmonisch, wie sie sein sollten und litt schon in diesen Jahren häufig unter Müdigkeit, Abgespanntheit und Depressionen, wobei sie diese Zustände mehr und mehr auf die nicht gut funktionierende Ehe zurückführte.
Schon in den ersten Ehejahren stellte sich heraus, daß die Streitteile wenig gemeinsame Gesprächsgrundlagen fanden. Häufig wurde nur das Notwendigste gesprochen und die Klägerin machte den Fehler, sich mit ihrer Sorge und ihrem Kummer zurückzuziehen. Sie bemerkte auch immer wieder, daß der Beklagte bei Gesprächen kleinlich und mürrisch war.
Die Klägerin beachtete andererseits aber auch einige sehr positive Eigenschaften ihres Mannes, etwa daß nicht der geringste Anlaß bestand für die Annahme, er interessiere sich für andere Frauen, und daß er trotz seines Berufes viel zu Hause war und zunächst in keiner Weise Alkoholmißbrauch betrieb.
Die Übersiedlung in die Buwug‑Wohnung nach V* nunmehr eine 3‑Zimmer‑Wohnung mit Küche und Bad mit insgesamt 98 m2 Wohnnutzfläche – brachte für den Beklagten große finanzielle Belastungen. Er mußte einen Baukostenzuschuß von S 68.000,‑‑ aufbringen und für die Einrichtung mindestens S 40.000,‑‑ bis S 50.000,‑‑ investieren.
Die Übersiedlung nach V* und der etwas verminderte Dienst der Klägerin in der Klinik brachte eine vorübergehende Besserung in der Ehe. Die Klägerin wünschte sich ein eheliches Kind vom Beklagten. Die Tochter Eva kam am 19. 1. 1977 zur Welt. Wegen dieses gewünschten Familienzuwachses blieb die Klägerin nun ganz zu Hause und widmete sich voll dem Haushalt und den nunmehr 2 Kindern. Die Besserung in der Ehe hielt aber nicht an. Gerade jetzt, wo die Klägerin sich der Familie uneingeschränkt widmen wollte, suchte sie noch mehr einen Partner und Gemeinsamkeiten mit diesem. Dazu war der Beklagte aber nicht bereit. Der Beklagte erwies sich in vieler Hinsicht einfach als zu egoistisch, um mit der Klägerin und der Familie ein harmonisches Auskommen zu finden. Nach wie vor sorgte er kaum für Gemeinsamkeiten, obwohl die Klägerin solche jetzt noch mehr gebraucht hätte, zumal ihr die Abwechslung, die die berufliche Tätigkeit mit sich brachte, ja nicht mehr gegeben war. Nach wie vor wurden kaum Freunde eingeladen oder gemeinsam besucht, worunter die Klägerin litt. Sie empfand, obwohl nun auch ein kleines Kind im Hause war, mehr und mehr eine auffallende Langeweile und vermeinte, nichts zu haben, außer dem ewig gleichen Rhythmus arbeiten, essen und schlafen. Der Beklagte hingegen wurde insbesondere nach Fertigstellung der Einrichtung in V* in seiner Freizeit ein zu eifriger Fernseher. Es machte ihm nichts aus, daß er auch an Samstagen und Sonntagen, wenn schönes Wetter war, zu Hause blieb, die Vorhänge zuzog und schon untertags sich viele Stunden Fernsehprogramme anschaute, anstatt sich um die Klägerin und die Familie zu kümmern. Darunter litt auch das kleine Kind, das vielfach nur die Möglichkeit hatte, im Wohnzimmer, wo der Fernseher stand, zu spielen und daher neben dem laufenden Fernseher spielen mußte. Es zeigte sich also, daß das kleine Kind für den Beklagten auch kein Grund war, sich zu ändern und etwa seine Fernsehgewohnheiten etwas einzuschränken.
Nach der Geburt der Tochter Eva blieb die Klägerin etwa drei Jahre zu Hause und bekam vom Beklagten nur ca. S 2.000,‑‑ Wirtschaftsgeld, während der Beklagte sonst alles für die Wohnung bezahlte. Mit diesem Wirtschaftsgeld konnte die Klägerin kaum das Auslangen finden. Insgesamt sorgte jedoch der Beklagte ausreichend für den Haushalt, die Kleidung der Kinder und für die Kosten der Wohnung.
1979 hatten die Streitteile über Anraten der Militärseelsorger kirchlich geheiratet. Wie schon mit dem Wunschkind Eva, so hoffte die Klägerin auch dadurch, daß der Beklagte sich doch noch zum Besseren ändern werde, was aber in den Augen der Klägerin nicht der Fall war. Die kirchliche Heirat, noch dazu nach neun Ehejahren und fünf Jahren einer Lebensgemeinschaft, bewirkte keine Besserung mehr.
Zwischen 1977 und 1980 ergaben sich für beide Streitteile mehr und mehr Schwierigkeiten mit der Tochter Alexandra. Das Kind wurde immer schwieriger und beide Ehegatten bekamen die Erziehung nicht in den Griff. Dies führte dazu, daß die Klägerin auch mehr und mehr Beruhigungsmedikamente nehmen mußte. 1980 hielt sie sich für mehrere Wochen in der Nervenklinik zur Behandlung auf und während dieser Zeit mußte der Beklagte für die beiden Kinder sorgen, was er tadellos machte. Nach dem Klinikaufenthalt hielt sich die Klägerin mit Zustimmung des Beklagten noch einen Monat in L* bei ihrer Freundin auf, um sich zu erholen. Wiederum sorgte der Beklagte sehr sorgfältig für die beiden Kinder, obwohl er auch seinen Dienst versehen mußte. Die Tochter Alexandra verstarb schließlich im Februar 1983 durch Selbstmord, vermutlich im Zusammenhang mit Suchtgift.
In den Jahren, in denen die Klägerin ganz zu Hause war, mehrten sich in der Ehe wörtliche Auseinandersetzungen. Der Beklagte sah z.B. einige Zeit nicht ein, daß die Klägerin es nicht wollte, wenn er in der Wohnung Sex‑ und Pornoliteratur herumliegen ließ. Sie stieß sich auch daran, daß der Beklagte, insbesondere in der letzten Zeit vor der Trennung, auch junge Leute von der Militärmusik nach Hause brachte, um sich mit diesen Pornokassetten anzusehen. Der Beklagte fand dabei nichts besonderes.
1981 nahm die Klägerin wieder einen Dienst in der Klinik als Krankenschwester für zwei bis drei Tage in der Woche auch deshalb an, weil es zu Hause weniger und weniger klappte und die Schwierigkeiten mit der Tochter Alexandra immer größer geworden waren.
Die Streitteile hatten nach der Geburt der Tochter Eva auch immer seltener ehelichen Verkehr, wobei eine Rolle spielte, daß die Tochter Eva im ehelichen Schlafzimmer schlief, aber auch, daß der Beklagte, wenn er daheim war, bis Programmende vor dem Fernseher saß und daher allein räumlich und zeitlich wenig Gelegenheit für den ehelichen Verkehr war. Einen Verkehr nach Besichtigung von Pornofilmen lehnte die Klägerin als störend ab. Der Beklagte bekam allerdings mit der Zeit den Eindruck, daß sich die Klägerin ihm sexuell sehr oft und grundlos verweigerte.
Während der letzten Jahre des gemeinsamen Zusammenlebens in V* trank der Beklagte zu Hause beim Fernsehen am Abend auch mehr und mehr Alkohol und war oft alkoholisiert.
Nach dem Tode der Schwiegermutter der Klägerin im September 1981, die die Klägerin in den letzten sechs Monaten bis zu ihrem Tode in I* gepflegt hatte, erkannte die Klägerin deutlich, daß sie sich mit ihrem Mann nichts mehr zu sagen hatte und ließ gegenüber dem Beklagten keine Zweifel mehr offen, daß sie sich von ihm trennen wolle. Sie erklärte ihm im Herbst 1981 offen, daß sie sich um eine Wohnung bemühen und dann mit den Kindern ausziehen werde.
Tatsächlich fand sie am 1. 11. 1981 eine Wohnung in I*, und zog im Dezember in diese Wohnung. Der Beklagte verstand diese Vorgangsweise zwar nicht, erkundigte sich auch bei Ärzten, was er tun solle, erhielt dort aber die Auskunft, er solle die Übersiedlung nicht verhindern und abwarten, ob die Klägerin nicht doch wieder zurückkäme. So half der Beklagte sogar bei der Übersiedlung. Der Beklagte akzeptierte die Trennung nicht und bezeichnete das ganze als Laune und Spinnerei der Klägerin, wobei er auch den Kindern gegenüber derartige Bemerkungen machte.
Kurz vor der Trennung gab es einmal eine Auseinandersetzung zwischen den Streitteilen. Der Beklagte klagte über Atembeschwerden, daß er schlecht schlafen könne und vermeinte, dies hänge mit den Schwierigkeiten in der Ehe zusammen, worauf die Klägerin erwiderte, daß er nunmehr sehen könne, wie sich seelische Probleme auf die Gesundheit auswirkten. Sie kenne dies schon seit Jahren, doch habe der Beklagte kein Verständnis gezeigt. Daraufhin versetzte der Beklagte der Klägerin Schläge gegen das Gesicht, vor allem gegen das linke Auge, wobei die Klägerin ein Cut erlitt. Dieser Vorfall war für die Klägerin ein weiterer Grund, den Beklagten endgültig zu verlassen.
Die Trennung war seitens der Klägerin keine plötzliche Entscheidung, sondern durch längere Zeit vorbereitet, was sie allerdings auch dem Beklagten gegenüber nicht verheimlichte.
Schon am 28. 10. 1981 ging sie ohne Ladung zum Bezirksgericht Innsbruck und bracht dort vor, die Scheidung zu beabsichtigen und aus der ehelichen Wohnung auszuziehen. Sie stellte den Antrag, der Beklagte möge für die Kinder Eva und Alexandra bestimmte Unterhaltsbeiträge monatlich bezahlen.
In die Wohnung in die * nahm die Klägerin das Kind Eva mit, während die Tochter Alexandra bis zu ihrem Tode beim Beklagten wohnte.
Um das Kind Eva begann ein hart geführter Streit zwischen den Ehegatten. Ende 1983 wurden der Klägerin rechtskräftig die elterlichen Rechte übertragen.
Seit dem Tode der Mutter des Beklagten ist die Ehe der Streitteile praktisch zerrüttet. Ab diesem Zeitpunkt begann die Klägerin systematisch die Trennung vorzubereiten, wobei sie anfänglich nicht nur das Kind Eva, sondern auch Alexandra mitnehmen wollte, was diese aber letztlich ablehnte.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den feststellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, es müßten dem Beklagten schon von Anfang der Ehe an einige ziemlich gravierende Eheverfehlungen vorgeworfen werden und zwar:
Kein Sinn für ein harmonisches Familienleben, egoistisches und mürrisches Verhalten, häufige Provokation von Auseinandersetzungen, kleinlich in finanziellen Problemen der Familie, dagegen großzügig bei eigenen Hobbies, Tätlichkeiten kurz vor der Trennung, keine gemeinsamen Urlaube, ein zunehmend stärker werdendes Sichgehenlassen zu Hause, wenig Verständnis für die erzieherischen Probleme der heranwachsenden Kinder, kein Verständnis für Probleme des Partners, Nichtbeachten von Depressionen und beruflichen Problemen des Partners, keine Gesamtorientierung nach der Familie, Passivität in vielen Belangen, die die Schwierigkeiten zwischen den Ehegatten mehr und mehr vergrößerten, kein Verständnis und Bemühen für sexuelle Probleme, kein Eingehen auch in dieser Hinsicht auf die Wünsche und Vorstellungen der Ehefrau und einiges mehr.
All dies habe zu einer tiefgreifenden Zerrüttung der Ehe geführt, die tatsächlich bei der nunmehr fast drei Jahre andauernden Trennung unheilbar zerrüttet sei, sodaß mit der Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr gerechnet werden könne.
Zu dieser Zerrüttung habe aber auch in gleichen Weise die Klägerin durch die von ihr eigenmächtig durchgeführte Trennung unter Mitnahme des ehelichen Kindes beigetragen. Es wäre der Klägerin zuzumuten gewesen, zunächst die eheliche Gemeinschaft aufrecht zu halten, in der sie es trotz der ihr bekannten Fehler des Beklagten – sie habe schließlich hinreichend Gelegenheit gehabt, den Beklagten vor der Eheschließung kennenzulernen und seine guten und schlechten Eigenschaften gegeneinander abzuwägen – 15 Jahre ausgehalten habe, und das Ergebnis des Scheidungsverfahrens abzuwarten. Durch den von ihr gezielt durchgeführten Schritt der Trennung habe die Klägerin die Zerrüttung der Ehe in gleicher Weise mitverschuldet.
Die Ehe sei daher aus dem gleichteiligen Verschulden beider Ehegatten zu scheiden.
Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte den Verschuldensausspruch des Erstgerichtes im Sinne des Ausspruches des überwiegenden Verschuldens des Beklagten ab.
Das Berufungsgericht führte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes, rechtlich im wesentlichen aus, daß die eigenmächtige und wohlvorbereitete Auflösung der ehelichen Gemeinschaft durch die Klägerin eine schwere Eheverfehlung darstelle und mitursächlich für die in der Folge eingetretene unheilbare Zerrüttung der Ehe gewesen sei. Daß ihr die Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft nicht mehr zumutbar gewesen wäre, habe das Erstgericht zutreffend verneint: Denn die nach den Feststellungen offenkundig einzige Tätlichkeit des Beklagten kurz vor dem Auszug der Klägerin habe lediglich die von ihr durch lange Zeit bereits vorbereitete Entscheidung, den Beklagten zu verlassen, bestärkt.
Für die Entscheidung über das Verschulden seien im übrigen auch in der Zeit zwischen der bereits eingetretenen Zerrüttung und der Scheidung der Ehe begangene Eheverfehlungen maßgeblich, soferne eine weitere Vertiefung der Zerrüttung der Ehe nicht auszuschließen sei und der andere Teil das Verhalten des Gatten bei verständiger Würdigung noch als Ehezerstörung empfinden könne. Dies treffe im vorliegenden Falle zweifellos zu, habe doch der Beklagte grundsätzlich den Auszug der Klägerin aus der ehelichen Wohnung nicht gebilligt, wenn er sich auch nicht dagegen gestemmt und ernstlich nichts unternommen habe, die Klägerin umzustimmen. Dabei dürfe nicht übersehen werden, daß der Beklagte damit den Rat der zu diesem Problem aufgesuchten Ärzte befolgt habe, sich dem Auszug nicht zu widersetzen und abzuwarten, ob die Klägerin nicht doch wieder zurückkommen werde.
Es treffe daher die Klägerin ein Mitverschulden an der Zerrüttung der Ehe.
Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens sei das gesamte Verhalten beider Ehegatten zu berücksichtigen und auf die zeitliche Abfolge sowie auf die ursächliche Verknüpfung und den Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe Bedacht zu nehmen. Zum Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten könne es dann kommen, wenn dessen Verschulden eindeutig und offenkundig erheblich schwerer sei als das des anderen Ehegatten.
Lege man diese Maßstäbe an den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt über das Fehlverhalten der beiden Streitteile während ihrer Ehe an, so zeige sich, daß den Beklagten ein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Wohl sei es richtig, daß im einzelnen – sehe man von der Tätlichkeit kurz vor dem Auszug der Klägerin ab – dem Beklagten keine ins Auge fallenden und gravierenden schweren Eheverfehlungen angelastet werden könnten. Betrachte man jedoch das Gesamtverhalten des Beklagten seit Beginn der Ehe mit der Klägerin und seine dem Wesen der Ehe als Gemeinschaft zweier Menschen, die zwangsläufig eine weitgehende Rücksichtnahme auf den Partner bedingt, widersprechende Grundeinstellung, so zeige sich insgesamt, daß sein Verschuldensanteil am Scheitern dieser Ehe eindeutig und offenkundig überwiege. Es sei der Beklagte gewesen, der von allem Anfang an keinen Sinn für ein harmonisches Familienleben gezeigt, sich in finanziellen Dingen kleinlich gegeben – die Bemessung des Wirtschaftsgeldes mit S 2.000,‑‑ sei mehr als kärglich, selbst wenn man berücksichtige, daß der Beklagte für die übrigen Ausgaben der Wohnung aufgekommen sei – und ganz allgemein die gemeinsame Ehe ausschließlich aus seiner Einstellung zum Leben, seinen persönlichen Bedürfnissen und Vorstellungen gestaltet habe. Unter diesem durch Jahre hindurch unverändert gebliebenen Verhalten des Beklagten müsse die von der Klägerin schlußendlich getroffene Entscheidung angesehen werden, die eheliche Gemeinschaft mit dem Beklagten aufzulösen, und es trete somit diese zweifellos schwere Eheverfehlung in ihrer Bedeutung und Ursächlichkeit für die Zerrüttung der Ehe doch so in den Hintergrund, daß die Annahme eines gleichteiligen Verschuldens den tatsächlichen Gegebenheiten dieser Ehe nicht gerecht würde.
Es sei daher das überwiegende Verschulden des Beklagten an der Scheidung auszusprechen.
Gegen dieser Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten. Er bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern.
Die Klägerin beantragt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Beklagte gesteht in seiner Revision zu, daß die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem Verschulden unheilbar zerrüttet wurde; er wendet sich nicht gegen die Scheidung der Ehe, sondern versucht nur darzutun, daß sein Verschulden nicht als schwerwiegender als das der Klägerin zu beurteilen sei. Soweit er dabei nicht von den von Vorinstanzen getroffenen Tatsachenfeststellungen ausgeht, ist sein Rechtsmittel nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt und kann dazu nicht Stellung genommen werden.
Im übrigen kommt es bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 Abs. 2 zweiter Satz EheG, auf welche Gesetzesstelle im § 60 Abs. 3 letzter Satz EheG verwiesen wird, auf das gesamte Verhalten der Ehegatten in seinem Zusammenhang, nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von ihnen begangenen Eheverfehlungen an (EFSlg. 25.088; EFSlg. 31.702; 8 Ob 514, 515/84 ua). Dabei sind auch verfristete und verziehene Eheverfehlungen zu berücksichtigen. Gemäß § 60 Abs. 2 EheG ist der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten nur dann zulässig, wenn sein Verschulden erheblich schwerer als das des anderen ist, das heißt wenn die Schuld des einen Teiles neben der des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt. Der Unterschied des Verschuldens muß offenkundig hervortreten (EFSlg. 38.788; EFSlg. 41.281; 41.284; 8 Ob 514, 515/84 ua.). Vor allem ist bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang gemacht hat (1 Ob 514, 515/84; 6 Ob 602/84; 3 Ob 581, 582/84 ua.).
Betrachtet man den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt nach diesen rechtlichen Gesichtspunkten, dann zeigt sich, daß das Berufungsgericht mit Recht zum Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten an der Ehescheidung gelangte. Denn es kann nicht übersehen werden, daß der Beklagte von Anfang der Ehe an durch sein festgestelltes Verhalten gegen seine aus den §§ 90, 91 ABGB abzuleitenden Verpflichtungen gegenüber seiner Ehegattin dadurch verstieß, daß er das Zusammenleben mit ihr einseitig nach seinen Vorstellungen und Wünschen gestaltete, ohne auf die diesbezüglichen Wünsche seines Ehepartners Rücksicht zu nehmen. Wenn dieses über Jahre fortgesetzte Verhalten des Beklagten schließlich zur völligen Abwendung seiner Ehegattin führte und in ihr den Wunsch nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft entstehen ließ, besteht zunächst kein Zweifel daran, daß der Beklagte durch sein fortgesetztes ehewidriges Verhalten mit der Zerstörung der Ehe den Anfang machte. Dazu kommt noch, daß er seine Ehegattin vor der Aufhebung der Ehegemeinschaft in nicht zu entschuldigender Weise körperlich mißhandelte und verletzte. Mag unter diesen Umständen im Verhalten des Beklagten auch kein gerechtfertigter Grund für die Aufgabe der Ehegemeinschaft durch die Klägerin liegen, so läßt es doch diese Maßnahme der Klägerin als weitaus weniger schwerwiegend und als nicht mehr in gleicher Weise entscheidend für die schließlich eingetretene unheilbare Zerrüttung der Ehe erscheinen. Im Hinblick auf die festgestellten besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist daher in der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes ein Rechtsirrtum zu Lasten des Beklagten nicht zu erkennen.
Der Revision des Beklagten mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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