OGH 8Ob77/84

OGH8Ob77/8425.1.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wilhelm Z*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Weinwurm, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt der Österreichischen Bundesländer Versicherungsaktiengesellschaft, 1021 Wien, Praterstraße 1-7, vertreten durch Dr. Otto Hellwich, Rechtsanwalt in Wien, wegen 406.789 S sA, Revisionsinteresse: 396.409 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Oktober 1983, GZ 17 R 35/83-41, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17. September 1982, GZ 35 Cg 711/81-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 11.126,16 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die USt von 824,16 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 26. 11. 1974 kam es gegen 23:15 Uhr auf der Bundesstraße 53 außerhalb von Ortsgebieten zwischen Neudörfl und Sauerbrunn zu einem Verkehrsunfall, bei dem der auf der Fahrbahn liegende Kläger von dem von Mathias H***** gelenkten, bei der Beklagten haftpflichtversicherten Omnibus überrollt und schwer verletzt wurde. Aufgrund der am 24. 9. 1976 eingebrachten Feststellungsklage wurde die Haftung der Beklagten im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrags für den versicherten Omnibus mit 2/3 für künftige Schäden rechtskräftig festgestellt.

Der Kläger begehrte mit der am 12. 7. 1978 bei Gericht eingelangten Leistungsklage 406.789 S sA, worunter ein Schmerzengeldbegehren von 400.000 S enthalten war. Der Kläger habe bei dem Unfall schwere Verletzungen erlitten, sei arbeitsunfähig, beziehe eine Invaliditätspension. Sein linkes Bein habe amputiert werden müssen. Er leide noch immer an Phantomschmerzen. Bei einem abermaligen Sturz im Mai 1978 sei die Prothese zerbrochen. Zufolge der Medikamentenbehandlung sei ein nicht mehr behebbarer Leberschaden eingetreten. Eine Verjährung liege zufolge des Feststellungsbegehrens nicht vor. Das Schmerzengeld habe sich nicht bereits vorher in Teilen einklagen lassen.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Sämtliche vor Klageeinbringung entstandenen Forderungen seien verjährt. Diese gelte insbesondere für die Geltendmachung eines Schmerzengeldanspruchs von 350.000 S für bisher aufgetretene Schmerzen. Schon im Feststellungsverfahren hätte dort das Leistungsbegehren in diesem Umfang gestellt werden müssen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 396.409 S sA zu und wies das restliche Mehrbegehren ab. Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:

Der am 21. 4. 1940 geborene, somit im Unfallszeitpunkt 34 Jahre alte Kläger erlitt eine Gehirnerschütterung, ausgedehnte, tiefgehende Weichteilverletzungen an der linken Hohlhand und an der Speichenseite des linken Handgelenks, einen Bruch am kröpfernen Ende des linken Schienbeins, des medialen Knöchels links, des linken Oberschenkels, des medialen Schienbein- und Oberschenkelkondyls, eine Zerreißung des hinteren Kreuzbandes und der Kniekehlenarterie, ferner Hautabschürfungen und sonstige Weichteilquetschungen. Das linke Bein musste etwas körpernäher von der Mitte des linken Oberschenkels amputiert werden. Nach dem Unfall war der Kläger bis 24. 1. 1975 in stationärer Behandlung. Vom 5. 2. - 4. 4. 1974 erfolgten Übungsbehandlungen im Rehabilitationszentrum S*****. Ein unfallsunabhängiges Herzleiden bewirkt, dass der Kläger nur beschränkt Krücken verwenden darf. Folglich wurde frühzeitig mit der Verwendung einer Prothese begonnen. Zufolge der Nebenhodenoperation ist es dem Kläger schon vorher und zur Zeit nicht möglich, eine Prothese zu tragen. Die Krückenverwendung ist - außer durch das Herzleiden auch durch andere Beschwerden im rechten Bein - nur eingeschränkt möglich. Der Kläger ist nahezu bewegungsunfähig. Schließlich besteht ein Leberschaden, der 50:50 durch unfallsbedingte wie unfallsvorangehende Schäden bedingt ist. Die Verletzungen verursachten zunächst starke Schmerzen und zwar anfangs besonders intensive, schließlich insgesamt 1 Monat dauernde starke. Die Folgen der Gehirnerschütterung verstärkten die an sich hochgradigen Beschwerden zufolge der Verletzungen des linken Beins und der Hohlhand. Anschließend hatte der Kläger 45 bis 50 Tage mittelstarke Schmerzen. Unter Einschluss der Phantomschmerzen bis Ende 1979 ergeben sich gerafft 8-9 Monate leichte Schmerzen; danach für die Jahre 1980 und 1981 weitere 2 Monate, für die Zeit von 1982-1985 je 3 Wochen und schließlich für sämtliche Lebensjahre jährlich 15-18 Tage leichte Schmerzen.

Am 15. 10. 1980 wurde für Vergleichsgespräche Ruhen des Leistungsverfahrens vereinbart. Am 9. 12. 1980 lehnte die Beklagte ein Vergleichsanbot des Klägers ab. Am 20. 1. 1981 wurde die Fortsetzung des Verfahrens beantragt.

Rechtlich hielt das Erstgericht ein Schmerzengeld von rechnerisch 600.000 S für angemessen. Die Verjährung sei gehemmt. Das am 24. 9. 1976 eingebrachte Feststellungsbegehren habe für künftige Ansprüche die Verjährung unterbrochen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen den klagestattgebenden Teil nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Rechtlich wies das Gericht zweiter Instanz darauf hin, dass die Schmerzengeldbemessung nicht nach tageweisen Schmerzperioden, sondern global zu erfolgen habe. Der Zinsenzuspruch beruhe auf der mit dem Fortsetzungsantrag vorgenommenen Stufenzinsbereinigung und der letzten Klageausdehnung. Hinsichtlich des Verjährungseinwands hielt das Berufungsgericht der Beklagten ihren eigenen Standpunkt entgegen, wonach sie sich gegen das Feststellungsbegehren deshalb nicht gewandt habe, „weil zweifellos innerhalb der Verjährungsfrist die Unfallsfolgen nicht überblickt werden können“. Der Verjährung der Schmerzengeldansprüche stehe das Feststellungsurteil entgegen. Der gesamte Heilungsverlauf mit den auftretenden Folgeschäden zeige, dass eine Teileinklagung vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht sinnvoll gewesen wäre. Nach ständiger Rechtsprechung sei eine weitere Schmerzengeldausdehnung nach Ablauf der Verjährungszeit ohne weiteres zulässig, wenn der Geschädigte nur innerhalb der Verjährungsfrist wie hier auf Feststellung der Haftung und des Schädigers für künftige Schäden geklagt hat. Gegen die Höhe des zuerkannten Schmerzengeldes bestünden keine Bedenken.

Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren gänzlich abgewiesen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte wirft zunächst dem Berufungsgericht vor, ein zu hohes Schmerzengeld ausgemessen und dies außerdem nicht ausreichend begründet zu haben. Soweit in diesen Ausführungen inhaltlich der Vorwurf eines Verfahrensmangels enthalten ist, braucht hiezu nur ausgeführt zu werden, dass dieser nicht vorliegt (§ 510 Abs 3 ZPO). Das Gericht zweiter Instanz hat im Übrigen sehr eingehend dargestellt, aus welchen Gründen es das vom Erstgericht zuerkannte Schmerzengeld als berechtigt ansah. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist der Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands Bedacht zu nehmen (8 Ob 194/83; 2 Ob 5/84; 8 Ob 42/84 uza). Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen ausgegangen. Dabei war von besonderer Bedeutung, dass der Kläger nicht nur die festgestellten schweren Verletzungen, den langen Krankenhausaufenthalt und die gravierenden Schmerzen erduldete, sondern den Verlust eines Beines über der Mitte des Oberschenkels erlitt, was sich auf sein ganzes Leben in einer überaus schwerwiegenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigung auswirkt. Dass er nahezu gänzlich bewegungsunfähig wurde, weil er keine Krücken verwenden kann, fällt zusätzlich besonders ins Gewicht.

Die Revision rügt weiters, dass die Begründung des Berufungsgerichts über die Zuerkennung gestaffelter Zinsen unzureichend sei. Auch diesen Ausführungen gegenüber ist entgegenzuhalten, dass sie in Wirklichkeit einen Verfahrensmangel aufzuzeigen versuchen, der aber nicht vorliegt, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Revisionswerberin ist im Übrigen die auf S 7 des Berufungsurteils eingehend dargestellte Rechtsansicht des Berufungsgerichts entgegenzuhalten, wonach der Zinsenzuspruch zutreffend auf der mit dem Fortsetzungsantrag vorgenommenen Stufenzinsbereinigung und der letzten Klageausdehnung beruhte.

Schließlich vertritt die Beklagte die Auffassung, dass das Feststellungsurteil keine Unterbrechung der Verjährung für die Schmerzperioden vor Einbringung der Feststellungs- bzw Leistungsklage bewirkte. Die Beklagte muss sich jedoch in Übereinstimmung mit der Auffassung der Vorinstanzen entgegenhalten lassen, dass der Unfall am 26. 11. 1974 war, die Feststellungsklage bereits am 24. 9. 1976 eingebracht wurde, die Schmerzperioden des Klägers jedoch weit darüber hinaus andauerten und auch jetzt noch gegeben sind. Dem trug die Beklagte insoweit Rechnung, als sie das Feststellungsinteresse des Klägers mit dem Hinweis bejahte, dass sich die Unfallsfolgen innerhalb der Verjährungsfrist nicht überblicken lassen. Es ist die logische Konsequenz, dass damit eine erfolgreiche globale Einklagung des Schmerzengeldes vor Einbringung der Feststellungsklage nicht möglich war.

Im Übrigen ist das Schmerzengeld im Normalfall ein Globalbetrag, der für alle vergangenen und künftigen überschaubauren Schmerzen gebührt (RZ 1977/77 S 169 uza). Dem Geschädigten kann nicht zugemutet werden, immer wieder eine neue Schmerzengeldklage einzubringen (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld4 167). Nichts anderes würde es bedeuten, wenn dem jetzigen Standpunkt der Beklagten Rechnung getragen und die Schmerzperioden des Klägers dahin beurteilt würden, ob für diese allenfalls eine jeweilige Teileinklagung Aussicht auf Erfolg gehabt hätte oder nicht. Das Feststellungsurteil soll aus prozessökonomischen Gründen vermeiden, dass zur Beurteilung der Verjährungsfrage immer der Eintritt der Fälligkeit weiterer Ansprüche geprüft wird (SZ 45/8; ZVR 1982/269 uza). Dies hat die vom Kläger zeitgerecht eingebrachte Feststellungsklage, der stattgegeben wurde, in ausreichendem Maß bewirkt. Da im Zeitpunkt der Erhebung der Feststellungsklage der Schmerzengeldanspruch des Klägers somit noch nicht fällig war (SZ 54/99 ua), konnte das stattgebende Feststellungsurteil seine volle Wirkung auf das gesamte Schmerzengeldbegehren entfalten.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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