OGH 3Ob581/84

OGH3Ob581/847.11.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei M***** P*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei G***** P*****, vertreten durch Dr. Johannes Zach, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. Juli 1984, GZ 12 R 157/84‑38, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 9. Februar 1984, GZ 24 Cg 58/83‑25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei die mit 4.753,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 268,50 S an Umsatzsteuer und 1.800 S an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 14. 4. 1972 vor dem Standesamt Wien‑Innere Stadt die Ehe geschlossen. Es handelt sich seitens der Klägerin und Widerbeklagten (im Folgenden nur Klägerin genannt) um die zweite, seitens des Beklagten und Widerklägers (im Folgenden nur Beklagter genannt) um die erste Ehe. Beide Ehegatten sind römisch‑katholischen Glaubensbekenntnisses und besitzen sowohl die österreichische, als auch die australische Staatsbürgerschaft; die Klägerin war vor der Eheschließung tschechoslowakische Staatsbürgerin. Auch der Beklagte war ursprünglich tschechoslowakischer Staatsbürger; er ist 1964 nach Österreich geflüchtet und 1966 nach Australien (Sidney) ausgewandert. Die Eheschließung erfolgte während eines eineinhalbjährigen Aufenthalts des Beklagten in Österreich. Die Klägerin folgte dem Beklagten wenige Wochen nach der Eheschließung nach Australien, wo am 16. 10. 1972 der Sohn der Streitteile, G***** P*****, geboren wurde. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Streitteile befand sich (seit 1977) in Wien.

Mit der am 7. 2. 1983 eingelangten Klage begehrt die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten und bringt vor, der Beklagte gehe seine eigenen Wege. Er komme abends spät, Freitags meist erst nachts, betrunken nach Hause, beschimpfe die Klägerin, verbringe seine Freizeit allein und lehne es ab, gemeinsam mit der Klägerin und dem ehelichen Sohn der Streitteile etwas zu unternehmen; er habe erklärt, es sei ihm egal, was mit der Klägerin und dem Kind geschehe. Der Beklagte sei lieblos, es sei seit Jahren nicht mehr zu einem ehelichen Verkehr gekommen. Der Beklagte verletze auch seine Unterhaltspflicht; er gebe der Klägerin kein Taschengeld und stelle ihr immer erst nach wiederholten Aufforderungen ein ‑ karg bemessenes ‑ Wirtschaftsgeld zur Verfügung. Kurz nach der Geburt des Kindes im Jahr 1972 und ein weiteres Mal im Jahr 1981 sei der Beklagte gegen die Klägerin tätlich geworden; im März 1983 habe er sie und das Kind mit dem Umbringen bedroht. Der Beklagte habe auch ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten und habe, während die Klägerin bei ihren Eltern in der CSSR gewesen sei, Frauen in der Ehewohnung empfangen.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage und begehrt seinerseits mit der am 16. 3. 1983 eingelangten Widerklage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin. Die Klägerin habe ihre eheliche Beistandspflicht dadurch verletzt, dass sie es abgelehnt habe, dem Beklagten beim Betrieb seiner Schweinefarm in Australien zu helfen, und auch nicht auf andere Weise versucht habe, etwas zu verdienen. Die Klägerin habe den Beklagten schon im Jahr 1973 grundlos verlassen und sei gemeinsam mit dem Kind nach Europa zurückgekehrt. Obwohl die Klägerin angekündigt habe, sie werde nur einige Monate in Europa bleiben, sei sie ungeachtet wiederholter Bitten des Beklagten erst nach 1 1/2 Jahren nach Australien zurückgekommen. Drei Jahre später sei die Klägerin neuerlich mit dem Kind zu ihren Eltern in die CSSR gereist und ungeachtet ihrer Zusage, bald zurückzukehren, erst 6 Monate später ohne das Kind wiedergekommen; sie sei nach einigen Monaten abermals nach Europa geflogen und habe erklärt, nicht mehr zurückzukommen, sondern in Wien zu bleiben. Die Klägerin habe damit den Beklagten, der sehr an seinem Kind gehangen sei, genötigt, seine Farm ‑ mit Verlust ‑ zu verkaufen, ebenfalls nach Wien zu übersiedeln und sich hier eine neue Existenz aufzubauen. In der Folge habe die Klägerin mehrmals, jeweils nur für kurze Zeit, gearbeitet; gegen den Willen des Beklagten habe sie jedoch wiederholt kostspielige Auslandsreisen, unter anderem auch in die USA, unternommen. Die Klägerin sei an der Person des Beklagten überhaupt nicht interessiert, sondern nur darauf bedacht, ihn auszunützen. Sie strebe aus der Ehe und verweigere seit längerer Zeit die ehelichen Beziehungen, gehe ihre eigenen Wege und schließe sich vom Beklagten ab. Im Jahr 1981 habe die Klägerin mit einem G***** U***** Zärtlichkeiten ausgetauscht. Die Klägerin habe, auch dritten Personen gegenüber, immer wieder zu verstehen gegeben, dass sie der Standesunterschied zwischen ihr als Lehrerin und dem Beklagten, einem Schweinezüchter, störe. Im Herbst 1982 habe sie den Beklagten aus dem ehelichen Schlafzimmer ausgewiesen, sein Bett in einem anderen Raum vorbereitet und das Kind zu sich genommen; Ersuchen des Beklagten, die frühere Ordnung wiederherzustellen, habe die Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin habe im Übermaß Alkohol getrunken; sie habe die Wirtschaftsführung vernachlässigt, dem Beklagten kein Frühstück gegeben und das Abendessen nur nach besonderen Vorhalten vorbereitet. Im Juli 1983 habe die Klägerin die eheliche Wohnung grundlos verlassen und fast sämtliche Einrichtungsgegenstände mitgenommen.

Das Erstgericht sprach die Scheidung der Ehe aus und stellte fest, dass das Verschulden beide Parteien zu gleichen Teilen treffe. Es traf folgende Feststellungen:

Noch bevor der Sohn der Streitteile ein Jahr alt war, kam es in Australien zu Streitigkeiten zwischen den Ehegatten, weil der Beklagte die Klägerin berufsbedingt allein mit dem Kind in der Wohnung ließ und häufig erst nachts nach Hause kam, weil er auf seiner Schweinefarm sehr viel zu tun hatte. Auslösend für den ersten Streit, in dessen Verlauf der Beklagte die Klägerin verprügelte und kurze Zeit aus der Wohnung aussperrte, war, dass die Klägerin nicht mehr bereit war, auch für den Bruder des Beklagten zu kochen.

Die Klägerin kehrte mit dem Kind zu ihren Eltern in die CSSR zurück und blieb dort 1 1/2 Jahre. Der Beklagte bat sie wiederholt, zu ihm zurückzukehren, zumal er sie auf der Farm dringend benötigte, und erklärte, dass er einsehe, Fehler gemacht zu haben.

Die Streitteile lebten nun 3 Jahre lang in Sidney zusammen; ihre wirtschaftlichen Verhältnisse besserten sich erheblich. Der Klägerin oblag die Haushaltsführung und die Betreuung des Kindes, während der Beklagte berufsbedingt überwiegend abwesend war, während seiner Anwesenheit zu Hause aber alkoholische Getränke konsumierte.

Die Klägerin fühlte sich einsam und unausgefüllt und begann in dieser Situation über die Maßen dem Alkohol zuzusprechen. Überdies erkrankte sie an einer Pilzinfektion im Genitalbereich, wozu sie die ärztliche Erklärung erhielt, dass dieses Leiden sich nur in einem trockeneren, kühleren Klima heilen lassen werde.

1977 besuchte die Klägerin mit dem Kind wieder ihre Familie in der CSSR, diesmal bereits in der Absicht, nicht mehr für dauernd nach Australien zurückzukehren. Nach 6 Monaten kehrte die Klägerin ohne den gemeinsamen Sohn nach Australien zurück und stellte den Beklagten vor die Entscheidung, entweder allein in Australien zu bleiben oder mit ihr und dem Kind in Wien zu leben. Nach anfänglicher Ablehnung, weil er sich in Australien eine Existenz geschaffen und Vermögen erworben hatte, entschloss sich der Beklagte doch, den Wohnsitz nach Wien zu verlegen.

Seit 1978 ist der Beklagte als Kraftfahrer bei der Fa S***** beschäftigt, bei der er zuletzt ohne Familienbeihilfe ‑ diese wird von der Klägerin bezogen ‑, jedoch mit Diäten, 12.903,30 S verdiente. Die Sonderzahlungen betragen jährlich etwa 14.000 S. Der Beklagte bezieht darüber hinaus jährlich etwa 50.000 S durch Mieteinnahmen aus seinem australischen Liegenschaftsvermögen. Das monatliche Durchschnittseinkommen des Beklagten beträgt ohne Diäten etwa 15.800 S. Davon leistet der Beklagte 2.000 S an Unterhalt für das 11‑jährige Kind, dies jedoch erst seit dem Auszug der Klägerin anfangs Juni 1983. Zur Zeit der aufrechten ehelichen Gemeinschaft trug der Beklagte alle festen Haushaltskosten, bezahlte Großeinkäufe, die die Streitteile gemeinsam durchführten, und leistete ein wöchentliches Wirtschaftsgeld von zuletzt 1.200 S.

Auch die Klägerin war in Österreich vorübergehend berufstätig, und zwar 1978 vier Monate lang als Schuhverkäuferin, 1979 und 1980 insgesamt sieben Monate lang bei der PSK‑Bank und 1981 ein halbes Jahr lang halbtags bei der Fa H*****. Diesen Arbeitsplatz gab die Klägerin auf, weil es ein starkes Konkurrenzverhältnis zu einem jüngeren Mitarbeiter gab und sie überdies aufgefordert wurde, ganztags zu arbeiten, was sie des Kindes und der ohnedies großen nervlichen Belastung wegen ablehnte. Seither beschränkte sich die Klägerin auf die Haushaltsführung.

Zu Hause trank die Klägerin übermäßig und war häufig alkoholisiert; außerdem litt sie an Depressionen, sodass sie sich im November 1980 in ärztliche Behandlung begab. Da sie auch beschlossen hatte, nicht mehr zu trinken, verlief die Behandlung wegen der Alkoholabhängigkeit und der Depressionen erfolgreich; seit Anfang 1983 lebt die Klägerin abstinent. Auch der Beklagte hatte abends ab und zu Bier oder Wein getrunken und war leicht alkoholisiert, sodass er oft nach dem Essen bei Tisch einschlief.

Aus nichtigen Anlässen kam es zwischen den Streitteilen insbesondere seit 1980 häufig zu Streitigkeiten mit Beschimpfungen, jedoch ohne Misshandlungen. Im Jahr 1981 hielt der Beklagte die Klägerin, die erheblich alkoholisiert war, gewaltsam mit dem Kopf unter die Brause bei der Badewanne, um sie wieder zu ernüchtern.

Der Beklagte hielt der Klägerin wiederholt vor, dass sie den Haushalt nicht ordentliche führe, was zur Zeit der Alkoholabhängigkeit der Klägerin auch oft berechtigt war. Die Klägerin versäumte es insbesondere wiederholt, den Sohn, als er noch den Kindergarten besuchte, von dort abzuholen. Häufig bereitete die Klägerin dem Beklagten auch kein Frühstück und lehnte es ab, die Wochenenden gemeinsam mit ihm zu verbringen.

Andererseits unternahm die Klägerin, ohne das Einverständnis des Beklagten zu suchen, Reisen in die CSSR und in die USA. Nach der Rückkehr aus der USA im Jahr 1982 lehnte sie es ab, beim Beklagten zu bleiben und fuhr schon nach zwei Tagen in die CSSR zu ihren Verwandten.

Die Streitteile lebten sich dadurch auseinander. Sie sprachen und stritten auch nicht mehr miteinander. Der letzte eheliche Verkehr fand vor der USA‑Reise im Jahr 1982 statt.

Über Vorhalte der Klägerin dem Beklagten gegenüber, wie die Ehe weitergehen sollte, antwortete er, es sei ihm alles egal, sie solle sich einen Geliebten nehmen. Der Beklagte verlor jedes Interesse an einer Fortsetzung der Ehe, lehnte es ab, die Wochenenden mit der Klägerin und dem Kind zu verbringen und verschlief die freien Tage zu Hause, sodass die Klägerin mit dem Kind häufig allein wegging. Während die Klägerin im Ausland war, erhielt der Beklagte öfter Damenbesuch, ohne dass dazu näheres festgestellt werden kann. Im Herbst 1982 bereitete die Klägerin dem Beklagten in dem neben dem Schlafzimmer liegenden Raum ein Bett und ließ den Sohn im Schlafzimmer schlafen. Ein gemeinsames Schlafen mit dem Beklagten lehnte die Klägerin ab.

Anfangs März 1983 kam es wegen einiger Erlagscheine, die der Beklagte nicht dort vorfand, wo er sie vorfinden zu müssen glaubte, zu einer Auseinandersetzung zwischen den Streitteilen, in deren Verlauf der Beklagte die Klägerin anschrie, dass er sie einmal umbringen werde, wenn sie die Erlagscheine nicht dort liegen lasse, wo sie gewesen waren.

Die Klägerin verließ danach die Wohnung und zog mit dem Kind in das „Frauenhaus“ des Vereins „Soziale Hilfe für gefährdete Frauen und ihre Kinder“, wo sie vom 11. 3. bis zum 5. 7. 1983 wohnte. Danach nahm die Klägerin einen Hausbesorgerposten an. Sie bezog eine etwa 50 m² große Hausbesorgerwohnung und verdient monatlich etwa 3.200 S netto.

Nach dem Verlassen der Ehewohnung und die Übersiedlung in die Hausbesorgerwohnung entnahm die Klägerin der ehelichen Wohnung die Kinderzimmereinrichtung, einen Kristallluster, sowie Fernsehgerät, Nähmaschine, Bügeleisen, Geschirr und Wäsche.

Intime Beziehungen der Klägerin zu anderen Männern können nicht festgestellt werden.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, dass dem Beklagten als Eheverfehlung die Verletzung der Unterhaltspflicht anzulasten sei, da unter Berücksichtigung seiner durchschnittlichen monatlichen Einkünfte von 15.800 S die Zurverfügungstellung eines Wirtschaftsgeldes von 1.200 S wöchentlich für eine dreiköpfige Familie nicht ausreichend sei. Der Beklagte habe überdies die Klägerin massiv und wiederholt mit dem Umbringen bedroht, sodass das Verlassen der ehelichen Wohnung durch sie zu Recht erfolgt sei. Die Unterlassung der Unterhaltsleistung nach der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft stelle ebenfalls eine schwere Eheverfehlung dar. Dem Beklagten sei darüber hinaus vorzuwerfen, dass er die Freizeitgestaltung mit der Klägerin und dem Kind abgelehnt habe, auch für das Kind nur unzureichend Unterhalt geleistet und wiederholt Alkohol konsumiert habe. Auch die Klägerin trage ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe, da sie übermäßig Alkohol konsumiert, die Haushaltsführung vernachlässigt und sich streitsüchtig verhalten habe. Der Klägerin sei auch vorzuwerfen, dass sie häufig lang dauernde teure Reisen allein unternommen und kompromisslos darauf bestanden habe, Australien zu verlassen, und den Beklagten dadurch veranlasst habe, seine dort aufgebaute Existenz aufzugeben. Wohl erschienen auf beiden Seiten die in den letzten sechs Monaten vor der Klageeinbringung gesetzten Eheverfehlungen nicht besonders gravierend, doch hätten sie im Zusammenhang mit dem früheren Verhalten der Streitteile die Zerrüttung der Ehe herbeigeführt, sodass beiden Scheidungsbegehren Berechtigung zukomme, wobei das Verschulden beider Teile gleich zu bewerten sei.

Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien gegen dieses Urteil erhobenen Berufungen nicht Folge. Es übernahm den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt und teilte dessen rechtliche Beurteilung. Beide Ehegatten hätten sowohl am Entstehen der Zerrüttung, als auch am endgültigen Zerbrechen der Ehe ein Verschulden zu tragen. Umstände, die die Annahme des Überwiegens des Verschuldens eines Teils rechtfertigen würden, lägen nicht vor.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichts insoweit, als damit ihrer Berufung gegen den Verschuldensausspruch des Erstgerichts nicht Folge gegeben wurde. Sie macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das alleinige, zumindest aber das überwiegende Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe ausgesprochen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Soweit in der Revision den Unterinstanzen vorgeworfen wird, sie hätten die ärztliche Bestätigung vom 17. 10. 1983, Beilage B, unrichtig „ausgelegt“, weil nicht aufgrund dieser Urkunde festgestellt worden sei, dass der der Klägerin angelastete Alkoholmissbrauch nur eine Folgeerscheinung von Depressionen gewesen sei, wendet sie sich in unzulässiger Weise gegen die getroffenen Feststellungen. Eine ärztliche Bestätigung ist eine reine Beweisurkunde, die nur der urkundenmäßigen Fixierung bestimmter Tatsachen dient und nicht Gegenstand einer rechtlichen Beurteilung ist (Fasching IV 334). Die Feststellungen der Vorinstanzen über Depressionen und Alkoholmissbrauch der Klägerin wurden darüber hinaus keineswegs nur aufgrund der Bestätigung Beilage B getroffen.

Den Ausspruch eines (gleichteiligen) Verschuldens beider Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe und die Ansicht der Vorinstanzen, dass die Schuld des Beklagten nicht überwiege, bekämpfen die Revisionsausführungen der Klägerin mit der Behauptung, den Eheverfehlungen des Beklagten ‑ dass der Beklagte nämlich zu tätlichen Angriffen gegen die Klägerin geneigt, die Klägerin und das Kind nur unzureichend alimentiert und jede Freizeitgestaltung mit der Klägerin abgelehnt habe ‑ stehe nur der Vorwurf gegen die Klägerin gegenüber, sie habe den Beklagten aus dem ehelichen Schlafzimmer ausgesperrt und übermäßig Alkohol getrunken; die der Klägerin angelasteten Eheverfehlungen stellten jedoch nur Reaktionshandlungen auf das Verhalten des Beklagten dar. Es sei nämlich festgestellt worden, dass der Beklagte der Klägerin zu einer Zeit, da sie an ihm noch interessiert gewesen sei, erklärt habe, es sei ihm egal, was mit der Klägerin und dem Kind geschehe, die Klägerin möge sich einen Geliebten suchen. Dass die Klägerin unter diesen Umständen in der Folge auf ehelichen Verkehr mit dem Beklagten nicht mehr Wert gelegt habe, dürfe ihr deshalb nicht zum Vorwurf gemacht werden. Das Berufungsgericht habe auch festgestellt, dass der Beklagte die Klägerin in Australien in ständiger Isolation gehalten und sie auch nach der Rückkehr nach Österreich vernachlässigt habe, da er nach Arbeitsschluss mit seinen Kollegen ausgegangen sei und es abgelehnt habe, die Freizeit mit seiner Familie zu verbringen. Diese Umstände hätten dazu geführt, dass die Klägerin in zunehmendem Maße an Depressionen und Schlafstörungen gelitten und versucht habe, diese Zustände zunächst durch Alkoholkonsum zu bekämpfen. Die Reisen, die die Klägerin unternommen habe, könnten entgegen der Ansicht der Untergerichte nicht als schwere Eheverfehlungen angesehen werden; denn der Beklagte habe sie bezahlt und somit letztlich gebilligt.

Die Klägerin geht mit diesen Ausführungen zum Teil in unzulässiger Weise nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Es wurde weder festgestellt, dass der Beklagte „zu tätlichen Angriffen gegen die Klägerin geneigt“ (eine „Neigung“ zu tätlichen Angriffen kann aus den beiden Vorfällen in den Jahren 1973 und 1981 auch noch nicht gefolgert werden), noch auch, dass der Beklagte die Klägerin in Australien „in ständiger Isolation gehalten“, und dass die Klägerin deshalb an Depressionen und Schlafstörungen gelitten habe, die sie mit Alkohol zu bekämpfen versucht habe. Der Beklagte hat es nach den Feststellungen auch erst im letzten Jahr vor dem Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung abgelehnt, seine Freizeit mit seiner Familie zu verbringen, nicht bereits nach der Rückkehr aus Australien im Jahr 1977 (in dieser Phase lehnte die Klägerin es „häufig“ ab, das Wochenende mit dem Beklagten zu verbringen). Der Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO aber liegt nur dann vor, wenn in ihm, ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, aufgezeigt wird, dass dem Untergericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen ist (JBl 1966, 562 uva).

Ausgehend von den getroffenen Feststellungen vermag der Oberste Gerichtshof die Ansicht der Klägerin, es wäre ein zumindest überwiegendes Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen gewesen, nicht zu teilen.

Nach § 60 Abs 2 EheG sind, wenn die Ehe wegen Verschuldens beider Ehegatten geschieden wird, beide für schuldig zu erklären; ist das Verschulden des einen Ehegatten erheblich schwerer als das des anderen, so ist zugleich auszusprechen, dass seine Schuld überwiegt. Der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann möglich, wenn der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile so augenscheinlich ist, dass neben dem eindeutigen Verschulden des einen Teils das Verschulden des anderen Teils fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 41.281 ua). Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensteile muss offenkundig hervortreten (EFSlg 41.284 ua). Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens gegeneinander ist vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht hat, inwieweit die Eheverfehlungen beider Ehegatten einander bedingten und inwieweit die Eheverfehlungen letztlich zum Scheitern der Ehe führten (EFSlg 41.269 uva). Die beiderseitigen Eheverfehlungen müssen in ihrem Zusammenhang gesehen werden (EFSlg 38.778 ua); es kommt nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten an (EFSlg 38.777). Von einer entschuldbaren Reaktionshandlung wird im Allgemeinen nur dann gesprochen werden können, wenn sich ein Ehepartner als unmittelbare Folge eines grob ehewidrigen Verhaltens des anderen dazu hinreißen lässt, in einer verständlichen Gemütsbewegung, die die Zurechnung seines Handelns als Verschulden ausschließt, seinerseits Eheverfehlungen zu setzen (EFSlg 41.178 ua); allerdings erfordert die Anwendung des § 49 Abs 2 EheG nicht unbedingt einen Zusammenhang zwischen den Verfehlungen beider Streitteile, es genügt unter Umständen, dass das ehewidrige Verhalten des einen Ehegatten durch jenes des anderen irgendwie beeinflusst ist (JBl 1977, 494; vgl auch EFSlg 41.206, EFSlg 38.719).

Nach den Verfahrensergebnissen kann, wie dies auch der Meinung der Vorinstanzen entspricht, weder gesagt werden, dass Verfehlungen eines der Ehegatten Ursache für die weiteren waren, sodass dieser mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht hat, noch auch, dass die Eheverfehlungen eines der Streitteile letztlich zum Scheitern der Ehe führten. So lag es offensichtlich nicht nur an der übergroßen beruflichen Inanspruchnahme des Beklagten in Australien, sondern zumindest in gleicher Weise am gesamten Verhalten und an der Einstellung der Klägerin, dass die Ehe der Streitteile schon relativ kurze Zeit, nachdem die Ehegatten nach Australien gekommen waren, gestört war. Zwar stellt das häufige Alleinlassen des anderen Ehegatten eine schwere Eheverfehlung selbst dann dar, wenn der Grund dafür in allzugroßer beruflicher Inanspruchnahme liegt, soferne sie nicht nur gelegentlich für kürzere Zeit, sondern dauernd oder wenigstens durch Wochen oder Monate den einen Ehegatten daran hindert, sich dem anderen zu widmen (Schwind in Klang² I/1, 768; EFSlg 41.184, EFSlg 18.133). Doch wäre es der Klägerin leicht möglich gewesen, den Zustand des Alleingelassenseins dadurch zu ändern, dass sie an der Tätigkeit des Beklagten wenigstens zeitweilig, auch nur durch ihre bloße Anwesenheit in seinem Betrieb, Anteil genommen hätte, wenn sie schon nicht in diesem Betrieb mitarbeitete. Die Klägerin hat es deshalb jedenfalls zum Teil sich selbst zuzuschreiben, dass sie sich einsam und unausgefüllt fühlte und übermäßig dem Alkohol zuzusprechen begann. Die Wurzel des Auseinanderlebens der Ehegatten, das bereits zu dieser Zeit begann, ist daher im beiderseitigen Verhalten der Parteien gelegen.

Die Tätlichkeiten des Beklagten gegen die Klägerin im Jahr 1973 haben unter diesen Umständen die bereits begonnene Entfremdung zwischen den Ehegatten zwar sicherlich vertieft; sie waren aber ‑ wie von der Klägerin auch gar nicht geltend gemacht wird ‑ nicht deren auslösende Ursache. Ferner war schon die erste, zum eineinhalbjährigen Aufenthalt führende Reise der Klägerin ein Ausfluss ihres Bestrebens, wieder nach Europa zurückzukehren. Dieses Streben hat die Klägerin dann anlässlich ihres zweiten Aufenthalts in Europa (im Jahr 1977) ausdrücklich klargestellt, von dem sie ohne das Kind nur noch nach Australien zurückkam, um den Beklagten vor die Alternative zu stellen, entweder mit ihr und dem Kind in Wien zu leben oder allein in Australien zu bleiben, Es liegt auf der Hand, dass dieses Verhalten der Klägerin, wenn auch durch ihren Gesundheitszustand ausgelöst, die Spannungen zwischen den Streitteilen weiter vergrößerte und für das weitere Zusammenleben der Ehegatten in Österreich von vornherein eine schlechte Grundlage bildete.

Die weiteren Eheverfehlungen der Streitteile bedingten einander im Wesentlichen wechselseitig, ohne dass gesagt werden könnte, dass einzelne Verfehlungen in ganz besonderem Maße zur Zerrüttung der Ehe beigetragen hätten. Der Beklagte kam (weiterhin) abends jeweils erst spät und oft nicht direkt nach der Arbeit nach Hause; die Klägerin konsumierte (weiterhin) im Übermaß alkoholische Getränke und vernachlässigte (überdies) die Haushaltsführung. Der Beklagte wiederum gab der Klägerin nur ein seinen Einkünften nicht entsprechendes Wirtschaftsgeld und wurde (ein zweites Mal) gegen die Klägerin tätlich, in dem ihren Kopf, als sie einmal erheblich alkoholisiert war, gewaltsam unter die Brause hielt. Die Klägerin dagegen lehnte es häufig ab, die Wochenenden gemeinsam mit dem Beklagten zu verbringen und unternahm ohne Einverständnis des Beklagten wiederholt längere Reisen zu ihren Verwandten in der CSSR und im Jahr 1982 auch in die USA ‑ mit der Folge, dass der Beklagte, nachdem die Klägerin den Sommer 1982 ohne ihn verbracht hatte, es nun seinerseits ablehnte, die Wochenenden mit ihr und dem Kind zu verbringen und sich äußerte, ihm sei alles egal, die Klägerin solle sich einen Geliebten suchen. Dass die Klägerin den Beklagten im Herbst 1982 aus dem ehelichen Schlafzimmer auswies, mag mangels eines unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwar keine Reaktionshandlung im eigentlichen Sinn darstellen; es stand aber doch zweifellos im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Verhalten des Beklagten und wurde durch dieses ausgelöst. Nicht mehr entscheidend ins Gewicht fällt bei Abwägung des beiderseitigen Verschuldens, dass der Beklagte die Klägerin im März 1983, also nach Beginn des Scheidungsstreits, bedrohte und ihr, als sie aus diesem Grund die eheliche Wohnung verließ, den Unterhalt verweigerte; denn zu diesem Zeitpunkt war die Ehe durch das Verhalten beider Ehegatten während eines mehrjährigen Zeitraums bereits weitestgehend zerrüttet.

Aus dieser Darstellung ergibt sich, dass nicht nur der Ausspruch des alleinigen Verschuldens des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe keineswegs gerechtfertigt wäre, sondern auch, dass nicht gesagt werden kann, es bestehe zwischen den Verschuldensanteilen der Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe ein ganz offensichtlicher Unterschied und es trete das Verschulden eines der Ehegatten gegenüber jenem des anderen fast völlig in den Hintergrund. Mit Recht haben es daher die Vorinstanzen abgelehnt, auszusprechen, dass das Verschulden eines Ehegatten, wie etwa jenes des Beklagten, überwiege.

Die Revision erweist sich damit als unbegründet, sodass ihr ein Erfolg versagt bleiben musste.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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