OGH 7Ob10/85

OGH7Ob10/859.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernst A, Prokurist, Perchtoldsdorf, Hochstraße 121, vertreten durch Dr. Johannes Schriefl und Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei B C Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 5., Margaretengürtel 142, vertreten durch Dr. Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 13. Dezember 1984, GZ. 3 R 215/84-18, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 5. Juni 1984, GZ. 28 Cg 755/83-12, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das in seinem Ausspruch über die Deckungspflicht der beklagten Partei aus der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (Pol.Nr. 80 N 5113301) als unangefochten unberührt bleibt, wird in seinem Ausspruch über die Deckungspflicht der beklagten Partei aus der Rechtsschutzversicherung (Pol.Nr. 75 N 5102036) als Teilurteil bestätigt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten. Im Ausspruch über die Deckungspflicht der beklagten Partei aus der Unfallversicherung (Pol.Nr. 60 N 5100945) und im Kostenausspruch werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei für seinen Unfall vom 6. September 1982 auf Grund der mit der beklagten Partei abgeschlossenen Versicherungsverträge über eine Kraftfahrzeughaftpflicht-, eine Einzelunfall- und eine Rechtsschutzversicherung. Die beklagte Partei beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen nicht rechtzeitiger Bezahlung der Erstprämien.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung statt und wies das Klagebegehren hinsichtlich der beiden anderen Versicherungen ab. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Deckungspflicht aus der Einzelunfall- und der Rechtsschutzversicherung. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes wurde die Polizze über die Einzelunfallversicherung am 17. August 1982 ausgefertigt. In Abänderung des Antrages des Klägers wurde der Versicherungsbeginn mit 10. August 1982 festgesetzt. Die Abänderung wurde in der Polizze durch Unterstreichen ersichtlich gemacht und der Kläger in einem Beiblatt auf die Abänderung hingewiesen. Die Polizze wurde am 23. August 1982 rekommandiert zur Post gegeben, mangels Anwesenheit des Klägers bei der Zustellung hinterlegt und vom Kläger am 1. September 1982 behoben. Der Unfallversicherung liegen die AUVB 1965 zugrunde. Nach Art. 16 der AUVB 1965 hat der Versicherungsnehmer die erste oder einmalige Prämie einschließlich der Nebengebühren bei Aushändigung der Polizze zu bezahlen. Der Versicherungsschutz beginnt mit dieser Zahlung. Für die Folgen nicht rechtzeitiger Prämienzahlung verweisen die AUVB 1965 auf § 38

VersVG.

Die Polizze über die Rechtsschutzversicherung wurde am 20. August 1982 mit dem dem Antrag des Klägers entsprechenden Versicherungsbeginn 1. August 1982 ausgestellt und dem Kläger am 3. September 1982 zugestellt. Der Rechtsschutzversicherung liegen die ARB und D 1965 zugrunde. Gemäß Art. 12 Abs. 2 der ARB hat der Versicherungsnehmer die erste Prämie gegen Aushändigung der Polizze zu entrichten. Der Versicherungsschutz beginnt mit Einlösung der Polizze. Für die Folgen nicht rechtzeitiger Zahlung der Erstprämie verweisen die Bedingungen auf § 38 VersVG.

Der Unfall des Klägers ereignete sich in den Mittagsstunden des 6. September 1982, einem Montag. Der Kläger befand sich nach dem Unfall zwei Tage in der Intensivstation. Er ersuchte am 3. oder 4. Tag seines Spitalsaufenthaltes seinen Vater, die Prämien zu überweisen. Die überweisung erfolgte am 13. September 1982.

Das Erstgericht folgte der Rechtsmeinung der beklagten Partei. Für die Annahme einer Stundung oder einer Rückwärtsversicherung lägen keine Anhaltspunkte vor. Eine Rückwärtsversicherung werde nicht schon dadurch vereinbart, daß nach dem Antrag oder nach dem Versicherungsschein der Versicherungsbeginn vor dem formellen Vertragsabschluß liege.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge, wohl aber der Berufung des Klägers, und änderte demgemäß das angefochtene Urteil in seinem abweisenden Teil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Teil des Streitgegenstandes in Ansehung eines jeden Teilanspruches S 15.000, nicht aber S 300.000 übersteige, und erklärte die Revision gegen den abändernden Teil für zulässig.

Nach der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes liege hinsichtlich der Einzelunfall- und der Rechtsschutzversicherung eine Rückwärtsversicherung vor, sodaß die Einlösungsklausel des § 38 Abs. 2 VersVG nicht gelte.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den abändernden Teil des Berufungsurteiles erhobene Revision der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt. Der Oberste Gerichtshof hat zwar die Frage, ob bei der Angabe eines vor dem formellen Versicherungsbeginn (Vertragsabschluß) liegenden Zeitpunktes als Versicherungsbeginn im Versicherungsschein im Regelfall eine Rückwärtsversicherung anzunehmen ist, in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 7 Ob 65/83 im Sinne der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes gelöst. Ungeachtet dieses Umstandes ist die Revision - entgegen der Auffassung des Klägers - jedenfalls zulässig, weil die Meinung des Berufungsgerichtes, daß es bei der Rückwärtsversicherung nicht auf die Rechtzeitigkeit der Prämienzahlung ankomme, einer Klarstellung bedarf, und der Oberste Gerichtshof bei seiner Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht auf jene Rechtsfragen beschränkt ist, die das Berufungsgericht zur Begründung für seine Zulässigkeitsentscheidung angeführt hat (7 Ob 5/84).

In der schon erwähnten Entscheidung 7 Ob 65/83 hat sich der Oberste Gerichtshof im Sinne der als überzeugend angesehenen Argumente von Prölss-Martin (VVG 23 40) der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (VersR 1982, 841) angeschlossen, daß die Anführung eines zurückliegenden Zeitpunktes als Versicherungsbeginn im Versicherungsschein im Regelfall den Abschluß einer Rückwärtsversicherung bedeutet. Die diese Rechtsmeinung tragenden Argumente wurden vom Berufungsgericht eingehend dargelegt, sodaß zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen im Berufungsurteil verwiesen werden kann. Dem Hinweis der Revision, daß bei einzelnen Versicherungsarten die Vorverlegung des Versicherungsbeginnes auch ohne Leistungspflicht des Versicherers für den Versicherungsnehmer von Vorteil sein kann, ist entgegenzuhalten, daß es sich hiebei eben um Ausnahmefälle handelt, auf die bereits in der Entscheidung 7 Ob 65/83 Bedacht genommen wurde, und daß ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Auch das Argument, daß eine vorläufige Deckungszusage überflüssig würde, ist nicht stichhältig. Beide Vertragsarten dienen verschiedenen Zwecken, und liegen ihnen unterschiedliche Voraussetzungen zugrunde. Die vorläufige Deckungszusage schafft provisorischen Schutz vor endgültiger Risikoprüfung und endgültiger Einigung der Parteien (etwa über die Prämie). Bei der Rückwärtsversicherung wird auf Grund schon erfolgter Einigung der Haftungszeitsraum lediglich vorverlegt. Je nach dem Stadium der Parteienunterhandlungen wird daher der einen oder anderen Variante der Vorzug gegeben werden. Die Frage der Abdingbarkeit des § 2 Abs. 2 VersVG (vgl. hiezu Prölss-Martin aaO 42 f.) ist hier nicht zu erörtern, weil der Versicherungsfall erst nach Vertragsabschluß eingetreten ist. Es ist daher an der dargelegten Rechtsprechung festzuhalten.

Auch bei einer Rückwärtsversicherung genügt jedoch, wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 65/83 ausgesprochen hat, zur Vermeidung der Leistungsfreiheit des Versicherers nicht schlechthin jede nachträgliche Zahlung der Erstprämie. Liegt eine Einzelvereinbarung - wie im vorliegenden Fall - nicht vor, kommt es auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen an. Nach den beiden Versicherungen jeweils zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen beginnt der Versicherungsschutz mit der Einlösung der Polizze. Die Folgen nicht rechtzeitiger Bezahlung sollen sich nach § 38 Abs. 2 VersVG richten. Diese Bestimmung der Versicherungsbedingungen steht zwar der Annahme einer Rückwärtsversicherung nicht entgegen, weil dies im Widerspruch zu der vereinbarten Vorverlegung des materiellen Versicherungsbeginnes stünde. Aus ihr ergibt sich aber, daß für die Deckung von Versicherungsfällen nach Zustellung der Polizze eine gleich rasche Zahlung gefordert wird, wie sie auch ohne Vereinbarung einer Rückwärtsversicherung vorgeschrieben ist. Eine objektive und daher vom Verschulden des Versicherungsnehmers unabhängige unverzügliche Einlösung der Polizze hat jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in einer nach der Verkehrssitte üblichen, auch für den Vertragspartner abschätzbaren Frist von höchstens wenigen Tagen nach Zustellung der Versicherungspolizze zu erfolgen (VersR 1972, 676; VersR 1970, 1067; 7 Ob 23/80; 7 Ob 65/83). Die Bezahlung am dritten, zur Einzahlung der Versicherungsprämie zur Verfügung stehenden Tag wurde zuletzt in der Entscheidung 7 Ob 23/80 noch als unverzüglich anerkannt. Steht dem Versicherungsnehmer aber eine Frist von drei Tagen zur Verfügung, kann er vor Ablauf des dritten Tages der Frist nicht in Verzug geraten.

Für die Rückwärtsversicherung, deren Wesen darin besteht, daß der Beginn der materiellen Haftung auf einen vor dem formellen Versicherungsbeginn liegenden Zeitpunkt vertraglich vorverlegt wurde, ergibt sich daraus: Tritt der Versicherungsfall nach dem vereinbarten Haftungsbeginn des Versicherers und vor dem Verzug des Versicherungsnehmers ein, wird der Versicherer mit der Einlösung der Polizze rückwirkend deckungspflichtig, weil ein später eintretender Verzug des Versicherungsnehmers mit der Zahlung der Prämie die auf Grund des Vertrages einmal eingetretene Deckungspflicht nicht rückwirkend beseitigen kann (vgl. VersR 1972, 702). Die Polizze über die Rechtsschutzversicherung wurde dem Kläger am 3. September 1982 zugestellt. Unter Berücksichtigung des Wochenendes, an dem Bank- oder Postüberweisungen am Schalter nicht allgemein möglich und daher auch nicht üblich sind, war der Kläger am Montag, den 6. September 1982, dem Tag des Eintrittes des Versicherungsfalles, mit der für diese Versicherung geschuldeten Prämie noch nicht in Verzug. Die beklagte Partei hat daher nach den obigen Darlegungen Versicherungsschutz zu gewähren. Für die Unfallversicherung läßt sich nach den bisherigen Feststellungen der Vorinstanzen nicht beurteilen, ob der Kläger im Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles bereits mit der Zahlung der für diese Versicherung geschuldeten Prämie in Verzug war und demgemäß die vereinbarte Rechtsfolge der Leistungsfreiheit i.S. des § 38 VersVG eingetreten ist. Für die Beurteilung der Frage, wann dem Kläger die mittels eingeschriebenen Briefes übermittelte und infolge Abwesenheit des Klägers beim Postamt hinterlegte Versicherungspolizze zugekommen ist, kommt es nach der Empfangstheorie auf den Beginn der Abholmöglichkeit beim Hinterlegungspostamt an (Rummel in Rummel, ABGB Rz 3 zu § 862 a ABGB mN aus der Rechtsprechung). Läge dieser Tag vor dem 1. September 1982, wäre der Kläger am 6. September 1982 bereits mit der Zahlung der Prämie in Verzug gewesen, die beklagte Partei wäre leistungsfrei. Wäre dem Kläger aber die Abholmöglichkeit erst am 1. September 1982 eröffnet worden, wäre der Tag des Eintrittes des Versicherungsfalles der letzte Tag der dem Kläger zur Verfügung gestandenen Frist für die Zahlung der Prämie und die beklagte Partei hätte noch Deckung zu gewähren. In dieser Richtung sind daher ergänzende Feststellungen erforderlich.

Demgemäß ist der Revision nur teilweise Folge zu geben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 2 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte