OGH 7Ob671/84

OGH7Ob671/8413.12.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. G*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der R*****gesellschaft mbH, wider die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Walter Haslinger, Rechtsanwalt in Linz, wegen restlicher 51.242,26 S sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Juli 1984, GZ 5 R 148/84‑14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 13. April 1984, GZ 5 Cg 384/82‑10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00671.840.1213.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagen Partei die mit 4.153,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.200 S Barauslagen und 268,50 S USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

 

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei räumte der Gemeinschuldnerin am 14. Mai 1974 einen Kontokorrentkredit von 300.000 S ein. Der Kreditrahmen wurde am 20. Juni 1975 auf 480.000 S, am 12. Juli 1977 auf 480.000 S und am 29. Mai 1978 auf 700.000 S erhöht, jedoch am 20. März 1981 auf 350.000 S mit einer Terminierung bis 31. Oktober 1981 reduziert. Der Kredit wurde über das einzige Konto der Gemeinschuldnerin bei der beklagten Partei 171‑0313/39 abgewickelt. Das Krediteinräumungsschreiben, dessen Inhalt von der Gemeinschuldnerin „verbindlich zur Kenntnis genommen wurde“, hat unter anderem folgenden Wortlaut: „Für das Kreditverhältnis gelten folgende Bedingungen: ... Im beiderseitigen Interesse ersuchen wir Sie, auf die Dauer des Kreditverhältnisses Ihre geschäftlichen Geldumsätze über Ihr Konto bei uns zu führen und sich im Inlands‑ und Auslandszahlungsverkehr wie in allen sonstigen Geldgeschäften der Dienste der Oberbank zu bedienen ... Ihr Konto wird vierteljährlich, jeweils zum 31. März, 30. Juni, 30. September und 31. Dezember jeden Jahres abgeschlossen. Die auflaufenden Abschlussposten wollen Sie, soferne diese im Rahmen des bestehenden Kredits keine Deckung finden, nach Erhalt des jeweiligen Kontoabschlusses begleichen ... Für dieses Kreditverhältnis gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der österreichischen Kreditunternehmungen in der jeweils gültigen Fassung.“ Nach Punkt 8 Abs 1 dieser Bedingungen ist die Kreditunternehmung während der Geschäftsverbindung unwiderruflich befugt. Geldbeträge für den Kunden entgegenzunehmen und seinem Konto gutzubringen. Den Auftrag, einem Kunden einen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen oder zur Verfügung zu halten, darf die Kreditunternehmung durch Gutschrift des Betrags auf dem Konto des Begünstigten ausführen, wenn ihr nicht ein anderweitiger Verwendungszweck aus dem Auftrag ersichtlich ist. Nach Punkt 36 Abs 1 der Bedingungen darf sowohl der Kunde als auch die Kreditunternehmung mangels anderweitiger Vereinbarung die Geschäftsverbindung nach freiem Ermessen jederzeit mit sofortiger Wirkung kündigen. Auch falls eine solche Vereinbarung getroffen ist, darf die Kreditunternehmung die Geschäftsverbindung aus wichtigem Grunde jederzeit beendigen.

Eine Kündigung oder eine Beendigung der Geschäftsverbindung aus wichtigem Grunde erfolgte nicht. Am 20. Oktober 1981 wurde über die Kreditnehmerin der Konkurs eröffnet.

Zum 31. August 1981 wies der Kontostand einen Saldo von 350.570,80 S zugunsten der beklagten Partei auf. Bis zum 13. Oktober 1981 ergaben sich folgende Kontobewegungen:

 

Datum

Umsatz

Saldo

4. 9. 1981

11.634,74

338.936,06

10. 9. 1981

14.861,56

 

10. 9. 1981

29.206,67

294.867,85

11. 9. 1981

39.318,‑ ‑

334.185,85

14. 9. 1981

4.620,30

338.806,15

15. 9. 1981

21.659,96

 

15. 9. 1981

2.211,50

 

15. 9. 1981

7.313,05

350.941,54

23. 9. 1981

897,‑ ‑

350.044,54

29. 9. 1981

14.000,‑ ‑

 

29. 9. 1981

14.000,‑ ‑

350.044,54

30. 9. 1981

8.423,80

 

30. 9. 1981

16.056,20

 

30. 9. 1981

22.035,59

352.488,95

6. 10. 1981

2.548,70

349.940.25

12. 10. 1981

90,‑ ‑

349.850.25

13. 10. 1981

1.312,50

351.162,75

   

 

Die Eingänge vom 4. 9. 1981, 10. 9. 1981, 15. 9. 1981 (2.211,50 S und 7.313,50 S), vom 23. 9. 1981, 29. 9. 1981, 30. 9. 1981, 6. 10. 1981 und vom 12. 10. 1981 von zusammen 104.798,81 S ficht die klagende Partei nach § 30 Abs 1 Z 1 KO an. Durch die Reduktion des Debetsaldos habe die beklagte Partei eine Befriedigung erlangt, die sie zu diesem Zeitpunkt nicht zu beanspruchen gehabt habe.

Die beklagte Partei vertritt den Standpunkt, dass keine inkongruenten Leistungen und keine Begünstigung vorlägen. Nach den Kreditbedingungen sei die Gemeinschuldnerin verpflichtet gewesen, ihre gesamten geschäftlichen Geldumsätze bei der beklagten Partei abzuwickeln.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 100.797,50 S sA statt und wies das Mehrbegehren von 4.001,31 S sA ab. Nach seiner Rechtsmeinung hänge die Beantwortung der Frage, ob der Gläubiger die erlangte Befriedigung in der Zeit zu beanspruchen habe, allein davon ab, ob ihm diese aufgrund eines klagbaren materiell‑rechtlichen Anspruchs zugestanden sei. Mangels Kündigung des Kreditverhältnisses habe die beklagte Partei einen klagbaren materiell‑rechtlichen Anspruch gegen die Gemeinschuldnerin nur hinsichtlich jener Beträge gehabt, durch die der Kredit über den vereinbarten Rahmen von 350.000 S ausgenützt worden sei, sohin nur auf 4.001,31 S. Es läge nämlich zumindest eine schlüssige Vereinbarung vor, dass die Gemeinschuldnerin Kreditüberziehungen unverzüglich abzudecken habe. Der gegen die vertretene Rechtsmeinung im Schrifttum geäußerten Kritik begegnete das Erstgericht mit dem Hinweis auf die mit der Gegenmeinung verbundene Risikoverlagerung zugunsten der Banken, die dem Sinn der Anfechtungsbestimmungen zuwiderlaufe.

Das Berufungsgericht änderte das nur in seinem stattgebenden Teil angefochtene Ersturteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab und erklärte die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig, soweit der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstands 15.000 S übersteigt. Es führte (unter Berufung auf Koziol in JBl 1982, 384) aus, dass beim sogenannten revolvierenden Kontokorrentkredit der aushaftende Kredit durch jeden Kontoeingang teilweise getilgt werde. Bis zum Höchstbetrag könne dann wieder der Kredit in Anspruch genommen werden. Könnte jede teilweise Tilgung des Kredits während der kritischen Zeit nach § 30 Abs 1 Z 1 KO angefochten werden, würde dies unter Umständen dazu führen, dass der Kreditgeber ein Vielfaches des Kreditrahmens an die Masse zu leisten hätte. Es müsse daher berücksichtigt werden, dass wirtschaftlich gesehen in Wahrheit der Kredit stets gleich geblieben sei und der Kreditnehmer die Eingänge wieder selbst verwendet habe. Die Anfechtung könne daher nur jene Tilgungen erfassen, die dazu geführt hätten, dass der tatsächliche Debetstand unter den Höchstrahmen gesunken sei. Eine Tilgung im Sinne des § 30 Abs 1 Z 1 KO sei daher nur insoweit anzunehmen, als der im letzten Jahr vor der Konkurseröffnung (§ 30 Abs 2 KO) erreichte Höchststand der Kreditausnutzung bis zur Konkurseröffnung verringert worden sei. Im vorliegenden Fall habe der Kreditrahmen 350.000 S betragen und sei bei Abschluss des Kontos am 13. 10. 1981 in voller Höhe ausgenützt gewesen. Die beklagte Partei sei daher durch die angefochtenen Eingänge nicht begünstigt worden. Die beklagte Partei habe aber auch die auf dem Konto bis zur Eröffnung des Konkurses eingezahlten Beträge mit ihren Forderungen verrechnen können. Diese Verrechnung beruhe auf dem Kontokorrentvertrag, der mit dem Konkurs in keinem Zusammenhang stehe, sodass dieser Vorgang die Gleichbehandlung aller Gläubiger nicht verletzt habe.

Gegen die Abweisung des Anfechtungsbegehrens in Ansehung der Zahlungen vom 10. 9. 1981 von 29.206,67 S und vom 30. 9. 1981 von 22.035,59 S durch das Berufungsgericht richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne eines Zuspruchs von 51.242,26 S sA abzuändern. Hilfsweise stellt die klagende Partei einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die klagende Partei stützt ihre Anfechtung nur auf den Anfechtungstatbestand des § 30 Abs 1 Z 1 KO. Danach ist eine nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach dem Antrage auf Konkurseröffnung oder in den letzten 60 Tagen vorher vorgenommene Sicherstellung oder Befriedigung eines Gläubigers anfechtbar, wenn er eine Sicherstellung oder Befriedigung erlangt hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht in der Zeit zu beanspruchen hatte, es sei denn, dass er durch diese Rechtshandlung vor den anderen Gläubigern nicht begünstigt worden ist. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn die Begünstigung früher als ein Jahr vor der Konkurseröffnung stattgefunden hat (§ 30 Abs 2 KO). Bei einer Anfechtung nach § 30 Abs 1 Z 1 KO kommt es nur auf die objektive Tatsache der Begünstigung an. Der Beklagte muss nicht wissen, dass er etwas erhält, was ihm nicht oder doch nicht so, wie er es erhält, gebührte ( Bartsch‑Pollak I 204; SZ 46/57). Die Wahrung der obgenannten Fristen und die Befriedigungstauglichkeit der Anfechtung ist im vorliegenden Fall nicht strittig. Ebenso kann nicht zweifelhaft sein, dass die beklagte Partei eine Befriedigung in der Art erhielt, auf die sie einen vertraglichen Anspruch schon vor Beginn der Frist des § 30 Abs 1 KO erworben hatte. Fraglich könnte lediglich die zeitliche Kongruenz sein. Die Frage, ob der Gläubiger die Befriedigung „in der Zeit zu beanspruchen hatte“, in der er sie erlangte, ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs danach zu beurteilen, ob ihm diese im Zeitpunkt der Erlangung aufgrund eines klagbaren materiellrechtlichen Anspruchs zustand, der schon zu Beginn der im § 30 Abs 1 KO genannten kritischen Frist gegeben war (EvBl 1984/64; JBl 1982, 380; SZ 52/147; SZ 46/57; kritisch hiezu Koziol in JBl 1982, 382; Schuhmacher in BankArch 1982, 330). Die Auslegung des Krediteinräumungsschreibens der beklagten Partei samt Annahmeerklärung durch die Gemeinschuldnerin könnte nach dem Wortlaut der Erklärungen und ihrer Bedeutung, gemessen am „Empfängerhorizont“ (vgl Rummel in ABGB Rdz 4 zu § 914) einen klagbaren Anspruch der beklagten Partei auf Schaffung einer Aufrechnungslage (vgl Koziol aaO 384) ergeben. Das „Ersuchen“ der beklagten Partei auf Abwicklung der gesamten Geldumsätze der Gemeinschuldnerin über das Kreditkonto bei der beklagten Partei findet sich unter den Kreditbedingungen, die für das Kreditverhältnis gelten sollen, und wurde von der Gemeinschuldnerin mit dem übrigen Inhalt des Krediteinräumungsschreibens „verbindlich“ zur Kenntnis genommen. Die Echtheit und Richtigkeit dieses Schreibens wurde zwar von der klagenden Partei zugestanden, jedoch eine konkludente Abänderung der Vereinbarungen behauptet (AS 21). Diese Behauptung blieb ungeprüft und ist auch nicht weiter zu erörtern. Selbst bei Vorliegen einer inkongruenten Deckung ist eine Anfechtung nach § 30 Abs 1 Z 1 KO ausgeschlossen, wenn der Gläubiger dadurch vor den anderen Gläubigern nicht begünstigt worden ist. Dieser Anfechtungsausschluss beruht auf der Erwägung des Gesetzgebers, dass zwar die in § 30 Abs 1 KO behandelte Deckung in der Regel eine Begünstigung darstellt – daher auch die objektive Fassung des Tatbestands –, in manchen Fällen aber trotz Inkongruenz der Deckung keine Begünstigung vorliegt ( Petschek‑Reimer‑Schiemer 332 FN 35; Denkschrift zur Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung 40). Nach der Denkschrift soll dies etwa dann der Fall sein, wenn jemand anstelle einer nicht gerade vorrätigen Warengattung eine andere liefert, zB Ware von etwas anderer Beschaffenheit, anderer Farbennuance, anderer Größe oder Qualitätsnummer. Dies sei keine Begünstigung des Käufers. Ähnliches solle gelten, wenn ein Schuldner einen Gesamtausgleich über bereits fällige und noch nicht fällig gewordene Posten schließt, oder wenn er sich zu gleichmäßigen Ratenzahlungen verpflichtet, durch die ab/und zu Zahlungen auf noch nicht fällige Schulden geleistet werden. Die erstgenannten Beispiele betreffen zwar die Frage der Kongruenz und weisen darauf hin, dass bei Beurteilung der Inkongruenz einer Leistung die Ansichten des Verkehrs maßgebend sind (vgl Halper in ZBl 1915, 593; Schuhmacher aaO 337). Die Erwägungen des Gesetzgebers treffen aber auf den revolvierenden Kontokorrentkredit zu. Bei diesem wird der aushaftende Kredit durch jeden Kontoeingang teilweise getilgt, bis zum Kredithöchstbetrag kann aber der Kredit wieder in Anspruch genommen werden. Disponiert der Kreditnehmer wieder über einen Eingang, ist der Kredit in Wahrheit gleich geblieben. Insoweit liegt dann aber eine Begünstigung des Kreditgebers nicht vor. Eine Anfechtung ist daher nur hinsichtlich jener Tilgungen zulässig, die dazu geführt haben, dass der tatsächliche Debetstand bis zur Konkurseröffnung unter den Kredithöchstrahmen gesunken ist (Koziol aaO 384). Dies trifft aber auf die hier noch strittigen Eingänge vom 10. 9. 1981 und vom 30. 9. 1981 jedenfalls nicht zu, weil es infolge der unmittelbaren Verfügungen der Gemeinschuldnerin über diese Eingänge zu keiner die beklagte Partei begünstigenden Reduktion des Debetsaldos kam. Im Zeitpunkt der Konkurseröffnung war der Kreditrahmen sogar überschritten. In dieser Besonderheit weicht auch der vorliegende Fall von jenem Sachverhalt ab, der der Entscheidung 5 Ob 312/81 (= JBl 1982, 380) zugrunde lag.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung basiert auf den §§ 41, 50 ZPO.

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