European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00026.85.0619.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Zweit- und Drittbeklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 11.728,45 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 1.066,22) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 26. 8. 1980 ereignete sich um ca. 13,15 Uhr auf dem Zenzlwandparkplatz östlich der Bundesstraße 67 im Gemeindegebiet von G* auf der Höhe des Bundesstraßenkilometers 38,845 ein Verkehrsunfall, bei dem das rechte Vorderrad des vom Erstbeklagten gelenkten LKW‑Zuges Fiat 619 N 1 (polizeiliches Kennzeichen des Zugfahrzeuges St *), dessen Halterin die Zweitbeklagte und dessen Haftpflichtversicherer die Drittbeklagte war, den linken Vorfuß des am 3. 9. 1974 geborenen Klägers abquetschte. Dieser hatte sich von rechts nach links in die Fahrlinie des nach Norden fahrenden LKW-Zuges bewegt. Der Zenzlwandparkplatz wurde in der Folge im Zuge des Autobahnbaues verbaut und besteht nicht mehr.
Der Kläger begehrte von den Beklagten S 500.000 Schmerzengeld, S 5.000 für Fahrtkosten und dergleichen, eine monatliche Rente von S 200 ab dem Klagstag und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Der Erstbeklagte habe den Parkplatz mit einer für die örtlichen Verhältnisse überhöhten Geschwindigkeit befahren. Er habe den Kläger trotz freier Sicht zu spät bemerkt. Der Bub sei mit dem Rücken zur Fahrbahn langsam vor Bienen oder Wespen zurückgewichen.
Die Beklagten begründeten den Antrag auf Abweisung des Klagebegehrens damit, daß das Alleinverschulden am Unfall den Kläger bzw. dessen Eltern treffe. Das Kind sei für den Fahrzeuglenker unvorhergesehen in dessen Fahrlinie gelaufen, sodaß trotz Einhaltung einer geringen Geschwindigkeit und ungeachtet sofortiger Reaktion der Unfall nicht mehr verhindert werden konnte.
Das Erstgericht verurteilte die Zweit- und Drittbeklagten zur ungeteilten Hand, dem Kläger S 235.000 s.A. zu bezahlen und stellte fest, daß sie ihm für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall Ersatz zu leisten haben, beschränkt auf die gesetzlichen Haftungshöchstbeträge bzw. auf den sich aus dem Versicherungsvertrag ergebenden Betrag. Das Klagebegehren gegen den Erstbeklagten wurde abgewiesen, ein Mehrbegehren gegenüber die Zweit- und Drittbeklagten ebenfalls.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Klägers und der Zweit- und Drittbeklagten nicht Folge, bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil S 300.000 übersteige.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Zweit- und Drittbeklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Östlich an die Bundesstraße 67, die im Unfallsbereich annähernd in nord‑südliche Richtung im Freilandgebiet verläuft, schloß sich zur Unfallszeit der bogenförmige Zenzlwandparkplatz an, der aus einem Abschnitt des früheren Verlaufes der Bundesstraße 67 (Teil der sogenannten alten Bundesstraße 67) gebildet worden war, der zufolge einer Begradigung der Bundesstraße für den Durchzugsverkehr wegfiel. Der straßenartige, kurvenförmige Parkplatz war im Sinne eines „Korbbogens“ an die Bundesstraße 67 angesetzt, bestand aus einem asphaltierten Streifen in der Breite von 6,7 m und hatte ab der Einfahrt aus Richtung Süden (aus der der Erstbeklagte kam) bis zur Ausfahrt im Norden eine Länge von mindestens 300 m. Die Unfallsstelle ist von der südlichen Einfahrt annähernd 150 m entfernt. Die Fahrbahn hat in Richtung Norden ein Gefälle von 2 % und in Richtung Westen (zum Scheitelkrümmungsradius von rund 300 m) ein Gefälle von 7 bis 8 %. Zur Unfallszeit befand sich im nördlichen Bereich ein Imbißstand. Zwischen dem Parkplatz und der Bundesstraße (Westen) befand sich Wiesengrund; im Osten schloß sich zunächst bankettartig ein beschotterter Streifen von unterschiedlicher Breite an; im Unfallsbereich hatte er eine Breite von ungefähr 1,2 m; darauf folgte auch in Richtung Osten Wiesengrund. Der Parkplatz selbst bzw. der asphaltierte Bereich wies keinerlei Markierungen auf. Ca. 2 m östlich des östlichen Asphaltrandes des Parkplatzes stand ein einzelner Laubbaum. Eine gedachte Linie durch das Zentrum des Baumes und der Mitte der westlichen Hälfte seines Stammes nach Westen mit dem östlichen Asphaltrand des Parkplatzes wurde als Bezugslinie herangezogen. Zur Unfallszeit war die Fahrbahn trocken, es herrschte sonniges Wetter. Ungefähr 2 m südlich des genannten Baumes befand sich an einer Stange ein Abfallsack.
Der zur Unfallszeit noch nicht ganz sechs Jahre alte Kläger besuchte damals in L*, wo er mit seinen Eltern wohnte, den Kindergarten. Er war zur Unfallszeit höchstens 1,25 m groß und befand sich mit seinen Eltern auf der Rückfahrt von der Türkei nach L*. Die Familie machte auf dem Zenzlwandparkplatz Halt. Der Vater des Klägers stellte seinen PKW Ford Taunus L (4,27 m lang, 1,7 m breit) am Ostrand des Parkplatzes mit der Front nach Norden annähernd parallel zum Verlauf des östlichen Asphaltrandes so ab, daß die linken Räder noch auf dem Asphaltrand und die rechten Räder auf dem schotterigen Streifen standen. Der linke Teil des PKW Ford reichte ca. 50 cm in den asphaltierten Streifen hinein. Die Front des PKW hatte von der Bezugslinie einen Abstand von 2 m in Richtung Süden, befand sich somit etwa auf der Höhe des Abfallsackes südlich des Baumes. Vor diesem PKW, etwa ab der Höhe des Baumes, waren in Richtung Norden, ebenfalls am Ostrand des Parkplatzes, weitere PKWs und in der Folge auch LKWs kolonnenartig hintereinander aufgestellt; die unmittelbar nördlich des PKW Ford Taunus stehenden PKW wurden auch von Türken gelenkt, die unterwegs nach Deutschland waren. Südlich des PKW Ford Taunus waren zur Unfallszeit bis zur Einfahrt in den Parkplatz aus Richtung Süden keine weiteren Fahrzeuge abgestellt, sodaß ab der Einfahrt in den Parkplatz keine Sichtbeeinträchtigung bis zum PKW Ford Taunus und im Bereich östlich und westlich desselben gegeben war.
Die Eltern des Klägers breiteten auf der Höhe ihres PKWs, nur einige Schritte weiter östlich, eine Decke in der Wiese aus. Sie beabsichtigten, sich auf dieser Decke niederzulassen und eine Mahlzeit einzunehmen. Die Mutter des Klägers war damit beschäftigt, die hiezu erforderlichen Sachen aus dem Kofferraum am Heck des PKW Ford Taunus auf die Decke zu bringen, wobei sie sich zwischen dem PKW und der Decke ein paar Schritte hin- und herbewegte. Der Vater des Klägers war im Bereich des linken hinteren Eckes des PKWs mit Manipulationen im geöffneten Kofferraum beschäftigt. Der Kläger, der sich ebenfalls noch nicht auf der Decke niedergelassen hatte, befand sich auf der Wiese etwa auf der Höhe des Vaters ungefähr im Bereich der Decke.
Der Erstbeklagte, der mit dem LKW‑Zug aus Richtung Süden auf der Bundesstraße 67 herankam, verminderte schon vor der Einfahrt in den Parkplatz seine Geschwindigkeit auf 36 km/h und bog so in die südliche Einfahrt des Parkplatzes ein. Er beabsichtigte, den Zug südlich des PKWs der Eltern des Klägers am Ostrand des Parkplatzes abzustellen, weil der Ostrand des Parkplatzes nördlich des genannten PKW mit Fahrzeugen bereits voll verstellt war. Zu diesem Zeitpunkt war auf dem asphaltierten Teil des Parkplatzes kein Mensch, auch nicht bei den Fahrzeugen, abgesehen vom Vater des Klägers, den der Erstbeklagte nicht bemerkte, er sah jedoch etliche Leute auf der Wiese östlich des Parkplatzes. Unter gleichzeitiger Geschwindigkeitsverminderung lenkte der Erstbeklagte den LKW‑Zug zunächst an den Ostrand des Parkplatzes südlich des PKWs der Eltern des Klägers heran. Nun fiel ihm auf, daß im nördlichen Bereich des Parkplatzes gerade ein LKW‑Zug losfuhr; er lenkte den LKW‑Zug wieder vom östlichen Rand des Parkplatzes nach links in der Absicht, seinen LKW‑Zug auf den frei gewordenen Parkplatz vorzuziehen.
Den Kläger belästigten nun Wespen oder Bienen, die vermutlich aus dem Abfallsack geflogen kamen. Der Kläger wehrte die Insekten mit den Händen ab, bekam jedoch Angst und wandte sich plötzlich in Richtung Westen, um sehr schnell in diese Richtung vor den Insekten davonzulaufen. Der Kläger hatte bereits die volle Laufgeschwindigkeit erreicht, als er vom Erstbeklagten bewußt in der Laufbewegung wahrgenommen wurde. Hiebei befand sich der Kläger 4 bis 5 m östlich des östlichen Asphaltrandes des Parkplatzes in schnellem Lauf in Richtung Westen zur Fahrlinie des LKW‑Zuges. Die Lauflinie lag ca. 2 m südlich des Hecks des PKW Taunus, unmittelbar hinter dem Vater des Klägers. Der Erstbeklagte reagierte durch Einleitung einer starken Bremsung. Ein Hupsignal gab er nicht ab. Die Mutter des Klägers hatte noch dessen Laufbewegung, den herankommenden LKW‑Zug und die Gefahr erkannt; sie schrie auf; der Vater des Klägers drehte sich um seine rechte Körperseite um ca. 180 Grad herum und machte einen großen Schritt in diese Richtung, erfasste den Kläger noch um den Körper und versuchte, ihn vor dem herankommenden LKW zurückzuziehen. In diesem Augenblick hatte der Kläger im Lauf gerade das linke Bein belastet und nach vor gestreckt. Zufolge des Zurückreißens durch den Vater blieb zwar die Belastung des linken Beines aufrecht, der Kläger kam jedoch in eine solche Rücklage, daß in der Folge kein anderer Körperteil als der linke Vorfuß vom LKW erfaßt wurde. Das rechte Vorderrad des LKWs, das zufolge der starken Bremsung blockierend stillstand, erfaßte den linken Vorfuß des Klägers, wodurch dieser 65 cm mitgeschleift und dabei teilweise abgequetscht wurde. Nach einer weiteren Bremsstrecke von 45 cm anschließend an die Strecke von 65 cm kam der LKW zum Stillstand und in die Endlage.
Die primäre Kontaktstelle zwischen dem linken Vorfuß und dem rechten Vorderrad des Klägers (Unfallspunkt) befand sich ca. 2 m südlich des Hecks des PKW der Eltern des Klägers bzw. rund 9 m südlich der Bezugslinie und 2 m westlich des Ostrandes des asphaltierten Parkplatzstreifens. Der Kläger legte aus der Position der ersten Wahrnehmung durch den Erstbeklagten 4 bis 5 m (4,5 m) östlich des Asphaltrandes bis zum Unfallspunkt, somit 6 bis 7 m in sehr schnellem Lauf zurück, welchem eine Geschwindigkeit von 4,2 m/sec zuzuordnen ist. Der Kläger benötigte hiefür somit rund 1,5 sec. Vor dieser Strecke in schnellem Lauf hatte der Kläger sich jedoch aus dem Stillstand erst in die Laufbewegung versetzen müssen; für die Bewegung aus der Standposition bis zur Erreichung der schnellen Laufbewegung bei erster Sicht durch den Erstbeklagten war ein zusätzlicher Zeitaufwand von 0,7 sec erforderlich. Für das Erkennen des Überganges aus dem Stillstand in die Laufbewegung ist für den Erstbeklagten eine Wahrnehmungszeit von 0,3 bis 0,5 sec anzusetzen.
Ab 217,35 m vor der Unfallsposition legte der LKW‑Zug zunächst eine Strecke von 150 m in 15 sec mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit von 36 km/h zurück. Während der folgenden 7 sec, in der der LKW‑Zug 63 m zurücklegte, verminderte sich dessen Geschwindigkeit von 36 km/h unter Anwendung eines mittleren Bremsverzögerungswertes von 0,3 m/sec2 auf 29 km/h. Innerhalb dieser Strecke und dieser Zeit lag die Reaktionszeit und der während dieser zurückgelegte Weg bis zur Einleitung des Bremsmanövers. Daran schloß sich die beginnende Bremsung (Schwellung) durch 0,36 sec über 2,65 m bei einer mittleren Bremsverzögerung von 3,85 m/sec2 an, wodurch sich die Geschwindigkeit des LKWs auf 24 km/h verringerte. Die danach einsetzende Vollbremsung an allen Rädern des Zugfahrzeuges und des Anhängers bei einem Bremsverzögerungswert von 8 m/sec2 erfolgte nach einer Strecke von 1,7 m in 0,3 sec. Der Primärkontakt des rechten Vorderrades mit dem linken Vorfuß des Klägers war 1,1 m bzw. 0,5 sec vor der Endposition des LKW‑Zuges.
Unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von 0,75 sec begann der Erstbeklagte 1,41 sec bzw. 10,35 m vor der Kontaktposition mit der Bremsreaktion, soferne man dies auf die erste Wahrnehmung des Klägers in schnellem Lauf durch den Erstbeklagten bezieht. Bezogen auf 1,5 sec vor dem Unfall ergibt sich eine Reaktionsverspätung von 0,1 sec. Dies entspricht bei einer Geschwindigkeit zu Beginn der Reaktionszeit von noch 29 km/h (= 8,05 m/sec) einer Strecke von ca. 80 cm. Der Unfall hätte sich somit auch ohne diese Verspätung ereignet, weil das rechte Vorderrad die Primärkontaktstelle um 1,1 m überfuhr. Der Kläger hatte jedoch aus dem Stand bis zum Unfallspunkt nicht nur eine Zeit von 1,5 sec, sondern insgesamt von 2,2 sec (1,5 + 0,7) aufwenden müssen und in Bewegung verbracht. Hieraus ergibt sich bei Zubilligung einer Reaktionszeit von 0,75 sec eine Reaktionsverspätung von 0,79 sec. Der Zeitspanne von 0,79 sec entspricht bei 29 km/h eine Strecke von ca. 6,4 m. Der Unfall hätte sich somit ohne diese Verzögerung nicht ereignet. Wird dem Erstbeklagten rechnerisch eine Wahrnehmungs- und Reaktionszeit von nicht nur 0,75 sec, sondern insgesamt 1 sec zugebilligt, so ergibt sich noch immer eine Verspätung von 0,54 sec. Dies entspricht bei 29 km/h einer Strecke von rund 4 m. Auch diesfalls hätte sich der Unfall nicht ereignet. Wird dem Kläger jedoch rechnerisch eine Reaktionszeit von 0,75 sec und zusätzlich eine Wahrnehmungszeit von 0,3 bis 0,5 sec, hier rechnerisch ein Maximalwert von 0,5 sec, zugebilligt, vermindert sich die Reaktionsverspätung auf 0,29 sec. Die Reaktionsverspätung von 0,29 sec bedeutet bei 29 km/h eine Verspätung wegmäßig von 2,33 m. Der Unfall hätte sich somit auch nicht ereignet, wenn der Erstbeklagte um 0,29 sec früher reagiert hätte, weil der LKW zufolge der Bremsung den Unfallspunkt nicht erreicht hätte. Der Erstbeklagte hätte 0,5 sec nach der ersten Sicht die Hupe betätigen können. Die gleiche Zeitspanne danach hätte der Kläger das Signal wahrgenommen. Es wären weitere 0,7 sec als Reaktionszeit zur Einleitung einer Abwehrhandlung benötigt worden. Der Kläger hätte somit insgesamt 1,7 sec gebraucht. Der Unfall ereignete sich aber 1,5 sec ab erster Sicht des vollen Laufes. Wird von der Zeit von 2,2 sec ausgegangen, die der Kläger aus dem Stillstand bis zur Erreichung des Unfallspunktes benötigte, ist dem Erstbeklagten eine Wahrnehmungszeit des Beginnes der Bewegung von maximal 0,5 sec zuzuordnen. Der Erstbeklagte hätte somit 0,5 sec für die Wahrnehmung des Beginnes der Laufbewegung benötigt. Nach weiteren 0,5 sec wäre er imstande gewesen, das Hupzeichen abzugeben. Danach hätte der Kläger 0,5 sec benötigt, um das Hupzeichen wahrzunehmen und weitere 0,7 sec um eine Abwehrhandlung anzusetzen. Aus der Zusammenzählung dieser Zeitelemente ergibt sich, daß auch diesfalls durch ein Hupzeichen der Unfall nicht vermieden worden wäre.
Der Kläger erlitt durch den Unfall eine Zerquetschung des linken Vorfußes mit einem offenen Bruch des ersten Mittelfußknochens und einer Wachstumszonenlösung der dritten Zehe mit arterieller Durchblutungsstörung, Hautverlust und Fremdkörpereinsprengungen. Dabei trat eine dreiaktige Absetzung im Bereich der Basis des 5., 4. und 3. Mittelfußknochens links und im Gelenksbereich des ersten und zweiten Keilbeinknochens auf. Im Heilverlauf gab es Komplikationen mit einem Absterben von Haut und der Notwendigkeit einer Nachoperation mit zweimaliger Hauptübertragung. Der Kläger war nach dem Unfall nicht bewußtlos. Er befand sich vom 26. 8. bis 2. 9. 1980 im LKH Graz. Dabei wurde der Vorfuß links amputiert. Danach wurde der Kläger nach L* transportiert, wo er vom 3. 9. bis 11. 12. 1980 in der stationären Behandlung des chirurgischen Krankenhauses der Stadt L* war. Man entfernte dort die aufgetretenen Nekrosen und führte zweimalige Hauttransplantationen durch. Daran schloß sich eine Physikotherapie. Der Knochen zeigte eine Osteoporose. Anfangs 1981 wurden dem Kläger orthopädische Schuhe verschrieben. Eine weitere Behandlung erfolgte nicht. Der Kläger trägt Schuhe und stopft den Schuh links vorne aus. Er trug teilweise Prothesen und orthopädische Schuhe. Der normale Gang auf ebenem Boden mit oder ohne Schuh, ebenso der Fersen- und Zehengang rechts sowie der Fersengang und Stumpfgang links sind frei und sicher möglich, links ist der Gang durch die Vorfußamputation etwas unharmonisch und abartig. Auf Grund der Hautentnahmen im Zusammenhang mit den Transplantationen verbliebene Narben am Oberschenkel vorne rechts im Ausmaß von 8 x 4,5 cm und am linken Oberschenkel vorne von 10 x 5,5 cm. Die Narben sind etwas keloidartig. Der rechte Fuß ist 23 cm lang, der linke Fuß im gleichen Maßbereich 11 cm. Dort ist vorne eine runde Narbe oben von 15 x 0,1 bis 3 cm. Der Kläger verspürt nunmehr keine Schmerzen, nur bei gezieltem Klopfen besteht Schmerzhaftigkeit.
Auf Grund seiner Verletzungen und der Behandlung hatte der Kläger komprimiert 14 Tage starke, 30 Tage mittelstarke und 62 Tage leichte Schmerzen. Qualvolle Schmerzen traten deshalb nicht auf, weil durch die Quetschung auch die Nerven im linken Vorfuß zerstört wurden. Bei der Schmerzzusammenfassung wurden die ärztliche Behandlung, der Heilungsverlauf und die zurückgebliebenen Dauerfolgen berücksichtigt. Der Kläger ist medizinisch in seiner Erwerbsfähigkeit unfallskausal auf Dauer 20 bis 25 % gemindert. Im Hinblick auf das Alter des Klägers bestehen günstige Anpassungsaussichten. Wachstumsstörungen im Bereiche des linken Beines mit allfälligen Auswirkungen auf das Becken und die Wirbelsäule sind nicht auszuschließen. Es kann auch die Notwendigkeit von Korrekturoperationen des Rückfußes auftreten. Auf Grund des derzeitigen Zustandes kann kaum ein Beruf genannt werden, den der Kläger nicht wird ausüben können. Das Fehlen des Vorfußes bedingt im Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit eine Erhöhung des Energieverbrauches und eine Verminderung der Konkurrenzfähigkeit des Klägers. Auch im privaten Bereich bedeutet dies eine Behinderung.
Das Erstgericht erachtete ein Verschulden des Erstbeklagten am Unfall nicht als erwiesen. Im Berufungsverfahren war auch nicht mehr umstritten, daß dem Erstbeklagten kein meßbares Verschulden am Verkehrsunfall trifft; beide Vorinstanzen gelangten jedoch zur Auffassung, daß die Zweitbeklagte als Halter und die Drittbeklagte als Haftpflichtversicherer des LKW‑Zuges zur Haftung heranzuziehen seien, weil die Ersatzpflicht des Halters erst dann ausgeschlossen sei, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis im Sinn des § 9 EKHG verursacht wurde. Die Unanwendbarkeit eines Ereignisses setze voraus, daß der Halter und die mit seinem Willen beim Betrieb des Kraftfahrzeuges tätigen Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Dies könne vom Erstbeklagten jedoch nicht gesagt werden. übereinstimmend erachteten beide Vorinstanzen ein Schmerzengeld von S 230.000 den Verletzungen des Klägers als angemessen.
Demgegenüber erachteten die Zweit- und Drittbeklagten in ihrer Revision die Reaktion des Erstbeklagten als optimal, vertreten weiters die Auffassung, daß der Erstbeklagte alles „menschenmögliche“ getan habe, um den Unfall zu verhindern und stellen sich auf den Standpunkt, daß ein Schmerzengeld von S 100.000 den Unbilden des Klägers völlig entsprechen würde. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:
Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei Führung des Entlastungsbeweises nach § 9 EKHG - um welche Frage es hier bei der Beurteilung des Unfallgeschehens nur mehr geht ‑ darauf an, ob auch für einen besonders sorgfältigen Fahrer bei der gegebenen Sachlage der geschehene Unfall unvermeidbar gewesen wäre. Unter „jeder nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt“ ist die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt zu verstehen. Für die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt ist die eines sachkundigen, erfahrenen Fachmannes richtunggebend. Diese äußerste Sorgfalt ist nur dann beobachtet, wenn der Fahrer eine über die gewöhnliche Sorgfaltspflicht hinausgehende, besonders überlegene Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht gezeigt hat. Die erhöhte Sorgfaltspflicht, deren Beachtung den Unfall als unabwendbares Ereignis erscheinen läßt, setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, daß von vornherein vermieden wird, in eine Lage zu kommen, aus der Gefahr entstehen kann (ZVR 1974/190; ZVR 1978/135; ZVR 1982/369 uva.).
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, ist den Vorinstanzen zuzustimmen, daß dem Erstbeklagten die Einhaltung einer derartigen Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Geistesgegenwart nicht zugutegehalten werden kann. Bei seiner Annäherung an die spätere Unfallstelle war er verpflichtet, nicht nur die Fahrbahn bzw. den straßenartig gestalteten kurvenförmigen Parkplatz vor sich im Auge zu behalten, sondern auch das daran angrenzende Gelände. Er hätte seine Aufmerksamkeit daher auch dem fünf Jahre alten Kläger zuwenden müssen, der sich zunächst einige Meter neben dem PKW seiner Eltern allein in der Wiese befand. Demgemäß hätte er dessen Loslaufen von Anbeginn an wahrnehmen und darauf sogleich reagieren müssen. Dies hat er jedoch nicht in ausreichendem Maße getan; vielmehr ist ihm innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitspanne von insgesamt 2,2 sec eine Reaktionsverspätung von 0,79 sec bei einer Wahrnehmungs- und Reaktionszeit von 0,75 sec oder doch zumindest von 0,54 sec bei einer Wahrnehmungs- und Reaktionszeit von 1 sec vorzuwerfen. Damit ist aber die Einhaltung der oben dargestellten äußersten Sorgfalt nicht mehr zu vereinbaren. In der zwar geringen, aber im Ergebnis in gravierender Weise ins Gewicht fallenden Reaktionsverspätung liegt eine der Unfallsursachen, weil der Unfall demgemäß unterblieben wäre, wenn der Erstbeklagte rechtzeitig und in zumutbarer Weise reagiert hätte. Von dem Gelingen des Entlastungsbeweises im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG kann somit nicht die Rede sein.
Bei der Bemessung des Schmerzengeldes sind nach ständiger Rechtsprechung die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes und die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen (8 Ob 127/83; 2 Ob 23/84; 8 Ob 42/84 uza.). Alle diese Komponenten waren im vorliegenden Fall gravierender Art. Es darf auch nicht übersehen werden, daß die Amputation des linken Vorfußes als lebenslange Unfallsfolge verblieb, da der restliche Fußteil nur mehr 11 cm mißt. Unter Bedachtnahme auf die oben dargestellte Rechtsprechung können sich die Beklagten durch die Ausmessung des Schmerzengeldes mit S 230.000 durch die Vorinstanzen unter den festgestellten Umständen nicht beschwert erachten.
Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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