OGH 7Ob19/85

OGH7Ob19/8525.4.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth A, Geschäftsfrau, Wels, Am Bahndamm 42, vertreten durch Dr. Franz Kriftner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei B C, D E, Wien 1., Wipplingerstraße 33, vertreten durch Dr. Otto Philp und Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 187.500 s.A. infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11.Dezember 1984, GZ 1 R 250/84-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 7.August 1984, GZ 28 Cg 181/83-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden in ihrem stattgebenden Teil und im Kostenpunkt dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

'Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen S 187.500 samt 4 % Zinsen seit 1.11.1982 zu bezahlen, wird abgewiesen.' Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 61.050,20

bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 9.405,20

Barauslagen und S 4.695,-- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat bei der beklagten Partei eine Haushaltsversicherung für Haushaltsversicherung (ABH 1976) und die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS 1971) zugrunde liegen. Das Haus Am Bahndamm 42 gehört der Schwiegermutter der Klägerin, die es der Klägerin und ihrem Ehemann zur Nutzung überließ. Es handelt sich um einen freistehenden ebenerdigen Bau, an dessen Westseite ein Holzzubau angefügt ist. Zwischen dem Haus und dem Holzzubau ist im Dachbereich eine Feuermauer nicht vorhanden. Bei einem am 14. September 1982 in dem Holzzubau entstandenen Brand wurde ein Teil der versicherten Gegenstände vernichtet, für die die Klägerin eine Versicherungsleistung in Höhe von S 187.500 s.A. begehrt. Wegen des Brandes wurde der Ehemann der Klägerin wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Feuersbrunst strafgerichtlich verurteilt. Die beklagte Partei beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Gefahrstandspflicht und der vorvertraglichen Anzeigepflicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme eines im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen Zinsenmehrbegehrens statt. Nach seinen Feststellungen besteht die Haushaltsversicherung zur Polizzennummer S 108838/6 seit dem Jahre 1975. Sie wurde im Jahre 1980 durch Erhöhung der Versicherungssumme auf S 400.000,-- geändert. Die Klägerin hatte den Antrag auf Abschluß der Versicherung am 17.Juli 1975 gestellt. Das Antragsformular (Beilage 7) war von einem Angestellten der beklagten Partei ausgefüllt worden, der jedoch das Objekt nicht besichtigt hatte. Der Holzzubau war damals bereits vorhanden, wurde jedoch noch nicht als Betriebsobjekt genutzt. Darüber, ob das Haus in Massivbauweise oder in gemischter Bauweise errichtet ist, sowie über die Baubewilligung wurde bei der Antragstellung nicht gesprochen. Der Angestellte der beklagten Partei kreuzte im Antragsformular die Spalten 'Massivbauweise' und 'Deckung hart' an, weil das Wohngebäude nach dem äußeren Erscheinungsbild in Massivbauweise ausgeführt erschien. Es war ihm und der Klägerin bei der Antragstellung nicht bekannt, daß zum angrenzenden Holzzubau eine Feuermauer nicht vorhanden ist. Bei dem Haus Am Bahndamm 42 handelt es sich um das Elternhaus des Ehemannes der Klägerin. Diese hat im Jahre 1976 eingeheiratet. Das Wohnhaus und der Holzzubau waren um die Jahrhundertwende errichtet worden. Hinsichtlich des Holzzubaues war eine Baubewilligung nie erteilt worden. Es wurden in ihm zunächst Kleintiere gehalten. Im Jahre 1975 wurde der Holzzubau neu instandgesetzt. Er wurde insbesondere doppelwandig neu verschalt. Auch anläßlich dieser Instandsetzungsarbeiten wurde eine Baubewilligung nicht eingeholt. Im Jahre 1975 wurde die Werbe- und Warenhandelsgesellschaft m.b.H. (im folgenden GesmbH) gegründet, deren alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin bis 1980 die Klägerin war. Seit 1980 ist der Ehemann der Klägerin Walter A Geschäftsführer. Die Klägerin ist Einzelprokuristin. Das Unternehmen wird tatsächlich vom Ehemann der Klägerin ohne deren Einflußnahme geführt. Die Ges.m.b.H. benützt den Holzzubau als Betriebsobjekt. Sie beschäftigt sich mit der Herstellung und Beschriftung von Schildern und deren Vertrieb. Sie lagerte im Zeitpunkt des Brandes im Betriebsobjekt Fertig- und Halbfertigfabrikate aus den Grundstoffen Metall, Kunststoff, Holz und Papier, sowie die für die Fertigung erforderlichen Farben und Lösungsmittel. Infolge einer Anrainerbeschwerde wurde im Mai 1982 eine Begehung durch Beamte des Magistrates der Stadt Wels für bau- und feuerpolizeiliche Angelegenheiten durchgeführt. Es wurde festgestellt, daß zwischen Wohnhaus und Holzzubau eine Feuermauer nicht vorhanden ist. Dies war vom Zubau aus erkennbar, da man bei Betreten des Zubaues von diesem in den Dachstuhl hinaufsehen konnte. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wels vom 14.Juni 1982 wurde auf Grund der Oberösterreichischen Feuerpolizeiordnung die Beseitigung diverser Mängel, darunter auch die Errichtung eines brandhemmenden Abschlusses auf Seite des Dachbodens vorgeschrieben. Die Klägerin hatte von der Begehung und dem Bescheid keine Kenntnis. Das Erstgericht verneinte eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht und der Gefahrstandspflicht durch die Klägerin, weil sie weder vom Fehlen der Baubewilligung und der Feuermauer noch von der Begehung und dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wels Kenntnis gehabt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil aus dessen Gründen. Es treffe zwar zu, daß eine verschuldete Unkenntnis gefahrenerheblicher oder gefahrenerhöhender Umstände der positiven Kenntnis gleichzusetzen sei. Der Klägerin falle aber keine verschuldete Unkenntnis zur Last. Es stehe doch fest, daß nach der Renovierung des Zubaues keine weiteren Änderungen vorgenommen worden seien. Auch sei der Holzzubau im Zeitpunkt der Antragstellung bereits vorhanden gewesen. Ein Laie, wie die Klägerin, habe aber das Fehlen der Feuermauer nicht erkennen müssen. Das Berufungsgericht erklärte die Revision für nicht zulässig.

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene außerordentliche Revision der beklagten Partei ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, wann eine verschuldete Unkenntnis gefahrenerheblicher Umstände der positiven Kenntnis gleichzuhalten ist, von den vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung für die Beurteilung dieser Frage als maßgeblich erkannten Kriterien abgewichen ist.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt.

Denselben Zweck wie vertraglich vereinbarte vorbeugende Obliegenheiten nach § 6 Abs 2 VersVG verfolgt auch die Gefahrstandspflicht nach § 23 Abs 1 VersVG, ohne Einwilligung des Versicherers weder eine Erhöhung der Gefahr vorzunehmen noch ihre Vornahme durch einen Dritten zu gestatten. Bei Vorliegen beider Voraussetzungen kann der Versicherer die Leistungsfreiheit aus beiden Gründen in Anspruch nehmen (Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in Der Sachverständige Heft 3/84 6). Im vorliegenden Fall hat sich die beklagte Partei auch auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Gefahrstandspflicht nach § 23 VersVG und somit auf eine sich aus dem Gesetz ergebende Leistungsfreiheit berufen, sodaß das Vorbringen eines Sachverhaltes im Rahmen dieser Gesetzesbestimmung genügte (Petrasch aaO 4, SZ 50/136), und im Rahmen des geltend gemachten Befreiungsgrundes auch überschießende Feststellungen berücksichtigt werden können (JBl 1964, 208; SZ 21/123).

Eine Gefahrenerhöhung im Sinne des § 23 Abs 1 VersVG ist eine nachträgliche Änderung der bei Vertragsabschluß tatsächlich vorhandenen gefahrenerheblichen Umstände, die den Eintritt des Versicherungsfalles oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlicher macht und den Versicherer deshalb vernünftigerweise veranlassen kann, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen (SZ 50/136; Prölss-Martin VVG 23 168). Zufolge des § 29 a VersVG ist einer nach Vertragsabschluß eingetretenen Änderung gefahrenerheblicher Umstände auch eine zwischen Stellung und Annahme des Antrages vorgenommene Gefahrenerhöhung gleichgestellt. Als erhebliche Gefahrenerhöhung im Sinne der §§ 23 f VersVG wurde die Umwandlung eines nur zeitweisen Saalbetriebes einer ländlichen Gastwirtschaft in einen dauernden Gewerbebetrieb, die Lagerung leicht entzündlicher Materialien in einem holzverarbeitenden Betrieb und auch die Benützung eines als Wohngebäude versicherten Hauses zum Betrieb einer Fabrik für chemisch-technische Erzeugnisse angesehen (Prölss-Martin aaO 174, insbes.VersR 1966, 721). Der zuletzt genannte Fall ist dem hier vorliegenden durchaus vergleichbar. Es wurde nach der Antragstellung der an das versicherte Objekt unmittelbar und ohne Vorhandensein einer durchgehenden Feuermauer angrenzende Zubau aus Holz, der bisher nur zur Kleintierhaltung verwendet wurde, der gewerblichen Verwendung zugeführt. Gegenstand des Unternehmens war die Herstellung und Beschriftung von Schildern, wozu Kunststoff, Holz, Papier, Lacke und Verdünnungsmittel, somit leicht brennbare Materialien, verwendet und gelagert wurden. Diese Änderung der Verwendungsart des ohne durchgehende Feuermauer an das versicherte Objekt angrenzenden Holzzubaues stellt eine Gefahrenerhöhung nach § 23 Abs 1 VersVG dar, weil es offensichtlich ist, daß die Gefahr des Ausbruches eines Brandes gegenüber dem früheren Zustand erheblich gesteigert wurde, eine Zustimmung der beklagten Partei nicht vorlag und die Klägerin selbst alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Ges.m.b.H. war.

Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wird nach österreichischer Rechtsauffassung eine Gefahrenerhöhung im Sinne des § 23 Abs 1 VersVG nicht nur bei positiver Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände vorgenommen. Dem Wissen um die Herbeiführung einer Gefahrenerhöhung steht das verschuldete Nichtwissen gleich, wenn dieses so schwer ins Gewicht fällt, daß es wegen der Sinnfälligkeit der Gefahr einer positiven Kenntnis gleichkommt (SZ 52/97 mwN). Bei der Beurteilung dieser Frage kommt der beharrlichen Mißachtung ins Auge fallender Umstände erhebliche Bedeutung zu (JBl 1980, 658; ZVR 1976/82). Diesen Beurteilungskriterien widerspricht aber die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, es liege auf Seiten der Klägerin keine verschuldete Unkenntnis vor. Als Geschäftsführerin der Ges.m.b.H. war die Klägerin gehalten, bei Aufnahme des Betriebes auch für die Einhaltung der feuerpolizeilichen Bestimmungen nach der Oberösterreichischen Brandverhütungsverordnung Vorsorge zu treffen. Bei Anwendung nur geringer Aufmerksamkeit hätte sie das Fehlen einer durchgehenden Feuermauer zwischen dem Wohn- und dem Betriebsgebäude und der dadurch bei der Verwendung leicht brennbarer Materialien bei der gewerblichen Produktion bewirkten Gefahrenlage leicht erkennen können. Wenn die Klägerin dies nicht erkannte, weil sie die tatsächliche Betriebsführung ihrem Ehemann überließ und sich um die Belange des Betriebes nicht weiter kümmerte, stellt dies eine beharrliche Mißachtung ins Auge fallender Umstände dar. Entgegen der Meinung der Vorinstanzen liegt daher eine Verletzung der Gefahrstandspflicht nach § 23 Abs 1 VersVG vor, die die Leistungsfreiheit der beklagten Partei zur Folge hat. Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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