OGH 2Ob60/84 (2Ob61/84)

OGH2Ob60/84 (2Ob61/84)30.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karoline W*****, vertreten durch Dr. Franz Müller, Rechtsanwalt in Kirchberg am Wagram, wider die beklagten Parteien 1.) Herta G*****, 2.) V*****, beide vertreten durch Dr. Robert Mack, Rechtsanwalt in Korneuburg, wegen 40.672 S sA und Feststellung, infolge Revision und Rekurses der beklagten Parteien gegen das Teil-Zwischenurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Juni 1984, GZ 16 R 121/84-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichts Korneuburg vom 12. März 1984, GZ 15 Cg 246/83-10, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision und dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und die Erstbeklagte waren als gelegentliche landwirtschaftliche Hilfskräfte bei einem Landwirt tätig. Beide hatten immer gleichartige Tätigkeiten zu verrichten; keine von ihnen hatte ein Weisungsrecht.

Wenn „Not am Mann war“, hatte die Erstbeklagte hin und wieder auch mit dem Traktor zu fahren. Am 7. 10. 1982 erhielt die Erstbeklagte den Auftrag, mit dem Traktor in den Weingarten zur Weinlese zu fahren. Dabei sollte sie die Klägerin und eine andere Hilfskraft mitnehmen. Die Klägerin und die andere Hilfskraft fuhren auf dem Einachsanhänger des Traktors mit. Auf der Fahrt zum Weingarten verschuldete die Erstbeklagte einen Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin Verletzungen erlitt.

Die Klägerin begehrt - unter Anrechnung eines eigenen Mitverschuldens von 20 % - ein Schmerzengeld von 40.000 S und als Ersatz für Fahrtkosten zum Arzt 672 S. Außerdem begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Erstbeklagte der klagenden Partei gegenüber für zukünftige nicht vorhersehbare Schmerzen sowie für den künftigen materiellen Schaden zu 80 % hafte, die zweitbeklagte Partei der klagenden Partei gegenüber im Rahmen der zum Unfallszeitpunkt bestehenden Versicherungssumme ebenfalls mit 80 %.

Die Beklagten wendeten ein, die Erstbeklagte sei Aufseherin im Betrieb gewesen, sodass die Geltendmachung des Anspruchs gemäß § 333 Abs 4 ASVG ausgeschlossen sei. Mangels Dauerfolgen sei das Feststellungsbegehren nicht berechtigt. Auch die Höhe der Ansprüche werde bestritten. Der Höhe nach wurde jedoch ein Anspruch für Schmerzengeld und Fahrtkosten von zumindest je einem Schilling außer Streit gestellt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, der Erstbeklagten komme das Haftungsprivileg des § 333 Abs 4 ASVG zugute.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es als Teilzwischenurteil zu lauten habe: „Das Leistungsbegehren der Klägerin besteht dem Grunde nach zu Recht. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten“. Die Revision wurde für zulässig erklärt. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens hob das Berufungsgericht das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige.

Die Beklagten bekämpfen das Teil-Zwischenurteil mit Revision und den Aufhebungsbeschluss mit Rekurs.

Sie machen den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt, der Revision und dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rechtsmittel sind nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht führte aus, ob der Lenker eines Kraftfahrzeugs gegenüber den mitfahrenden Arbeitskameraden als „Aufseher im Betrieb“ iSd § 333 Abs 4 ASVG anzusehen sei, oder ihm als „gewöhnlichen Kraftwagenlenker“ diese Eigenschaft nicht zukomme, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab (ZVR 1972/203, 1974/59, 1976/327, 1979/124; 2 Ob 83, 84/83 uva). Es komme hiebei nach ständiger Rechtsprechung vor allem darauf an, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalls eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innegehabt habe und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich gewesen sei, oder ob er nur den Kraftwagen zu bedienen und allenfalls auch die Beladung zu verantworten gehabt habe. Bei der Beförderung von Personen sei zu unterscheiden, ob der Lenker für deren Sicherheit nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich sei oder ob er darüber hinausgehende Pflichten und Befugnisse habe (SZ 51/128; ZVR 1964/59, 1972/203, 1976/327, 1977/61 ua). „Aufseher im Betrieb“ könne jedenfalls nur der sein, der andere Betriebsangehörige oder wenigstens einen Teil des Betriebs zu überwachen habe (ZVR 1967/126, 1976/327, 1977/61). Für die Beurteilung der Aufsehereigenschaft komme es aber nur auf die Funktion des verantwortlichen Dienstnehmers im Zeitpunkt des Unfalls, nicht aber auf seine sonstige Stellung in der betrieblichen Hierarchie an (vgl SZ 51/128, ZVR 1972/120 ua). Der von der Rechtsprechung häufig ausgesprochene Grundsatz, dass es darauf ankomme, dass die Personenbeförderung im Interesse des Betriebs und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufträge erfolge (ZVR 1970/55, 1972/35, 1974/97 ua), bilde nur die Abgrenzung gegenüber jenen, keinesfalls zur Aufseherstellung des Kraftwagenlenkers führenden Fällen, in denen ein Dienstnehmer anlässlich einer Betriebsfahrt gefälligkeitshalber mitgenommen werde. Der Umstand, dass die Fahrt auf einem Dienstauftrag beruht habe oder im Interesse des Betriebs gelegen sei, reiche jedoch für sich allein zur Annahme der Aufsehereigenschaft des Lenkers nicht aus (ZVR 1979/142, 2 Ob 83, 84/83 uva). Wäre die Aufsehereigenschaft eines Kraftfahrzeuglenkers schon allein aus dem Umstand abzuleiten, dass die Beförderung von Arbeitskollegen durch einen ausdrücklichen - oder schlüssigen - Dienstauftrag gedeckt sei - oder im Interesse des Betriebs erfolge, so wäre jeder Kraftwagenlenker, der Arbeitskollegen befördere - Schwarzfahrten und Mitnahme von Arbeitskollegen aus Gefälligkeit ausgenommen - als Aufseher im Betrieb anzusehen; diese Konsequenz, die in weiterer Folge dazu führen müsste, jeden Arbeitnehmer, sofern er nur im Auftrag oder im Interesse des Betriebs tätig werde, als „Aufseher im Betrieb“ zu qualifizieren, sei von der Rechtsprechung zu Recht abgelehnt worden (ZVR 1979/142; 2 Ob 83, 84/83 und die dort zitierte Judikatur). Aufseher im Betrieb sei somit nur eine Person, die über die Durchführung von Betriebsvorgängen bestimmen könne, nicht aber schon jemand, der bloß mitfahrenden Personen in seiner Funktion als Kraftfahrzeuglenker Anweisungen über das Verhalten im Kraftfahrzeug geben könne (Koziol, Haftpflichtrecht II, 177; SZ 51/128 ua). Eine Aufsehereigenschaft der Erstbeklagten sei zu verneinen, weil es an einer Verantwortlichkeit für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte und an einer über die bloße Stellung als Kraftfahrzeuglenker hinausgehenden Überwachung anderer Betriebsangehöriger gefehlt habe. Das Leistungsbegehren bestehe daher dem Grunde nach zu Recht. Das Feststellungsbegehren sei jedoch noch nicht spruchreif, weil die Beklagten den Eintritt von Dauerfolgen bestritten hätten.

Die Beklagten vertreten in ihrer Rechtsmittelschrift die Ansicht, dadurch, dass der Dienstgeber der Erstbeklagten den Auftrag erteilt habe, andere Dienstnehmer zu dem Arbeitsbereich (Weingarten) zu befördern, habe die Erstbeklagte die Fürsorgepflicht übernommen, die dem Arbeitgeber gegenüber dem Dienstnehmer zustehe, es habe ihr daher ein Weisungsrecht während der Fahrt oblegen. Sie sei daher zweifelsohne als „Aufseher im Betrieb“ anzusehen. Es sei ihr als Lenker des Kraftfahrzeugs oblegen, durch die Beförderung anderer Dienstnehmer für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen, sowie betriebsgefährdende Handlungen hintanzuhalten (ZVR 1976/327, 1963/74, 1969/325). In Übereinstimmung mit dieser Rechtsansicht sei eine große Anzahl von Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen ergangen, die die Aufsehereigenschaft in Betrieben bei Fahrzeuglenkern bejaht hätten (ZVR 1977, 81/61, Arb 8892 ua). Es sei daher zu Recht dem Lenker die Aufsehereigenschaft zuerkannt worden, betreffend der mit einem von ihm gelenkten Traktor zu befördernden Arbeiter (ZVR 1963, 78/78). Ebenso sei bei einem Kraftfahrzeuglenker, dem die Sorge für Transport der Mitfahrer, von Geräten und Materialien überantwortet sei, die Aufsehereigenschaft bejaht worden (ZVR 1972, 56/35, 1977, 81/61). Das Berufungsgericht sei daher zu Unrecht in seiner rechtlichen Beurteilung davon ausgegangen, dass die Erstbeklagte keine Aufseherin im Betrieb sei. Der Unfall sei als Arbeitsunfall anzusehen.

Diesen Ausführungen ist Folgendes zu erwidern:

Das Berufungsgericht hat die vom Obersten Gerichtshof entwickelten Grundsätze zur Frage, wer als Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG anzusehen ist, richtig wiedergegeben (vgl etwa 2 Ob 83, 84/83). Auf diese Ausführungen kann - zur Vermeidung von Wiederholungen - verwiesen werden. In der Rechtsprechung wurde stets darauf hingewiesen, dass es bei Beurteilung der Frage der Aufsehereigenschaft eines Kraftfahrzeuglenkers jeweils auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (4 Ob 177/82, 2 Ob 83, 84/83 uva, zuletzt 2 Ob 19/84 und 8 Ob 31/84). Im vorliegenden Fall waren sowohl die Erstbeklagte als auch die Klägerin und die andere am Anhänger mitfahrende Person gelegentliche landwirtschaftliche Hilfskräfte, ihre Stellung im Betrieb unterschied sich nicht, sie hatten gleichartige Arbeiten zu verrichten, keine hatte ein Weisungsrecht. Wohl kommt es bei Beurteilung der Aufsehereigenschaft nur auf die Funktionen des verantwortlichen Dienstnehmers im Zeitpunkt des Unfalls an und nicht auf seine sonstige Stellung in der betrieblichen Hierarchie, doch hat das Verfahren keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Erstbeklagten bei der Fahrt mit dem Traktor, bei der sich der Unfall ereignete, eine Aufsicht und Weisungsbefugnis gegenüber den mitfahrenden Arbeitern zugekommen wäre. In ähnlich gelagerten Fällen (SZ 51/128, 2 Ob 108/79, 2 Ob 83, 84/83 ua), hat der erkennende Senat die Aufsehereigenschaft stets verneint. Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Auch der Hinweis auf früher ergangene Entscheidungen ist nicht zielführend. Abgesehen davon, dass es - wie bereits ausgeführt - stets auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, sind insbesondere die neueren in der Revision zitierten Entscheidungen in keiner Weise geeignet, den Rechtsstandpunkt der Beklagten zu unterstützen. So wurde in ZVR 1976/327 in einem ähnlichen Fall die Aufsehereigenschaft verneint und in ZVR 1977/81 ausgeführt, Aufseher im Betrieb könne nur der sein, der andere Betriebsangehörige oder wenigstens einen Teil des Betriebs zu überwachen habe. Der Oberste Gerichtshof billigte somit die Ansicht des Berufungsgerichts, der Erstbeklagten sei die Eigenschaft als Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG nicht zugekommen. Daran kann der Umstand, dass es sich um einen Arbeitsunfall handelte, nichts ändern.

Daher erweist sich weder die Revision gegen das Teil-Zwischenurteil, noch der Revision gegen den Aufhebungsbeschluss als gerechtfertigt.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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