OGH 7Ob4/85

OGH7Ob4/857.3.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatpräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Wurz, Dr. Warta, und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Dr. Karl Friderich Strobl, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei V*‑AG, *, vertreten durch Dr. Eckhart Fussenegger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 294.618 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. Oktober 1984, GZ 1 R 186/84‑18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 30. April 1984, GZ 1 Cg 42/83‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00004.85.0307.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 9.825,45 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 805,95 an USt. und S 960 an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hatte als Eigentümer eines PKW Marke Rolls Royce bei der Beklagten für die Zeit vom 4. 7. 1981 bis 4. 8. 1981 eine Neuwert‑Teilkaskoversicherung abgeschlossen, die sich ergänzend zu Art. 12 A Abs. 2 der AKIB auch auf Schäden erstreckte, die durch Kollision mit einem unbekannten Fahrzeug entstehen (Beiblatt zur Versicherungspolizze, Polizzenklausel Nr. B 4). Im „Einlageblatt zum Kaskotarif“ mit der Bezeichnung „Neuwertkasko 80“ befindet sich nach den Worten „Kollision mit einem unbekannten Fahrzeug“ der Klammerausdruck „(Parkschaden)“. Am 19. 7. 1981 wurde der PKW des Klägers in N* von einem Fahrzeug überholt und im Zuge dieses Überholvorganges im Bereich der linken hinteren Fahrzeugseite angefahren und beschädigt. Der Lenker des den Unfall verursachenden Fahrzeuges setzte seine Fahrt nach dem Unfall fort, ohne anzuhalten.

Der Kläger begehrt den Zuspruch von S 294.618,65 s.A. für Kosten und Spesen, die ihm im Zusammenhang mit der Behebung des Schadens entstanden seien. Der Schade sei durch ein unbekanntes Fahrzeug verursacht worden. Es sei dem Kläger nicht möglich gewesen, die Type und das Kennzeichen dieses Fahrzeuges festzustellen. Ob ein nachträglich ausgeforschter PKW Marke Porsche mit dem belgischen Kennzeichen * mit jenem Fahrzeug, das den Unfall verursacht habe, ident sei, habe nicht festgestellt werden können. Gegenteilige Angaben im Polizeiprotokoll seien auf Übersetzungsschwierigkeiten oder auf eine unrichtige Protokollierung zurückzuführen. Die Beklagte wäre aber auch dann leistungspflichtig, wenn das Kennzeichen und der Halter des den Unfall verursachenden Fahrzeuges bekannt wären. Eine dem Zweck des Versicherungsvertrages und der Absicht der Parteien entsprechende Vertragsauslegung ergäbe nämlich, daß das versicherte Risiko keinesfalls nur die Kollision mit einem unbekannten Fahrzeug, sondern in erster Linie die Haftung für solche Unfallschäden sei, bei denen eine Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem schuldtragenden Fahrzeuglenker oder Fahrzeughalter ausgeschlossen sei. Dies treffe auch dann zu, wenn zwar der Fahrzeughalter ausgeforscht werden könne, der Unfall jedoch im Zuge einer nicht versicherten Schwarzfahrt verursacht worden sei, der schuldtragende Lenker unbekannt sei und weder eine Haftung des Fahrzeughalters, noch seiner Haftpflichtversicherung bestehe.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage und wendet ein, der Kläger sei nach dem Protokoll der Polizei in N* in der Lage gewesen, das den Schaden verursachende Fahrzeug genau zu beschreiben. Die Kollision sei nicht durch ein unbekanntes Fahrzeug verursacht worden, so daß Leistungspflicht der Beklagten nicht gegeben sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf zusätzlich zu dem außer Streit stehenden Sachverhalt folgende Feststellungen:

Das den Unfall verursachende Fahrzeug war ein PKW Marke Porsche mit der Farbe blau‑metalisé und dem belgischen Kennzeichen *. Der Lenker dieses PKW Porsche, ein etwa 35 bis 40 Jahre alter Mann, Brillenträger, blonde Haare und ordentlich gekleidet, hielt sein Fahrzeug nach dem Verkehrsunfall nicht an, sondern ergriff die Flucht. Eine dem Kläger nur mit dem Vornamen „Daniel“ bekannte Person nahm von der Unfallstelle weg die Verfolgung auf und fand den Wagen auf einem Parkplatz in V*, wo er von dem flüchtigen Lenker zurückgelassen worden war. Auf Grund der sodann eingeholten Erkundigungen konnte festgestellt werden, daß dieser Sportwagen, mit welchem der Verkehrsunfall verursacht worden war, dem C*, wohnhaft in * (Belgien), am 9. 7. 1981 in C* gestohlen worden war. Die Beklagten hat den Ersatz der unfallskausalen Schäden aus dem genannten Versicherungsvertrag abgelehnt.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, das gegnerische Fahrzeug habe nach Marke, Farbe, behördlichem Kennzeichen und Halter identifiziert werden können. Der Schade des Klägers sei daher nicht durch die Kollision mit einem unbekannten Fahrzeug entstanden. Der eindeutige Wortlaut der Vertragsbestimmung erlaube nicht, einen Versicherungsschutz des Klägers aus einem an diesem Wortlaut völlig „vorbeikonstruierten“ Vertragszweck abzuleiten.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen Rechtsansicht. Es sei generell nicht üblich, bei Teilkaskoversicherungen Unfallschäden abzudecken. Eine Ausweitung des vereinbarten Versicherungsschutzes im Wege der Auslegung, wie sie vom Kläger angestrebt werde, sei nicht zulässig. Es bestehe ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem Fall, in dem das den Schaden verursachende Fahrzeug überhaupt nicht erkannt werde, und jenem, in dem zwar das Fahrzeug und dessen Halter festgestellt werde, nicht aber der unmittelbar verantwortliche Schädiger.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und beantragt, es im klagestattgebenden Sinn abzuändern, allenfalls es aufzuheben und die Rechtssache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

In der Revision wird ausgeführt, es handle sich bei dem „Einlageblatt zum Kaskotarif“ um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, deren objektiver Aussagewert nach den Regeln für die Auslegung von Verträgen unter Heranziehung der §§ 914 und 915 ABGB zu ermitteln sei. Der Vertragsbestimmung liege offenkundig die Absicht der Beklagten zugrunde, in allen jenen Fällen Versicherungsschutz zu gewähren, in denen eine Haftung des unfallverursachenden Lenkers eines anderen Fahrzeuges nicht geltend gemacht werden könne, weil dieser unbekannt sei. Dies treffe aber nicht nur auf jene Fälle zu, in denen das den Unfall verursachende Fahrzeug unbekannt geblieben sei, sondern auch auf solche, in denen zwar das unfallverursachende Fahrzeug und dessen Halter ausgeforscht, eine Haftung jedoch nicht geltend gemacht werden könne, weil das Fahrzeug zum Unfallszeitpunkt von einer dritten Person gelenkt wurde, die zur Inbetriebnahme nicht befugt gewesen sei.

Der Oberste Gerichtshof vermag sich dieser Ansicht ebensowenig anzuschließen wie die Vorinstanzen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der seinerzeit ausgesprochene Grundsatz, Versicherungsbedingungen seien wie Gesetze auszulegen (SZ 49/101 ua.), aufrecht erhalten werden kann, oder ob Allgemeine Versicherungsbedingungen als allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 914 f ABGB) zu behandeln sind (vgl. 7 Ob 17/84; vgl. auch Ertl in RZ 1973, 119 ff, sowie Rummel in Rummel, ABGB, Rdz 4 zu § 914), weil das Ergebnis des vorliegenden Rechtsstreites hiedurch nicht beeinflußt wird.

Wie bei der Gesetzesauslegung hat auch bei der Vertragsauslegung die wörtliche Auslegung, das ist die Auslegung nach dem Sprachgebrauch, am Anfang des Interpretationsvorganges zu stehen. § 914 ABGB betont insoferne nur die Selbstverständlichkeit, daß Buchstabeninterpretation der Ermittlung der Absicht der Parteien nicht im Wege stehen darf (Rummel aaO).

Die Bestimmung des „Beiblattes zur Versicherungspolizze“ und des „Einlageblattes zum Kaskotarif“, wonach sich die Versicherung auch auf Schäden erstreckt, die durch Kollision mit einem unbekannten Fahrzeug (Parkschaden) entstehen, ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eindeutig und durchaus unmißverständlich. Ein Schade ist dann durch ein unbekanntes Fahrzeug verursacht, wenn nicht bekannt ist, welches (weitere) Fahrzeug (außer dem versicherten) an der Kollision beteiligt war, welche Marke und welches behördliche Kennzeichen es hatte. Ein bekanntes Fahrzeug wird nicht dadurch zu einem „unbekannten“, daß es zur Unfallszeit in unbefugter Weise von einer unbekannten Person ohne den Willen des Halters benützt wurde. Die Polizzenklausel Nr. B 4, Punkt I, dahin verstehen zu wollen, daß sich die Versicherung nicht nur auf Schäden erstreckt, die durch Kollision mit einem unbekannten Fahrzeug, sondern auch auf Schäden, die durch Kollision mit einem bekannten Fahrzeug entstehen, das durch einen unbefugten und unbekannten Lenker benützt wird (ohne daß der Halter die Benützung seines Fahrzeuges schuldhaft ermöglichte; § 6 EKHG), hieße, den Versicherungsschutz geradezu entgegen dem Wortsinn der genannten Versicherungsvertragsbestimmung auszudehnen. Eine derartige Ausdehnung des Versicherungsschutzes kann deshalb auch keinesfalls dem Zweck des Versicherungsvertrages und der Absicht des Versicherers unterstellt werden. Es handelt sich bei den Schäden am Fahrzeug des Klägers im übrigen um reine Unfallschäden, wie sie durch Art. 11 A I 2 e der KIB erfaßt sind (Vollkaskoversicherung), so daß gar kein Bedürfnis besteht, die besprochene Polizzenklausel in dem vom Kläger angestrebten erweiterten Sinn entgegen ihrem Wortlaut auszulegen. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob durch diese Klausel Unfallschäden wie jene des Klägers überhaupt (unter der Voraussetzung, daß das gegnerische Fahrzeug tatsächlich unbekannt ist) gedeckt werden sollen. Nach der in der genannten Klausel vorgenommenen Wortwahl („Kollision“ anstelle von „Unfall“) und nach dem im „Einlageblatt zum Kaskotarif“ aufscheinenden Klammerausdruck „(Parkschaden)“ erscheint dies durchaus nicht selbstverständlich. Denn nach allgemeinem Sprachgebrauch haben die innerhalb einer Klammer einem verwendeten Ausdruck nachfolgenden Wörter regelmäßig die Aufgabe, diesen Ausdruck näher zu erläutern und dessen Inhalt zu verdeutlichen und abzugrenzen (Arb. 9204).

Da der Schaden des Klägers vom Versicherungsschutz nicht erfaßt wird, haben die Vorinstanzen das Klagebegehren mit Recht abgewiesen. Der Revision mußte deshalb ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte