OGH 7Ob17/84

OGH7Ob17/8419.4.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W***** Versicherungsanstalt, *****, vertreten durch Dr. Kurt Heller, Rechtsanwalt in Wien, wegen 797.509 ATS sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Jänner 1984, GZ 4 R 236/83‑25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. September 1983, GZ 14 Cg 110/82‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00017.840.0419.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Berufungsgerichts zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin zu Handen des Vinkulargläubigers der Traglufthalle N***** der A***** Ges.m.b.H., *****, den Betrag von 444.160 ATS samt 11,75 % Zinsen aus 1.072.000 ATS vom 1. Juli 1981 bis zum 31. Dezember 1981 und aus 444.160 ATS seit 1. Jänner 1982 sowie zu Handen der Klägerin auf ihr Konto Nr ***** bei der Niederösterreichischen Sparkasse ***** den Betrag von 353.349 ATS samt 11,75 % Zinsen aus 868.300 ATS vom 1. Juli 1981 bis zum 31. Dezember 1981 und aus 353.349 ATS seit dem 1. Jänner 1982 sowie die Prozesskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 99.797,24 ATS bestimmten Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens (darin 4.700 ATS Barauslagen und 7.044,24 ATS Umsatzsteuer), die mit 26.564,14 ATS bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 2.600 ATS Barauslagen und 1.978,64 ATS Umsatzsteuer) sowie die mit 16.916,70 ATS bestimmte Kosten des Revisionsverfahrens (darin 2.400 ATS Barauslagen und 1.319,70 ATS Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Im Jänner 1981 wurden durch einen Sturm zwei der Klägerin gehörige, bei der Beklagten gegen Sturmschäden versicherte Traglufthallen beschädigt. Die Beklagte hat einen Teil der Schäden ersetzt, verweigert jedoch unter Hinweis auf die dem Vertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Bedingungen für die Sturmschadenversicherung (AStB) den Ersatz des Restes, nämlich 444.160 ATS sA für die eine Halle und 353.349 ATS sA für die zweite Halle.

Nach Art 2 Abs 4 der AStB erstreckt sich die Versicherung bei Gebäuden, soweit nichts anderes vereinbart ist, auf den Bauwert. Nach Art 8 ist bei Gebäuden und deren Inhalt, die zu industriellen oder gewerblichen Betrieben oder zu einer Landwirtschaft gehören, die Entschädigungsleistung unter Bedachtnahme auf eine allenfalls bestehende Unterversicherung mit höchstens 50 % der Versicherungssumme der vom Schaden betroffenen Post begrenzt.

Die „Gruppierungserläuterungen“ zu den Versicherungsbedingungen wurden der Klägerin nicht bekanntgegeben.

Strittig ist im vorliegeden Fall lediglich, ob Traglufthallen als Gebäude im Sinne Art 8 AStB anzusehen sind und sich daher die Entschädigungssumme auf 50 % reduziert. Diesbezüglich haben die Untergerichte festgestellt, dass in dieser Richtung zwischen den Parteien nichts gesprochen worden ist. Der Vertreter der Klägerin hat erklärt, er wollte volle Deckung für Feuer‑ und Sturmschäden an den Traglufthallen. Er kannte Art 8 AStB, jedoch ebenfalls ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs (Zl 1879/73–11), demzufolge es sich bei Traglufthallen um keine Gebäude handelt.

Die Vorinstanzen haben dem Klagebegehren auf Zahlung von 797.509 ATS sA stattgegeben und den Standpunkt vertreten, nach allgemeinem Sprachgebrauch könne man Traglufthallen nicht als Gebäude ansehen, sodass für die beiden Hallen der volle Wert zu ersetzen sei.

Die von der Beklagten gegen das Urteil des Berufungsgerichts wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Es kann dahingestellt bleiben, ob der seinerzeit ausgesprochene Grundsatz, Versicherungsbedingungen seien wie Gesetze auszulegen, noch aufrechterhalten werden kann oder nicht, weil man sowohl in diesem Falle als auch im Falle der Behandlung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen als allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 914 f ABGB) zum selben Ergebnis, nämlich zur Verneinung des Klagsanspruchs gelangt. Es mag fraglich sein, ob im allgemeinen Sprachgebrauch Traglufthallen als Gebäude anzusehen sind oder nicht. Dass der Verwaltungsgerichtshof solchen Einrichtungen die Qualifikation als Gebäude in einem Verfahren betreffen die Erteilung einer Baubewilligung versagt hat, besagt bezüglich der Behandlung im Versicherungsrecht wegen der anders gelagerten Rechts‑ und Interessenlage nichts. Immerhin werden im allgemeinen in der Sachversicherung Traglufthallen als Gebäude behandelt ( Martin , Sachversicherungsrecht, 393). Diesbezüglich beinhaltet zwar die Sturmschadenversicherung eine Ausnahme, weil nach den Gruppierungserläuterungen (Beilage ./11) Traglufthallen nicht zu den Gebäuden gehören. Diese wären dann als im Freien befindliche bewegliche Sachen zu betrachten und als solche nach Art 2 Abs 3 lit b AStB überhaupt nicht gegen Sturmschäden versicherbar. Es ist daher begreiflich, dass die Beklagte die Gruppierungserläuterungen nicht der Klägerin mitgeteilt und sie daher nicht zum Gegenstand der Versicherung gemacht hat, weil die Klägerin ausdrücklich den Wunsch äußerte, ihre Traglufthallen gegen Sturmschäden zu versichern. Demnach musste der entsprechende Ausschluss in den Gruppierungserläuterungen entfallen. Andererseits musste aber jedem Leser der Versicherungsbedingungen klar sein, dass bewegliche Sachen, die sich im Freien oder auf dem Transport befinden, von der Versicherung nicht umfasst werden. Demnach konnte eine Versicherung der ansonsten als im Freien befindliche bewegliche Sachen zu wertenden Traglufthallen nur dadurch erfolgen, dass man diese als Gebäude behandelte. Andernfalls wäre eine Versicherung nach dem AStB gar nicht möglich gewesen. Dieser Schluss ist bei einem Studium der AStB derart zwingend, dass eine besondere Aufklärung nicht geboten war. Vor allem konnte ein unbefangener Leser nicht annehmen, dass für gewerblich genutzte Gebäude nur ein verminderter Versicherungsschutz geleistet werde, dagegen bei Traglufthallen, also bei Einrichtungen, die in einem wesentlich größeren Ausmaß der Sturmgefahr ausgesetzt sind als feste Häuser, die also ein wesentlich größeres Versicherungsrisiko bieten, unter Zugrundelegung der auch für Häuser geltenden Versicherungsbedingungen ein wesentlich weitergehender Versicherungsschutz geleistet werde. Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin eine andere Auffassung, falls diese wirksam werden sollte, zum Ausdruck bringen müssen. Dies hat sie nach den getroffenen Feststellungen unterlassen. Sie hat auch nicht auf das ihr bekannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs verwiesen, weshalb die Beklagte nicht gehalten war, auf die wesentlich verschiedene Rechts- und Interessenlage hinzuweisen.

Auch wenn man die Versicherungsbedingungen wie Gesetze auslegt, so sind bei deren Auslegung die oben angestellten Erwägungen heranzuziehen, was zu demselben Ergebnis führen würde.

Da unbestritten ist, dass die Beklagte jene Zahlungen bereits geleistet hat, die der Klägerin unter Zugrundelegung der Wertung der Traglufthallen als Gebäude zustehen, erweist sich das Klagebegehren als nicht gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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