OGH 13Os35/85

OGH13Os35/8528.3.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. März 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller (Berichterstatter), Dr. Schneider, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Stöger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Eduard A wegen des Verbrechens des Diebstahls nach §§ 127 ff. StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengerichts vom 21. März 1984, GZ. 16 Vr 3551/82- 71, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Hauptmann, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 21. März 1984, 16 Vr 3551/82-71, verletzt im Schuldspruch wegen des Vergehens der dauernden Sachentziehung (B) den § 135 Abs.1 StGB

Gemäß § 292 StPO wird das Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch B sowie im Strafausspruch aufgehoben und gemäß §§ 292, 288

Abs.2 Z.3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Eduard A wird von der Anklage, er habe in Salzburg Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, unterdrückt, wobei er mit dem Vorsatz gehandelt habe, zu verhindern, daß die Urkunden im Rechtsverkehr gebraucht werden, und zwar 1. nachts zum 15. Mai 1982 einen Führerschein, einen Zulassungsschein für den Personenkraftwagen S 20.678, eine Kfz-Steuerkarte, eine Kontokarte der Oberbank, sämtliche lautend auf Josef B;

2. am 24. Mai 1982 aus dem Personenkraftwagen des Zivorad C einen österreichischen Führerschein, einen Zulassungsschein und eine Steuerkarte, lautend auf Zivorad C;

3. nachts zum 2. Juli 1982 aus dem Personenkraftwagen des Günter M*** einen Personalausweis, einen Führerschein, einen Zulassungsschein und eine Steuerkarte;

4. nachts zum 4. Juni 1982 aus dem Personenkraftwagen mit dem polizeilichen Kennzeichen S 27.171 dem Günther D einen Zulassungsschein, einen Führerschein, eine Steuerkarte, lautend auf Günther D, sowie einen Führerschein, lautend auf Elfriede E;

5. nachts zum 2. Juni 1982 aus dem Personenkraftwagen des Stefan F einen Ausweis der Offiziersgesellschaft, einen Rettungsschwimmerausweis, eine Kontokarte der Salzburger Sparkasse und eine Sozialversicherungskarte;

6. nachts zum 28. April 1982 aus dem Personenkraftwagen des Paul T*** einen Zulassungsschein, eine Steuerkarte und eine Rundfunkbewilligung;

7. nachts zum 14. April 1982 aus dem Personenkraftwagen des Johann G einen Führerschein;

8. nachts zum 25. Juni 1982 aus dem Personenkraftwagen des Dr. Christian H eine Rundfunkzusatzbewilligung und einen ÖAMTC-Schutzbrief;

9. zwischen dem 24. und dem 26. September 1982 aus dem Personenkraftwagen des Walter I Kraftfahrzeug-Papiere;

10. am 20. August 1982 aus dem Personenkraftwagen des Manfred F*** einen Personalausweis, einen Waffenpaß der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung, einen Führerschein, einen Zulassungsschein sowie eine Steuerkarte und einen deutschen Führerschein, lautend auf Manfred J;

11. am 11. August 1982 aus dem Personenkraftwagen der Christine I*** einen österreichischen Reisepaß, einen Zulassungsschein, eine Reiselegitimation, eine Versicherungskarte, eine Scheckkarte und eine Rundfunkbewilligung;

12. nachts zum 5. August 1982 aus dem Personenkraftwagen des Peter K einen Reisepaß, einen Krankenschein, eine Sozialversicherungskarte, eine Kontokarte der Salzburger Sparkasse, lautend auf Andrea L;

13. nachts zum 1. August 1982 aus dem Personenkraftwagen des Harald

M eine Waffenbesitzkarte, einen österreichischen Führerschein, einen Blutspenderausweis, einen ÖAMTC-Mitgliedsausweis, lautend auf M, sowie einen Zulassungsschein und eine Steuerkarte, lautend auf die Fa. N;

14. nachts zum 26. Juli 1982 aus dem Personenkraftwagen Type Ford-Granada mit dem Kennzeichen W 570.234 einen Schülerausweis und einen Ausweis der O P, lautend auf Daniela Q;

15. nachts zum 27. Juli 1982 aus dem Personenkraftwagen Type Ford-Taunus mit dem Kennzeichen S 25.481 eine Steuerkarte, lautend auf Heinz R;

16. nachts zum 25. Juli 1982 aus dem Personenkraftwagen Type Audi 100 mit dem Kennzeichen S 68.182 eine Scheckkarte des Harald S;

17. nachts zum 18. August 1982 aus dem Personenkraftwagen Type Mercedes 280 D mit dem Kennzeichen T 808 (D) einen Führerschein, ausgestellt vom Landratsamt Altenkirchen mit Freifahrtscheinen der Bundesbahn, einen Krankenversicherungsausweis, einen Dienstausweis der Deutschen Bundesbahn, einen Blutspenderausweis, einen Kraftfahrzeugschein, sämtliche lautend auf Dietman U; er habe hiedurch das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs.1

StGB begangen, gemäß § 259 Z.3 StPO freigesprochen. Zur Neubemessung der Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz abgetreten.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengerichts vom 21. März 1984, GZ. 16 Vr 3551/82-71, wurde der am 4. Dezember 1957 geborene Hilfsarbeiter Eduard A des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs.1, 128 Abs.2, 129 Z.1 und 2, 130, erster Fall, und 15 StGB

(A), des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs.1 StGB (B) sowie des Vergehens der Fälschung öffentlicher Beglaubigungszeichen nach § 225 Abs.2 StGB als Gehilfe nach § 12 StGB (C) schuldig erkannt. über die rechtzeitig angemeldeten und ausgeführten Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten ist noch nicht entschieden worden.

Als dauernde Sachentziehung (B) liegt dem Angeklagten zur Last, vom 14. April 1982 bis zum 26. September 1982 in Salzburg in siebzehn Angriffen andere Personen dadurch geschädigt zu haben, daß er im Zug von Diebstählen aus Personenkraftwagen erbeutete Urkunden (zu ergänzen: und Schriften anderer Natur), wie sie im Urteilsspruch angeführt werden, wegwarf, ohne dabei mit dem Vorsatz zu handeln, den Gebrauch als Urkunden zu verhindern (Bd. II S.597, 605 unten, 606). Eine Schädigung der Berechtigten nahm das Schöffengericht deshalb an, weil mit der Wiederbeschaffung der Dokumente ein Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand in unbekannter, 5.000 S jedoch nicht übersteigender Höhe verbunden sei (Bd. II S.606 oben).

Rechtliche Beurteilung

Der Schuldspruch wegen Vergehens der dauernden Sachentziehung widerspricht dem Gesetz:

Den Tatbeständen der dauernden Sachentziehung (§ 135 StGB) und des Diebstahls (§ 127 StGB) liegt - wie sich aus der übereinstimmenden Bezeichnung des jeweiligen Deliktsobjekts (fremde bewegliche Sache) und aus der Eingliederung beider Tatbilder in den Sechsten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs ('Strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen') ergibt - ein identer Sachbegriff zugrunde (EBRV 1971 S.283). Beweis- und Legitimationsurkunden (sowie Schriften ohne Urkundencharakter in der Bedeutung des § 74 Z.7 StGB) stellen mangels eines Verkehrswerts weder ein geeignetes Diebstahlsobjekt dar noch können sie ein Gegenstand dauernder Sachentziehung sein (SSt 51/21, LSK. 1977/284 u.a.). Der Hinweis des Schöffensenats auf allfällige Wiederbeschaffungskosten vermag daran nichts zu ändern, daß den erwähnten Schriften ein selbständiger Sach- oder Tauschwert nicht zukommt und deren Verlust noch keine Vermögensbeeinträchtigung beim Inhaber bewirkt.

Ein selbständiger Tauschwert kommt keinem der in den Schuldsprüchen B bezeichneten Gegenstände, auch nicht den keineswegs allgemein verwendbaren Fahrausweisen der Wiener Verkehrsbetriebe und der Deutschen Bundesbahn, zu. Da das Gericht den im § 229 StGB vorausgesetzten Gebrauchsverhinderungsvorsatz (obwohl hiefür nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung schlichtes Begleitwissen genügt:

LSK. 1982/112 u.a.) ausdrücklich nicht unterstellt hat (Bd. II S.605,606), scheidet eine Beurteilung nach § 229 StGB auch bezüglich jener Schriften, welche Urkunden im Sinn des § 74 Z.7 StGB

darstellen, aus. Bank- oder Sparkassenkontokarten, Sozialversicherungskarten und Kraftfahrzeugversicherungskarten fallen überhaupt nicht unter den strafrechtlichen Urkundenbegriff

(LSK. 1984/59 = EvBl. 1984/144; JBl. 1984, 566; RZ. 1984/65, LSK.

1982/104 = ZVR. 1983/204, 11 Os 168/84).

Der Schuldspruch wegen Vergehens nach § 135 Abs.1 StGB (B) war daher mangels 'fremder beweglicher Sachen' (Sachen mit Tauschwert) rechtsirrig. Er war in Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs.2 StPO

erhobenen Beschwerde gemäß § 292 StPO aufzuheben und Eduard A vom Anklagevorwurf der Urkundenunterdrückung nach § 229 StGB gemäß §§ 288

Abs.2 Z.3, 259 Z.3 StPO freizusprechen.

Die beiderseitigen Berufungen wurden infolge der Aufhebung des Strafausspruchs gegenstandslos. Es ist sonach eine Strafneubemessung auf der nun eingeschränkten schuldspruchmäßigen Grundlage erforderlich. über die Zuständigkeit für diesen neuen Strafausspruch hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Gemäß § 292 StPO richtet sich das Verfahren auf Grund einer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde im allgemeinen (d.h. soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist) nach den in den §§ 286 Abs.1 bis 3

und 287 bis 291 StPO enthaltenen Vorschriften. § 286 Abs.2 StPO ordnet an, daß der verhaftete Angeklagte vom Gerichtstag mit dem Beisatz in Kenntnis gesetzt werde, daß er nur durch einen Verteidiger erscheinen könne. Eine hievon abweichende Bestimmung findet sich im § 292 StPO nicht; der zweite Satz des § 292 StPO ist (gleich § 286 Abs.1 StPO) nur auf den in Freiheit befindlichen Angeklagten anwendbar. Folglich darf der verhaftete Angeklagte dem Gerichtstag über die Beschwerde nach § 33 Abs.2 StPO nicht beiwohnen, er kann sich dort nur durch einen Verteidiger vertreten lassen.

Eine den jeweils zweiten Sätzen der §§ 294 Abs.5 und 296 Abs.3 StPO sowie dem § 471 Abs.3 StPO sinngemäß angepaßte Regelung (die naturgemäß nicht auf eine Berufung oder Gegenausführung abgestellt sein könnte) fehlt im § 292

StPO Die soeben angeführten Vorführungsmöglichkeiten wurden erst mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1983 BGBl. Nr. 168 eingeführt. Der Gesetzgeber hätte es in der Hand gehabt, eine ähnliche Möglichkeit für den verhafteten Angeklagten in den § 292 StPO einzustellen, zumal im Verfahren über Beschwerden des Generalprokurators nach § 33 Abs.2 StPO Strafneubemessungen nicht selten vorkommen. Allein das Schweigen des Gesetzgebers (1983) in diesem Bereich zeigt dessen Willen, im Geltungsgebiet des § 292 StPO das Vorführungsverbot unverändert zu lassen.

Eduard A sitzt beim Landesgericht Salzburg in Untersuchungshaft ein. Ihm wurde vor der Hauptverhandlung Rechtsanwalt Dr. V als Verfahrenshelfer beigegeben, der auch die Berufung des Angeklagten ausgeführt hat. Gemäß § 41 Abs.2, letzter Satz, StPO gilt die Bestellung auch für das Rechtsmittelverfahren. Damit ist das Verfahren über die ordentlichen Rechtsmittel gegen Urteile (Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung) gemeint, nicht das Verfahren gemäß § 292 StPO über das außerordentliche Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators: Die Materialien zum Verfahrenshilfegesetz BGBl. Nr. 569/1973, dessen Art. III Z.1 dem § 41 Abs.2

StPO die geltende Fassung verliehen hat, geben keinen Hinweis darauf, daß an eine über das ordentliche Verfahren (und Rechtsmittelverfahren) hinausgehende Verfahrenshilfe gedacht war (846 und 916 BlgstenProtNR., 83. Sitzung des NR. S. 7926 ff., alle XIII. GP.; ferner 325. Sitzung des Bundesrats S. 9688 ff.). Infolgedessen sind das 'Interesse der Rechtspflege' und das 'Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung' (§ 41 Abs.2, erster Satz, StPO) systemrichtig nur auf das Verfahren erster Instanz und das anschließende ordentliche Rechtsmittelverfahren zu beziehen. Sonach ergibt sich, daß die Bestellung Dris. V gemäß § 41 Abs.2 StPO nicht für den Gerichtstag über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gilt. Die auffallende Ausklammerung des § 286 Abs.4 StPO aus der Zitierung im § 292 StPO spricht gleichfalls eindringlich gegen die Ausdehnung der Verfahrenshilfe auf den Gerichtstag über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. § 286 Abs.4 StPO normiert die obligatorische Verteidigung in dem über die ordentliche Nichtigkeitsbeschwerde abzuhaltenden Gerichtstag; gerade diese Gesetzesstelle fehlt in der Aufzählung eingangs des § 292 StPO Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Strafprozeßanpassungsgesetzes BGBl. Nr. 423/1974, dessen Art. I Z.91 die geltende Fassung des § 292 StPO eingeführt hat, sagen dazu nichts, weil die Novellierung des § 292 StPO in der Regierungsvorlage noch gar nicht vorgesehen war. Der Bericht des Justizausschusses (1257 BlgstenProtNR. XIII. GP. S.9) erklärt zwar, daß dem Angeklagten (Verurteilten) die Beteiligung an der Verhandlung (§ 292 StPO) vor dem Obersten Gerichtshof ermöglicht werden soll, weil es dort zu einem 'iudicium novum' kommen kann, folgert daraus aber nichts für die Fragen der Verteidigung von Amts wegen und der unentgeltlichen Pflichtverteidigung (vgl. EvBl. 1968 Nr. 136). Die 113. Sitzung des Nationalrats in der XIII. Gesetzgebungsperiode (S. 11200 ff.), der Bericht des Rechtsausschusses des Bundesrats (1222 BlgstenProtBR.) und die 334. Sitzung des Bundesrats (S. 10355 ff.) sind für die hier untersuchte Frage ebenso unergiebig. All das bekräftigt das oben als Wille des Gesetzgebers gewonnene Ergebnis:

Die Verfahrenshilfe soll auf den über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes abzuhaltenden Gerichtstag nicht angewendet werden. Ganz klar bestätigen dies die Entscheidung LSK. 1976/319 und Foregger-Serini, Kurzkommentar zur Strafprozeßordnung 3 (1982) S. 68 oben: Im Verfahren nach §§ 33, 292

StPO kann ein Verteidiger weder nach Abs.2 noch gemäß Abs.3 des § 41 StPO

beigegeben werden.

An dieser Stelle muß freilich auf ein mögliches Mißverständnis aufmerksam gemacht werden. Das Argument, die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes könne eine konkrete Wirkung lediglich zu Gunsten des Angeklagten äußern und deshalb bedürfe es etwa insoweit keiner Verfahrenshilfe, schlägt nicht durch. Gerade der gegenständliche Fall beweist das Gegenteil. Zufolge der gegen das Ersturteil erhobenen Berufung der Staatsanwaltschaft könnte nach dem gemäß § 292 StPO gefällten Teilfreispruch (mit Kassierung des Strafausspruchs) über den Angeklagten eine höhere Strafe als in erster Instanz verhängt werden (siehe § 295 Abs.2 StPO, der ohne Zitierung im § 296

StPO vom Obersten Gerichtshof im Berufungsverfahren nach der letzterwähnten Gesetzesstelle angewendet wird).

Rückt man die Möglichkeit der Strafneubemessung (in ihrer weitesten Bedeutung) in den Blickpunkt, so fällt der Einwand dahin, der bisher dagegen vorgebracht wurde, das Verfahren nach §§ 33 Abs. 2, 292 StPO am Inhalt des Art. 6 MRK. zu messen, nämlich: daß die Beschwerde des Generalprokurators nur die Prüfung einer Rechtsfrage zum Gegenstand habe und diese Prüfung niemals zu einer reformatio in peius führen könne (JBl. 1970 S. 218). Richtig ist, daß die Prüfung der Verletzung oder der unrichtigen Anwendung des Gesetzes (§ 33 Abs. 2 StPO) niemals eine für den Angeklagten (Beschuldigten, Verurteilten) ungünstige konkrete Wirkung nach sich ziehen kann. Dagegen wird als Konsequenz der Feststellung einer Gesetzesverletzung oftmals eine Neubemessung der Unrechtsfolgen notwendig, sodaß nicht gesagt werden kann, das Verfahren auf Grund einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes beschränke sich stets auf die Prüfung einer Rechtsfrage. Die Neubemessung der Unrechtsfolgen wiederum kann aber auch dann, wenn sie nicht zu einer Strafverschärfung (am abstrakten Katalog der Unrechtsfolgen gemessen) führt bzw. nicht dazu führen darf (§§ 290 Abs. 2, 292, Eingangszitat und letzter Satz, 295 Abs. 2 StPO), sich in einem vom Angeklagten (Beschuldigten, Verurteilten) gegenüber seiner Lage zuvor als nachteilig empfundenen Strafausspruch niederschlagen; man denke bloß an die individuell verschiedene Einstellung zu Freiheits- und Geldstrafen (vgl. 13 Os 124, 125/84). Diese überlegungen machen deutlich, daß das Recht des Angeklagten auf Gewährleistung seiner Verteidigung (Art. 6 § 3 lit. c MRK.) jedenfalls im Rahmen der Strafneubemessung auf Grund einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gleichermaßen beachtet werden muß wie sonst im Strafprozeß, d.h.

unter denselben Bedingungen zu sehen ist, die außerhalb des Gerichtstags nach § 292 StPO für die betreffende Verfahrensart (§ 41 Abs. 3 StPO

insbesonders) gelten (siehe die Erk.d.VfGH. v.9.Okt.1982, VfSlg. 9535/1982, und v.3.Dez.1984, AnwBl. 1985 S. 43 ff., wonach die Konvention nicht theoretische oder illusorische Rechte, sondern Rechte garantiert, die Wirksamkeit entfalten).

Gemäß Art.6 § 3 lit.c MRK. hat jeder Angeklagte das Recht, 'sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist'. Anders als in den auf das Verfahrenshilfegesetz 1973 zurückgehenden innerstaatlichen Normen ist im internationalen Geltungsrahmen der Menschenrechtskonvention der Ausdruck 'Interesse der Rechtspflege' im umfassendsten Sinn zu begreifen. 'Sich selbst verteidigen' kann der Angeklagte im Gerichtstag gemäß § 292 StPO nicht; dem steht, wie schon verwiesen, das Vorführungsverbot des in den § 292 StPO

inkorporierten § 286 Abs.2 StPO entgegen. Die Vorkehrungen des österreichischen Strafprozeßrechts für den 'unentgeltlichen Beistand' eines Verteidigers (§ 41 Abs.2 StPO) hinwiederum erfassen den nach § 292 StPO

durchzuführenden Gerichtstag nicht. Indes genießt die Menschenrechtskonvention zufolge Art. II Z.7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 1964, BGBl. Nr. 59, Verfassungsrang. Ihre Gebote, die sich mit denen eines modernen Rechtsstaatverständnisses decken, sind, soweit irgend möglich, durchzusetzen.

Aus dem Gesagten folgt, daß der Oberste Gerichtshof die Neubemessung der über Eduard A zu verhängenden Strafe einer Instanz überlassen muß, vor der sich der Angeklagte nach innerstaatlichem Recht wenigstens von dem für ihn bestellten Verfahrenshelfer vertreten lassen kann (wenn er schon die in §§ 294 Abs.5, 296 Abs.3 StPO statuierte Versäumung des in der Berufung oder Gegenausführung zu stellenden Vorführungsantrags gegen sich gelten lassen muß). Als eine solche Instanz fungiert das Oberlandesgericht. Die Verhandlung über die Strafneubemessung unterscheidet sich dort formal nicht von jener Verhandlung, die über die nun gegenstandslos gewordenen Berufungen abzuführen gewesen wäre. Aus diesem Grund erstreckt sich die Wirksamkeit der Verteidigerbestellung nach § 41 Abs.2, letzter Satz, StPO jedenfalls auf die Verhandlung vor dem Gerichtshof zweiter Instanz über die Strafneubemessung (vgl. die ähnliche Prozeßrechtslage in EvBl. 1982 Nr. 181, letzter Absatz; ebenso 13 Os 44/82). In Ausübung des ihm gemäß § 292, letzter Satz, StPO

eingeräumten Ermessens hat der Oberste Gerichtshof sonach die Akten zum Zweck der Strafneubemessung dem örtlich zuständigen Gerichtshof zweiter Instanz abgetreten.

Eine Rückverweisung der Sache an das Landesgericht kam aus prozeßrechtssystematischen Erwägungen nicht in Betracht. Das Erstgericht ist Tatsacheninstanz. Eine Rückverweisung dorthin kommt nur in Frage, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts noch irgendeine Tätigkeit im Verfahren zu entfalten ist, welche die Prozeßordnung den Tatrichtern vorbehält, mag auch manchmal nach der Rückverweisung dem Erstgericht das Tätigkeitssubstrat vom Ankläger (mittels teilweiser oder gänzlicher Zurückziehung der Anklage) genommen werden.

Darnach war insgesamt wie im Spruch zu erkennen.

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