OGH 2Ob514/84

OGH2Ob514/8429.1.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Catherine ***** L*****, vertreten durch das Bezirksjugendamt für den 2. Bezirk, Karmelitergasse 9, 1020 Wien, diese vertreten durch Dr. Walter Schuppich, Dr. Werner Sporn, Dr. Michael Winischhofer und Dr. Martin Schuppich, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Jean ***** B*****, vertreten durch den Kurator Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Vaterschaft und Unterhalt, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Oktober 1983, GZ 43 R 2108/83-81, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt vom 28. Dezember 1979, GZ 37 C 117/74-57, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte hat der Klägerin die mit 4.918,65 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 447,15 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

In der am 11. 11. 1974 beim Erstgericht eingelangten Klage wird die Fällung des Urteils begehrt, der Beklagte werde als Vater der am 20. 9. 1973 unehelich geborenen Catherine ***** L***** festgestellt und zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 3.000 S verpflichtet. Nach dem Klagsvorbringen hat der am 30. 7. 1930 in Troys, Frankreich geborene Beklagte der am 10. 5. 1945 geborenen Mutter des klagenden Kindes innerhalb der kritischen Zeit vom 20. 11. 1972 bis 24. 3. 1973 geschlechtlich beigewohnt.

Der Beklagte, dem die Klage und die Ladung zur mündlichen Streitverhandlung vom 29. 1. 1975 eigenhändig zugestellt worden war (ON 4), erschien zu dieser Verhandlung nicht und leistete auch der sodann für den 26. 11. 1975 erfolgten Vorladung vor das ersuchte zuständige Rechtshilfegericht in Frankreich nicht Folge (ON 17). Eine vor das Erstgericht erfolgte, am 17. 10. 1977 persönlich übernommene (AS 85b) Vorladung zur Streitverhandlung vom 15. 11. 1977 beantwortete er dahin, dass er sich für diesen Termin wegen beruflicher Unabkömmlichkeit entschuldige und die Behauptungen der Kindesmutter bestreite, „zumal er nur ein Freund unter vielen anderen gewesen“ sei und die Kindesmutter „ein ausgesprochen freies Junggesellenleben geführt“ habe (ON 35a).

Nachdem das Erstgericht am 19. 6. 1978 zu ON 40 den Beschluss gefasst hatte, zur Frage eines Ausschlusses des Beklagten von der Vaterschaft ein Sachverständigengutachten über die Verteilung der Blutmerkmale einzuholen, richtete es Rechtshilfeersuchen an die zuständigen ausländischen Gerichte um Veranlassung der Blutabnahme. Der Beklagte leistete den für den 12. 10. 1978 und 19. 10. 1978 erfolgten Ladungen vor den Ausländischen Sachverständigen (ON 52) sowie auch den Ladungen der zuständigen französischen Behörde zwecks Zustellung der für den 13. 12. 1979 vor dem Erstgericht anberaumten Streitverhandlung nicht Folge, ohne den Grund seines Fernbleibens anzugeben (ON 61).

Mit Urteil vom 28. 12. 1979 gab das Erstgericht der Klage statt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen einer Urteilszustellung bestellte es mit Beschluss ON 69 vom 13. 6. 1983 den Rechtsanwalt Dr. Georg Mittermayer, Wien, zum Kurator des Beklagten und übermittelte diesem eine Urteilsausfertigung.

Der vom Kurator erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht nicht Folge.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich die Revision des Beklagten aus dem Grunde der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Antrage auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückverweisung der Rechtssache an die Unterinstanzen, in eventu auch auf Abänderung im Sinne der Klagsabweisung.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht fällte seinen Urteilsspruch auf der Grundlage folgender, für das Revisionsverfahren erheblicher Sachverhaltsfeststellungen: Die Klägerin Catherine ***** L***** wurde am 20. 9. 1973 von Eva ***** L***** unehelich geboren. Die Empfängnisfrist des § 163 ABGB liegt zwischen dem 20. 11. 1972 und 24. 3. 1973. Innerhalb dieser Zeit hatte der Beklagte der Kindesmutter wiederholt beigewohnt. Diese hatte während des genannten Zeitraums mit keinem anderen Mann Geschlechtsverkehr. Hinsichtlich der vergeblichen Versuche, zwecks Durchführung des Blutgruppenbeweises beim Beklagten eine Blutabnahme zu erreichen, verwies das Erstgericht auf die ihm vom Bundesministerium für Justiz erstattete Mitteilung vom 11. 7. 1979, wonach das französische Recht einen Zwang zur Blutabnahme nicht kenne und ein solcher Zwang gegen den französischen ordre public verstoße. Freiwillig sei der Beklagte trotz mehrmaliger eingeschriebener Aufforderung durch das Oberinstanzgericht Evry-Corbeil, zur Blutabnahme nicht erschienen. Die Einholung eines serologischen Gutachtens sei somit unmöglich gewesen.

In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Erstgericht auf die Bestimmung des § 163 ABGB, nach welcher die Vaterschaft eines Mannes zu einem unehelichen Kind vom Gesetz vermutet wird, wenn er der Kindesmutter innerhalb des Zeitraums von 302 bis 182 Tagen vor der Entbindung beigewohnt hat. Diese Vermutung kann der Mann durch den Beweis einer solchen Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft entkräften, welche unter Würdigung aller Umstände gegen die Annahme spricht, dass er das Kind gezeugt hat. Weiters auch durch den Beweis, dass seine Vaterschaft unwahrscheinlicher als die eines Mannes ist, für den die Vermutung ebenfalls gilt.

Vorliegendenfalls sei festgestellt, dass der Beklagte der Kindesmutter innerhalb des genannten Zeitraums beigewohnt habe. Anhaltspunkte dafür, dass dies auch hinsichtlich eines anderen Mannes der Fall gewesen sei, hätten sich im Beweisverfahren - es wurden außer der Kindesmutter mehrere Zeugen über die langjährige Beziehung der Kindesmutter zum Beklagten und über die Lebensverhältnisse der Erstgenannten einvernommen - nicht ergeben. Gemäß Art V Z 5 UeKindG BGBl 1970/342 seien zwar alle für die Entscheidung wichtigen Tatsachen von Amts wegen aufzuklären, doch finde dieser Grundsatz hier insoweit seine Grenze, als einerseits eine zwangsweise Blutabnahme beim Beklagten, einem französischen Staatsbürger, vom französischen Recht abgelehnt werde und er andererseits trotz der Kenntnis von der Anhängigkeit des Verfahrens und der Übernahme von Ladungen hiezu sich an diesem nicht beteiligt habe. Durch ein solches Verhalten dürfe die Durchsetzung des Anspruchs auf die Feststellung der Vaterschaft nicht verhindert werden.

Das Berufungsgericht hielt die vom Beklagten allein erhobene Mängelrüge nicht für gerechtfertigt. Es verwies auf die dem Beklagten persönlich zugestellte Klage und die von ihm persönlich übernommenen Ladungen vor das Erstgericht und das französische Rechtshilfegericht, sowie die Vorladungen eines französischen medizinischen Sachverständigen, welchen er nicht entsprochen habe. In dem seit dem Jahre 1974 anhängigen Verfahren sei ihm somit jedenfalls hinreichend Gelegenheit geboten worden, seinen den Klagsanspruch bestreitenden Standpunkt darzulegen, Behauptungen aufzustellen und Beweismittel anzubieten. Unter diesen Umständen könne darin, dass es mehrmals nicht gelungen sei, ihm Ladungen zu Tagsatzungen zuzustellen, kein Verfahrensmangel erblickt werden. Da die Adresse des Beklagten während des gesamten Verfahrens bekannt gewesen sei, habe auch kein gesetzlicher Grund bestanden, für ihn schon in einem früheren Stadium einen Kurator zu bestellen. Diese Notwendigkeit sei erst aufgrund der Mitteilung des französischen Justizministeriums vom 21. 8. 1980 (ON 62), also nach Urteilsfällung, eingetreten, zumal sich erst aus dieser Mitteilung ergeben habe, dass sich der Beklagte nicht mehr ständig an der bisherigen Anschrift aufhalte. Die Anwendung von Beugestrafen gegen den Beklagten bzw die Anordnung seiner zwangsweisen Vorführung durch das Erstgericht wäre im Hinblick auf die mangelnde Durchsetzbarkeit im Ausland von vornherein aussichtslos gewesen. Gemäß dem im Verhältnis zu Frankreich anzuwendenden Art 11 Abs 1 des Haager Prozessübereinkommens BGBl 1957/91 brauche das persönliche erscheinen der Streitteile vor dem Rechtshilfegericht auch nicht erzwungen werden. Direkter Zwang verstoße zudem gegen den französischen ordre public, sodass derartige Rechtshilfeersuche, insbesondere auch im Zusammenhang mit einer zwangsweisen Blutabnahme, von den französischen Behörden abgelehnt würden. Darüberhinaus habe das Erstgericht in seinem Rechtshilfeersuchen ON 53 ohnehin, wenngleich erfolglos, auch solche Maßnahmen versucht.

In der Revision wird vorgebracht, das Vorliegen der behaupteten erstgerichtlichen Verfahrensmängel sei vom Berufungsgericht zu Unrecht verneint worden. Gemäß Art V Z 6 UeKindG müsse eine Partei, deren Anwesenheit zur Feststellung des Sachverhalts erforderlich erscheine, bei Nichtbefolgung der Ladung unter Verhängung von Ordnungsstrafen erneut geladen und bei wiederholtem Ausbleiben zwangsweise vorgeführt werden. Zufolge des Untersuchungsgrundsatzes habe das Gericht jedenfalls dafür zu sorgen, dass alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände vollständig aufgeklärt würden. Ohne Vernehmung des Beklagten sei dieser Gesetzesauftrag vorliegendenfalls nicht erfüllt. Nach der Zustellung der Klage und Ladung für den 29. 1. 1975, somit seit 9 Jahren, sei die Verbindung zwischen dem erkennenden Gericht und dem Beklagten endgültig abgerissen. Die vorgenannten wie die weiteren Zustellungen hätten auch nicht den Bestimmungen der Art 5 ff des Haager Prozessübereinkommens entsprochen, sodass keine ordnungsgemäße Ladung vorliege. Schließlich hätte schon während des Verfahrens für den Beklagten ein Kurator bestellt werden müssen, da es evident sei, dass er seine Rechte selbst nicht wahrnehmen habe können. Lediglich wegen der angeführten Verfahrensmängel sei der Beklagte somit nicht in der Lage gewesen, den Beweis zu erbringen, dass er nicht Vater der Klägerin sei bzw dass seine Vaterschaft zumindest unwahrscheinlicher erscheine als die eines anderen Mannes.

Den Revisionsausführungen kann nicht gefolgt werden.

Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Streitigkeiten über die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind im Hinblick auf den dieses Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatz die neuerliche Geltendmachung der schon vom Berufungsgericht verneinten angeblichen Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens im Revisionsverfahren zulässig (RZ 1965, 99; ÖAmtsVmd 1981, 82; zuletzt etwa 3 Ob 505/82, 3 Ob 603/84). Die vom Revisionswerber behauptete Mangelhaftigkeit der unterinstanzlichen Prozessführung ist jedoch nicht gegeben.

Auch in einem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahren kann in dem Unterbleiben von Beweisaufnahmen eine Verletzung des pflichtgemäßen Ermessens zur amtswegigen Wahrheitsforschung dann nicht erblickt werden, wenn der Beweisführer durch sein Verhalten die Aufnahme zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlicher Beweise vereitelt. Der Untersuchungsgrundsatz findet nämlich dort seine Grenze, wo eine Weitere Beweisaufnahme sich als praktisch nicht durchführbar erweist (7 Ob 561/80). Auch im Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kinde ist das Prozessgericht demgemäß nicht verpflichtet, die wegen Nichtbefolgung von Ladungen, Aufenthaltungsänderungen und Abwesenheit erfolglosen Vernehmungsversuche ohne Ende fortzusetzen (3 Ob 623/80). Die Erreichung des Verfahrensziels ist höher zu werten als die Bedachtnahme auf Tatbestände, deren Ermittlung überhaupt fraglich geworden ist (6 Ob 508/84). Die Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes liegt letztlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Nur wenn die Grenzen dieses pflichtgemäßen Ermessens verkannt werden, stellt die Unterlassung weiterer Beweisaufnahmen einen Verfahrensmangel dar (SZ 49/34; 5 Ob 506/84; 4 Ob 515/84 ua). Von einer solchen rechtsirrtümlichen Ermessensanwendung durch die Unterinstanzen kann vorliegendenfalls aber entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht die Rede sein.

Die Revisionsausführung, eine Partei, welche gerichtliche Ladungen wiederholt nicht befolge, müsse gemäß Art V Z 6 UeKindG zwangsweise vorgeführt werden, übersieht, dass das Erstgericht ein solches Ersuchen an das zuständige ausländische Gericht ohnehin gerichtet hat (ON 53), dieses jedoch nach Nichtbefolgung seiner Vorladungen durch den Beklagten die zwangsweise Vorführung, insbesondere auch zur Blutabnahme, nicht anordnete. Der Grund hierfür liegt offenkundig (vgl Art 11 Abs 1 des Haager Prozessübereinkommens) auch darin, dass es den Beteiligten nach französischem Recht freisteht, die Blutabnahme zu verweigern (siehe Ferid, Das französiche Zivilrecht II, 1319; Madlener, Das französische Unehelichenrecht, 104 f; 238, FN 1052), auf welche Rechtslage die Unterinstanzen, gestützt auf die im Akt erliegende Mitteilung des Bundesministeriums für Justiz vom 11. 7. 1979, grundsätzlich hingewiesen haben. Demnach war aber insoweit eine Aufklärung der Tatumstände allein infolge des Verhaltens des Beklagten nicht möglich. Die weitere Revisionsbehauptung, mit der Klagszustellung vor 9 Jahren sei die Verbindung zwischen dem erkennenden Gericht und dem Beklagten abgerissen, ist unzutreffend, zumal der Beklagte am 17. 10. 1977 die Ladung zur Streitverhandlung vom 15. 11. 1977 persönlich übernommen hatte und ihm auch spätere, über Ersuchen des Erstgerichts erfolgte, Vorladungen durch das französische Rechtshilfegericht zukamen, welchen er allerdings, wie dargelegt, nicht Folge leistete. Inwieweit die durch die Post bzw durch das französische Rechtshilfegericht erfolgten Zustellungen nicht den Zustellvorschriften des Haager Prozessübereinkommens BGBl 1957/91 entsprochen haben sollten, wird in der Revision nicht näher ausgeführt und ist auch nicht erkennbar. Der Beklagte hat zwei vom Erstgericht per Post an ihn gerichtete Zustellungen persönlich übernommen (siehe Art 5, 6 des zitierten Übereinkommens), weitere Zustellungen erfolgten durch das französische Rechtshilfegericht (siehe Art 2, 3 des Übereinkommens). Dass dieses Rechtshilfegericht, insbesondere auch im Hinblick auf den Wohnsitz des Beklagten, nicht zuständig gewesen wäre, wurde gar nicht behauptet. Erst anlässlich des erstgerichtlichen Ersuchens um Urteilszustellung (ON 58) teilte das Rechtshilfegericht in der Note vom 21. 8. 1980 mit (ON 62), dass die zuzustellenden Schriftstücke rückgemittelt würden, weil der Beklagte „derzeit in Marokko wohnt (Adresse unbekannt)“. Entsprechend der Vorschrift des § 121 Abs 2 ZPO wurde hierauf für den persönlich nicht mehr erreichbaren Beklagten ein Kurator iSd § 116 ZPO bestellt und diesem das erstgerichtliche Urteil übermittelt. Auch eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens wegen verspäteter Kuratorbestellung ist daher nicht gegeben.

Da der behauptete Revisionsgrund somit nicht vorliegt, war der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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