OGH 1Ob7/85

OGH1Ob7/8520.3.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Wurz, Dr. Gamerith und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz A, Operationsgehilfe, Feldkirchen, Raiffeisenstraße 1, vertreten durch Dr. Christian Moser, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei REPUBLIK ÖSTERREICH, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen S 61.363,42 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 7. Jänner 1985, GZ. 5 R 136/84-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 28. Juni 1984, GZ. 13 Cg 89/84-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.685,-

bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte in seiner auf die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes gestützten Klage den Zuspruch des Betrages von S 64.364,- s.A. Er sei am 23.12.1981 in Graz in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen, bei dem sein PKW Toyota Carina Baujahr 1980 mit dem pol.

Kennzeichen St 1.090 schwer beschädigt worden sei. Er habe gegen die Unfallsgegnerin Daniela B sowie deren Haftpflichtversicherung, die Erste Allgemeine Versicherungs-AG, zu 32 C 189/82 des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz eine Klage auf Bezahlung des Schadens in der Höhe von S 29.760,- überreicht. Er habe in diesem Verfahren vorgebracht, daß er mit seinem Fahrzeug ein Einbiegemanöver bereits beendet hatte und beinahe fahrbahnparallel auf der in Graz stadtauswärts führenden Fahrbahnhälfte der Herrgottwiesgasse gestanden sei, als Daniela B mit ihrem Fahrzeug gegen sein Fahrzeug angestoßen sei. Der im Verfahren beigezogene Sachverständige Dipl.Ing. Dr.Ing. Karl Plankensteiner habe in seinem Gutachten zum Ausdruck gebracht, daß sich an Hand der Schäden ergebe, daß der Anstoßwinkel zwischen den Fahrzeuglängsachsen ca. 40 o betragen habe. Auf Grund dieses Gutachtens des gerichtlich beeideten Sachverständigen sei seiner Darstellung, sein Fahrzeug sei im Zeitpunkt des Zusammenstoßes fahrbahnparallel auf der Straße gestanden, kein Glauben geschenkt und das Klagebegehren abgewiesen worden. Auf Grund des ihm nunmehr vorliegenden Privatgutachtens des Univ.Doz. Dipl.Ing. Dr. Helmut Pötzl ergebe sich, daß die vom gerichtlichen Sachverständigen Dipl.Ing. Dr. Ing. Karl Plankensteiner angenommenen Verzögerungswerte und der Anstoßwinkel unrichtig ermittelt worden seien. Der Privatgutachter komme zum Ergebnis, daß Darstellung des Klägers über den Geschehensablauf zutreffend sei. Der Sachverständige sei im gerichtlichen Verfahren Organ der beklagten Partei.

Die beklagte Partei machte in Ansehung des Teilbetrages von S 3.959,65 s.A. Unzulässigkeit des Rechtsweges geltend. Im übrigen beantragte sie Abweisung des Klagebegehrens. Nach ständiger Rechtsprechung sei der gerichtlich bestellte Sachverständige nicht Organ im Sinne des § 1 Abs 2 AHG, so daß ein allfälliges rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Sachverständigen der beklagten Partei nicht zurechenbar sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren in Ansehung des Teilbetrages von S 3.058,- zurück, im übrigen wies es das Klagebegehren ab. Die beklagte Partei habe für ein von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen im Prozeß erstattetes unrichtiges Gutachten nicht einzustehen, weil der gerichtliche Sachverständige nicht Organ der beklagten Partei sei. Er trete den Parteien nicht als Vertreter des Staates gegenüber, sondern liefere dem Gericht nur die Grundlagen seiner Entscheidung. Erst die Willenserklärung des Gerichtes gelte als Willensäußerung des Staates. Die Bekundungen des Sachverständigen stellten lediglich ein Beweismittel dar. Das Berufungsgericht gab der gegen das Klagebegehren abweisende Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge und erklärte die Revision für zulässig. Es billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision des Klägers kommt Berechtigung nicht zu.

Der Kläger macht geltend, der im gerichtlichen Verfahren herangezogene Sachverständige sei als Organ im Sinne des Amtshaftungsgesetzes anzusehen. Der gerichtliche Sachverständige werde wie der Amtssachverständige vom Gericht bestellt, ohne daß die Parteien hierauf irgend einen Einfluß hätten. Auch eine Ablehnung des gerichtlich bestellten Sachverständigen sei de facto nicht möglich. Der gerichtlich beeidete Sachverständige werde auf Grund eines gerichtlichen Bestellungsaktes innerhalb eines hoheitlichen Verfahrens tätig und sei demnach als Organ im Sinne des § 1 Abs 2 AHG zu betrachten. Die Tätigkeit des gerichtlichen Sachverständigen stehe in einem so engen unmittelbaren inneren und äußeren Zusammenhang mit dem hoheitlichen Verfahren, daß es davon nicht getrennt werden könne.

Diesen Ausführungen ist nicht beizupflichten. Nach ständiger Rechtsprechung ist der gerichtlich bestellte Sachverständige kein Organ im Sinne des § 1 Abs 2 AHG, weil er selbst keine Entscheidung trifft, sondern dem Gericht durch seinen Befund und sein Gutachten lediglich ein Beweismittel liefert (SZ 54/19; RZ 1978/130; RZ 1965, 83; SZ 28/116 mit ausführlicher Begründung). Für den durch ein unrichtiges Gutachten verursachten Schaden haftet der Sachverständige der dadurch betroffenen Prozeßpartei unmittelbar und persönlich (RZ 1978/130; SZ 50/98; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II 190; Welser, Die Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten 79; Welser, NZ 1984, 95). Eine andere Auffassung wird beim sogenannten Amtssachverständigen, also dem einer Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen vertreten, der in der Regel, wenn die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig wird, einem Verwaltungsverfahren beizuziehen ist (§ 52 Abs 1 AVG). In diesem Fall wird Handeln in Vollziehung der Gesetze angenommen (SZ 54/19; EvBl 1972/315). Dem entspricht auch die herrschende Auffassung in der BRD, wo die Eigenhaftung des vom Gericht beauftragten Sachverständigen, wenn auch eingeschränkt auf qualifizierte grobe Fahrlässigkeit, bejaht wird (BGHZ 62, 54, 62; BGHZ 59, 310, 312 ff; Kraft in BGB-RGRK 12 Anm. 90, 143, 517 zu § 839) und Amtshaftung angenommen wird, wo der Sachverständige eine Amtspflicht erfüllt (BGH VersR 1962, 1205) oder seine Tätigkeit ein integraler Bestandteil des behördlichen Verwaltungsverfahrens ist (Papier in Münchener Kommentar § 839 BGB, Rz 82).

Der herrschenden Auffassung sind Vrba-Zechner (Komm. z. Amsthaftungsrecht 115 f; in diesem Sinn auch Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 23 zu § 1299, und Dary, ZfV 1983, 485 ff) entgegengetreten. Auf die Ausführungen Vrba-Zechners stützt sich der Kläger, wenn er geltend macht, die Tätigkeit des Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren sei als Summe von Realakten anzusehen, die in einem solchen unmittelbaren inneren und äußeren Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren stehen, daß sie als Hoheitsakte qualifiziert werden müßten. Der vom Gericht bestellte Sachverständige ist aber, anders als der Amtssachverständige, nicht in den hoheitlichen Meinungsbildungsprozeß eingebunden. Er wird in einem Verfahren herangezogen, für das das Gesetz die hoheitlichen Handlungen der Amtsorgane und die Handlungen der Parteien, der Zeugen und der Sachverständigen deutlich abgrenzt; hoheitlich handelnde Organe und Verfahrensbeteiligte stehen einander gegenüber. Der gerichtlich bestellte Sachverständige wird nach dem Willen des Gesetzes nicht Teil der hoheitlichen Entscheidungsfindung, sondern ist nur Beweismittel (§ 351 Abs 1 ZPO), das trotz des bestehenden Qualifikationsmankos des Richters (so Reischauer aaO) von diesem frei zu würdigen ist und daher nicht die Tätigkeit des Juristen substituiert. Dies ist aber nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der die hoheitliche Tätigkeit nach den rechtstechnischen Mitteln, die das Gesetz zur Verwirklichung der zu erfüllenden Aufgaben bereitstellt, abgrenzt (VFSlg 3262/1957), entscheidend. Der Amtssachverständige ist hingegen noch als Teil der hoheitlich tätigen Behörde anzusehen, da der Wille des Gesetzgebers (§ 53 Abs 1 erster Satz AVG) den Amtssachverständigen den Verwaltungsorganen gleichstellt; beide können nicht abgelehnt werden (§ 7 AVG; Mannlicher-Quell, Das Verwaltungsverfahren 8 I 286). Dies ist nicht nur eine Folge der Nahebeziehung des Amtssachverständigen zur Behörde, sondern hat auch einen Ausschluß der Einflußnahme des Betroffenen auf die Qualität des Sachverständigen zur Folge, der durch die unmittelbare Zuordnung der Tätigkeit des Amtssachverständigen zum Rechtsträger auszugleichen ist. Der Amtssachverständige ist auch nicht im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung tätig, so daß nur die Zuordnung zur Hoheitsverwaltung in Betracht kommt. Das Zurücktreten der Person und die Wesentlichkeit der Amtsfunktion sprechen jedenfalls für die haftungsrechtlich unterschiedliche Behandlung des Amtssachverständigen und des gerichtlich bestellen Sachverständigen. Der erstere ist der Behörde (schon vor Behandlung eines konkreten Falles) 'beigegeben' oder steht ihr (zumindest aus dem Bereich der Bediensteten) 'zur Verfügung'. Sein Wissen (oder Nichtwissen) gilt als das der Behörde, für das dann der Rechtsträger, in dessen Vollziehungsbereich er tätig ist, ebenso einzustehen hat wie für das rechtsanwendende Organ selbst. Der nach § 52 Abs 2 AVG oder mit gerichtlichem Beweisbeschluß bestellte Sachverständige hat sich hingegen selbst schon zuvor durch die Eintragung als allgemein beeideter Sachverständiger oder sonst zu seinem Wissen 'öffentlich bekannt' oder 'ohne Not freiwillig ein Geschäft übernommen' (§ 1299 ABGB), so daß auch seine persönliche Haftung gerechtfertigt ist. Gewiß ist die Abgrenzung hoheitlichen Handelns beim Sachverständigen besonders schwierig und diskutabel, jedoch bieten die bisher vorgetragenen Argumente keine überzeugenden Anhaltspunkte, um von der bisherigen Rechtsprechung, die für den gerichtlich bestellten Sachverständigen die wohl eindeutigen Bestimmungen des § 1299 ABGB und der §§ 351 ff ZPO für sich hat, abzugehen. Der Bund kann also für den mangelnden Wissensstand eines gerichtlich bestellen Sachverständigen nicht verantwortlich gemacht werden. Demzufolge entspricht die Abweisung des Klagebegehrens dem Gesetz, sodaß spruchgemäß zu entscheiden ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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