European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00033.840.1122.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, dass die in Punkt 2 des Urteils des Erstgerichts ausgesprochene Haftungsbegrenzung der beklagten Partei vorbehaltlich einer Herabsetzung nach § 156 Abs 3 VersVG und einer Kürzung nach § 155 Abs 1 VersVG besteht.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 12.265,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 940,50 S an Umsatzsteuer und 1.920 S an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 1. 6. 1968 ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem Erich F*****, der bei der Klägerin pensionsversichert war, schwer verletzt wurde. Den Geschädigten trifft ein Mitverschulden von 25 %. Der beklagte Haftpflichtversicherer hat bisher Leistungen an Erich F***** von zusammen 87.552,15 S (69.525 S Schmerzengeld, 3.562,50 S Sachschaden, 14.464,65 S Verdienstentgang), an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse von 42.533 S und an die Klägerin von 25.000 S erbracht.
Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Betrags von 310.168,23 S sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige, von der Regressklägerin an den Geschädigten zu erbringende Pflichtaufwendungen, soweit diese unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens von 25 % und der Deckungssumme der Haftpflichtversicherung gemäß § 332 ASVG Deckung finden. Erich F***** sei im Unfallszeitpunkt erst 21 Jahre alt gewesen, durch den Unfall in seinem Wesen stark verändert worden und nicht mehr in der Lage, seinen früheren Beruf als kaufmännischer Angestellter auszuüben. Es seien ihm nur mehr untergeordnete Arbeiten möglich, die ihm nicht zugemutet werden könnten. Die Klägerin habe ihm daher ab dem 1. 5. 1970 eine Berufsunfähigkeitspension zuerkannt. Die Aufwendungen der Klägerin an Erich F***** betrügen ab diesem Zeitpunkt bis zum 31. 3. 1982 310.168,23 S; sie seien im Verdienstentgang des Geschädigten gedeckt. Da auch künftig Pensionsleistungen zu erbringen seien, bestehe ein Interesse an der begehrten Feststellung.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Vom 1. 5. 1970 bis 31. 12. 1971 stünden der Regressklägerin nur 35.621,65 S zu, sodass sich diesbezüglich abzüglich des Acontos von 25.000 S ein Restbetrag von 10.621,65 S ergebe. Spätestens ab 1. 1. 1972 sei dem Geschädigten die Ausübung eines Verweisungsberufs möglich und zumutbar. Für die Leistungen der Klägerin ab diesem Zeitpunkt gebe es daher keinen Deckungsfonds. Die Nichtannahme entsprechender Arbeitsstellen sei auf die Arbeitsunlust des Geschädigten zurückzuführen. Einschließlich der Acontozahlungen an die Klägerin seien von der Beklagten aus der zur Verfügung stehenden Personenschadensversicherungssumme bereits 151.918 S geleistet worden, sodass die restliche, zur Verfügung stehende Versicherungssumme 848.082 S betrage. Dieser Betrag reiche zur Befriedigung der Direktansprüche des Geschädigten und der Forderungen der Klägerin nicht aus. Es sei auf die Bestimmungen der §§ 155, 156 VersVG, auf die Art 3 und 26 Abs 3 der AKHB 1967, auf § 59 Abs 3 KFG und auf § 15 EKHG Bedacht zu nehmen, sodass die Beklagte gegenüber Erich F***** und der Klägerin nur mit der Rentenmindestdeckungssumme von 36.000 S jährlich im Rahmen der restlichen, noch vorhandenen Versicherungssumme hafte. Dabei könne die Klägerin nur jenen Betrag anteilsmäßig begehren, der dem Verhältnis des Direktanspruchs des Geschädigten zu ihrer Regressforderung entspreche.
Die von den Untergerichten angenommene Erwerbsunfähigkeit ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.
Das Erstgericht sprach der Klägerin 297.811,29 S sA zu und gab dem Feststellungsbegehren statt. Es ging von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:
Erich F***** hat vor seinem Unfall ein monatliches Nettogehalt von 1.974,68 S bezogen. Ausgehend von diesem Bezug hatte Erich F***** – unter Berücksichtigung einer 25%igen Mitverschuldensquote – im Zeitraum Mai 1970 bis März 1982 einen Verdienstentgang, in dem die Aufwendungen der Klägerin bis zu einem Betrag von 297.811,29 S Deckung finden.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, dass eine Anspruchskonkurrenz von Kapital‑ und Rentenforderung sowie von den im Direktprozess zugesprochenen Beträgen und dem Regressanspruch der Klägerin gegeben sei, wobei dem Schmerzengeld von 69.525 S, das dem Geschädigten im Direktprozess zuerkannt worden sei, ein absoluter Liquidationsvorrang gemäß § 336 ASVG zukomme. Im Unfallszeitpunkt habe gemäß § 15 EKHG die Kapitalmindestversicherungssumme 600.000 S, die Rentenmindestversicherungsumme jährlich 36.000 S betragen. Der Barwert der für die Regressforderung vornehmlich heranzuziehenden Rentenmindestversicherungssumme, die bei einer Konkurrenz von Kapital‑ und Rentenforderungen im Fall des Art 3 Abs 1 letzter Satz AKHB 1967 die Ausgangsbasis bilde, betrage ausgehend vom Anfallsalter von 21 Jahren beim Geschädigten und der Erreichung eines Pensionsanfallsalters von 60 Jahren (§ 253b ASVG) bei 39 Berufsjahren 850.059,03 S. Der weiteren Berechnung für die anteilige oder vollkommene Befriedigung der konkurrierenden Ansprüche nach Maßgabe der §§ 155, 156 VersVG, § 15 EKHG und Art 3 AKHB iVm § 59 Abs 3 KFG sei daher von dem um die liquidierte Schmerzengeldforderung verminderten Barwert der Rentenmindestversicherungssumme, somit von 780.534,03 S, auszugehen. Da Kapitalforderungen Rentenforderungen vorgingen (§ 15 Abs 2 EKHG), sei es im Rahmen der gesetzlichen Mindestversicherungssummen – zwischen 1. 1. 1968 bis 30. 6. 1971 seien es die genannten gewesen – wesentlich, dass ein Verdienstentgangsanspruch für die Vergangenheit wie eine Kapitalsforderung zu behandeln sei. Dies bewirke, dass kapitalisierte Verdienstentgangsforderungen der Regressklägerin aus der auf sie entfallenden Deckungssumme von 340.328,85 S – zur Berechnung vgl im Einzelnen die Seiten 22 bis 24 des Urteils des Erstgerichts = AS 344 bis 346 – ungekürzt zur Befriedigung zufielen. Der um die Mitverschuldensquote des Geschädigten gekürzte Verdienstentgangsanspruch sei auf die Regressklägerin gemäß § 332 ASVG im Hinblick auf die von ihr erbrachten kongruenten Leistungen übergegangen.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 300.000 S übersteige. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und teilte dessen rechtliche Beurteilung. Der Beklagten sei zuzustimen, dass Verdienstentgangsleistungen nach § 156 Abs 3 VersVG, soweit es sich um den Vorrang von Kapitalforderungen vor Rentenforderungen handle, als Renten im technischen Sinn zu behandeln seien. Doch seien bei der gemäß § 155 Abs 1 VersVG vorzunehmenden Kürzung nicht alle Renten im technischen Sinn als Renten zu behandeln, sondern die bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz fällig gewordenen Renten dem Kapital zuzuschlagen. Da die Regressklägerin keine Leistungen für die Zukunft begehre, sondern sich im Rahmen von Verdienstentgangsforderungen für die Vergangenheit, nämlich bis zum 31. März 1982, halte, seien diese nicht mit dem Barwert, sondern mit dem Kapitalbetrag zu berücksichtigen gewesen.
Die Beklagte bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichts mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Beklagte macht geltend, das Erstgericht habe festgestellt, dass mehrere geschädigte Dritte vorhanden seien, deren Forderungen die Versicherungssumme überstiegen, sodass ein Deckungskonkurs vorliege. In diesem Falle seien gemäß § 156 Abs 3 VersVG die Forderungen nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu berichtigen. Zwar seien unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 155 Abs 1 und des § 156 Abs 3 VersVG und des § 15 EKHG (Art 3 Abs 1 AKHB) Kapitalforderungen bis zur Mindestversicherungssumme vor Rentenforderungen zu befriedigen (wobei das Schmerzengeld vorrangig bezahlt werden müsse). Verdienstentgangsleistungen seien jedoch Renten (im technischen Sinn), auch dann wenn bereits fällige Beträge mit einem Kapitalbetrag wie im gegenständlichen Fall begehrt werden. Es sei beiden Parteien klar gewesen, dass ab 1972 oder spätestens ab 1973 ein Deckungskonkurs gegeben und die Rentenkürzung nach § 155 VersVG vorzunehmen sei, falls überhaupt ein Anspruch der Klägerin im Zusammenhang mit der Arbeitsfähigkeit des Geschädigten bestehen sollte. Die Klägerin könne nicht dadurch, dass sie (nach Abgabe eines Verjährungsverzichts) über 10 Jahre mit der Klageführung zuwarte, eine Rückumwandlung des Rentenschadens in einen vorrangigen Kapitalschaden bewirken. Auch der Sozialversicherungsträger als Legalzessionar habe in diesem Fall nur mehr Anspruch auf Ersatz gekürzter Renten und könne nur auf dieser Basis den Zuspruch kapitalisierter Rentenforderungen für die Vergangenheit begehren. Eine andere Lösung dieser Frage würde den Direktgeschädigten bei Geltendmachung seiner Ansprüche in unbilliger Weise verkürzen.
Der Oberste Gerichtshof teilt jedoch die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass im vorliegenden Fall eine Kürzung der geltend gemachten Ansprüche im Sinne des § 155 Abs 1 und des § 156 Abs 3 VersVG nicht vorzunehmen ist.
Nach § 14 Abs 1 Z 1 EKHG ist der Schadenersatz hinsichtlich der Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit für die Zukunft durch Entrichtung einer Geldrente zu leisten. Da nach § 15 Abs 2 EKHG dann, wenn Schäden die mit einem Kapitalsbetrag abzufinden sind, mit Schäden zusammentreffen, für die eine Rente zu gewähren ist, sich der in § 15 Abs 1 WKHG für die Rente festgesetzte Höchstbetrag um den Hundertsatz kürzt, den der zu leistende Kapitalsbetrag vom Kapitalshöchstbetrag ausmacht, Rentenschäden also im Sinne dieser Bestimmung benachrangt sind, bleibt die – im Gesetz nicht beantwortete – Frage offen, wie der Beginn der Zukunft als Stichtag für die Umwandlung eines bevorrangten Kapitalschadens zum nachrangigen Rentenschaden zu bestimmen ist. Setzt doch die Qualifikation der gemäß § 14 EKHG mit einer Rente abzufindenden Schäden als „technische“ Rentenschäden erst mit dem Ausbruch der Zukunft ein ( Kunst , ZVR 1978, 66). Als Kriterien für die Bestimmung des Stichtags bieten sich der Schluss der mündlichen Streitverhandlung, die Bestimmung des Stichtags durch Parteiendisposition und die Bestimmung des Stichtags mit jenem Zeitpunkt an, in dem bei objektiver Betrachtung festgestellt werden kann, dass die Körperverletzung oder Tötung eines Menschen einen nicht restituierbaren Dauerschaden hinterlassen hat (Konsolidierung der Schadensfolgen; Kunst aaO 67). Die Beklagte schließt sich mit ihren Ausführungen offensichtlich der Meinung an, es sei vom Stichtag der Konsolidierung der Unfallsfolgen auszugehen. Der Oberste Gerichtshof dagegen vertritt in ständiger Rechtsprechung zu § 14 EKHG die konkludente Dispositionsfreiheit des Verletzten in Verbindung mit der Relevanz des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung als Stichtag für die Behandlung des Schadens auf Ersatz des Verdienstentgangs als bevorzugte Kapitalforderung ( Kunst aaO 68; ZVR 1975/196, SZ 51/63, ZVR 1980/332, 8 Ob 248/80, 7 Ob 13/83, 7 Ob 35/83). Es besteht kein Anlass, von dieser Ansicht abzugehen, zumal die Entscheidung 7 Ob 67/83, die die Beklagte zur Stützung ihrer Ausführungen heranzuziehen versucht, einen anderen Sachverhalt zum Gegenstand hat und von der Beklagten offensichtlich missverstanden wird. Im Falle der genannten Entscheidung hatte der beklagte Kfz‑Haftpflichtversicherer an den klagenden Sozialversicherungsträger als Legalzessionar des Verletzten bereits jahrelang ungekürzte Renten bezahlt, als ein Streit über die erforderliche Kürzung der Renten entstand und der Sozialversicherungsträger erklärte, auf Ersatzforderungen über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus zu verzichten, bis dahin aber die volle Rente zu beanspruchen. Der Oberste Gerichtshof wies das Begehren auf Zahlung der vollen Pensionsleistungen bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung – unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der oben genannten Rechtsprechung – mit der Begründung ab, die Frage der Umwandlung von Rentenansprüchen in vorrangige Kapitalschäden stelle sich dann nicht mehr, wenn bereits längst Renten geleistet worden sind und dann ein Deckungskonkurs eingetreten ist. In diesem Fall könne der Geschädigte nicht mehr dadurch, dass er eine ungekürzte Rente für einen kürzeren Zeitraum unter Verzicht auf weitere Leistungen begehre oder die vorzunehmende Kürzung bestreite, eine Rückumwandlung des Rentenschadens in einen vorrangigen Kapitalschaden bewirken. Es bestehe kein Grund, weshalb der Streit über eine erforderliche Kürzung der Renten die Rentenforderung für die Zwischenzeit der Prozessdauer zur Kapitalsforderung machen sollte (7 Ob 67/83, iglS 7 Ob 35/83). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte der Klägerin keinesfalls bereits vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung Renten gezahlt. Der Streit ging vielmehr vor allem darum, ob eine Rente wegen Verdienstentgangs überhaupt zu zahlen ist. Das Problem der Rückumwandlung des Ersatzanspruchs in einen Kapitalschaden wie in der von der Beklagten genannten Entscheidung kann sich daher hier gar nicht stellen.
Die Vorinstanzen haben deshalb zu Recht dem Leistungsbegehren ohne Vornahme einer Kürzung im Sinne des § 155 Abs 1 VersVG stattgegeben.
Die Beklagte wendet sich letztlich auch gegen die Fassung des Feststellungserkenntnisses, da diese auf eine mögliche Kürzung der Rentenansprüche nach § 156 Abs 3 VersVG nicht Bedacht nehme.
Auf eine mögliche Kürzung der Rentenansprüche nach § 156 Abs 3 VersVG wird zwar im Feststellungsbegehren durch den Satz „Die Haftung der beklagten Partei ist mit der Höhe der auf die klagende Partei entfallenden Deckungssumme begrenzt“ Bezug genommen. Da die Bezugnahme auf eine Herabsetzung der Rente nach § 156 Abs 3 VersVG jedoch der Verdeutlichung dient, war sie in den Spruch des Feststellungsbegehrens aufzunehmen. Aufzunehmen war auch der Vorbehalt einer möglichen Kürzung der Rente gemäß § 155 Abs 1 VersVG zumal die Möglichkeit einer derartigen Kürzung im gegenständlichen Verfahren keinesfalls ausgeschlossen werden kann.
Die Revision erweist sich deshalb im Ergebnis als unbegründet, sodass ihr ein Erfolg zu versagen war.
Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.
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