OGH 2Ob5/84

OGH2Ob5/8410.4.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria K*****, vertreten durch Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) Kurt P*****, 2.) Hilde P*****, beide vertreten durch Dr. Frank Kalmann, Rechtsanwalt in Klagenfurt, 3.) I*****-AG, *****, vertreten durch Dr. Kurt Hanusch, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Leistung und Feststellung (Revisionsinteresse der Klägerin 130.000 S sA, Revisionsinteresse der Beklagten 220.000 S sA), infolge Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 14. September 1983, GZ 4 R 90/83-95, womit infolge Berufungen der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 9. Mai 1983, GZ 6 Cg 264/80-83, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.

Die Klägerin hat der zweit- und der drittbeklagten Partei die mit 6.272,14 S (darin 960 S Barauslagen und 393,49 S USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Hingegen haben die zweit- und drittbeklagte Partei zur ungeteilten Hand der Klägerin die mit 9.701,76 S (darin 1.920 S Barauslagen und 576,43 S USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde als Mitfahrerin in einem Personenkraftwagen bei einem Verkehrsunfall am 22. 9. 1978 schwer verletzt. Die Beklagten sind der Klägerin gegenüber für die Folgen dieses Unfalls zur ungeteilten Hand ersatzpflichtig.

Die Klägerin forderte unter anderem 500.000 S Schmerzengeld und 200.000 S Verunstaltungsentschädigung und stellte auch ein Feststellungsbegehren. Sie habe schwere Verletzungen insbesondere der beiden Fußgelenke erlitten, mehrfache Operationen über sich ergehen lassen müssen, die Heilung habe sich immer wieder komplikativ verzögert und Krankenhausaufenthalte in der Gesamtdauer von beinahe einem Jahr seien notwendig gewesen; zurückgeblieben sei ein auffälliges Hinken, welches Stockbenützung erfordere, was den bisher ausgeübten Beruf einer Serviererin und auch den Plan, künftig als selbständige Gastwirtin tätig werden zu können, vereitle. Durch die Unfallsfolgen sei sie verunstaltet worden, wodurch ihr besseres berufliches Fortkommen beeinträchtigt sei; ebenso sei durch die Verunstaltung zwischen ihr und ihrem Ehegatten eine völlige Entfremdung eingetreten, die schließlich zur Scheidung ihrer Ehe während des Verfahrens geführt habe.

Die Beklagten gestanden einen Schmerzengeldanspruch von 200.000 S abzüglich 25 % Mitverschuldens wegen Nichtverwendung von Sicherheitsgurten zu, bestritten aber das Bestehen eines Verunstaltungsentschädigungsanspruchs, weil die Klägerin verheiratet sei und ihr Berufsziel einer selbständigen Gastwirtin mit ihrer körperlichen Behinderung durchaus vereinbar sei.

Das Erstgericht sprach der Klägerin außer einem mit Teilanerkenntnisurteil zuerkannten Betrag von 96.265,44 S sA weitere 698.743,77 S sA zu und stellte die Haftung der Beklagten für die künftigen Unfallsschäden fest; ein Mehrbegehren von 66.987,98 S sA wurde abgewiesen.

Infolge Berufungen der Beklagten änderte das Gericht zweiter Instanz das Ersturteil im Leistungsausspruch dahin ab, dass der Klägerin insgesamt außerdem mit Teilanerkenntnisurteil zuerkannten Betrag von 96.265,44 S sA weitere 568.743,77 S sA zugesprochen wurden; das Mehrbegehren von 196.987,98 S sA wurde abgewiesen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wenden sich die Revisionen der Klägerin und der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Die Klägerin beantragt Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils; die Beklagten streben Abänderung im Sinne des Zuspruchs von lediglich weiteren 348.743,77 S sA - über den mit Anerkenntnisurteil zuerkannten Betrag hinaus - an die Klägerin und Abweisung des Mehrbegehrens von 416.987,98 S sA an.

In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Klägerin sowie die Zweit- und die Drittbeklagte, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben; der Erstbeklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Keine der Revisionen ist berechtigt.

Im Revisionsverfahren sind nur die Höhe des Schmerzengelds und der Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung einer Verunstaltungsentschädigung strittig.

Diesbezüglich hat das Erstgericht Feststellungen getroffen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

Die zur Unfallszeit 20 Jahre alte Klägerin erlitt beim Unfall neben kleineren Verletzungen wie verschiedenen Körperprellungen, äußerlichen Wunden und Hautabschürfungen eine Daumenverrenkung links, einen Mehrfragmentbruch des rechten Ellenhakens, schwere offene Frakturen im Bereich des rechten Fußes mit Zertrümmerung des Fersenbeins und mehrerer Fußwurzelknochen, einen Verrenkungsbruch des linken Sprunggelenks mit Bruch beider Knöchel, einen Ausriß des Syndesmosenbands und eine Beschädigung der unteren Gelenksfläche des Schienbeins. Die Heilung insbesondere des rechten Beins war langwierig und erforderte mehrfache Operationen zwecks Einrichtung, Reposition, Nekrosenentfernung, Fistelresektion, Transplantation von Knochen und Haut sowie Metallentnahme. Es bestand die Absicht, den rechten Unterschenkel zu amputieren, was nur im Hinblick auf das jugendliche Alter der Klägerin unterblieben ist. Die Behandlung erforderte 6malige Krankenhausaufenthalte von insgesamt rund 1 Jahr Dauer. Zusammengefasst nach Intensität und Tagen hatte die Klägerin durch 5 Tage qualvolle, 30 Tage starke, 60 Tage mittelstarke und 200 Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Zurückgeblieben ist eine hochgradige Deformierung des Fußes, die funktionell einer Amputation des Unterschenkels gleichkommt, kosmetisch jedoch schlechter zu werten ist. Die Verkürzung gegenüber dem anderen Bein beträgt 5 cm. Die Funktionsausfälle verhindern für das weitere Leben der Klägerin jegliche Freizeitaktivitäten, besonders Sportausübungen jeglicher Art. Auch hatte die Klägerin kurz vor dem Unfall ihr erstes Kind zur Welt gebracht, welches sie wegen der Unfallsfolgen im ersten Lebensjahr nicht selbst betreuen konnte. Schließlich ging während des Verfahrens die Ehe der Klägerin wegen der Unfallsfolgen in Brüche und wurde geschieden.

Das Erstgericht hielt das von der Klägerin geforderte Schmerzengeld von 500.000 S für gerechtfertigt; ein Anspruch nach § 1326 ABGB sei begründet, weil die Klägerin einerseits bei dem wegen der Beinverkürzung um 5 cm auffällig hinkenden Gang in ihrem beruflichen Fortkommen behindert sei und auch verschlechterte Heiratsaussichten habe; ihre Ehe sei nämlich aus dem Verschulden ihres Ehegatten, der sich wegen der Unfallsfolgen von der Klägerin abgewandt habe, geschieden worden; ein Entschädigungsbetrag von 200.000 S entspreche der Wirkung der Entstellung auf das künftige Fortkommen der Klägerin.

Das Berufungsgericht erachtete demgegenüber ein Schmerzengeld von 450.000 S und eine Verunstaltungsentschädigung von 120.000 S für angemessen. Die Klägerin sei durch die Beinverkürzung, die zu stark hinkendem Gang und Gehen mit einem Stock führe, verunstaltet. Dadurch sei das bessere berufliche Fortkommen der Klägerin beeinträchtigt. Sie sei vor dem Unfall unselbständig im Gastgewerbe tätig gewesen und habe beabsichtigt, dies auch weiterhin, wenn auch selbständig, zu bleiben. Diese Fortkommensentwicklung sei durch den Unfall beendet worden, weil die Klägerin nur mehr Berufe in sitzender Position werde ausüben können. Welchen Arbeitsplatz sie in ihrem nunmehr angelernten Beruf einmal erlangen könne, stehe derzeit noch nicht fest. Wohl aber sei es gerichtsnotorisch, dass Bürotätigkeiten in hauptsächlich sitzender Position einer Vielzahl von Berufsbildern, von der Stenotypistin bis zur Chefsekretärin, zugrundeliegen, und eine Beeinträchtigung des äußeren Aussehens und wesentlicher Körperfunktionen, so etwa auch der des Gehens, auch in diesen Berufsbildern durchaus zu Nachteilen in der Konkurrenz mit gesunden Mitbewerbern führen könnten. Eines konkreten Nachweises, wo dies der Fall sei und dass die Klägerin davon betroffen werden könnte, bedürfe es zur Anspruchsbegründung nicht, weil schon die erwähnte Möglichkeit des Entfalls einer Verbesserung der beruflichen Lebenslage genüge. Es sei aber auch die Beeinträchtigung des besseren Fortkommens der Klägerin durch Verminderung ihrer künftigen Heiratsaussichten zu berücksichtigen, weil die Klägerin noch vor Schluss des Verfahrens erster Instanz unfallsbedingt, daher den Beklagten zurechenbar, von ihrem Ehemann verlassen und geschieden wurde, sodass sie nun - 25jährig - gegenüber anderen ledigen Frauen dieses Alters bei der Suche nach einem künftigen Ehemann in die Augen fallende Nachteile in Kauf nehmen müsse. Dass dieser Umstand im Unfallszeitpunkt noch nicht gegeben war, spiele keine Rolle, weil der Beschädiger für jeden Folgeschaden aus körperlicher Verletzung einzutreten habe, wenn er nicht gerade durch atypische Dritthandlung, also völlig außerhalb jeder Erwartung eingetreten sei. Von letzterem könne hier aber nicht die Rede sein.

Da die Revision der Klägerin und der Beklagten lediglich die Höhe des Schmerzengelds und den Anspruch bzw die Höhe der Verunstaltungsentschädigung betreffen, erscheint eine gemeinsame Behandlung der Rechtsmittel zweckmäßig.

1.) Zum Schmerzengeld:

Die Klägerin strebt den Zuspruch eines Schmerzengelds von 500.000 S an, die Beklagten erachten demgegenüber ein Schmerzengeld von 350.000 S für angemessen.

Hiezu ist Folgendes zu bemerken:

Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Verletzte infolge der Verletzungen zu erdulden hat; es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen (vgl die in der MGA des ABGB31 zu § 1325 ABGB unter Nr 46 angeführten Entscheidungen ua).

Werden diese Grundsätze auf den festgestellten Sachverhalt angewendet, sind außer den mehrfachen schweren Brüchen an beiden Beinen und am rechten Arm der außergewöhnlich komplizierte und langwierige Heilungsverlauf - die Klägerin befand sich vom Unfallstag (22. 9. 1978) bis 15. 3. 1980 mit zeitlichen Unterbrechungen ca ein Jahr lang in stationärer Krankenhausbehandlung und musste sich zahlreichen Operationen unterziehen - und die ausgedehnten Schmerzperioden berücksichtigen. Darüber hinaus fallen auch die äußerst schweren Dauerfolgen, nämlich eine hochgradige Deformierung und Verkürzung des rechten Fußes, die nach den Feststellungen funktionell einer Amputation des Unterschenkels gleichkommt, kosmetisch jedoch ungünstiger zu werten ist als eine Amputation, besonders ins Gewicht. Im vorliegenden Fall kommt aber auch den psychischen Beeinträchtigungen, denen die Klägerin ausgesetzt war, wesentliche Bedeutung zu. Die Funktionsausfälle insbesondere am rechten Bein verhindern für das ganze weitere Leben der im Unfallszeitpunkt erst 20 Jahre alten Klägerin jegliche Sportausübung und schränken alle Freizeitaktivitäten empfindlich ein. Auch im familiären Bereich hatte der Unfall für die Klägerin sehr schwerwiegende Folgen, konnte sie doch ihr kurz vorher geborenes erstes Kind in dessen erstem Lebensjahr nicht selbst betreuen. Vor allem aber scheiterte aufgrund der Unfallsfolgen auch ihre Ehe.

Unter Berücksichtigung dieser außergewöhnlich schwerwiegenden psychischen und physischen Beeinträchtigungen und der seit dem Unfall eingetretenen beträchtlichen Geldwertverminderung erscheint aber das vom Berufungsgericht zugesprochene Schmerzengeld von 450.000 S weder zu gering, wie die Klägerin meint, noch überhöht, wovon die Beklagten ausgehen, bemessen.

2.) Zur Verunstaltungsentschädigung:

Die Klägerin strebt in ihrer Revision den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung von 200.000 S an; die Beklagten verneinen einen Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung, da die Klägerin im Unfallszeitpunkt verheiratet gewesen sei und auch in ihrem beruflichen Fortkommen durch den Unfall nicht behindert werde.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, dass der Oberste Gerichtshof allerdings mehrfach ausgesprochen hat, dass es bezüglich der Verminderung der Heiratsaussichten auf die Verhältnisse der verletzten Person zur Zeit des Unfalls ankommt, nicht aber auf spätere, vom Schädiger nicht beeinflusste Wechselfälle des Lebens, die unabhängig vom Unfall eintreten (vgl ZVR 1983/16, ZVR 1976/174 ua). Im vorliegenden Fall war die Klägerin, deren Verunstaltung von den Beklagten im Revisionsverfahren nicht mehr bestritten wird, zwar im Zeitpunkt des Unfalls verheiratet, jedoch wurde ihre Ehe während des Verfahrens als Folge der beim Unfall erlittenen Verletzungen geschieden. In einem vergleichbaren Fall, in welchem die im Zeitpunkt des Unfalls verheiratete Klägerin infolge des Unfalls ihren bei diesem Ereignis getöteten Ehegatten verloren hatte, hat der Oberste Gerichtshof den Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung bejaht (2 Ob 41/75). Da die Ehe der Klägerin somit nicht unabhängig vom Unfall durch Scheidung aufgelöst wurde, ist ihr Anspruch auf Zuerkennung einer Verunstaltungsentschädigung auch wegen verminderter Heiratsaussicht gegeben. Bezüglich der möglichen Behinderung des besseren beruflichen Fortkommens durch die Verunstaltung sind die Beklagten auf die zutreffende Begründung des Berufungsgerichts zu verweisen, der sich das Revisionsgericht anschließt.

Die Höhe der Verunstaltungsentschädigung wird nur mehr von der Klägerin bekämpft, die Revisionen der Beklagten enthalten hiezu kein Vorbringen. Auch in diesem Punkt ist jedoch dem Berufungsgericht beizupflichten, dass unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falls der von der zweiten Instanz zugesprochene Betrag von 120.000 S nicht als zu niedrig bemessen erscheint.

Keiner der Revisionen konnte daher ein Erfolg beschieden sein.

Die Kostenentscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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