OGH 7Ob35/83

OGH7Ob35/8329.11.1983

SZ 56/178

Normen

VVG §155
VVG §155

 

Spruch:

Bei einem Deckungskonkurs, der erst während der Laufzeit nachrangiger Rentenschäden erkannt wird, kann der Geschädigte oder dessen Legalzessionar eine ungekürzte Rente bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz selbst unter Verzicht auf weitere Leistungen nicht begehren

OGH 29. 11. 1983, 7 Ob 35/83 (OLG Wien 17 R 233/82; LGZ Wien 34 Cg 725/81)

Text

Peter B verschuldete am 16. 8. 1972 als Lenker eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Kombi-Kraftwagens einen Verkehrsunfall, bei dem Erwin P tödliche Verletzungen erlitt. Dieser war bei den klagenden Parteien pflichtversichert und hinterließ die am 19. 5. 1946 geborene Gattin Monika und zwei Kinder Sonja, geboren am 10. 6. 1968, und Claudia, geboren am 20. 8. 1970. Ab 1. 7. 1978 bezahlt die Erstklägerin an die Witwe und die beiden Kinder eine Witwenpension bzw. Waisenpension von je 2047.50 S monatlich, insgesamt daher 6142.50 S monatlich. Die Zweitklägerin leistet an Monika P eine Witwenpension von 2679.50 S monatlich und an die beiden mj. Sonja und Claudia eine Waisenpension von je 1101.80 S, insgesamt daher 4883.10 S. Zu den Pensionsleistungen kommen noch die jeweiligen Sonderzahlungen. Unbestritten ist, daß die beklagte Partei den klagenden Parteien zum Rückersatz der von ihnen erbrachten Leistungen bis zur Deckungssumme von 1 000 000 S ersatzpflichtig ist. Die beklagte Partei ersetzte aus der Versicherungssumme die Bestattungskostenbeiträge der Wiener Gebietskrankenkasse von 5795 S und der Erstklägerin von 5501 S. Sie ersetzte den klagenden Parteien ihre Pensionsleistungen an die Hinterbliebenen bis 30. 6. 1978, der Erstklägerin 409 598 S und der Zweitklägerin 307 687 S. Es liegt Deckungskonkurs vor. Das Rentendeckungskapital beträgt zum 1. 7. 1978 271 419 S und ist zwischen den klagenden Parteien im Verhältnis von 60 : 40 aufzuteilen.

Strittig ist, ob die klagenden Parteien vom 1. 7. 1978 bis 31. 3. 1980 Anspruch auf die kapitalisierten Rentenforderungen in ungekürzter Höhe von 141 277.50 S (Erstklägerin) bzw. 112 311.30 S (Zweitklägerin) oder nur Anspruch auf eine gekürzte Rente haben.

Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang dem auf Ersatz der kapitalisierten Renten gerichteten Klagebegehren statt. Es ging hiebei von der ihm durch den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes vom 12. 2. 1981 überbundenen Rechtsansicht aus, wonach bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz fällig gewordene Renten bei der Kürzung nach § 155 Abs. 1 VersVG als Kapitalforderungen zu behandeln und vorrangig zu befriedigen seien. Durch die kapitalisierten Renten vom 1. 7. 1978 bis Ende Feber 1980 sei bereits das Rentendeckungskapital erschöpft und auf Null gesunken. Eine gekürzte Rente komme daher nicht in Betracht. Dies sei eine Folge davon, daß die beklagte Partei erst im Jänner 1982 einen Verteilungsplan vorgelegt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Anerkennung des technischen Kapital- und Rentenschadens und des Liquidationsvorranges des Kapitalschadens beruht auf § 15 Abs. 2 EKHG. Daß die Ansprüche der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB wegen Unterhaltsentganges Schadenersatzansprüche sind, für die nach § 14 EKHG Schadenersatz für die Zukunft durch Entrichtung einer Geldrente zu leisten ist, kann nicht zweifelhaft sein. Fraglich kann lediglich sein, von welchem Zeitpunkt an es sich um einen zukünftigen und in Form einer Rente zu erfüllenden Anspruch handelt, ab wann demnach eine Einstufung der Ersatzansprüche als nachrangige Rentenschäden bei der nach § 155 Abs. 1 VersVG normierten Rentenkürzung vorzunehmen ist. Für den Beginn des Stichtages als Beginn der Zukunft bieten sich verschiedene Kriterien an (vgl. Kunst, Der Kapital- und Rentenschaden in der Haftpflicht und Haftpflichtversicherung, ZVR 1978, 65 ff., insbesondere 67). Der OGH hat wiederholt ausgesprochen, daß im Gegensatz zu der Aufteilung der Versicherungssumme nach § 156 Abs. 3 VersVG auf mehrere Dritte, die im vorliegenden Fall nicht mehr strittig ist, bei der nach § 155 Abs. 1 VersVG vorzunehmenden Kürzung nicht alle Renten im technischen Sinn als Renten zu behandeln, sondern die bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz fällig gewordenen Renten dem Kapital zuzuschlagen sind (ZVR 1980/332; SZ 51/63; 8 Ob 248/80 ua.). Daran ist grundsätzlich festzuhalten. Im vorliegenden Fall wurde jedoch von den klagenden Parteien bis 30. 6. 1978 Schadenersatz für die Zukunft durch Entrichtung einer Geldrente begehrt und von der beklagten Partei auch bezahlt. Es stellt sich daher nicht mehr die Frage der Umwandlung der Ansprüche der klagenden Parteien von vorrangigen Kapitalschäden auf nachrangige Rentenschäden. Es kommt auch dem Schluß der mündlichen Streitverhandlung keine Bedeutung zu, weil in dieser Richtung der Sachverhalt im Prozeßwege nicht zu klären ist. Es ist auch nicht strittig, daß ab 1. 7. 1978 jedenfalls Deckungskonkurs vorliegt. Dann kann aber der Geschädigte nicht mehr dadurch, daß er eine ungekürzte Rente für einen kürzeren Zeitraum unter Verzicht auf weitere Leistungen begehrt oder die vorzunehmende Kürzung bestreitet, jedenfalls bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz eine Rückumwandlung des Rentenschadens in einen vorrangigen Kapitalschaden bewirken. Den Vorinstanzen kann daher im vorliegenden Fall nicht darin gefolgt werden, daß die bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz fällig gewordenen Renten in ungekürzter Höhe als Kapitalforderungen zu behandeln und jedenfalls bis zur Ausschöpfung des restlichen Deckungskapitals voll zu befriedigen sind. Die klagenden Parteien haben vielmehr ab 1. 7. 1978 nur Anspruch auf Ersatz gekürzter Renten und können nur auf dieser Basis den Zuspruch kapitalisierter Rentenforderungen für die Vergangenheit begehren. Auf die Frage der Vorlage eines Verteilungsplanes durch die beklagte Partei kommt es daher nicht an. Da aber die Höhe der gekürzten Renten zwischen den Parteien strittig ist und insoweit der Sachverhalt nicht geklärt wurde, ist eine Verfahrensergänzung in erster Instanz erforderlich. Im fortgesetzten Verfahren wird zu beachten sein, daß die Ersatzpflicht für den Unterhaltsentgang der Witwe mit der fiktiven Lebensdauer des Getöteten begrenzt ist (vgl. Kunst aaO 74 f.).

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