OGH 7Ob566/85

OGH7Ob566/859.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerlinde A, Angestellte, Ort im Innkreis Nr.158, vertreten durch Dr.Rudolf Watschinger, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei Johann B, Kraftfahrer, Ort im Innkreis, Pischelsdorf Nr.7, vertreten durch Dr.Robert Mayrhofer, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen 90.000 S s.A., infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 9.Jänner 1985, GZ.2 R 256/84-25, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 8.Juni 1984, GZ.4 Cg 309/83-15, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin an Kosten des Revisionsverfahrens 3.997,35 S (darin 600 S Barauslagen und 308,85 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte wurde mit Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 10.6.1983, bestätigt durch Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 11.10.1983, schuldig erkannt, die Klägerin am 20.2.1983 dadurch, daß er sie auf den Liegesitz des PKWs warf, ihr Schläge versetzte und sich auf sie kniete, eine Person weiblichen Geschlechtes mit Gewalt gegen ihre Person widerstandsunfähig gemacht und in diesem Zustand zum außerehelichen Beischlaf und dadurch, daß er den Stiel einer Haarbürste in ihre Scheide und sein Glied in ihren Mund einführte, zur Unzucht mißbraucht zu haben. Hiedurch hat er das Verbrechen der Notzucht nach § 201 Abs.1 StGB und das Verbrechen des Zwanges zur Unzucht nach § 203 Abs.1 StGB begangen. Der Klägerin wurden im Strafverfahren als Privatbeteiligter 5.000 S an Schmerzengeld zuerkannt.

Unter Abweisung des Mehrbegehrens von 55.000 S hat das Erstgericht der Klägerin ein Schmerzengeld von 65.000 S zuerkannt. Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung im Sinne des Zuspruches eines Schmerzengeldes von 95.000 S unter Abweisung eines Mehrbegehrens von 25.000 S abgeändert und die Revision für zulässig erklärt.

Die Vorinstanzen gingen von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Die der Klägerin zugefügten physischen Verletzungen bewirkten einen Tag starke, fünf Tage mittelstarke und zehn Tage leichte Schmerzen. Die Klägerin war vom 20.2.1983 bis 27.2.1983 in Krankenstand. Bei Wiederaufnahme der Arbeit am 28.2.1983 waren noch Restbeschwerden vorhanden. Eine Schwangerschaft ist bei der Klägerin auf Grund dieses Vorfalles nicht eingetreten. Allerdings kam es zu einer Menstruationsstörung. Noch am 14.2.1984 litt die Klägerin an Beschwerden an der Innenseite der Kniegelenke beim inneren Seitenband, doch lassen sich diese Beschwerden nicht zweifelsfrei auf den gegenständlichen Vorfall zurückführen.

Wesentlich erheblicher als die physichen Beschwerden waren die bei der Klägerin eingetretenen psychischen Störungen. Unmittelbar nach dem Vorfall litt die Klägerin an äußerst starken Depressionen und schloß sich von ihrer Umwelt ab. Dieser Zustand besserte sich nach einigen Tagen, weil die Klägerin wieder ihrer Arbeit nachging und versuchte, dadurch Ablenkung zu finden. Allerdings konnte sie den Gedanken an das Geschehene zunächst kaum verdrängen und beschäftigte sie sich nahezu den ganzen Tag gedanklich mit diesem Ereignis. Allmählich besserten sich die Zustände etwas und die Klägerin dachte nicht mehr so oft an den Vorfall. üblicherweise werden derartige Erlebnisse nach einem Vierteljahr bis einem halben Jahr überwunden. Die Klägerin litt anfangs an Angstzuständen und neurasthenisch depressiven Verstimmungen. Dadurch kam es sekundär auch zu vegetativen Störungen, insbesondere zu einer Störung des Menstruationszyklus, was zu weiteren Spannungen führte, weil die Klägerin eine Schwangerschaft befürchtete. Erhöht wurden diese depressiven Verstimmungen und Spannungen der Klägerin dadurch, daß sie mit dem Beklagten und dessen Familie in unmittelbarer Nachbarschaft lebte und die Familie des Beklagten wegen des auf Grund des Vorfalles gegen den Beklagten eingeleiteten Strafverfahrens der Klägerin gegenüber feindselig begegnete. So kam es vor, daß die Mutter des Beklagten das Kaufhaus, in dem die Klägerin arbeitete, aufsuchte und die Klägerin beschimpfte. Auch die Dorfbevölkerung legte zum Teil eine ablehnende Haltung gegenüber der Klägerin an den Tag, was diese ebenfalls belastete.

Noch am 26.8.1983 waren bei der Klägerin Hinweise auf eine angstbesetzte Sexualität festzustellen. Auch die depressive Verstimmung der Klägerin war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gänzlich abgeklungen. Mittlerweile treten solche Verstimmungszustände allerdings hauptsächlich nur mehr dann auf, wenn die Klägerin unmittelbar auf das Geschehen angesprochen wird oder sich in einer Streßsituation befindet. Zur Besserung des Zustandes der Klägerin trug auch bei, daß sie im Juni 1983 ihren späteren Ehegatten kennenlernte. Diese Beziehung vertiefte sich im Oktober 1983. Im April 1984 heiratete sie und zog aus ihrem Elternhaus aus. Dies trug dazu bei, daß die Erinnerung an das Geschehene verblaßte und weitere Komplikationen nicht mehr zu erwarten sind.

Die Vorinstanzen vertraten den Rechtsstandpunkt, die durch eine Vergewaltigung entstandenen psychischen Schmerzen rechtfertigten die Zahlung eines Schmerzengeldes. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes sei auf die Dauer und die Intensität des erlittenen Ungemaches, die psychophysische Situation des Opfers, die Beschaffenheit seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit und die Schwankungsbreite seiner Psyche Bedacht zu nehmen. Die durch einen Notzuchtsakt gestörte Gefühlswelt einer Frau sei im Einzelfall sicherlich unterschiedlich beschaffen, im allgemeinen aber so komplex und hinsichtlich ihrer Rückwirkungen auf das künftige Geschlechtsleben so unergründlich, daß die Entschädigung für die seelischen Schmerzen nach einer Notzucht, zumal wenn diese im Ergebnis gravierender sind als die rein körperlichen Schmerzen, nur in Form eines Globalzuspruches erfolgen könne. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erachtete das Berufungsgericht ein Schmerzengeld von 100.000 S als angemessen. Von diesem Betrag seien die der Klägerin bereits mit dem Strafurteil zugesprochenen 5.000 S abzuziehen.

Rechtliche Beurteilung

Die von beiden Streitteilen gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revisionen (die Klägerin begehrt Zuspruch der gesamten begehrten 120.000 S, während der Beklagte Herabsetzung des zugesprochenen Schmerzengeldes auf 30.000 S verlangt) sind nicht gerechtfertigt.

Entgegen der seinerzeitigen Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof erkannt, daß im Hinblick auf Art.5 Abs.5 MRK im Falle einer Freiheitsberaubung durch die öffentliche Gewalt auch der Ersatz immateriellen Schadens gebührt (SZ 48/69). Darüber hinaus wurde der Standpunkt vertreten, daß ein nicht gegen die öffentliche Gewalt gerichteter Schadenersatzanspruch zwar nicht aus Art.5 Abs.5 MRK abgeleitet werden könne. Bei MRK-konformer Auslegung des § 1329 ABGB habe aber auch eine Privatperson, die sich vorsätzlich einer Freiheitsberaubung schuldig gemacht hat, dem Opfer den Ersatz ideeller Schäden zu leisten (EvBl.1979/100). An dieser Judikatur hält der Oberste Gerichtshof fest, weshalb der Ersatz immaterieller Schäden, zumindest bei vorsätzlicher Freiheitsberaubung, auf jeden Fall verlangt werden kann.

Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, vertritt die neue Lehre einheitlich den Standpunkt, daß auch im Falle einer echten Notzucht der Ersatz immaterieller Schäden gebührt. Im Ergebnis ist es hiebei ohne Bedeutung, ob man von einer analogen oder direkten Anwendung des § 1328 ABGB ausgeht und von ihm den Ersatz immaterieller Schäden ableitet (Strasser in JBl.1965,576) oder ob man die Berechtigung zur Forderung ideeller Schäden aus den §§ 1295, 1323, 1324 ABGB ableitet (Bydlinski in JBl.1965,245 f.). Auch im Falle der Anwendung des § 1328 ABGB in einem eingeschränkten Sinn schaltet diese Bestimmung sich aus anderen Bestimmungen ergebende konkurrierende höhere Ansprüche (Beispiel nach § 1329 ABGB für ideelle Schäden) nicht von vorneherein aus (Reischauer in Rummel, Anm.3 zu § 1328). Auf jeden Fall gelangt man demnach zu dem von den Vorinstanzen erzielten Ergebnis, daß bei der echten Notzucht auch der Ersatz immaterieller Schäden, demnach auch ein Schmerzengeld für psychisches Ungemach gebührt.

Bei der Feststellung immateriellen Schadens ist die subjektive Berechnung Grundsatz. Es sind Dauer, Intensität des erlittenen Ungemachs, aber auch die psychophysische Situation des Betroffenen, die Beschaffenheit seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit und die Schwankungsbreite seiner Psyche zu berücksichtigen (Reischauer in Rummel, Anm.9 zu § 1329). Insbesondere sind auch die soziale Stellung, die kulturellen Bedürfnisse und die beruflichen Verhältnisse der Verletzten zu berücksichtigen. Die Funktion des Schmerzengeldes besteht im wesentlichen im Aufwiegen von Unlustgefühlen. Diese sind nach der Person des Verletzten zu bewerten, weshalb richtigerweise nur eine subjektive Berechnung in Betracht kommt. Es ist immer auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Vor allem bei Schädigung infolge von Freiheitsberaubung berücksichtigt die Rechtsprechung subjektive Umstände (Reischauer in Rummel, Rdz 46 f zu § 1325).

Mit Recht haben daher die Vorinstanzen auch in Betracht gezogen, daß im vorliegenden Fall die Vergewaltigung der Klägerin nicht praktisch anonym geblieben ist, wie dies in der Regel in einer Großstadt der Fall sein wird, sondern daß der Angriff durch eine Person ihrer unmittelbaren Nachbarschaft erfolgte und dieses Ereignis zur Kenntnis einer kleinen Gemeinde, in der die beiden handelnden Personen allgemein bekannt sind, gelangte, sodaß, wie dies gerade in Landgemeinden häufig der Fall ist, seitens der Bevölkerung Parteinahmen, auch zum Teil gegen die Klägerin, erfolgten, was zu einer weiteren psychischen Belastung der Klägerin führen mußte. Es erweist sich somit, daß das Berufungsgericht bei der Ausmessung des Schmerzengeldes alle sich aus dem Gesetz ergebenden Umstände hinreichend berücksichtigt hat. Geht aber das Berufungsgericht bei der Prüfung der Berechtigung des begehrten Schmerzengeldes von den nach dem Gesetz zu brücksichtigenden Umständen aus, so handelt es sich bei dessen Ausmessung selbst um einen Einzelfall, auf den die Kriterien des § 502 Abs.4 Z 1 ZPO nicht zutreffen. Aus diesem Grunde kann der Oberste Gerichtshof bezüglich der Höhe des vom Berufungsgericht festgesetzten Schmerzengeldes auf dessen Begründung verweisen.

Es ergibt sich sohin, daß keiner der Revisionen Berechtigung zukommt.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 43 Abs.1 und 50 ZPO. Da keine der Parteien mit ihrer Revision Erfolg hatte, waren für die Revisionen keine Kosten zuzusprechen. Dagegen waren der Klägerin die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zuzusprechen, weil diese der erfolgreichen Abwehr der gegnerischen Revision diente.

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