OGH 2Ob582/85

OGH2Ob582/8511.6.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Delores A, geboren am 31.12.1952 in Stellenbosch, Südafrika, Englischkorrespondentin, Börnergasse 15/8/5, 1190 Wien, vertreten durch Dr.Rudolf Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Karl Franz A, geboren am 28.5.1950 in Wien, Maler und Anstreicher, Börnergasse 15/8/5, 1190 Wien, vertreten durch Dr.Johannes Ruckenbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11.März 1985, GZ 14 R 21/85-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 29.November 1984, GZ 11 Cg 156/83-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte hat der Klägerin die mit S 4.597,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.200,-Barauslagen und S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Scheidung der am 8.7.1977 geschlossenen Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Sie brachte vor, ab 1979 sei zwischen den Streitteilen eine Entfremdung eingetreten, die immer stärker geworden sei und zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt habe. Der Beklagte bringe für die kulturellen und gesellschaftlichen Interessen der Klägerin kein Verständnis auf und sei der Ansicht, für kulturelle Belange genüge das Fernsehen. Es sei nicht möglich, mit dem Beklagten Alltagsprobleme zu besprechen. Er zeige sich gegenüber allem, was die Klägerin vorbringe, uninteressiert. Eheliche Beziehungen gebe es seit August 1981 nicht mehr. Der Beklagte sei seit November 1982 arbeitslos und tue nichts dazu, um diesen Zustand zu beenden. Die Klägerin übe hingegen den Beruf einer Englischkorrespondentin aus und verwende praktisch ihr ganzes Einkommen für die Finanzierung des Haushaltes. Der Beklagte komme nur für die Miete von monatlich S 1.217,-- und für den Kindergarten für die am 22.5.1978 geborene Tochter auf. Auskünfte über sein genaues Einkommen verweigere er. In seinem ganzen Verhalten komme eine zutiefst verletzende Mißachtung der Klägerin gegenüber zum Ausdruck. Er stehe auf dem Standpunkt, er allein habe über alle Belange des Familienlebens zu entscheiden, die Klägerin habe sich widerspruchslos seinen Anweisungen zu fügen. Seit einigen Monaten arbeite der Beklagte als Taxilenker und bleibe seit dieser Zeit mehrere Nächte in der Woche von zu Hause fern. Er habe auch die früher von ihm vorgenommenen Rückzahlungen für einen Wohnungsverbesserungskredit eingestellt. Die Streitteile seien gemeinsam Mieter einer Seeparzelle gewesen. Der Beklagte habe der Klägerin verschwiegen, daß eine Verlängerung des Vertrages nötig sei und habe den Vertrag im August 1983 hinter dem Rücken der Klägerin für sich allein abgeschlossen. Er unterstütze die Klägerin als Berufstätige nicht bei den Hausarbeiten, sondern lasse seine Sachen unordentlich herumliegen. Ferner störe er die Erziehung der gemeinsamen Tochter.

Der Beklagte bestritt das Vorbringen der Klägerin, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, erklärte, (derzeit) keinen Mitschuldantrag zu stellen und wendete ein:

Der Beklagte habe keine Eheverfehlungen begangen, er finde trotz ständigen Bemühens keine Arbeit und habe fast sein gesamtes Einkommen seiner Familie zur Verfügung gestellt. Er beziehe eine monatliche Notstandsunterstützung von S 2.000,-- und könne keine höheren Zahlungen leisten. Die Klägerin wolle ihm den weiteren Bezug der Notstandshilfe dadurch unmöglich machen, daß sie ihm die vom Arbeitsamt angeforderte Lohnbestätigung über ihr Einkommen nicht übergebe. Der Beklagte wende noch immer S 4.000,-- für den Haushalt auf. Für den aufgenommenen Kredit habe er weitaus mehr bezahlt als dem Verhältnis der Einkommen der Streitteile entsprochen habe. Er werde von der Klägerin gehindert, im Haushalt mittätig zu sein; sie habe erklärt, er brauche im Haushalt nichts mehr zu machen und müsse auch das Kind vom Kindergarten nicht mehr abholen. Nur wenn die Klägerin später nach Hause komme, lasse sie den Beklagten das Kind vom Kindergarten abholen. Bei solchen Anlässen sei die Klägerin mehrmals alkoholisiert gewesen und habe ihn vor dem Kind herabgesetzt. Oft sei die Klägerin bis spät in die Nacht mit dem Kind von der ehelichen Wohnung abwesend.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Aus seinen Feststellungen (S 7 bis 12 der Ausfertigung des Urteiles, AS 67 ff) ist folgendes hervorzuheben:

Die Ehe der Streitteile ist seit etwa 1981 nicht mehr in Ordnung. Wenn die Klägerin den Beklagten etwas fragte, erwiderte er, die Klägerin verstehe dies ohnehin nicht. Der Beklagte ist ab November 1982 arbeitslos. Er ist beim Arbeitsamt als arbeitslos gemeldet. Derzeit arbeitet er aushilfsweise als Taxilenker. Die Klägerin ist als Englischkorrespondentin berufstätig. Der Beklagte sagte zur Klägerin, er habe sie nicht aus Liebe geheiratet, sondern weil er gewußt habe, daß er mit der Klägerin etwas anfangen könne. Die Kosten für den ehelichen Haushalt werden hauptsächlich von der Klägerin getragen, die fast ihr ganzes Einkommen für die Führung des ehelichen Haushaltes verbraucht. Der Beklagte bezahlt den Mietzins für die eheliche Wohnung in der Höhe von monatlich etwa S 1.117,--. Bis einschließlich Dezember 1983 bezahlte er auch das Kindergartengeld. Die Raten für die aufgenommenen Kredite bezahlt teilweise der Beklagte und teilweise die Klägerin zurück. Früher waren der Beklagte, die Klägerin und das eheliche Kind gemeinsam Mieter einer Seeparzelle. Im August 1983 verlängerte der Beklagte diesen Bestandvertrag und ist seither alleiniger Mieter. Von dieser Art der Vertragsverlängerung machte er der Klägerin keine Mitteilung. Der Beklagte läßt seine Sachen unordentlich in der ehelichen Wohnung herumliegen. Zur ehelichen Tochter sagte er mehrmals: 'Was die Mutter sagt, ist egal'. Der Beklagte gab der Klägerin kein Formular für das Arbeitsamt. Die Klägerin hat den Beklagten nicht vor dem ehelichen Kind herabgesetzt. Wenn sie mit dem Kind abends bis 22 Uhr oder 22,30 Uhr von der ehelichen Wohnung abwesend ist, weilt sie bei ihrer Nachbarin zum Fernsehen. In diesen Fällen schläft das Kind in der Wohnung der Nachbarin, während die Klägerin fernsieht. Die Klägerin trinkt bei ihrer Nachbarin keinen Alkohol, wenn sie sich mit ihrem Kind dort aufhält. Der letzte Geschlechtsverkehr zwischen den Streitteilen fand im August 1981 statt. Seit dieser Zeit lehnt die Klägerin einen Geschlechtsverkehr mit dem Beklagten ab, weil der Beklagte ihrer Ansicht nach nicht mehr aus Liebe mit ihr verkehren will.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, das Verschulden an der Ehezerrüttung treffe den Beklagten, der durch sein Gesamtverhalten schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG begangen habe. Die Klägerin habe kein Verhalten gesetzt, auf Grund dessen ihr Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt wäre.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es führte aus, der in der Berufung gestellte Mitverschuldensantrag verstoße gegen das Neuerungsverbot, da die mündliche Streitverhandlung erster Instanz nach dem 31.12.1983, nämlich am 11.5.1984 geschlossen worden sei. Auf das Vorbringen zur Begründung dieses Mitverschuldensantrages sei daher nicht einzugehen. Die Beweiswürdigung des Erstgerichtes sei unbedenklich. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, daß sich der Beklagte mit der Klägerin nicht ausspreche, ihr sage, daß er sie nicht aus Liebe geheiratet habe, die Erziehung des gemeinsamen Kindes störe, sich, obwohl er als arbeitssuchend gemeldet sei, nicht ernsthaft bemühe, eine geregelte Beschäftigung zu finden und es im wesentlichen der Klägerin überlasse, die Kosten des Haushaltes zu tragen, sei unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles dem Erstgericht beizupflichten, daß der Beklagte durch dieses Verhalten die Zerrüttung der Ehe schuldhaft herbeigeführt habe. Eine Ehe bedeute auch ein geistiges und seelisches Miteinanderleben, ein Ehegatte müsse daher auch für die kulturellen Interessen des anderen Verständnis zeigen und sich bei einer rechten ehelichen Gesinnung bemühen, dieses zu zeigen. Ein Ehegatte, der nur seinen Interessen lebe, handle auch ehewidrig. Da eine unheilbare Zerrüttung der Ehe auch dann anzunehmen sei, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem der Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört habe, sei die Zerrüttung zu bejahen, auch wenn der Berufungswerber erkläre, an der Ehe festhalten zu wollen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten. Er macht die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Soweit der Beklagte zum Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt, das Berufungsgericht habe das Vorbringen zum Mitschuldantrag nicht beachtet, ist auf das im Hinblick auf den nach dem 31.12.1983 erfolgten Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz (Art. X Z 4 des Gesetzes über Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechtes, BGBl. 1983/566) bestehende Neuerungsverbot hinzuweisen. Da die mündliche Verhandlung erster Instanz erst am 11.5.1984 geschlossen wurde, ist die Behauptung, der Beklagte habe einen Mitschuldantrag in erster Instanz wegen der Gesetzesänderung nicht mehr stellen können, unverständlich. Im übrigen stellen die Ausführungen zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens lediglich den Versuch dar, die auch im Eheverfahren in dritter Instanz unanfechtbare Beweiswürdigung zu bekämpfen. Die behaupteten Verfahrensmängel liegen daher nicht vor.

Zur rechtlichen Beurteilung führt der Beklagte - soweit er sich nicht auch hier gegen die Beweiswürdigung wendet und vom festgestellten Sachverhalt abweicht - aus, eine Ehe sei grundsätzlich aufrecht zu erhalten, er habe keine derart schweren Eheverfehlungen begangen, die eine Ehescheidung rechtfertigen könnten.

Diese Ansicht kann nicht geteilt werden. Gemäß § 49 EheG kann ein Ehegatte Scheidung begehren, wenn der andere durch schwere Eheverfehlungen die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Eine schwere Eheverfehlung im Sinne dieser Vorschrift ist jedes Verhalten eines Ehegatten, das mit dem Wesen der Ehe als einer alle Lebensbereiche umfassenden Lebensgemeinschaft unvereinbar ist (EFSlg 38.683 uva), wobei es stets auf das Gesamtverhalten ankommt (EFSlg 36.296, 1 Ob 628/84 uva). Auch eine Mehrheit an sich nicht schwerer Eheverfehlungen kann in ihrer Gesamtheit einen Scheidungsgrund bilden (EFSlg 36.299 uva). Die Gemeinsamkeit der Lebensführung bezieht sich nicht nur auf die rein räumliche Gemeinschaft, sondern vor allem auch auf das geistig seelische Miteinanderleben (EfSlg 41.184 ua). Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze gingen die Vorinstanzen zutreffend davon aus, dem Beklagten seien schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG anzulasten. Von besonderer Bedeutung ist, daß der nunmehr 35 Jahre alte Beklagte, der Maler und Anstreicher ist und nicht behauptete, krank zu sein, seit November 1982 keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgeht und - abgesehen von einer aushilfsweisen Tätigkeit als Taxilenker - nur die Notstandshilfe bezieht, weshalb die Klägerin aus ihrem Einkommen den Großteil der für die Haushaltsführung notwendigen Mittel tragen muß. Der Beklagte kommt also seiner Verpflichtung, nach seinen Kräften zur Deckung der den Lebensverhältnissen angemessener Bedürfnisse beizutragen (§ 94 Abs 1 ABGB), nicht nach. Dazu kommen weitere Verhaltensweisen, die in ihrer Gesamtheit zeigen, daß es der Beklagte an der nötigen Liebe und Achtung gegenüber der Klägerin fehlen läßt. Hier ist etwa auf seine öußerung, er habe die Klägerin nicht aus Liebe geheiratet, hinzuweisen sowie darauf, daß er mehrmals zur ehelichen Tochter sagte, was die Mutter sage, sei egal. Zu berücksichtigen ist auch, daß der Beklagte ohne Wissen der Klägerin die Verlängerung eines Bestandvertrages über eine Seeparzelle derart vornahm, daß nicht mehr beide Ehegatten und die eheliche Tochter Mieter sind, sondern nur noch der Beklagte. Dem Beklagten liegen daher schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG zur Last. Den Ausführungen, der Ausspruch des Alleinverschuldens sei nicht berechtigt, ist entgegenzuhalten, daß in erster Instanz kein Mitschuldantrag gestellt wurde.

Verfehlungen der Klägerin, die gemäß § 49 Abs 2 EheG zu einer Verwirkung des Scheidungsrechtes führen könnten, sind nicht hervorgekommen.

Aus allen diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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