OGH 3Ob603/84

OGH3Ob603/8416.1.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Christian M*****, vertreten durch das Bezirksjugendamt für den 12. Bezirk in Wien, dieses vertreten durch Dr. Werner Neuhauser Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Herbert K*****, vertreten durch Dr. Ernst Karner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung der Vaterschaft und Leistung des Unterhalts, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 7. September 1984, GZ 43 R 2124/84-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 16. März 1984, GZ 1 C 9/83-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 4.918,65 S (darin 447,15 S USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das am 2. 2. 1983 von Ingrid M***** geborene uneheliche Kind klagte den Beklagten auf Feststellung der Vaterschaft und Leistung monatlicher Unterhaltsbeiträge von 2.250 S ab 25. 2. 1983. Der Beklagte habe der Mutter des Klägers innerhalb eines Zeitraums von nicht mehr als 302 und nicht weniger als 180 Tagen vor der Entbindung, also in der Zeit vom 6. 4. - 6. 8. 1982, beigewohnt und sei daher der mutmaßliche Vater des Klägers.

Der vor dem Erstgericht nicht vertreten gewesene Beklagte beantragte die Abweisung beider Klagebegehren. Er gestand zwar zu, der Mutter des Klägers ab 20. 5. 1982 beigewohnt zu haben, wendete aber ein, von der Vaterschaft ausgeschlossen zu sein, wozu er sich in erster Instanz zunächst nur auf ein serologisches Gutachten, die Zeugenschaft der Mutter des Klägers und die Parteienvernehmung berief. Das Unterhaltsbegehren bestritt er der Höhe nach, insoweit mehr als 1.800 S begehrt wurden.

Ingrid M***** sagte als Zeugin aus, in der kritischen Zeit nur mit dem Beklagten geschlechtlich verkehrt zu haben, und zwar ab 20. 5. 1982.

Nach dem serologischen Gutachten ist der Beklagte aufgrund der Verteilung der klassischen Blutgruppen, der Rhesusfaktoren, der übrigen Blutfaktoren, diverser Serumeigenschaften und Enzymsysteme nicht als Vater auszuschließen. Aufgrund der untersuchten 20 Merkmalsysteme ergibt sich eine allgemeine Ausschlusschance von 96 %, dh von 1000 der Vaterschaft bezichtigten Männern könnten 960 ausgeschlossen werden. Aufgrund der bei der Mutter und dem Kind ermittelten serologischen Merkmale errechnet sich eine spezielle Ausschlusschance von 99 %, dh dass von 1000 unrichtigerweise der Vaterschaft bezichtigten Männern 990 ausgeschlossen werden können. Die in Anlehnung an die Methode Essen-Möller und Hummel aus der Relation der Häufigkeit des Vorkommens eines Blutmerkmals unter wirklichen Vätern (bei der gegebenen Mutter-Kind-Konstellation) und der Häufigkeit des Vorkommens dieses Merkmals in der Gesamtbevölkerung (= Nichtväter) ergibt sich für den Beklagten eine verbal mit „Vaterschaft sehr wahrscheinlich“ bewertete Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 98,2 %.

Trotz dieses Gutachtens vertrat der Beklagte die Meinung, nicht der Vater des Klägers zu sein, weil dieser vor dem 20. 5. 1982 gezeugt worden sein müsse. Dazu berief sich der Beklagte erfolglos auf den Mutter-Kind-Pass, auf ein Tragzeitgutachten und auf die Parteienvernehmung.

Das Erstgericht gab beiden Klagebegehren statt.

Es stellte im Wesentlichen fest, dass Ingrid M***** vom 6. 4. „bis“ 20. 5. 1982 mit keinem Mann, „ab“ 20. 5. 1982 (nur) mit dem Beklagten Geschlechtsverkehr hatte, dass der Beklagte der Vater des am 2. 2. 1983 von ihr geborenen Klägers sei und dass der Beklagte, der keine Sorgepflichten habe, als Kraftfahrzeugspengler ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von etwa 14.300 S beziehe.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, dass auf den Beklagten die Vermutung der Vaterschaft nach § 163 Abs 1 ABGB zutreffe. Eine Entkräftung dieser Vermutung iSd Abs 2 der genannten Gesetzesstelle sei dem Beklagten nicht gelungen. Das von ihm beantragte Tragzeitgutachten sei dazu ungeeignet. Zwischen dem 20. 5. 1982 und der Geburt des Klägers liegen 37 Wochen. Da eine normal verlaufende Schwangerschaft etwa 39 Wochen dauere, wäre eine Zeugung um den 20. 5. 1982 nicht besonders unwahrscheinlich. Selbst dann, wenn das Tragzeitgutachten die Zeugung am Beginn der kritischen Zeit als am wahrscheinlichsten bezeichnete, könnte der 20. 5. 1982 als Zeugungstermin nicht ausgeschlossen werden. Dieses Beweismittel reiche daher insbesondere im Hinblick auf die übrigen Beweisergebnisse zur Entkräftigung der Vaterschaftsvermutung nicht aus. Der monatliche Unterhaltsbeitrag von 16 % des Nettoeinkommens des für keine weiteren Angehörigen sorgepflichtigen Beklagten sei (dessen Lebensverhältnissen) angemessen.

In seiner Berufung brachte der Beklagte vor, dass der Kläger bei der Geburt voll ausgetragen gewesen sei und dass die (erwartende) Regelblutung am 3. 6. 1983 ausgeblieben und die Schwangerschaft bereits am 8. 6. 1983 festgestellt worden sei. Aus dem Mutter-Kind-Pass, dem Tragzeitguthaben und der Parteienvernehmung hätten sich die Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten ergeben, weshalb das erstgerichtliche Verfahren mangelhaft geblieben sei. Bei der Unterhaltsbemessung habe das Erstgericht keinen angemessenen Ausgleich zwischen dem Einkommen des Beklagten und den Bedürfnissen des Klägers vorgenommen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Da der Sachverhalt durch das serologische Gutachten eindeutig klargestellt worden sei - der Beklagte erreiche bei einer speziellen Ausschlusschance von 99 % einen Vaterschaftswahrscheinlichkeitswert von 99 % - sei ein Tragzeitgutachten entbehrlich. Auch dann, wenn die Regelblutung der Mutter am 3. 6. 1983 ausgeblieben und die Schwangerschaft bereits am 8. 6. 1983 festgestellt worden wäre, würde dies am Verfahrensergebnis nichts ändern (sodass auch die Einsicht in den Mutter-Kind-Pass und die Parteienvernehmung nicht erforderlich seien). Das Berufungsgericht erachtete daher das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei und übernahm die Feststellungen der ersten Instanz als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Die Rechtsmeinung des Erstgerichts, der Beklagte habe die auf ihn zutreffende Vermutung des § 163 Abs 1 ABGB nicht entkräften können, sei richtig. Das Kind müsse sich nicht mit dem niedrigeren Durchschnittsbedarf zufrieden geben, sodass sich der im Rahmen der Prozentkomponente und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Beklagten gelegenen Unterhaltsbeitrag als richtig erweise.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, es durch Abweisung der Klagebegehren abzuändern, allenfalls die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, allenfalls den monatlichen Unterhaltsbeitrag auf 1.800 S herabzusetzen.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs 5 ZPO), aber nicht begründet.

Unter den im § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO genannten Revisionsgründen rügt der Beklagte, dass der Mutter-Kind-Pass nicht beigeschafft, kein Tragzeitgutachten eingeholt und die Parteienvernehmung nicht durchgeführt wurde.

Nach Art V Z 5 UeKG hat das Gericht bei Streitigkeiten über die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind von Amts wegen dafür zu sorgen, dass alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände vollständig aufgeklärt werden; die §§ 183 Abs 2, 482 und 483 ZPO sind nicht anzuwenden. Deshalb können in solchen Verfahren auch vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmängel in der Revision neuerlich gerügt werden (RZ 1980/48; JBl 1978, 651).

Dies berechtigt das Revisionsgericht jedoch auch in solchen Rechtsstreitigkeiten nicht zu einer Überprüfung der Beweiswürdigung. Der Oberste Gerichtshof darf daher nicht überprüfen, ob die Beweisergebnisse ausreichen, oder ob Kontrollbeweise notwendig sind (EFSlg 41.789, 41.790, 36.784 ua).

Vertritt das Berufungsgericht - wie im vorliegenden Fall - die Meinung, dass die Beweisergebnisse zu einer verlässlichen Feststellung ausreichen, die Mutter habe während der im § 163 Abs 1 ABGB genannten Zeit nur dem Beklagten beigewohnt, sodass insbesondere ein Tragzeitgutachten - die Einsichtnahme in den Mutter-Kind-Pass und die Parteienvernehmung sollten für dieses Gutachten Daten erbringen - nicht erforderlich sei, so handelt es sich dabei um einen nicht revisiblen Akt der Beweiswürdigung, obwohl ein Tragzeitgutachten an sich geeignet ist, eine gegen einen Beklagten streitende Vermutung des § 163 Abs 1 ABGB zu entkräften.

Der Revisionswerber rügt daher insoweit unzulässigerweise die Beweiswürdigung.

Im Übrigen könnte die Nichtaufnahme der vom Beklagten beantragten Beweise nur dann einen (beachtlichen) Verfahrensmangel darstellen, wenn sie an sich (abstrakt) geeignet wäre, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (Fasching, Komm insbes IV 206).

Dies wurde von den Vorinstanzen mit Recht verneint.

Rechtliche Beurteilung

Tragzeitgutachten dienen dem Zweck, offenbar unmöglich kurze oder lange Tragzeiten als solche zu erkennen und damit eine Vaterschaft auszuschließen. Die menschliche Tragzeit lässt bei Massenbetrachtung zwar einen Durchschnittswert von 38 Wochen erkennen, das Streuungsfeld ist hier jedoch so groß, dass auf den Tag genaue Aussagen des Entbindungstermins selbst bei bekanntem Tag der Schwängerung genauso unmöglich sind wie der umgekehrte Versuch, vom Geburtstag rückwärts auf den Tag der Konzeption zu schließen. Aus diesem Grund berechnet man die Tragzeit zweckmäßig in Wochen. Als Faustregel kann gelten, dass ein Ausschluss nur dann gelingt, wenn der fragliche Beiwohnungstermin wenigstens vier Wochen vom Durchschnitt abweicht. Von der Beiwohnung bis zur Geburt eines lebenden und reifen Kindes vergehen in der Regel durchschnittlich 268 Tage, doch werden nur 4 % aller Kinder nach dieser Frist geboren. Rund ein Viertel aller reifen Kinder kommen nach einer Tragzeit von 266 bis 277 Tagen zur Welt. Die übrigen Kinder werden zur Hälfte vor und zur Hälfte nach diesem wahrscheinlichsten Zeitraum geboren. Die Gesamtstreuung erstreckt sich über einige Wochen und ist so groß, dass noch mehr als 10 % aller reifen Neugeborenen außerhalb eines mittleren Zeitraums von vollen sechs Wochen geboren werden (Hosemann in Beitzke-Hosemann-Dahr und Schade, Vaterschaftsgutachten3, insbes 45, 50 und 52).

Aus diesen offenkundigen und daher nach § 269 ZPO nicht beweisdürftigen Umständen erhellt, dass im vorliegenden Fall, in dem die Geburt des Klägers 258 Tage, also fast 37 Wochen nach der frühesten Beiwohnung des Beklagten am 20. 5. 1982 erfolgte, durch ein Tragzeitgutachten die gegen den Beklagten streitende Zeugungsvermutung des § 163 Abs 1 ABGB nicht im Sinne des ersten Falles des Abs 2 der zitierten Gesetzesstelle entkräftet werden kann.

Dass die Vorinstanzen kein Tragzeitgutachten einholten und auch keine zu dessen Vorbereitung dienlichen weiteren Beweisaufnahmen (Einsicht in den Mutter-Kind-Pass, Parteienvernehmung) vornahmen, konnte daher keine unrichtige Entscheidung herbeiführen und bewirkte deshalb keine Mangelhaftigkeit der vor dem Prozessgericht und dem Berufungsgericht durchgeführten Verfahren.

Deshalb betrifft auch die dem Berufungsgericht hinsichtlich der Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Beklagten unterlaufene Aktenwidrigkeit, nämlich die Annahme einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99 % im Gegensatz zu dem im Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Josef H***** angeführten Werts von 98,2 % keinen wesentlichen Punkt des Berufungsurteils; sie begründet daher keinen Revisionsgrund iSd § 503 Abs 1 Z 3 ZPO (EFSlg 41.803 ua).

Die gegen die Feststellung seiner Vaterschaft und damit auch gegen den Grund der Unterhaltspflicht gerichteten Revisionsgründe liegen daher nicht vor.

Ob zur Deckung der Bedürfnisse des klagenden Kindes der vom Beklagten anerkannte monatliche Unterhaltsbeitrag von 1.800 S oder der von den Vorinstanzen zugesprochene von 2.250 S erforderlich ist, stellt im Sinne des Jud 60 neu (SZ 27/177) eine Frage der Bemessung des gesetzlichen Unterhalts dar, die nach § 502 Abs 2 Z 1 ZPO nicht der Beurteilung des Obersten Gerichtshofs unterliegt (Fasching, Komm Erg. Band 85 ff).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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